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ARBEITERSTIMME/325: Die Parlamentswahlen in Polen am 25. Oktober 2015 und ihre politischen Folgen


Arbeiterstimme Nr. 191 - Frühjahr 2016
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Die Parlamentswahlen in Polen am 25. Oktober 2015 und ihre politischen Folgen

Von Zbigniew Wiktor


Die Wahlen zum Sejm (2. Kammer) und zum Senat am 25. Oktober 2015 haben einen Wahlmarathon in Polen beendet. Er dauerte mehr als ein Jahr und die Wähler sind fünf mal zu den Wahlurnen gerufen worden. Als Ergebnis davon ist die politische und Parteibühne in Polen verändert; aber die Macht gehört nach wie vor der Bourgeoisie. Im Mai 2014 gab's die Wahl zum Europäischen Parlament. Von insgesamt 50 "polnischen" Mandaten erhielten zwei führende bürgerliche Parteien die entscheidende Mehrheit: die liberal-zentristische Bürgerliche Plattform - Platforma Obywatelska (PO) unter Leitung des damaligen Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Donald Tusk (aktuell Vorsitzender des Europäischen Rates) und die konservativ-katholische Recht und Gerechtigkeit - Prawo i Sprawiedliwosc (PiS) unter Leitung von Dr. Jaroslaw Kaczynski. Je vier Mandate haben die Linke (SLD) und die faschisierende Partei der Neuen Rechten (Korwin) erhalten; die Polnische Bauernpartei hat drei Mandate gewonnen.

Im November 2014 haben die Wahlen zu den lokalen Selbstverwaltungsorganen stattgefunden, wobei die zwei bürgerlichen Parteien PO und PiS auch in etwa ähnliche politische Resultate bekommen haben. Diese beiden Parteien sind von aus der früheren reaktionären Gewerkschaft Solidarnosc herausgewachsen, aber seit Sieg der Konterrevolution kämpfen sie gegeneinander hart um die Macht. Sie haben schon lange die Arbeiter, Werktätigen vergessen. Sie erfreuen sich der Unterstützung des inländischen und ausländischen Kapitals und in unterschiedlichem Ausmaß der Hilfe der Europäischen Union, der USA, der NATO und der katholischen Kirche. Nach Meinung von Recht und Gerechtigkeit (PiS) wurden die Lokalwahlen gefälscht. Die Leitung der Partei hat eine Klage zum Obersten Gerichtshof geschickt, aber ohne juristischen Erfolg. Das Gericht hat keine wesentliche Fälschung und keine rechtliche Grundlage gefunden. Die Klage ist ablehnt worden.

Im Mai 2015 gab's die Staatspräsidentenwahl. Mit einem Vorsprung von mehr als einer halben Million Stimmen hat der Kandidat der PiS-Partei, Dr. Andrzej Duda, gewonnen. Es war ein Vorzeichen, dass nach langer Zeit die damals siegreiche Bürgerliche Plattform (PO) eine große Niederlage erlitten hat und dass die PiS-Partei die politische Initiative im Lande übernommen hat. Im September 2015 sind die Polen zur nationalen Volksbefragung (Referendum) aufgerufen worden, weil der damalige Staatspräsident Bronislaw Komorowski in ihr ein politischen Mittel zur Stärkung seines Präsidentenwahlkampfes sah. Die drei Fragen des Referendum waren politisch nicht wichtig. Zu den Urnen sind nur 7,8 Prozent der Wahlberechtigten gegangen.

Die Frage der Wahlbeteiligung in Polen wird von Politologen und Politikern unterschiedlich diskutiert. Die Hauptursache ist nach wie vor die große Enthaltung. Dies ist nicht nur eine Frage der politischen Kultur, sie drückt auch die reservierte Haltung und die Kritik der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber dem Aufbau des brutalen Kapitalismus aus. Üblicherweise kommt nur eine Minderheit der polnischen Bürger bei den Parlamentswahlen zu den Wahlurnen, weniger als 50 Prozent. Es ist eine Ausnahme, wenn mehr als die Hälfte zum Wählen geht. Etwas besser ist es bei der Präsidentenwahl - ungefähr 60 Prozent; aber ganz schlimm ist bei den lokalen Wahlen: Wojewodschaften 45 Prozent, Kreisbehörden 30 - 40 Prozent und Gemeinden sogar 30 Prozent und weniger. Noch schlimmer ist bei der Wahl zum Europäischen Parlament: Hier nehmen nur 23 - 24 Prozent der Wahlberechtigten teil. Die Politiker und Politologen führen große Debatten darüber; sie haben verschiedene Erklärungen dafür, abhängig von ihrer politisch-ideologischen Herkunft und der wissenschaftlichen Schule. Meiner Meinung nach ist die große Wahlenthaltung ein Resultat der großen Enttäuschung der Mehrheit der Bevölkerung (also besonders der Arbeiterklasse und anderer Werktätiger) über die Politik der Bourgeoisie und ihrer politischen Akteure, besser gesagt Marionetten, der hohen Arbeitslosigkeit, der Emigration aus wirtschaftlichen Gründen, insbesondere der jungen Generation und der tiefen Polarisierung der polnischen Gesellschaft zwischen einer dünnen Schicht der Finanzoligarchen, der Groß- und mittleren Bourgeoisie und der armen großen Mehrheit der Polen, die unter dem biologischen und sozialen Niveau leben.

