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AUFBAU/286: Libyen das Ende der Antikriegsbewegung?


aufbau Nr. Nr. 65, Mai/Juni 2011
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Libyen das Ende der Antikriegsbewegung?

IMPERIALISMUS - Demonstrationen gegen das Regime schlugen schlagartig in einen von den imperialistischen Mächten unterstützten Aufstand um. Die NATO führt einen brutalen Angriffskrieg. Widerstand dagegen regt sich kaum.


(rabs) Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das Regime von Gaddafi hat seinen anfangs durchaus fortschrittlichen Charakter längst verloren und hat sich insbesondere seit anfangs der 90er Jahre zu einem korrupten und den imperialistischen Mächten verbundenen Regime entwickelt. Repressiv war Gaddafi schon immer, insbesondere gegen die kommunistischen Kräfte, die er von allem Anfang an aufs Blut bekämpfte. Dabei beging die Regierung Gaddafi einen gewichtigen Teil der Menschenrechtsverletzungen auf ausdrücklichen Wunsch und mit Billigung der europäischen Mächte. Bekanntlich erkaufte er sich seine Rehabilitation vom "personifizierten Bösen auf Erden", wie US-Präsident Ronald Reagan ihn seinerzeit nannte, zum anerkannten, wenn auch unsicheren Bündnispartner mit Handelsverträgen und der Garantie, die afrikanischen MigrantInnen notfalls mit Gewalt an der Ausreise nach Europa zu hindern.


Waffen für Al Kaida?

Vieles spricht heute dafür, dass die Demonstration für die Freilassung eines politischen Gefangenen vom 15. Februar in Bengasi nicht der eigentliche Beginn des Bürgerkrieges in Libyen war. Offensichtlich operierten schon seit geraumer Zeit Kommandos des CIA und des englischen MI6 in Libyen mit dem Ziel, eine Bewegung gegen das Gaddafi-Regime anzufachen. Das brutale Vorgehen der libyschen Sicherheitskräfte gegen die DemonstrantInnen waren das Startsignal für einen Aufstand, der gezielt Kasernen und Polizeistationen angriff und sich so Waffen beschaffte.

Allerdings lagerten in den Kasernen nicht die neuen Waffen, über die die Aufständischen auch verfügen. Der Verdacht liegt nahe, dass diese durch die imperialistischen Mächte ins Land geschleust wurden. Die derzeitige Diskussion über "offizielle" Waffenlieferungen an die Aufständischen dient wohl einzig der Legalisierung eines Status Quo. Allerdings schrecken die imperialistischen Mächte vor Waffenlieferungen im grösseren Ausmass zurück. Nicht, weil die Bewegung zu fortschrittlich wäre, sondern aus Angst vor der Bewaffnung von Al Kaida oder ähnlich reaktionären Kräften. In der Tat ist ein fortschrittlicher Charakter im Unterschied zu den Bewegungen in Ägypten oder Tunesien in Libyen nicht auszumachen. Das Symbol des libyschen Widerstandes ist die alte Fahne der Monarchie, was nicht nur eine reaktionäre Gesinnung verrät, sondern auch auf die Nähe zum US-Imperialismus hinweist. Bekanntlich unterhielten die USA in den Jahren der Monarchie (1951 - 1969) in der Nähe von Tripolis einen riesigen Militärstützpunkt.

Der reaktionäre Charakter des libyschen Widerstandes zeigt sich auch in der Jagd auf vermeintliche oder tatsächliche schwarze Söldner. In Tat und Wahrheit ist dies oftmals einfach ein rassistisches Pogrom gegen schwarze Arbeiter und Flüchtlinge im Land, das im übrigen fatal an die tödlichen Hetzjagden der kosovo-albanischen UCK gegen die Roma erinnert.

Trotzdem gibt es nicht wenige linke Kräfte, die von einem fortschrittlichen Charakter des libyschen Aufstands ausgehen. Zum Beispiel Alma Allende, die sich in einem auf Indymedia publizierten Interview entschieden gegen die These wendet, der libysche Aufstand sei auch nur ansatzweise von den imperialistischen Mächten gesteuert.

Die Wahrheit zwischen der blauäugigen Unterstützung der Aufständischen durch linke Kräfte wie Alma Allende und den klassisch antiimperialistischen Positionen liegt, entgegen dem vermeintlich gesunden Menschenverstand, nicht in der Mitte. Aus den anfänglich durchaus unterstützungswürdigen Demonstrationen ist längst ein Bürgerkrieg geworden, mit "Rebellen", die wie seinerzeit im Kosovo, unter dem Bombenhagel der imperialistischen Mächte vorrücken.


