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ARBEITERSTIMME/378: Mexiko - Bericht über einen Aufenthalt im zapatistischen Bildungsprojekt CELMRAZ


Arbeiterstimme Nr. 201 - Herbst 2018
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Mexiko
Ya se mira el horizonte - Man sieht schon den Horizont(1)

Bericht über einen Aufenthalt im zapatistischen Bildungsprojekt CELMRAZ, Hochland von Chiapas


Wer sind die Zapatistas und wofür kämpfen sie?

"Als Zapatistas bzw. Zapatisten werden überwiegend sozialrevolutionäre indigene politische Gruppierungen im Süden Mexikos, vor allem im Bundesstaat Chiapas, bezeichnet. Internationale Beachtung fanden die Zapatistas 1994 infolge des bewaffneten Aufstandes der Ejército Zapatista de Liberación Nacional" (Abkürzung: EZLN, deutsch: Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung) "unter Subcommandante Marcos. Der Name der Zapatistas geht zurück auf Emiliano Zapata (1879-1919), den wohl bekanntesten Führer der mexikanischen Revolution im Süden Mexikos (...)."(2)

"Der Aufstand der zapatistischen Befreiungsarmee richtet sich gegen Ausbeutung, Rassismus, Unterdrückung der Frauen, Umweltzerstörung und die Marginalisierung der indigenen ländlichen Bevölkerung (...) Die Zapatistas und die gesamte indigene Bewegung fordern die Anerkennung indigener Rechte und einen Autonomiestatus innerhalb Mexikos für ihre Gebiete (...), eine radikale Demokratisierung der gesamten Gesellschaft und eine Abkehr von der kapitalistischen Wirtschaftspolitik (...) Regierung und EZLN hatten 1996 die Abkommen von San Andrés über indigene Selbstverwaltung unterzeichnet doch keine der bisherigen Regierungen setzte die Verträge um, so dass die Zapatistas nun ohne "Erlaubnis" Fakten schaffen."(3)

Chiapas, einer von 32 Bundesstaaten des 125 Millionen Einwohner*innen beherbergenden Mexikos, liegt im Südosten des Landes auf einer mit der Ausdehnung Bayerns zu vergleichenden Fläche (75.634 Quadratkilometer). Von seinen 4,9 Millionen Bewohner*innen - das sind circa 40 Prozent der bayrischen Bevölkerung - ist eine Million indigener Abstammung bei 14 indianischen Ethnien.

Wie wir auf das zapatistische Bildungsprojekt aufmerksam wurden und dorthin kamen

Durch das Hamburger "Kaffeekollektiv Aroma Zapatista" und die Zeitschrift Tierra y Libertad wurden wir auf das zapatistisches Bildungsprojekt CELMRAZ (Centro de Espanol y Lenguas Mayas Rebelde Autónomo Zapatista) im Caracol Oventic im Hochland von Chiapas, Mexiko, aufmerksam.

"Wir möchten (...) eine Art von Escuelita (...) schufen, um Internationalismus direkt erfahrbar zu machen (...) Nicht zuletzt geht es dabei auch um die direkte Unterstützung einer zapatistischen Struktur im autonomen Bildungsbereich, dem CELMRAZ."(4)

So lautet der Ausschreibungstext des colectivo gata-gata, das für die Akkreditierung von deutschen Teilnehmer*innen an dem zapatistischen Bildungsprojekt autorisiert ist.

Das Bewerbungsverfahren für einen Studienaufenthalt im CELMRAZ besteht aus der Beantwortung eines Bewerbungsbogens (questionario) sowie der Teilnahme an zwei dreitägigen Vorbereitungsseminaren, die im Mai und Juli 2017 auf dem selbstverwalteten Eschenhof in Bergedorf bei Hamburg stattfanden.

Dort lernten wir andere Interessent*innen für den ersten vom colectivo gata-gata geplanten Studienaufenthalt vom 6.9.-8.10.2017 kennen.

Studiert wurden im Vorhinein "chiapanekische/mexikanische/lateinamerikanische Kontexte" auf der Grundlage "linker Basistexte".(5)

Das erste Vorbereitungsseminar behandelte schwerpunktmäßig die Vorstellung des Projektes. Inhaltliche Grundlage bildete die "Sechste Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald", die Pädagogik der Befreiung Paolo Freires sowie der Begriff der Würde.