Es findet ein konsequenter Prozess der Enteignung und der Proletarisierung der Arbeiterklasse, anderer Werktätiger und des Kleinbürgertums statt. Der Kapitalismus im gegenwärtigen Polen befindet sich in der neuen Phase des Akkumulation des Kapitals (insbesondere fremden) auf Kosten des alten und neuen polnischen Proletariat und des nationalen Volksvermögens, das in Volkspolen aufgebaut wurde. Die früheren Versicherungen von Solidarnosc und der Verräter, Revisionisten und Reformisten von der PVAP über ein besseres Leben im "demokratischen und menschlichen Kapitalismus" sind wie im Nebel verschwunden. Das Leben für die Arbeiterklasse, besonders für die Millionen Arbeitslosen, Brotemigranten, die anderen Werktätigen und speziell für die junge Generation hat sich radikal verschlechtert. Das ist die Grundlage der Enttäuschung, des neuen politischen Bewusstseins und auch der großen Wahlenthaltung in Polen.

Die letzte Etappe dieses Wahlmarathons war die Wahl zum Sejm und zum Senat am 25. Oktober 2015. Zur Wahl sind 17 Wahlkomitees angetreten, die ihre Wahllisten in allen Wahlbezirken (44) registrieren lassen haben. Die parteipolitische Bühne war dominiert von den großen bürgerlichen Parteien, die aus dem früheren Solidarnosc-Lager (PO und PiS) stammen und sich daraus entwickelt haben. Eine bedeutende politische Position hatten auch andere gegenwärtige Parlamentsparteien wie die Linke (SLD und Deine Bewegung von Palikot), Bauernpartei (PSL) und neue politische Subjekte: die Bewegung Kukiz'15, die Moderne (Partei) und die neue Linke Razem (Zusammen), die sich zur neuen linken Sozialdemokratie erklärte.

Eine ganz neue Gruppierung ist Kukiz'15 unter Leitung von Pawel Kukiz - ein neuer Mann in der Politik und ein alter Rockstar, der zur großen Überraschung bei der Präsidentenwahl im Mai drei Millionen Stimmen (20 Prozent ) erhielt und an dritter Stelle landete. Sein großer Erfolg war ein Zeichen, dass die Gruppe der unzufriedenen Wähler wächst, die einen radikalen Wechsel fordern. Sie sind stark gegen das politische System eingestellt. Kukiz gewann seine Wähler und Sympathisanten auf Rockshowbühnen; immer stellte er sich als scharfer Kritiker des Systems dar; "Es muss Veränderungen geben! Man muss eine neue Verfassung beschließen! Mein Herz schlägt links, aber ich bin gegen die Kommunisten und wir sollen alle Kämpfer ehren, die gegen die Kommunisten in Volkspolen gekämpft haben!" Er trägt gerne ein T-Shirt mit dem Zeichen der polnischen Nazisten (NSZ-Nationale Wehrmacht). Sein Hauptlosung bezog sich auf das Wahlmehrheitssystem (JOW - Jednomandatowe Okregi Wyborcze). Das sollte durch einen echten nationalen Führer abgeschafft werden. Er bekam große Unterstützung in dem Milieu der Jugend, Arbeitslosen aber politisch wenig orientierten und leicht gesteuert von Nationalisten. Er hat kein echtes Partei- und Wahlprogramm. Seine liebste Parole ist: Ich bin gegen System! Das System muss verändert werden! In Wirklichkeit sind Pawel Kukiz und seine führende, aber nicht homogene Gruppe nationalistisch, autoritarisch; eine an faschistischen Zeichen orientierte Bewegung. Man kann sie vergleichen mit der Nationalen Demokratie in der 2. Polnischen Republik (1918-1939). Sie bekam bei der Parlamentswahl 43 Mandate und unterstützt jetzt politisch die regierende PiS-Partei. Der Stern von Kukiz leuchtet jetzt schwächer. Seine Bewegung bekam weniger als die Hälfte der Stimmen im Vergleich zur Präsidentenwahl.

Die Moderne Partei unter Leitung von Ryszard Petru ist auch eine neugegründete Gruppierung. Sie wurde vor einem halben Jahr von Kreisen der Großbourgeoisie und des Großkapitals gegründet; sie ist liberal orientiert. Ihr intellektuelles Hinterland schuf der bekannte Professor Leszek Balcerowicz, ehemaliger Stellvertreter des Ministerpräsidenten und Finanzminister am Anfang der Wende, der "ersten nichtkommunistischen polnischen Regierung von Tadeusz Mazowiecki" (1989-93). Die Moderne wird unterstützt durch große Banken, ausländische kapitalistische Firmen und einen großen Teil der polnischen höheren Mittelklasse. Die Gründung der Partei war eine Antwort dieser Kräfte auf die Schwächung der bisher führenden Bürgerplattform (PO) und der Möglichkeit, dass diese eine schnelle Niederlage erleidet. Die neue Partei des großen Kapitals wird auch unterstützt durch einflussreiche Medien, besonders die Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Als die PiS-Partei das Regierungssteuer übernahm, haben diese gut organisierten Kreise sofort öffentliche Massendemonstrationen unter der Losung "Gegen Diktatur" und "für die Demokratie" organisiert. Der Kampf und die Oppositionskritik wird auf den Straßen der großen Städte (den Hochburgen der Partei die Moderne) ausgetragen. Er wurde konsequent von den neu organisierten Komitees der Demokratie (KPD) organisiert. Die Gründung der neuen Partei des großen Kapitals kann man mit früheren Aussagen verquicken: "Wir sind eine ganz neue Partei; wir sind unschuldig an den Fehlern und politischen Krisen der Vorgänger. Die PO hat viele Fehler gemacht und sie muss dafür bezahlen. Wir fangen neu an." Die Moderne, der neue Parteichef und seine politische Kolleginnen und Kollegen sind ideologisch und politisch gut vorbereitet, und die Partei hat viel Geld (woher, bleibt ein Geheimnis). Sie ist gut organisiert, als nur eine zentrale Organisation bekam sie viel Unterstützung und sie wurde viertstärkste Fraktion im Sejm. Jetzt baut sie territoriale Strukturen auf. Sie erhält große Unterstützung von den großen Medien und sie kämpft jetzt an zwei Fronten: gegen PiS und gegen PO.