Mahmud Jibril, ein neoliberaler Hardliner

Dennoch, die imperialistischen Mächte führen einen Krieg ohne jegliches Konzept, ohne fassbare Bündnispartner und ohne eine Vorstellung über ein Libyen nach Gaddafi. Zwar wäre der derzeitige Chef des Nationalrates, Mahmud Jibril, durchaus ein Mann nach dem Gusto des Kapitals. Er studierte in Kairo und erwarb den Doktortitel der Politologie an der Universität im US-amerikanischen Pittsburg. Er ist der derzeitige Verhandlungspartner von Hillary Clinton und Nicolas Sarkozy und gilt als neoliberaler Hardliner und Türöffner für die imperialistischen Interessen in Libyen. Ob er sich auch nach einem allfälligen Sturz Gaddafis halten kann, steht aber auf einem anderen Blatt.

Der deutsche Thinktank "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP) befürchtet denn auch eine Fortsetzung des Bürgerkrieges um die Neuverteilung der Ressourcen nach einem Sturz des alten Regimes.(1) Interessant ist auch, wie unverfroren offen die SWP über die Rolle der UNO und der Sanktionen im Dienste der imperialistischen Mächte spricht. Für den Fall der Spaltung empfiehlt das Papier "externen Akteuren": "Sie können die Tätigkeit internationaler Unternehmen im Erdölsektor gegebenenfalls mit Sanktionen belegen und somit verhindern, dass dauerhaft zwei separate Entitäten entstehen - sollte sich diese Gefahr tatsächlich konkretisieren."(2) Und, kurzfristig gehe es für Deutschland und die Europäische Union darum, "zu verhindern, dass der Aufstand ins Stocken gerät und das Land dauerhaft zweigeteilt bleibt". Doch die Kolonialisten oder im Sprachgebrauch des Thinktanks "externen Akteure" kennen auch die Risiken ihrer Politik und umschreiben diese verklausuliert und dennoch offen: "Allzu offene Einwirkungen und eine allzugrosse Präsenz vor Ort können sehr leicht negative Gegenreaktionen hervorrufen und Nachteile für die lokalen Partner externer Akteure mit sich bringen."

Wer nach einem allfälligen Sturz von Gaddafi die Macht im Land übernehmen wird, ist also alles andere als klar. Eine für die imperialistischen Mächte äusserst beunruhigende Situation. Zu gross sind die Interessen an den reichen Erdölvorkommen des Landes. Und speziell die europäischen imperialistischen Mächte, allen voran Italien, fürchten, mit Libyen den letzten grossen Staudamm gegen die Flüchtlinge aus Afrika zu verlieren.


Sozialdemokratische KriegshetzerInnen

Ein Problem, dass auch die Herrschenden hierzulande beschäftigt. Unter dem Applaus aller Parteien, mit Ausnahme der Grünen, sichert SP-Bundesrätin Sommaruga der EU die Zusammenarbeit der Schweiz mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex zu und schickt auch gleich Zöllner nach Malta und Sizilien. Sie sollen bei der Rückweisung der Flüchtlinge behilflich sein und sicherstellen, dass keine in Not geratene Menschen in die Schweiz gelangen.

SP-Hardliner Daniel Jositsch verkündet im SonnTalk, der Angriff auf Libyen wäre schon seit Jahrzehnten notwendig gewesen. Nun, die reaktionäre Kriegshetze durch die Sozialdemokratie ist wahrlich nichts Neues und der Erwähnung kaum wert. Ausser vielleicht die Tatsache, dass ausgerechnet am ersten Mai in Zürich eine der Kriegshetzerinnen der ersten Stunde, Bundespräsidentin Calmy-Rey, sprechen soll. Nach ihrem bedingungslosen Einsatz für die UCK und der völkerrechtswidrigen Deklaration eines unabhängigen Staates im Kosovo gehört sie heute zu den ScharfmacherInnen für den imperialistischen Krieg gegen Libyen. Zu den Bombardierungen des Landes meint sie zynisch: "Ich würde das nicht als Krieg bezeichnen"(3). Der Schritt zur berühmt-berüchtigten sozialdemokratischen Forderung nach dem Einsatz von Bodentruppen, wie seinerzeit während des Krieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, wird ein kleiner sein.