Zeitgleich fand in Chiapas die erste Versammlung des Nationalen Indigenen Kongresses (CNI) statt. Erstmals wurde eine indigene Kandidatin Marichuy für die Parlamentswahlen am 1.7.2018 nominiert.

Das zweite Vorbereitungsseminar behandelte die Themen Internationalismus, Finanzierungsmodus sowie Programmplanung für den Studienaufenthalt im September/Oktober 2017.

Aufgrund eigener zeitlicher Planungen während unseres Sabbatjahres, die sich mit den Aufenthaltszeiten der deutschen Gruppe in Chiapas nicht verbinden ließen, wurde uns eine Sonderregelung gewährt, die uns während unseres Aufenthaltes in einem kubanischen Workcamp kurzfristig mitgeteilt wurde. Unser Aufenthalt wurde auf den 23.10.-3.11.2017 festgelegt, angeschlossen wurden wir zusammen mit zwei weiteren Einzelreisenden an eine Gruppe Studierender aus den USA (La Red de Solidaridad con Mexico/Netzwerk Solidarität mit Mexiko).

Im Nachhinein sollte sich diese Regelung für uns als positiv erweisen, weil wir dadurch nicht in äußerst konflikthafte gruppendynamische Prozesse innerhalb der deutschen Gruppe sowie in deren vorzeitige Auflösung involviert waren.

Am 22.10.2017 trafen wir vom karibischen Cancun aus nach 23-stündiger Busfahrt in San Cristóbal de las Casas in Chiapas ein, wo wir von einer Leiterin des colectivo gata-gata und einem companero abgeholt wurden. Sie begleitete uns anderntags zum Caracol Oventic, wo wir nach einstündiger Fahrt im Sammeltaxi (colectivo) bei Regen und Nebel - "der Vermummung des Urwaldes" - ankamen, die vier Tage andauern sollten.

Was verbirgt sich hinter dem Caracol Oventic?

"Wer Oventic betritt, muss ein Geläuterter sein. Er muss mit Demutund Geduld die Inspektion der Papiere, das Hin und Her von Laufzetteln, das stundenlange Warten in Staub und brennender Sonne ertragen, dann hat er die erste Prüfung bestanden", so schreibt Carmen Butta in Geo spezial Nr. 6 vom Dezember/Januar 2001/2, die ihr damaliger "Aufenthalt in den autonomen zapatistischen Gemeinden trotz aller Sympathie eher ernüchtert hat".(6)

Wir warten zwar auch am Eingang, aber nicht mehr am Schlagbaum, sondern vor dem Eisentor. Der - damals wie heute - maskierte Posten nimmt immer noch die Papiere entgegen, trägt sie zum Rat der Guten Regierung und wieder zurück, um uns nach einer Stunde Wartezeit im Regen eintreten zu lassen. Verhaltensregeln sind auf einem Hinweisschild zu lesen: "In Übereinstimmung mit den lokalen Autoritäten und autonomen Gemeinden sind die illegale Durchfahrt von Fahrzeugen, die Saat von Drogen und Überfälle verboten." Hier, im räumlich begrenzten Caracol Oventic - das eine Ausdehnung von ca. 500 m x 300 m besitzt - leben auf 2.100 m Höhe circa 300 Menschen in Stein- und Holzhäusern bei einer Jahresdurchschnittstemperatur von 16,3 Grad. Die Regenzeit dauert von Mai bis Oktober. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge liegt bei circa 1.600 mm/Quadratmeter, doppelt so viel wie in unserer Region.

Wir befinden wir uns auf dem ehemaligen Gebiet des Großgrundbesitzes der Brüder Larrainzar.

Oventic beherbergt: die Sprachenschule CELMRAZ, die Sekundarschule (mit Aula, Sportplatz, Schlafsaal, Essraum und Sanitärbereich), das Gesundheitszentrum mit Krankenhaus und Ambulanzwagen, den Rat der Guten Regierung, ständige Vertretungen der fünf Gemeinden, den beteiligten Kommunen, die Vertretung der Frauen, Geschäfte (Bekleidung, Lebensmittel, Frauenkunsthandwerkskooperative), Cafeterien, eine Kirche Versammlungshaus und Versammlungsplatz.