Die politische und ideologische Landschaft bereichert die Partei Korwin (vom Namen des Parteiführers Janusz Korwin Mikke) - früher war sie bekannt unter dem Namen Neue Polnische Rechte und Union der Realen Politik (Unia Polityki Realnej) - eine superliberale und faschisierende Gruppierung. Korwin findet wegen seiner superradikalen Losungen bei den frustrierten Arbeitslosen und der perspektivlosen Jugend Anhänger; er hat vier Mandate im Europaparlament gewonnen. Nach den Sieg erklärte er: "Wir gehen nach Brüssel, um diesen Puff zu zerschlagen." Er fand großen Anklang bei anderen ausländischen Eurogegnern und Euroskeptikern, die zusammen etwa 30 Prozent der Euromandate haben. In Polen ist sein politischer Einfluss aber begrenzt: Bei der Parlamentswahl hat seine Partei die Fünf-Prozent-Hürde nicht übersprungen und er bekam kein Mandat. Die Wählerzahl reichte aber für die finanzielle Unterstützung bei den Wahlkampfkosten. Dies betrachtet er als optimistische Prognose für die nächste Wahl. Zum rechten bürgerlichen Lager gehören auch einige rein nationalistische Parteien; diese sind schwach und sie haben zusammen weniger als ein Prozent der Stimmen bekommen.

Die Kommunistische Partei Polens (KPP) hat keine eigene Liste aufgestellt. Die Mitglieder und Sympathisanten boykottierten die Wahl oder unterstützten lokale linke Parteien. Die politische und organisatorische Situation der Partei ist kritisch, weil seit zwei Jahren das Strafverfahren unter dem Vorwurf "der Propagierung des totalitären Staatsaufbaus" - d.h. des Verbrechens im Sinne von Artikel 256 § 1 des Strafgesetzbuches fortgesetzt wird.

Die bürgerliche Linke ist in Polen vor 27 Jahren durch das Bündnis der Demokratischen Linken (SLD), später auch durch die Partei Deine Bewegung (Twoj Ruch) unter Leitung von Janusz Palikot entstanden. In der letzten Zeit wurde die neue sozialdemokratische Partei - Razem (Zusammen) gegründet. Es gibt auch die Grünen, die Arbeitsunion, die Sozialdemokratie der Republik Polen, die Polnische Arbeitspartei, die keine reale Kraft und Einfluss auf die Massen haben. Sie gehörten regulär zu den Wahlkomitees des SLD oder zur Palikotbewegung. Alle diese Parteien haben eine große Niederlage erhalten. Sie haben nicht die Fünf-Prozent- beziehungsweise die Acht-Prozent-Hürde überwinden können. Zum ersten Mal nach 27 Jahren hat die Linke keinen Sitz im Parlament mehr. Der Revisionismus, Opportunismus und der Verrat der Interessen der Arbeiterklasse, die von der Entstehung und der Entwicklung des SLD und später der Linken profitiert hat, haben auch zu diesem bitteren Ergebnis beigetragen. Das Bündnis der Demokratischen Linken wird geleitet von Aleksander Kwasniewski (ehemaliger Staatspräsident), Leszek Miller (ehemaliger Ministerpräsident) und Marek Borowski (ehemaliger Parlamentspräsident). Sie sind vom früheren sozialdemokratischen Flügel der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei gekommen. Die ersten zwei waren Mitglieder des ZK und des Politbüros der PVAP. Am Ende Volkspolens erklärten sie zur ideologischen Grundlage der neuer Partei den "demokratischen und menschlichen Kapitalismus". Stattdessen ist nach 26 Jahren der brutale Kapitalismus in Polen entstanden. Die Mehrheit der Mitglieder und Sympathisanten der Linke sagten: Schluss damit! Nicht im unserem Namen! In Polen muss eine neue Linke aufgebaut werden.

Die Parlamentswahl in Polen war eine Grundlage für die genauere Berechnung der polnischen Staatsbürger und der ganzen Bevölkerung. Seit Jahren schon vermindert sich die Anzahl der Polen. Am Ende Volkspolens gab's circa 40 Millionen, vor zwei Jahren waren es noch 38,5, aktuell sind es nur noch 37,5 Millionen Leute. Die Ursache bleibt der nach wie vor sinkende natürliche Zuwachs, der sich seit Jahren gegen Null beläuft. Die Situation wird auch verschlechtert durch die große Rate der sozialökonomischen Emigration. Millionen Polen quälen chronische und permanente Arbeitslosigkeit (nicht nur die offizielle, sondern auch die höhere inoffizielle), Elend, Armut und Obdachlosigkeit. Als der Winter kam und der Frost, sind Hunderte von Polen erfroren. Die lokalen Behörden und Wohlfahrts-Organisationen sind hilflos. Millionen suchen ein besseres Leben in England, Irland, den skandinavischen Ländern oder in Deutschland. Die Demographen schreiben weiter pessimistische Prognosen. Die Zahl der Bevölkerung in Polen soll sich weiter vermindern und sie soll weiter altern. Hier besteht ein großer Widerspruch zu den Großmachtträumen, die von den polnischen Nationalisten verbreitet werden, mit Parolen wie z. B. "Zurück zur Jagiellonen-Republik Polen vom 15. bis 17. Jahrhundert" und Polen "der 3-Meere" (Ostsee, Adria und Schwarzes Meer).