Die Linke und der Lybienkrieg

Die mit der UNO-Resolution 1973 abgesegnete imperialistische Aggression gegen Libyen hat innerhalb der fortschrittlichen Kräfte in Europa bestenfalls Indifferenz, in den meisten Fällen gar halbherzige Zustimmung ausgelöst. Selten ist ein imperialistischer Krieg auf so wenig, um nicht zu sagen, überhaupt keine Opposition gestossen. Für jeden auch nur halbwegs kritischen Menschen waren die Kriegsgründe der Imperialisten durchsichtig und das Geplapper über Menschenrechte geradezu peinlich. Dennoch, es verfing, nicht wenige nahmen den Überfall auf Libyen mit dem Hinweis auf die Menschenrechtsverletzungen durch das Gaddafi-Regime hin. Im Unterschied zum Krieg gegen den Irak oder die Bundesrepublik Jugoslawien blieb jeder grössere Protest aus. Einzig in Italien gab es Anfang April in verschiedenen Städten grosse Demonstrationen gegen diesen Krieg. Der ägyptische Schriftsteller Chalid al Chamissi beschreibt seine Haltung zum Überfall auf Libyen mit einer Anekdote.(5) Ende März sitzt er mit einem französischen Bekannten in einem Lokal in Kairo. Ein junger Libyer tritt an den Tisch und sagt dem Franzosen, er sei mit dem Angriff auf sein Land überhaupt nicht einverstanden. Der Franzose antwortet mit dem vermeintlichen Totschlagargument, ob er denn mit Gaddafi einverstanden sei. Nein, antwortet der Mann, er habe auch Verwandte in Libyen, die durch Gaddafis Truppen umgekommen seien. Das ändere aber nichts an seinem Protest gegen den Überfall durch internationale Truppen auf das Land. Die Linke sollte sich die Haltung dieses libyschen Gaddafi-Gegners zu Herzen nehmen und wieder zu ihrer antiimperialistischen Grundhaltung zurückfinden.


Krieg als lukratives Geschäft

Ein neu entwickeltes, im Libyenkrieg erstmals eingesetztes Modell des Tomahawk-Marschflugkörpers kostet 1,5 Millionen Dollar, eine Bombe rund 40.000 Euro. Für die Kriegsindustrie gibt es also handfeste Gründe, das Morden möglichst in die Länge zu ziehen. Jeder Kriegstag spült Millionen in die Kasse. Für den deutsch-französischen Waffenkonzern Cassidian (ehemals EADS Defence and Security) ist der Libyenkrieg ein Geschenk des Himmels. Das neu entwickelte Kampfflugzeug "Eurofighter" kann im Krieg getestet werden, genauso wie der französische Kampfjet "Rafale" oder das US-Flugzeug "Growler". Der zynische Kommentar eines Wirtschaftsjournalisten zur Katastrophe in Japan gilt noch weit mehr für den Krieg: So tragisch grosse Katastrophen für die einzelnen Menschen auch sind, für die Wirtschaft wirken sie eher belebend.(4)

Trotz der Aufstände im arabischen Raum fand vom 20. bis 24. Februar die Waffenmesse IDEX in Abu Dhabi statt. An der weltgrössten Waffenschau beteiligten sich rund 1000 Rüstungsfirmen, allein 100 aus den USA. Mit dem grössten Stand wartet die deutsche Rheinmetall auf. Auch der Chef des US-Generalstabes, Admiral Mullen, findet sich ein und bekräftigt kurz vor dem Einmarsch der saudischen Truppen in Bahrain die hohe Bedeutung des ultrareaktionären islamistischen Königreichs für die USA. Aber auch die Schweiz ist mit zahlreichen Firmen, u.a. Mowag, der Rheinmetall (Schweiz), Andair, Crypto AG, Vetronic AG, Swiss Arms AG, Aimpoint, RUAG in einem speziellen Swiss Pavillon vertreten. Unverhohlen wirbt die RUAG für "Spezialmunition für Ordnungskräfte" und "Scharfschützenmunition". Und um die Provokation noch abzurunden, erweist auch Armeechef Blattmann der Messe seine Aufwartung. Soviel zur schweizerischen Neutralität und Friedenspolitik.


Anmerkungen:

(1) Libyen nach Qaddafi, Staatszerfall oder Staatbildung, SWP-Aktuell, März 2011
(2) a.a.O.
(3) "Neutralität ist nicht Gleichgültigkeit", Sonntagsblick 27.03.11
(4) DRS 1, 1.4.2011, 07.15 Uhr, Morgennachrichten
(5) Das Lachen und die grosse Wut, NZZ 2.4.11


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend (agj)


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Quelle:
aufbau Nr. 65, Mai/Juni 2011, Seite 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2011