Es gibt insgesamt vierzig autonome Zapatistengemeinden, basisorientierte Inseln der Selbstverwaltung. Es bestehen fünf Caracoles (Verwaltungszentren) mit Räten der Guten Regierung für fünf Regionen. Diese sind in der Reihenfolge ihrer Gründung seit 1995 La Realidad, Oventic, La Garrucha, Morelia, Roberto Barrio.

Vom mexikanischen Staat proklamierte Gemeindegrenzen werden weder von der Gebietseinteilung noch namentlich akzeptiert. Viel mehr wird Sprachengrenzen und Ethnien Rechnung getragen. Gesprochen werden fünf indigene Sprachen, neben tsotsil zoque, chol, tseltal, tojolabal.

Die offizielle Landesuhrzeit ist genau so wenig geduldet wie staatliche Lehrer*innen, Ärzt*innen oder Richter*innen. Die Zapatistas nehmen keinerlei Regierungsunterstützung an. Sie arbeiten am Aufbau eigener Strukturen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Verwaltung, Recht, Ökonomie und Medien. In den zapatistischen Gebieten gilt reale Zeit. Sie ist in den Sommermonaten eine Stunde zurück. Einheiten des Bundesheeres, paramilitärische Gruppen und das Polizeikorps zeigen in der Region Präsenz und Stärke. In den zapatistischen Gemeinden sind seit 1995 in zivilen Friedenscamps Menschenrechtsbeobachter*innen im Einsatz.

Die Promotor*innen, wie die Lehrer*innen hier genannt werden, folgen ihrer Berufung und arbeiten 15 Tage pro Monat für die Gemeinschaft in unentlohnter Kollektivarbeit. Sie leben in dieser Zeit mit ihren Kindern im Caracol.

Die andere Hälfte des Monats arbeiten sie für ihre persönlichen Belange, indem sie z. B. Kaffee und Bohnen anbauen für den Eigenbedarf und Verkauf oder handwerklichen Tätigkeiten nachgehen, die ihnen erlauben, Geld für den persönlichen Bedarf zu erwirtschaften. Alle Zapatistas leben und arbeiten nach diesem Modell: im Wechsel 15 Tage für die Gemeinschaft in unentlohnter Kollektivarbeit und 15 Tage für sich selbst.

Der Studienaufenthalt

Wir begehen die Örtlichkeiten des CELMRAZ, das in die Sekundarschule integriert ist. Es gibt seit 2017 zwei gemauerte Schlafsäle für die Studierenden mit Stockbetten. Das Küchenkollektiv kocht werktags dreimal für die Studierenden vegetarisch, mittwochs ist Fleischtag. Eine Wasserfilteranlage gibt es seit 2016, bis dahin musste das Wasser zum Trinken abgekocht werden. Geduscht wird kalt mit dem Wasser aus dem durch das Gelände fließenden Bach, die Toiletten werden mit Eimern aus einem vom Bach gespeisten Wasserreservoir nachgespült. Im Anschluss an die Begehung findet in der Gruppe der Neuankömmlinge eine Einführungsveranstaltung im CELMRAZ zusammen mit 6 Promotor*innen und 10 Studierenden statt. Die geringere Zahl von ihnen hat sich für das Erlernen der indigenen Sprache "tsotsil" eingeschrieben, die überwiegende Mehrheit lernt "castellano", so wie wir. Ein Studienplan für die nächsten beiden Wochen wird vorgestellt. Der Unterricht beginnt am Vormittag - nach einem gemeinsamen Frühstück aller Studierenden - um 9 Uhr in der Großgruppe der Promotor*innen und Studierenden mit einem "Slikem", wie die thematische Einführung in tsotsil heißt. Daran schließt sich ein zweistündiger intensiver Einzelunterricht mit einem der Promotor*innnen an, die wöchentlich rotieren.