Die Staatliche Wahlkommission stellte fest, dass die polnische Wählerschaft am 25. Oktober 2015 30.625.150 Staatsbürger zählte (mit den Staatsbürgern im Ausland), aber zu den Wahlurnen sind 15.563.000 (50,92 Prozent) gekommen, davon waren 394.000 Stimmen ungültig. 49,08 Prozent der Polen sind nicht zur Wahl gegangen. Die PiS-Partei bekam 5.711.000 Stimmen (37,58 Prozent der abgegebenen), was der Partei 235 Mandate einbrachte. Das polnische Parlament (Sejm) zählt 460 Sitze, die PiS hat also die absolute Mehrheit (50 Prozent plus 5). Die PO (Bürgerplattform) bekam 3.661.000 Stimmen (24,09 Prozent) und 138 Mandate. Die Kukiz'15-Bewegung erhielt 1.339.000 Stimmen (8,8 Prozent) und 42 Mandate, die Partei die Moderne 1.147.000 (7,7 Prozent) und 28 Mandate, die Polnische Bauernpartei (PSL) 777.999 Stimmen (5,13 Prozent) und 16 Mandate. Die Deutsche Minderheit bekam 27.530 Stimmen (0,18 Prozent) und ein Mandat dank der Präferenzliste für die Minderheit, besonders viele Stimmen erhielt sie im Bezirk Opole (Oppeln). Die anderen Wahlkomitees haben nicht die Fünf-Prozent- oder die Acht-Prozent-Hürde übersprungen und darum auch keine Mandate bekommen. Ihre Stimmen stärkten gemäß der d'Hondtmethode die Siegerparteien.

Die Wahl zum Senat lief noch besser für die zwei großen bürgerlichen Parteien, weil dort die Mehrheitsmethode für die Bezirke herrscht. PiS hat 61 Mandate gewonnen (61 Prozent), PO 34 Mandate (34 Prozent), ein Mandat bekam die Bauernpartei und vier Mandate erhielten Unabhängige, die aber auf der Liste der PO kandidiert hatten. Das bedeutet, dass die PO in Wirklichkeit 38 Mandate (38 Prozent) hat.

Die Hauptursache der Niederlage der zentristisch-liberalen bürgerlichen Parteien war der Verbrauch des politischen Vertrauens, die Machtdemoralisierung in acht Jahren des Regierens, die wachsende wirtschaftliche Krise, daneben Korruption, zahlreiche kriminelle Affären, z.B. Ambergold, das Abhören von ViPs (darunter zahlreicher Minister), keine Initiative bei der Aufklärung der Flugzeugkatastrophe in Smolensk, die hohe Rate der Arbeitslosigkeit, der Emigration, die wachsenden Lebenshaltungskosten, obwohl die Regierung und die ihr freundlichen Massenmedien einen amtlichen Optimismus verbreitet hatten. Ein Nagel zum Sarg für PO war die Krise in den Beziehungen zu Rußland und zur Ukraine. Das europäische Embargo und die Handelsrestriktionen gegen Rußland haben den polnischen Außenhandel nach Rußland, besonders der landwirtschaftlichen Produkte, zurückgeworfen und fast zum Erliegen gebracht. Die polnischen Bauern und andere Kleinproduzenten haben Milliarden Zloty und ihre alten Märkte verloren. Es wuchs durch Jahre die Unzufriedenheit gegenüber der Leitung der PSL (Bauernpartei), die seit zehn Jahren im Parteibündnis mit den Liberalen von PO war. Die Arbeiterklasse wurde dezimiert, die polnische Industrie, besonders die Maschinen, die chemische, die Bau- und die Textilindustrie sind liquidiert worden. Die Mehrheit der Arbeiter wurde entlassen. Sie vergrößerten die Zahl der Arbeitslosen oder sie haben die Menge der früheren Pensionäre vergrößert. Sie leben an der Grenze des biologischen oder sozialen Niveaus; zusammen mit den Geringverdienern machen sie mehr als 50 Prozent der polnischen Bevölkerung aus.

Ideologisch und teilweise politisch befinden sich diese großen sozialen Gruppen unter dem Einfluss der katholischen Kirche, teilweise auch der reaktionären Gewerkschaft Solidarnosc oder der rechtssozialdemokratischen OPZZ-Gewerkschafts-Zentrale, die seit 1989 auch "einen menschlichen Kapitalismus" versprach. Die junge Generation sucht auf eigene Faust die Rettung im Ausland, sie wurde skeptisch gegenüber ihren Väter von Solidarnosc. Sie bleibt den Wahlurnen fern. Viele junge Leute rebellieren auf den Straßen und Sportstadien. Häufig werden sie von Nationalisten, Krypto- und offenen Faschisten organisiert, wie z.B. der Partei Korwin, Kukiz und teilweise Recht und Gerechtigkeit. Die letztere hat raffinierte Methoden zur Schwächung der Linkspartei durch das Stehlen des linken sozialen Programms angewandt. Sie hat damit mindestens eine Million Stimmen vom linken Spektrum übernommen. Die Ursache ist in der konsequent durchgeführten liberalen Politik zu suchen, die keine Arbeit, keine Wohnung, keine reale soziale Zukunft verschafft. Die Frustration über die Liberalen wächst. Die öffentliche Meinung stellt es so dar: Die Bürgerliche Partei ist schuld daran.

