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AUFBAU/211: Arbeiterinnen in China - Niemand lächelte


aufbau Nr. 56, März/April 2009
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Arbeitskämpfe
Arbeiterinnen in China - Niemand lächelte


CHINA - Ein Buch portraitiert zwölf Wanderarbeiterinnen aus Chinas Sonderwirtschaftszonen, so genannte Dagongmei. Es erlaubt einen sehr direkten Blick auf den Stand der Dinge.


(az) China heute, erzählt aus der Sicht der jungen Wanderarbeiterin Qiuyue, die vom Land in die Industriezone Shenzehn zog.

"Zu Hause hat sich, verglichen mit der Zeit vor zwei Jahren, als ich wegging, nichts verändert. Es werden nur immer weniger, die im Dorf die Felder bebauen, und die Zahl der leer stehenden Häuser nimmt zu. Alle Bauern, die arbeitsfähig sind, ziehen weg, um in der Ferne zu arbeiten. Zurück bleiben die Alten und Kinder. Die Dörfer sind ohne Leben."

Das ländliche China entleert Ströme von WanderarbeiterInnen über die industriellen Zentren. Dennoch herrschte dort, zumindest vor der jetzigen Krise, stets Arbeitskräftemangel. Die Arbeiterinnen, meist Frauen zwischen 16 und 25, sind in der Analyse der Autorin Pun Ngai dreifach unterdrückt: Durch das Kapital, den Staat und die Familie. Der Staat wird hier als eigenständiger Akteur genannt. Tatsächlich ist seine Rolle zwiespältig: Er verbietet die Organisierung und verhindert durch Aufenthaltsbewilligungen die Niederlassung der Arbeiterinnen. Gleichzeitig gilt er noch als Garant umfassender Rechte, freilich werden diese auf lokaler Ebene durch den korrupten Parteiapparat nicht durchgesetzt. Beispielsweise Qiuyue: Sie war als Jugendliche eine begeisterte Schülerin, aber weil sich ihre Eltern die Ausbildung nicht mehr leisten konnten, zog sie los. Dies, obwohl die Schule in China rein theoretisch betrachtet gratis wäre.

Im sozialistischen China hiessen ArbeiterInnen "Gongren" und hatten Anspruch auf die "eiserne Reisschüssel", das hiess Arbeitsplatzsicherheit und soziale Garantien. Das Wort "Dagong" verweist uns auf die neue Ära, denn die weiblichen Form Dagonmei und die männlichen Dagonzai bedeutet übersetzt "die für den Chef arbeitet", für einen kapitalistischen Chef, der keinerlei Reisschüsseln oder Garantien gewährt.

"Mein Vater erzählte mir damals von einem staatlichen Kombinat, in dem ich hätte arbeiten können. Aber ich hätte zunächst für zehntausend Yuan eine städtische Registrierung, einen hukou, erwerben müssen. Es war, als müsse man sich den Arbeitsplatz kaufen. Nach den damaligen Firmenrichtlinien konnte man das Geld erst nach drei Jahren Arbeit wieder zurückbekommen. Meine Eltern wollten sich das Geld von anderen Leuten leihen, aber ich war dagegen, dass sie soviel ausgeben. Die staatlichen Industrien wurden gerade reformiert, überall wurden Arbeiter freigestellt oder entlassen. Niemand wusste, wie es für einen selber weitergehen würde!"

Die zwanzigjährige Zhonghong kennt die Realität schon weitaus besser als ihr Vater vom Lande, der sie zu schützen versucht, indem er ihr für enorm viel Geld eine städtische Niederlassung kaufen will. Sie weiss, dass die alten Zeiten vorbei sind und dass sie das Geld sowie die Arbeit im Kombinat verlieren würde.