Der Schwerpunkt des Unterrichts liegt nicht im Grammatikalischen, sondern im Kennenlernen zapatistischer Strukturen und Praxis sowie in der Besprechung gemeinsam erlebter Aktivitäten wie z. B. Lektüre der "anderen Geschichten" des Antonio; Filmbeiträgen über den zapatistischen Widerstand; Besuch der autonomen zapatistischen Grundschule. Über das gemeinsam Erlebte wird in einen Austausch getreten. Von Vorteil erweisen sich dafür unsere Vorkenntnisse im Spanischen.

Die Exkursion zu der zapatistischen Grundschule lässt uns nach eingehender Vorbereitung in die Rolle der Promotor*innen schlüpfen. Wir praktizieren gemeinsam Spiele des Sozialen Lernens, die mit Begeisterung von allen Altersgruppen aufgenommen werden. Beeindruckend ist für uns der respektvolle Umgang der älteren mit den jüngeren Schüler*innen. Die Klassenzimmer sind nur mit dem Allernötigsten ausgestattet. Auf dem Gelände befindet sich ein kleines Steinhaus mit Wellblechdach, das als Lehrer*innenzimmer dient. Die Latrinen sind wie die gesamte Schule in zapatistischer Kollektivarbeit entstanden.

Der Vormittagsunterricht im CELMRAZ endet um 12 Uhr. Mittagessen gibt es um 14 Uhr. An den Nachmittagen wird der Unterricht um 17 Uhr in der Kleingruppe mit einem/einer anderen Promotor*in oder in der Gruppe aller Studierenden bis Vor dem Abendessen um 19 Uhr fortgesetzt. Die Nachmittage sind in der ersten Woche gemeinsamen Aktivitäten und deren Reflexion gewidmet: Filmischen Beiträgen und einer Theateraufführung der RED Studierenden. Abendveranstaltungen (Kino- und Tanzabend) bilden den kulturellen Rahmen der ersten Woche des Studienaufenthaltes. In der Reflexion der ersten Aufenthaltswoche schreiben wir:

"Für mich waren die Wetterverhältnisse sehr herausfordernd, und ich benötigte viel Energie, um damit zurecht zu kommen.

Es fiel mir schwer, einige verhaltensmäßige Zurechtweisungen anzuerkennen.

Ich lernte den korrekten Gebrauch einiger Wörter. Die beiden Kontakte mit Schüler*innen der Grund- und Sekundarschule erlebte ich zwischen den Polen der Schüchternheit und Neugierde, als eine Begegnung zwischen zwei unterschiedlichen Welten - getragen von großem Respekt. Die Kontakte mit den Kindern aus dem Caracol erlebte ich sehr freimütig. Die Kontakte mit den Promotor*innen waren von großem Respekt gekennzeichnet. Zu lernen, in Übereinstimmung Vereinbarungen zu treffen, stellt für mich eine große Herausforderung dar, jeden Tag aufs Neue.

Ich denke über den Unterschied zwischen den Prozessen der Individuation und Personalisation nach. Ich verstehe einmal mehr die unheilvolle Allianz staatlicher Gewalt und Medienmacht. Meine Erfahrungen hier sind eine gute Möglichkeit, mein Wissen und Handeln in Zweifel zu stellen."(7) Die zweite Unterrichtswoche besteht aus "clases" - Unterricht im engerem Sinn - und weiteren gemeinsamen Aktivitäten und deren Reflexion:

Wir sehen und diskutieren "Viva Mexico", eine filmische Dokumentation der am 1.1.2006 - 12 Jahre nach dem "Aufstand der Würde" - begonnenen "Otra Campana" - einer sechsmonatigen Reise des Subcomandante Marcos durch sämtliche Bundesstaaten Mexikos. Seine Mission ist es, alle Stimmen des Widerstandes von Mexikaner*innen zu hören, die für ein besseres Mexiko kämpfen. Im Mai findet die Kampagne mit dem Massaker von Atenco ihren unrühmlichen Höhepunkt.

Die Herstellung des Grundnahrungsmittels Maistortilla in der Gemeinschaftsküche fordert unser handwerkliches Geschick heraus. Die Vorbereitung eines Opferaltars zu Allerheiligen (días de las muertos) lässt uns an religiösen Praktiken partizipieren. Die Nachbesprechung des Kinofilms "Ich heiße Najoom, ich bin 10 Jahre alt und ich möchte mich scheiden lassen" der von Machismo und Zwangsheirat im Jemen handelt, findet in Kleingruppen mit Schüler*innen der Sekundarschule statt, die 15 Tage pro Monat im Internat leben und die zweite Hälfte des Monats bei ihren Familien verbringen und in Haus und Hof mitarbeiten.