Die PiS-Partei, der Hauptgewinner, bleibt nach wie vor strategisch nicht sehr unterscheidbar von der Bürgerlichen Plattform. Beide Parteien sind aus der antikommunistischen Solidarnosc hervorgegangen. Am Anfang der 3. Republik seit 1989 haben sie eng zusammengearbeitet. Die Spaltung kam erst später mit dem gemeinsamen Kampf um die Macht und die Vermögensprivilegien. Alle früheren ethischen Versprechen und Werte sind gebrochen und vergessen. Bei diesem Kampf ging es nicht nur um das Beherrschen des Staatsapparats (Macht- und Selbstverwaltungsorgane), sondern insbesondere um die Privatisierung des gigantischen Vermögens von Volkspolen. Es wurde für einen symbolischen Zloty an die neuen Herren verkauft; in Wirklichkeit ist es geraubt worden. Als Resultat entstand in Polen eine besondere Art der neuen Eigentümer - Lumpenbourgeoisie, neue Milliardäre, Millionäre, Oligarchen, die ihr Vermögen nicht in Zloty, sondern in Dollar oder Euro zählen. Es entstand auch eine breitere Schicht des Mittelstandes, eine neue Mittelklasse, das Kleinbürgertum, die insbesondere in der letzter Zeit vom ausländischen Großkapital begrenzt, niedergemacht und dezimiert wurde. Danach wuchsen die Reihen des neuen Lumpenproletariats. Auf der andere Seite entstand auch die breite und wachsende Klasse des neuen Proletariats, Prekariats, der Leiharbeiter, Arbeitslosen, nicht nur der offiziellen, sondern auch die doppelt verdeckte Arbeitslosigkeit auf dem Lande. Mehr als 2,5 Millionen sind ausgewandert.

Die polnische Lumpenbourgeoisie ist schwach und ohne kapitalistische Tradition. Sie entstand neu nach 1989 aus den früheren Kleinkapitalisten Volkspolens und sie hatte kleinbürgerlichen Charakter. Einen anderen Charakter hatte der zweite Flügel. Er gehörte zur wirtschaftlichen Nomenklatura, die aus Teilen der wirtschaftlich leitenden Schicht Volkspolens entstand. Doch Hauptgewinner in Polen war das große ausländische Kapital, das die Mehrheit des industriellen Vermögens für billiges Geld übernommen und die Betriebe stillgelegt, demontiert und liquidiert hat. Das war für es eine unerwünschte Konkurrenz. Polen wurde betrachtet als riesiger Markt für die eigene Produktion und die billige Arbeitskraft. Manche Betriebe wurden als reine Montagebänder der großen Konzerne umgestaltet (z. B. Volkswagen, Bosch, Wlirpool usw.) Der polnische Wirtschaftsraum wurde auf Konzerne aus Deutschland, Italien, den Vereinigten Staaten, Frankreich aufgeteilt. Ähnlich ist es bei den Finanzen: 85 Prozent der polnischen Finanzen sind unter Kontrolle der Westbanken.

Als wirtschaftspolitische Folge dieser "neuen Polnischen Teilung"nimmt die polnische Bourgeoisie nur dem Namen nach die Führungsrolle ein. In Wirklichkeit spielen die führende Rolle neue Kompradoren, also Diener und Lakaien der fremden Großkonzerne, die wie in ehemaligen Kolonien gut finanziert und bezahlt werden. Sie regieren im Namen der neuen fremden Herren. Politisch ist diese Klasse mit der Bürgerlichen Plattform (PO) und ihren früheren Parteien (Freiheitspartei) aufgewachsen und verbunden. Die Partei ist ein starker Anhänger der Zusammenarbeit mit dem internationalen Kapital, besonders der Europäischen Union (frühere EWG), der Europäischen Zentralbank, dem Internationalen Währungsfonds und der Internationalen Weltbank. Die militärische Unterstützung bekam diese Klasse von der auswärtigen Politik der USA, der europäischen Großmächte, ganz besonders Deutschlands. Dieser Prozess wurde mit der direkten Mitgliedschaft in der NATO seit 1999 verstärkt. Dieses Lager hat auch die Linke und die Bauernpartei unterstützt, die völlig die früheren Arbeiter- und Bauern-Klasseninteressen vergessen haben.

Den zweite Flügel der polnischen Lumpenbourgeoisie, der seit Jahren mit Recht und Gerechtigkeit verbunden ist, stellt die nationale Bourgeoisie dar. Es ist die schwächere ökonomische Oberklasse, meist Mittel- und Kleinkapitalisten, die im Rahmen der Auswirkungen des Globalisierungsprozesses nicht mit der großen Konkurrenz der großen Westkonzerne mithalten kann. Sie zählt aber Millionen der kleinen und mittleren Betriebe der lokalen Industrien, Diensleistungsunternehmen, die von dem "Wirtschaftspanzer" überrollt und begrenzt werden. Nach der ersten Etappe der Europäischen Euphorie bleiben sie skeptisch oder sie sind gegen die EU; sie brauchen die Unterstützung und die Verteidigung des eigenes Staates, sie betrachten jetzt die offene Grenze als einen Nachteil für eigene Interessen, sie fordern bessere Handelsbeziehungen mit Rußland usw. Diese Hoffnungen und dieses Verhalten in der Mehrheit unterstützt die Katholische Kirche und alle diese widersprüchlichen Interessen waren auch die Hauptursachen des PiS-Sieges und der PO-Niederlage bei den letzten Parlamentswahlen.