Von der Enge in die Ferne

Zwölf Wanderarbeiterinnen werden im Buch "Dagongmei: Arbeiterinnen aus Chinas Weltmarktfabriken erzählen" interviewt. Sie sind meist sehr jung losgezogen, um in der Stadt ihr Glück zu suchen, nicht, weil sie zu Hause verhungert wären, aber weil sie dem kargen, perspektivlosen ländlichen Leben entkommen wollten. "Ich wollte meinen Horizont erweitern, mich weiterentwickeln und unabhängig sein" ist eine typische Aussage. In einigen Fällen flohen sie vor einer unterdrückenden Familie oder dem Zwang, jung zu heiraten. Die allermeisten kehren nach einigen Jahren harter, auslaugender und gefährlicher Arbeit zurück. Auch wenn eine Dagongmei über längere Zeit keine Stelle findet, krank oder invalid wird. Das Risiko tragen also die Familien. A'lan, eine Schuhfabrik-Arbeiterin, erzählt von Lähmungserscheinungen, unter denen sie und ihre Kolleginnen litten. Wie die übrigen wollte sie ohne Anzeige aufs Land zurückkehren. Ihr Mann sah das anders:

"Ich wurde dann ernsthaft krank, dachte aber an die 800 Yuan, die ich jeden Monat verdiente und hielt so lange durch, bis ich nicht mehr konnte. Erst dann rief ich meinen Mann an und sagte, ich wolle nach Hause zurückfahren. Mein Mann erwiderte: "Das geht nicht! Du hast eine Klebstoffvergiftung. Das hat unsere Familie ruiniert und ins Unglück gestürzt. Wir können deine Krankheit nicht heilen. Wir müssen uns an die Firma wenden. Wenn du nichts sagst, werde ich für dich sprechen." Er schrieb dann direkt an das Firmenmanagement, sowie an den Frauenverband von Guangdong, an die Arbeitsbehörde, an das Amt für die Überwachung von Gesundheit und Hygiene... Insgesamt schrieb er mehr als zwanzig Briefe."



Auf dem Pfad der Rebellion

Hier half das Einschalten der Behörden und für diese Arbeiterinnen konnte die Behandlung der Krankheit erkämpft werden. Junge Frauen bilden auch die Spitze der Protestbewegungen, die trotz der schwierigen Kampfsituation zunehmend aufbrechen. Unternehmen gewinnen durch Korruption den lokalen Parteiapparat für sich - oder schlimmer, oftmals sind Beamte an den Firmen beteiligt und profitieren von der brutalen Ausbeutung. Dabei nutzen sie die Unerfahrenheit und Angst der jungen Frauen vom Lande aus. Sicherheitsvorschriften werden nicht respektiert und die Arbeitstage können durchaus 21 Stunden dauern, wenn die Auftragslage stimmt. Wenn Aufträge aber ausbleiben, werden die Dagongmei rausgeschmissen, was häufig mit dem Verlust der letzten Monatslöhne, sicher aber des Betts, einhergeht. Da die Dagongmei keine städtischen Papiere besitzen, kann das zur sofortigen Abschiebung durch die Polizei führen. Lohn, die Arbeits- und Wohnbedingungen, sowie die "Nebenkosten" und die Verpflegung, sind in allen Interviews Thema.

"Der Chef hielt sein Wort nicht. Er sollte vierhundert Yuan geben plus Unterkunft und Verpflegung, aber nachher hat er Wasser- und Stromkosten berechnet und noch hier und da was abgezogen. Er war wirklich abscheulich und hat die Arbeiterinnen immer schlecht behandelt. Niemand mochte ihn. Wir arbeiteten jeden.Tag zehn Stunden, von morgens um sechs Uhr bis nachmittags um vier. Wir mussten Überstunden machen, ohne Überstundenvergütung. Er hatte gesagt, dass nachmittags um vier Uhr Arbeitsschluss ist, aber oft haben wir nicht mal zu Abend essen können. Unser Schlafplatz war weit entfernt, und der Chef gab uns keine Wohnungsschlüssel. Manchmal öffnete niemand die Tür und wir kamen nicht rein. Männer und Frauen wohnten zusammen, im Wohnzimmer die Männer, im Schlafzimmer die Frauen. Ich wollte da wirklich nicht mehr arbeiten."