Den kulturellen Höhepunkt der zweiten Woche bildet das Solidaritätskonzert des 20-köpfigen südfranzösischen Jazzensembles Surnatural Orchestra. Zum Konzert finden sich schon in den frühen Morgenstunden geschätzte 3.000 Zapatist*innen aus den umliegenden Gemeinden ein, deren Dank am Ende des Konzerts in das gemeinsame Singen der zapatistischen Hymne mit erhobener linker Faust mündet. Ein ergreifender Moment.

Die Präsentation eines von den RED Studierenden gemalten Wandbildes verbindet deren US-amerikanischen Kampf gegen Polizeigewalt und für Transgender mit dem zapatistischen Kampf und die beiden Welten miteinander. Ein Abschlussessen, zubereitet von einem zapatistischen Restaurant, beschließt den Studienaufenthalt der RED Studierenden. Eine Abschlussreflexion in Form einer Kartenabfrage rundet den Studienaufenthalt inhaltlich ab. Gefragt wird gegenseitig z. B. nach der Bedeutung der Religion im Zapatismus oder nach antikapitalistischen Erfahrungen der Studierenden in ihren Herkunftsländern.

Wir werden vom Rat der Guten Regierung erwartet, der aus drei Personen und zwei Hospitant*innen im Einarbeitungsjahr besteht, die für die Dauer von drei Jahren Verantwortung für das Gemeinwohl übernehmen. Den Amtsträger*innen sind die Stimmen nur "geliehen", d. h. sie können sofort ersetzt werden, wenn sie ihre Aufgabe nicht zur Zufriedenheit der Basis erledigen. Dort entrichten wir den ökonomischen Beitrag für unseren Studienaufenthalt. Pro Woche und Person werden für 15 Unterrichtsstunden (5 Studientage x 3) nach der Formel Mindestlohn des Herkunftslandes (in Deutschland 9 EUR) x 8 Arbeitsstunden (pro Arbeitstag im Herkunftsland) x 3 Tage berechnet, insgesamt 216,- EUR pro Person und Woche. Dazu kommen die Kosten für 15 Mahlzeiten pro Woche, die sich auf 22,50 EUR belaufen. Wir übergeben die Geldspende eines Genossen. Damit das Geld angenommen wird, müssen wir erklären, von welchem Menschen das Geld kommt und dass es sich um "sauberes" Geld handelt. Die Spende wird nach prüfender Beratung angenommen. Ein gemeinsames Mittagessen beschließt unseren zweiwöchigen Aufenthalt im Caracol Oventic.

Zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, dass es uns zum Ende unseres Sabbatjahres im Juni 2018 hierhin zurückzieht um diesen respektvollen, verbindlichen, kämpferischen und stolzen Menschen noch einmal zu begegnen. Mein Tagebuch endet am 3. November 2017 mit den Worten: "Wie viele Male sind wir in diesen zwei Wochen den Weg bis hinauf zum Tor gelaufen? Zwanzig Mal, dreißig Mal? Obwohl der Bewegungsradius derart eingeschränkt war, fühlten wir uns hier nie eingesperrt. Wie weit gefehlt im Nachhinein unsere zu Hause zurecht gelegten Überlegungen anmuten, an den Nachmittagen zu Fuß zu der Kreisstadt San Andrés zu gehen.

Der letzte Gang führt uns" vom Versammlungsplatz vorbei am Krankenhaus, dem Büro der Frauen für die Würde, an den ständigen Vertretungen, an Bekleidungsgeschäften und der Cafeteria "zum Kunsthandwerksgeschäft und verbindet sich mit der Ankunft des Fahrers der RED Studierenden, der mit zwanzig Menschen und Gepäck Oventic mit uns verlässt und uns sicher nach San Cristóbal de las Casas bringt."(8)

Neuere Entwicklungen

Am 8. November 2017 nahmen wir in San Cristóbal de las Casas auf dem Platz vor der Kathedrale an der beeindruckenden Vorstellung von Marichuy und zehn Vertreter*innen aus den Regionen teil. Mangels ausreichender Akkreditierungsstimmen konnte sie zu den Wahlen nicht antreten, was den großen Erfolg der gemeinsamen indigenen Kampagne nicht schmälern kann.