Die PiS-Partei hat im Wahlkampf den unterschiedlichen sozial-ökonomischen Gruppen viel versprochen, 500 Zloty für jedes Kind, die Steigerung der Sozialunterstützung, ein besseres Leben für die armen Familien, billige Wohnungen, die Verminderung der Arbeitslosigkeit, die Absenkung des Pensionsalters für Männer von 67 auf 65 und für Frauen von 67 auf 60 Jahre und vieles andere. Die Realisierung der Versprechen würde bis zu 100 Milliarden Zloty kosten, aber die Staatskasse ist leer.

Man müsste dann das Budget-Defizit erhöhen, darf aber nicht höher als bis 3 Prozent des BIP. Man kann neue Steuern einführen, z.B. für die Großbanken, die großen Supermärkte; aber die Experten sagen, das bringt nicht mehr als 10 Milliarden Zloty. Und was macht man mit den anderen Versprechungen? Das Großkapital, das sich in ausländischen Händen befindet, ist dagegen; eine Abwanderung der großen Firmen aus Polen hat bereits begonnen. Die Massenmedien - auch sie sind in der Mehrheit im Besitz ausländischen Kapitals - sind auch dagegen. Sie betreiben jeden Tag Gehirnwäsche der Bevölkerung. Die Oppositionsparteien organisieren alle zwei Wochen Widerstand auf den Straßen. Bereits einige Wochen nach der Parlamentswahl haben sie mehrere Tausend in Warschau und in 18 anderen großen Städten Polens auf die Straße gebracht für politischen Protest gegen "Feinde der Demokratie", gegen die "neue Diktatur". Die PiS-Partei hat mit einer großen Gegendemonstration geantwortet. In Polen wächst die politische Spannung; sie wird auch von ausländischen Subjekten geschürt.

Die PiS-Partei will auf den Spuren von Viktor Orban in Ungarn wandeln, dessen Regime als autoritär, kryptofaschistisch oder sogar faschistisch betrachtet wird. Meiner Meinung nach geht dieser Charakterisierung zu weit. Man muss differenzieren: In der Wirtschaftspolitik bleibt Orban superliberal, ebenso in der Frage des politischen Systems, wo er eine verfassungsändernde Mehrheit gewonnen hat. Die PiS hat aber eine schlimmere politische Situation geschaffen. Sie hat im Sejm die absolute Mehrheit der Sitze (50 Prozent plus 5); das ist aber zu wenig für eine Verfassungsänderung (dafür sind in Polen mindestens. 2/3 bzw. 67 Prozent oder 307 Sitze in beiden Kammer des Parlaments nötig). Jaroslaw Kaczynski und die PiS zählen auf die weitere Demoralisierung der größten Oppositionspartei, der PO, nicht nur auf ihre Schwächung, sondern auch ihre Zersplitterung und das Herausbrechen des katholisch-konservativen Flügels dieser Partei. Der Gründer der Partei PO, Donald Tusk, bleibt als Vorsitzender des Europäischen Rats in Bruxelles, seine Nachfolgerin, die ehemalige Ministerpräsidentin Ewa Kopacz, erfüllt formal die Funktion der Vorsitzenden, aber ihre Tage sind gezählt. Die Partei ist in einige Fraktionen zersplittert. Die letzte Nachrichten beweisen, die größte Chance, neuer Parteiführer zu werden, hat der ehemalige Außenminister Grzegorz Schetyna, der früher von Donald Tusk diskriminiert wurde. Die Partei ist seit mehr als drei Monaten in einer Führungskrise. Sie verliert jeden Monat weiter an Unterstützung ihrer Wähler. An erster Stelle als Oppositionspartei steht jetzt die Moderne (neue Liberale). Für die PiS-Partei ist eine günstige politische Situation entstanden.

Die PiS kann auch mit den Stimmen der Kukiz'15-Bewegung rechnen (der dritten Kraft im Sejm), besonders aber mit den Nationalisten (10 Sitze), Kryptofaschisten und Gegnern der gegenwärtigen Verfassung. Das ist eine antikonstitutionell geprägte, nationalistische, antikommunistisch orientierte Bewegung, die gerne eine Zusammenarbeit mit PiS aufnimmt. Das ist der Beginn von "Weiß-Rot" (die Farben der polnischen Nationalflagge); eine inoffizielle Koalition, die von J. Kaczynski nach dem Wahlsieg zur Grundlage der neuen Verfassungsmehrheit erklärt wurde.

