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AUFBAU/207: Comic - Ich, Richard Sorge, werde Hitler besiegen


aufbau Nr. 55, November/Dezember 2008
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Ich, Richard Sorge, werde Hitler besiegen


COMIC - Isabel Kreitz gelingt es mit ihrer Graphic Novel "Die Sache mit Sorge: Stalins Spion in Tokio" ein historisches und persönliches Drama zu erzählen, ohne dabei dramatisch zu sein.


(az) Frauen, die Comics machen, sind eine Rarität und Comics aus dem deutschsprachigen Raum eine Seltenheit. Insofern ist Isabel Kreitz eine doppelte Ausnahmeerscheinung, glücklicherweise sogar eine, mit Sinn für gute Geschichten. In ihrem neuen Werk erzählt sie die letzten Monate im Leben des Richard Sorge (1). Wer früher in der DDR verkehrte, mag den Namen kennen, vielen aber wird er unbekannt sein. Als Spion, der er war, war es natürlich auch seine Absicht, unerkannt zu bleiben. Nichtsdestotrotz ist seine Geschichte in der Zwischenzeit hinlänglich bekannt und nur weil der kommunistische Widerstand gegen Nazi-Deutschland von der bürgerlichen Geschichtsschreibung stiefmütterlich behandelt bis hin zu unterschlagen wird, kennt heute jedes Kind Sophie Scholl, nur Interessierte aber Richard Sorge. Sinnbildlich dafür steht, dass ausgerechnet der Alt-Nazi Regisseur Veit Harlan - er hat das antisemitische Machwerk "Jud Süss gedreht" - 1954 über Sorge einen Film machte, der den unsäglichen Titel "Verrat an Deutschland" trägt. Aber sogar dieser üble Agenten-Streifen wurde im zunehmend antikommunistischen Klima der BRD wegen Verherrlichung des Kommunismus verboten. Nun hat Isabel Kreitz diesen kleinen, ungewöhnlichen und spektakulären Teil sowjetisch-deutscher Geschichte wieder aufleben lassen und einem breiten Publikum zugänglich gemacht.


Spion, Säufer, Kommunist

Wie viele seiner Zeitgenossen war auch Sorge in einem Lazarett des Ersten Weltkrieges zum Kommunisten geworden. Danach war er überall in Deutschland aktiv. Mitte der 20er Jahre ging er in die Sowjetunion, von wo aus ihn die Partei rund um den Erdball schickte, denn ab dem Ende der 20er Jahre war Sorge hauptberuflich Spion. Dafür war Sorge Mitglied der NSDAP geworden und durchlief eine Karriere als perfekter Nazi. Die Ausgangslage alleine macht klar, in welch widerwärtiger Lage sich dieser Mann befand. Im Comic streifen wir ihn kurz ihn China, lernen ihn dann aber erst anfangs der 40er Jahre in der deutschen Botschaft von Tokio richtig kennen: Unsympathisch, heruntergekommen, versoffen und verzweifelt. Wie könnte es anders sein, jahrelang lebte der überzeugte Kommunist unter Nazis, erwarb sich ihr Vertrauen und versuchte wertvolle Informationen zu gewinnen, um diese unter hohem persönlichem Risiko nach Moskau funken zu lassen. Während seine Genossinnen in Deutschland in KZs geworfen und abgeschlachtet wurden, Stalin in der UdSSR säuberte und Freunden den Prozess machen liess, schliesslich auch noch die Sowjetunion von Hitler überfallen und in Leid und Elend gestürzt wurde, musste er im noch nicht kriegsbeteiligten Japan an Bars rumhängen und mit Nazi-Funktionären über Belanglosigkeiten plaudern. Er führte das Leben eines Bohemiens, während was er liebte, in den Boden gestampft wurde. Alles an seinem Leben war ein Widerspruch und das, so zeichnet Kreitz deutlich, geht auf Kosten der Persönlichkeit. Und natürlich ist das der Stoff, aus dem die Agenten-Romane sind. Aber Kreitz' Erzählung über Sorge ist weder ein Helden-, noch ein Abenteuerroman, sie wiederspiegelt vielmehr die unausweichliche Dramatik der Zeit.


Sorges Sorgen

Sehr schön präsentiert Kreitz die Geschichte als Dokumentar-Comic, indem sie immer wieder gealterte Zeitzeugen direkt ins Bild setzt, die über Sorge sprechen. Das tragische Schicksal der Hauptfigur ist jederzeit spürbar, aber auch die Kritik an ihr. Die Zeitgenossen hätten einen zuverlässigen, sorgsamen Partner gebraucht, nicht einen arroganten Exzentriker, aber Sorge hatte sich und die Welt zu diesem Zeitpunkt schon aufgegeben und kämpfte eigentlich nur noch aus Rachelust und um am Ende Recht zu behalten. Dennoch, unsympathisch hin oder her - er kämpfte bis zum bitteren Ende auf der richtigen Seite. Dank ihm wusste die Rote Armee einiges, was sie nicht hätte wissen dürfen, denn er, Richard Sorge, war entschlossen Hitler den Garaus zu machen. Aber Genaueres soll an dieser Stelle nicht verraten werden - die Lektüre lohnt sich.

Im Moment lohnt sich ein Blick in den Carlsen Verlag. Ursprünglich kein Verlag, der für anspruchsvolle Inhalte stand, entwickelt er sich zum Herausgeber einiger sehr schöner, allerdings nicht ganz preiswerter Comics. Diese nennen sich selbst lieber Graphic Novels (2), um vom Schmuddel-Image, welches dem Comic-Heft anhaftet, wegzukommen. Wie es scheint, funktioniert das. Verglichen mit dem französischen oder englischen Markt führt der Comic in unseren Breitengraden zwar nach wie vor ein Mauerblümchen-Dasein, aber es kündigen sich bessere Zeiten an. So ist jetzt beispielsweise ein Che-Guevara-Comic auf Deutsch erhältlich, der 1976 entstanden ist und sofort durch die argentinische Militärdiktatur verboten wurde, weshalb er lange Zeit als verloren galt. Ausserdem die beiden ersten Bände von "Berlin". Auch dieser Comic ist unbedingt lesenswert. Jason Lutes - es handelt sich um eine Übersetzung aus dem Amerikanischen - bemüht sich das Leben in Berlin Ende der 20er Jahre in verschiedenen Spielarten einzufangen, alle ausser den Nazis kommen in diesem Panoptikum zu Wort. Während in edlen Salons die Schickeria kokst und sexuell experimentiert, hungern draussen die ArbeiterInnen, kämpfen KommunistInnen für ein besseres Leben und werden dabei von Bullen und Nazis angegriffen und einigen Pazifisten wird unter fadenscheiniger Anklage der Prozess gemacht. Alle diese Facetten vernetzt er lose und erzielt dadurch ein vielschichtiges Bild einer Stadt kurz vor der grossen Explosion. Auf weitere Bände dürfen wir deshalb gespannt sein.


Anmerkungen:
(1) Isabel Kreitz, Die Sache mit Sorge: Stalins Spion in Tokio, 253 Seiten, Carlsen 2008.
(2) Weitere Infos: http://www.carlsen.de/web/graphicnovel/index


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Redaktion

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Quelle:
aufbau Nr. 55, November/Dezember 2008, S. 16
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2009