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AUFBAU/240: Der untote Kapitalismus


aufbau Nr. 59, Dezember/Januar 2010
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Der untote Kapitalismus

KRISENANALYSE - Widersprüchliche ökonomische Kräfte erschweren das Verständnis des gegenwärtigen Krisenverlaufs. Wir versuchen eine Zwischenbilanz.


(gpw) Die Lage muss verzweifelt sein, wenn ein konservatives Ökonomen-Treffen sich die Frage stellt, ob der Kapitalismus überleben kann(1). Unter diesem Titel tagte die fünfte Gottfried-von-Haberler-Konferenz im wankenden Steuerparadies Vaduz. Von Haberler war ein Konjunkturtheoretiker auf der Linie des neoliberalen Vordenkers von Hayek. Auch in der Linken erhalten Szenarien eines bevorstehenden Untergangs des Kapitalismus wieder Auftrieb. Das unvorstellbare Volumen wertlos gewordener Finanzkonstruktionen(2) scheint das zu rechtfertigen.

Yes, it can, tönte es unisono aus Liechtenstein, wo es vor allem um den Kampf gegen den "gierigen Staat" ging. Und auch im Alltagsbewusstsein macht sich ein gewisser Gewöhnungseffekt breit, obschon die Aussichten alles Andere als rosig sind. Trotz des sprunghaften Anstiegs der Arbeitslosenzahlen melden die bürgerlichen Medien schon wieder leicht steigende Wachstumsraten.


Der Hauptwiderspruch der Krisenentwicklung

Im Augenblick ist es nicht leicht, die Entwicklung zu verstehen. Einerseits ist das Wesen der Krise unverändert: Wegen zu niedriger Profite sind Investitionen in die private Produktion unrentabel, so dass sie nicht oder zu wenig erfolgen. Überkapazitäten müssen abgebaut, ArbeiterInnen massenhaft entlassen werden. Jede Kapitalfraktion kann nur auf Kosten der anderen wachsen respektive überleben, und so werden sie sich auch gegenseitig zu Vampiren. Eine nachfrageorientierte, keynesianistische Wirtschaftspolitik kann daran nichts ändern, weil sie dem Fall der Profitraten nichts entgegensetzt. Die Möglichkeiten der Notenbanken, durch Zinssenkungen die Geldmenge zu erhöhen, waren in dieser Krise bald ausgeschöpft; sie mussten zu unkonventionellen Massnahmen greifen, um dieses Ziel zu erreichen: Aufkaufen von Ramschpapieren, aber auch von Staatsanleihen, Massnahmen, die als Ankurbeln der Notenpresse bezeichnet werden.

Andererseits haben die meisten imperialistischen Länder und insbesondere China klassisch keynesianistisch reagiert, mit nachfrageorientierten Impulsprogrammen, die zur Erhöhung der Staatsschulden im Umfang von bis zu 10% des BIP (USA) führten(3). Und das mit - natürlich nur relativem - Erfolg. Der befürchtete Zusammenbruch des globalen Finanzsystems wurde einstweilen vermieden, die Schlüsselindustrien können nach wie vor mit Krediten versorgt werden, die Börsen machten einen Teil der Verluste wieder wett, der private Konsum ist weniger stark eingebrochen als befürchtet, der Fall der Wachstumsraten wurde gebremst und zum Teil von niedrigem Niveau aus sogar leicht umgedreht. Die Arbeitslosigkeit steigt langsamer als Mitte der 1970er, Anfang der 1990er Jahre und ab 2001, die Zahl der Konkurse ebenfalls, sieht man mal vom Sterben vieler lokaler Banken in den USA ab(4). Die Impulsprogramme der Schweiz sind zwar eher kosmetischer Natur, aber als exportorientierte Wirtschaft profitiert sie indirekt von den keynesianistischen Massnahmen der grossen Volkswirtschaften


Ursachen des Widerspruchs

Um es gleich vorweg zu nehmen: Dieser Widerspruch wird sich mittelfristig aufheben und die Kapitalüberproduktionskrise erneut in voller Schärfe und Klarheit hervortreten, wenn die kurzfristigen Effekte der Staatseingriffe verpufft sein werden. Die Ursache für diesen Widerspruch liegt in einem speziellen Aspekt der gegenwärtigen Krise, den wir bereits in aufbau 55 thematisierten: Es platzte auch eine auf Pump aufgeblähte Konsumblase. Der durchschnittliche amerikanische Haushalt hatte vor Krisenausbruch schon 10.000 $ an privaten Schulden auf Kreditkarten, als Studienkredite und andere, auch abgesehen von den Hypothekarschulden. Dabei ging es nur am Rand um Luxuskonsum, sondern nur so konnte für eine Mehrheit der Bevölkerung der Lebensbedarf schlecht und recht finanziert werden.

Das Platzen dieser Blase ist der Hebel, an dem die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik vorübergehend ansetzen konnte. Die privaten Schulden wurden durch staatliche ersetzt, um einen abrupten und schwer krisenverschärfenden Einbruch des privaten Konsums zu verhindern. Kurzarbeit wird staatlich subventioniert, damit Massenentlassungen möglichst herausgeschoben werden. Mit enormen staatlichen Geldern wurden Konkurse "systemrelevanter" Banken und Schlüsselindustrien - insbesondere im Automobilbereich - verhindert und entsprechend noch viel gravierendere Massenentlassungen hinausgeschoben. Die globalen Rüstungsausgaben stiegen während des ganzen bisherigen Krisenverlaufs. Das risikoscheu gewordene anlagesuchende Geldkapital fand entsprechende Anlagemöglichkeiten bei den geldhungrigen Staaten, was den Investmentbanken erneut grosse Gewinne bei der Emission der Staatsanleihen einbrachte.


Nicht nachhaltig

Abwrackprämien, Subventionierung von Kurzarbeit, staatliche Stützung von Schlüsselindustrien, Niedrigzinspolitik und "Notenpresse" haben alle ein absehbares Ende. Die Folgen werden stark steigende Massenentlassungen sein, ein erneuter Einbruch in die Investitionstätigkeit und ein Staat, der ein Heer von Staatsgläubigern, die von den Steuereinnahmen vorab ihre Zinsen beglichen haben wollen, zurücklässt.

Dagegen wird es innerhalb des Kapitalismus nur ein Mittel geben: die Neuauflage der neoliberalen Wirtschaftspolitik mit Angriffen auf Löhne und Renten sowie eine verschärfte Politik der leeren Kassen. Ein indirekter Angriff auf Löhne und Renten ist dadurch möglich, dass die hohen Staatschulden durch gezielte Inflation "weggeschmolzen" werden. Vampire sind unverweste Leichen, die von den Betroffenen aufgefunden und aktiv vernichtet werden müssen. Von selbst wird der Kapitalismus nie untergehen.


Anmerkungen

(1) S. NZZ 28.09.2009

(2) Das Volumen aller ausserbörslich gehandelten Derivate soll 605 Bio $ betragen, d.h. das 40-fache des Bruttoinlandprodukts der USA, NZZ 16.11.09, S. 19.

(3) Die USA meldeten am 16.10.09 ein Defizit von 1,417 Billionen $ für das soeben abgelaufene Haushaltsjahr.

(4) Bis jetzt sind es 115 Banken: am 31.10.09 waren es allein 9, was die staatliche Einlagenversicherung FDIC 2,5 Milliarden kostet, NZZ 2.11.09.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Arbeitsgruppe Winterthur (agw), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 59, Dezember/Januar 2010, Seite 7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2009