Die PiS erodiert auch die Polnische Bauernpartei (PSL), die als Restpartei (nur 16 Sitze im Sejm) konsequent von PiS umgarnt wird. PSL hat viel im Vergleich zu ihrer früheren Position als Landes-(Bauern-)partei verloren. Sie trat an mit der Schwierigkeit, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen und sie befindet sich in einer großen ideologischen und Identitätskrise. Das Vorhaben der früheren Leitung, von der Landbevölkerung auszugehen und eine "christliche allpolnische Partei" zu werden, ist gescheitert. Die Mehrheit der Wähler auf dem Lande hat die PiS-Partei gewählt. Der neue Parteichef der PSL, Dr. Wladyslaw Kosiniak-Kamysz (ein ehemaliger Arbeits- und Sozialminister), stammt aus einer alten Intellektuellenfamilie aus Krakau. Die alltägliche Verbindung mit dem Landleben, mit dem Bauernmilieu, ist schwach. Die Wähler auf dem Land suchen sich andere, aktivere Personen. Die meisten sind unter dem Einfluss der katholischen Kirche oder sie bleiben passiv.

Die PiS-Partei verstärkt ihre politische Position durch Säuberungen in den lokalen Behörden, insbesondere in den Regionen (Wojwodschaften). Dort bleiben nach wie vor die alten Koalitionsregierungen von PO-PSL und teilweise der Linken. Es ist möglich, dass PiS unter einem Vorwand die lokalen Wahlen vor zwei Jahren für ungültig erklärt, dadurch die Notwendigkeit der Verkürzung der Vier-Jahresperiode schafft und Neuwahlen ansetzt. Die nächste politische Offensive ist gegen den Verfassungsgerichtshof gerichtet. Dort war die Mehrheit der Richter (neun) von der PO-PSL-Koalition im früheren Parlament ausgewählt worden; nur drei waren von PiS. Am Ende der PO-PSL-Regierung hat die Parlamentsmehrheit noch fünf neue Richter gewählt. Das war ein freches Zeichen der Arroganz der PO, was die PiS-Partei nun nutzt, um die jetzige Opposition zu kompromittieren. Die PiS hat diese Wahl nicht anerkannt. Sie hat jetzt fünf neue eigene Richter ausgewählt. Das Ergebnis war ein Clinch und ein Patt; der Verfassungsgerichtshof ist paralysiert und blockiert. Dadurch entstand in Polen eine konstitutionelle Krise. Die PiS-Partei will einen gehorsamen, politisch untergeordneten Verfassungsgerichtshof bekommen, um radikale system-politische Gesetze einführen zu können.

Die PiS muss sich beeilen. Sie will auch ihre eigene Position gegenüber dem General-Staatsanwalt verstärken, der gemäß dem Gesetzentwurf dem Justizminister untergeordnet werden soll. Jetzt ist dieses Verfassungs-Organ selbstständig. Er ist gewählt mit der Mehrheit des Sejm und ernannt vom Staatspräsidenten. Als offizielle Begründung für den Wechsel wird die größere Effektivität bei der Bewältigung der wachsenden Korruption genannt, aber die Opposition hat Angst vor der Stärkung der Macht der Regierung. Diese will auch die Selbstverwaltung der Richter begrenzen und die Armee-Staatsanwaltschaft liquidieren. Der neue Justizminister verspricht, mit neuen gesetzlichen Maßnahmen die Kriminalität schnell zu begrenzen, besonders die Korruption. Dies vergrößert die Unterstützung bei der Masse der Bevölkerung. PiS hat auch schnell das neue Gesetz über die Öffentlichen Medien beschlossen. Es geht um die Auswechslung der früheren Journalisten und Leiter von TV und Rundfunk, die mit der alten PO-Partei verbunden waren. "Die Öffentlichen Medien" - erklärte die Abgeordnete Pawlowicz - "müssen der Regierung dienen".

Als Resultat dieser "Reformen" wächst in Polen der Kampf zwischen beiden Flügel der Bourgeoisie, der auch vom Ausland verstärkt wird. Die Liberalen finden Unterstützung bei den Gremien der EU, z.B. des Vorsitzenden des Europäischen Parlaments, M. Schulz, der Europäischen Kommission, auch des Europa-Rats. Sie kämpfen nicht nur im Parlament, auch auf den Straßen unter den Losungen "Kampf für die Demokratie" und "gegen die Diktatur". Die Gegenseite antwortet: "Wir sind auch Demokraten, wir verteidigen die parlamentarische Demokratie, wir sind legitimiert durch das Volk und die Ergebnisse der Parlamentswahlen. Unsere Gegner sind Anarchisten; sie wollen demokratische Entscheidungen nicht anerkennen".

Die PiS-Partei erhielt breite Unterstützung durch die Katholische Kirche und ihre Hierarchie, besonders vom "Medienbischof" aus Torun, dem Vater Tadeusz Rydzyk. Für die Kommunisten und insgesamt für die Linke entstand eine schwierige Situation. Seit zwei Jahren ist das Verfahren gegen die Kommunistische Partei Polens als "eine Partei, die Zeichen des Verbrechens der Propagierung des totalitären Staatsaufbaus erfüllt" bei Staatsanwaltschaft und Polizei anhängig. Wenn jetzt die PiS die ganze Staatsmacht übernommen hat, kann man eine Beschleunigung des Strafverfahrens erwarten. Die polnischen Kommunisten müssen sich darauf einstellen, dass die Partei für rechtswidrig erklärt wird und dass sie zur illegalen Aktivität übergehen müssen. Das ist eine reale Bedrohung. Dies muss politischen Anklang im progressiven Milieu in Polen und im Ausland bekommen.