Von Job zu Job

Das ganze führt dazu, dass die Dagongmei relativ häufig die Stelle wechseln. Wenn die Hoffnung auf ein besseres Wohnheim oder mehr Ruhezeit besteht, nehmen sie durchaus die Sanktionen des Unternehmers in Kauf und hauen ab. Besonders, Wo eingearbeitete Arbeiterinnen gebraucht werden, ist von drakonischen Massnahmen zu lesen, um diese Abgänge zu unterbinden. In einem Fall sollte die ganze Belegschaft zum Umzug an den neuen Standort gezwungen werden:

"Der Direktor ging eindeutig zu weit. Er zwang die Leute mitzufahren. Er behandelte uns wie Gefängnisinsassen. Wenn eine nicht mitfahren wollte, wurde ihr Gepäck einfach in den Bus geladen. Dann musste man mitfahren. Wir waren alles erfahrene, gelernte Arbeiterinnen. Wenn wir nicht mitgefahren wären, hätten sie neue Leute anlernen müssen, was Auswirkungen auf die Produktion und die Produktivität vermindert hätte."

Weizhen, die erzählende Arbeiterin, ging trotzdem nicht mit. Sie und einige Kolleginnen setzten sich mit Hilfe der Arbeitsbehörde zur Wehr. Die Arbeitsbehörde weigerte sich zunächst, liess sich dann doch noch "erweichen".

"Die bei der Arbeitsbehörde zuständige Frau fragte uns, ob wir von der soundso Firma kommen. Es sei sinnlos, sich die Sache überhaupt anzuschauen, wir sollten wieder gehen. (...) Mit Mitleid erregender Miene mussten wir unser Anliegen vortragen, damit sie uns überhaupt glaubte. Niemand von uns lächelte. Wir machten ihr deutlich, dass wir nichts mehr zu essen hatten und auf der Strasse schliefen. Sie erbarmte sich und sagte: "Gut. Gehen Sie erstmal zurück. Wir werden Ihnen so schnell wie möglich helfen, eine Lösung zu finden." Am nächsten Tag erfuhren wir, dass die Personalabteilung tatsächlich angerufen worden war und damit begonnen hatte, unsere Lohnrückstände auszuzahlen."

So will das Buch besonders darauf hinweisen, dass im China von heute, ein unglaubliches Potenzial an Arbeitskampf liegt, und je mehr die Dagonmei über ihre Rechte lernen, desto eher wird die Konfrontation zu erwarten sein. Denn obwohl diese jungen Frauen eingeschüchtert sind und sich bei Bedarf aufs Land zurückziehen, so werden sie langfristig nicht mehr dazu willig sein. Sie haben über Jahre bewiesen, dass sie unabhängig und stark sind. Sie haben sich und ihre Familien auf dem Land zu erhalten, sie werden älter und kehren möglicherweise nach einer Auszeit in die Stadt zurück. Sie sind zwar "Landeier", als solche werden sie von den Städtern auch verlacht und sie geniessen keine Aufenthaltsbewilligung. Aber die allermeisten sind zur Schule gegangen, einige erinnern sich in der Fabrik sogar an Marx und Mao zurück. China ist ohne Zweifel ein kapitalistisches Land geworden. Der Prozess der Proletarisierung, der mit grossem Tempo und Wucht angelaufen ist, kann nicht reibungslos ablaufen.


Buch:
Pun Ngai und Li Wannwei (2008)
Dagongmei: Arbeiterinnen aus Chinas Weltmarktfabriken erzählen
Berlin, Assoziation A. Weitere Erzählungen auf www.gongchao.org


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion
(kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 56, März/April 2009, S. 5
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Bern, Postfach 87, 3174 Thörishaus
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich, Fax 0041-(0)44/240 17 96
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2009