"Seit dem am 24. u. 25.11. mindestens 5323 Menschen aus der Bevölkerungsgruppe Tsotsiles in den Regionen Chalchihuitán und Chenalhó gewaltsam von bewaffneten Paramilitärs vertrieben wurden, spitzt sich die Lage im Hochland von Chiapas (Altos de Chiapas) weiter zu. Dies berichtet eine Beobachtungs- und Dokumentationsmission zivilgesellschaftlicher Organisationen aus Chiapas, die am 9. Und 10. Dezember Interviews mit vertriebenen Familien und Gemeindebehörden führte."(9) Die Region ist bekannt für ihre anhaltende Straflosigkeit, massive Menschenrechtsverletzungen und staatlichen Schutz für Paramilitärs. Die Straßen zu den Ortschaften wurden zerstört.

Am 1. Juli 2018 hat Mexiko gewählt. Als Wahlsieger ging der Kandidat der Linken, Andrés Manuel López Obrador, von der "Bewegung der nationalen Erneuerung" (Morena) hervor. Im neu gewählten Parlament verfügen Morena und ihre Koalitionsspartner - die linke Arbeiterpartei PT (Partido del trabajo) - und die evangelikale "Partei des sozialen Treffens" (PES) über die Mehrheit der Sitze. Im Dezember wird die Regierung übernommen. Ob dieser Wahlsieg für die zapatistische Bewegung mit positiven Entwicklungen verbunden sein wird, bleibt dahingestellt. Die junge Welt schreibt in Ihrer Ausgabe vom 1./2. September 2018 dazu: "Misslungen ist bereits ein Vorstoß des weithin respektierten katholischen Würdenträgers Padre Alejandro Solalinde, zwischen der künftigen Regierung López Obrador und der Zapatistischen Nationalen Befreiungsarmee (EZLN) zu vermitteln." Er hatte es versäumt, die Zustimmung der EZLN zu einem runden Tisch zwischen den Parteien abzuwarten, bevor er die Idee Öffentlich machte mit dem Ergebnis, dass die Zapatisten daraufhin die Initiative ablehnten. Subcomandante Galeano wandte sich mit einem offenem Brief an die mexikanische Bevölkerung, der "eine Generalabrechnung mit der neuen Regierung" enthielt. Die Skepsis der Zapatistas gilt eben allen politischen Parteien, weil diese spalten, was zu verbinden ist.

In Oventik geht das Leben in Rebellion weiter. In der Cafeteria des Caracols wurde im August 2018 der Film "Hombres sin rostros" (Männer ohne Angesicht) ausgestrahlt, eine mexikanisch/russische Koproduktion.

La lucha sigue! Der Kampf geht weiter!


R. u. B., AG international, Dorfen


Anmerkungen

(1) Erste Strophe der zapatistischen Hymne

(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Zapatistas

(3) Tierra y Libertad - Nr. 77 - Frühjahr 2017 "Wofür kämpfen die Zapatistas?", S. 2

(4) Flyer JA 'UN TA YAN BALUMIL SER INTERNACIONALISTA Zapatistische Bildung im CELMRAZ, Caracol Oventic in Chiapas, Mexiko, colectivo gata-gata, S. 1

(5) Flyer JA 'UN TA YAN BALUMIL SER INTERNACIONALISTA Zapatistische Bildung im CELMRAZ, Caracol Oventic in Chiapas, Mexiko, colectivo gata-gata, S. 2

(6) Butta, Carmen: Revolution auf Raten, in: GEO Spezial, Nr. 6 Dez./Jan. 2001/2, S. 57

(7) Handschriftliche Dokumentation der Abschlussreflexion am 27.10.2017

(8) Handschriftliche Tagebucheintragung vom 3.11.2017

(9) htpps://www.ya-basta-netz.org

*

Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 201 - Herbst 2018, Seite 27 bis 30
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
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Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2018

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