Die alte Sozialdemokratie (SLD - die Linke) befindet sich auch in einer schwierigen Situation. Leszek Miller - formal und offiziell weiter Vorsitzender - trat zurück, aber nach drei Monaten hatte die Partei immer noch keinen neuen Vorsitzenden gewählt. Der Konkurrent Janusz Palikot von der zweiten Linken - Deine Bewegung ist zum Business zurückgekommen. Seit einigen Monaten hat sich eine neue linke sozialdemokratische Strömung formiert unter Leitung von jüngeren Anführern, z.B. Barbara Nowacka. Es entstand auch eine andere linke Sozialdemokratie - die Partei Razem (Zusammen) - unter Leitung von Adrian Zandberg. Diese bekam bei der Parlamentswahl vier Prozent der Stimmen, was auch eine finanzielle staatliche Unterstützung bedeutet. Sie haben eine gute Prognose für die nächste Wahl. Es braucht aber ständige organisatorische Arbeit, ein gutes Programm und die Empfindsamkeit für die Interessen der Arbeiterklasse, aller Werktätigen. Bis jetzt benützen die neuen Anführer keine oder nur wenige marxistischen Worte, Werte und Vokabeln. Das ist ihre schwache Seite. Sie sind mehr Repräsentanten der Mittelklasse.

Die politische Situation in Polen bleibt instabil, doch PiS und die rechten Kräfte verstärken ihre Position. Man kann erwarten, dass in den nächsten vier Jahren der große Druck dieser Kräfte, Nationalisten, Kryptofaschisten und der Katholischen Kirche sich fortsetzen wird. Das bedeutet auf wirtschaftlichem Gebiet die Unterstützung der liberalen Mechanismen und für die "nationalen" Klein- und Mittelbetriebe eine spektakuläre Regierungshilfe. Es ist schwierig zu sagen, wie lange, weil die EU diese öffentliche Hilfe begrenzt. Man kann eine "Kohabitation" mit dem ausländischen Großkapital erwarten. Das beweist die Besetzung der Posten des neuen Finanz- und Wirtschaftsministers durch die neue Regierung, besonders beim Ministerium der Entwicklung (der Wirtschaft), Minister wurde M. Morawiecki, der auch Stellvertreter des Ministerpräsidenten wurde. (Er ist der ehemalige Präsident der großen polnischen Bank, die zur spanischen Finanzgruppe Santander gehört). Zweitens, der neue Finanzminister P. Szalamacha war ehemaliger Aktivist der superliberalen und faschisierenden Union der Realen Politik von Janusz Korwin Mikke. Beide sind starke Brücken zu den Interessen des ausländischen Großkapitals. Das bedeutet, dass sich die Hauptrichtung der Wirtschaftspolitik fortsetzen wird, das ist die "Verteidigung des heiligen Privateigentums".

Die neue Regierung verspricht im sozialen Bereich eine Politik der Sorge und des Sich-Kümmerns um "die Angelegenheiten der armen Leute, der kinderreichen Familien, billigen sozialen Wohnungsbau für junge Familien, eine Verkürzung des Pensionsalters, Subventionen für Medikamente und viele andere soziale Erleichterungen. Dafür benötigte man nicht Dutzende, sondern Hunderte Milliarden Zloty, was fast eine Verdoppelung des sozialen Staatsbudgets bedeutete. Die Staatskasse ist aber leer, man kann einen Rückgriff auf die alte römischen Losung "panem et circenses!" (Brot und Zirkusspiele) erwarten. Für Kaczynski und seine PiS-Partei bedeutet es mehr Circenses statt sozialer Maßnahmen. Es ist nicht nur eine Delegalisierung der KPP zu erwarten, sondern auch eine Begrenzung der anderen linken Kräfte, eine Einschränkung der liberalen Bürgerfreiheiten, der Bürgerrechte, neue Schauprozesse, eine steigende reaktionäre Diktatur. Es ist eine reale Bedrohung; sie wächst nicht nur in Polen. In der Ukraine ist die KP der Ukraine für rechtswidrig erklärt worden, in Deutschland haben die Faschisten den Kopf oben, in Frankreich die Nationale Front, in Österreich usw. In der Ukraine haben die Faschisten, Banderisten, Kryptofaschisten vor zwei Jahren gesiegt. Sie haben das Land ins Feuer des Bürgerkriegs gestellt. Die KPU ist gesetzlich verboten, und die Anführer der Kommunisten wie Anatolij Majewskij sind im Kerker eingeschlossen. Diese Kräfte werden offiziell von "demokratischen" europäischen und US-Kräften unterstützt, darunter auch von allen polnischen bürgerlichen Parteien.

Diese faschistische Welle in Europa ist kein Zufall. Sie bedeutet eine Schwächung der liberalen Demokratie und der Bourgeoisie; insbesondere ihre großfinanziellen Kreise wollen die Macht behalten angesichts der wachsenden wirtschaftlichen Krise und dem wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen. Es wächst der Klassenkampf. Die gegenwärtige Epoche ist gekennzeichnet durch die Globalisierung, aber auch die Wissenschaft, wo neuen Schichten des Proletariats, des Prekariats, der hochqualifizierten Leiharbeiter, der Leistungsarbeiter, der jungen Generation eine wachsende Rolle zugewachsen ist. Diesen sozialen Klassen sollen die Kommunistischen Parteien ihre Programme schicken und sie für den Kampf gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus organisieren. Es ist auch die wichtige Aufgabe der Kommunistischen Partei Polens. Der Klassenkampf geht weiter!


Prof. Zbigniew Wiktor

Wroclaw-Polen,
12. Jan. 2016

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 191 - Frühjahr 2016, Seite 27 bis 33
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2016

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