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AUFBAU/371: Migrante International - Keine NGO, eine Massenorganisation!


aufbau Nr. 75, dezember / januar 2013-14
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Keine NGO - Eine Massenorganisation!



INTERNATIONALISMUS - Die Philippinen sind eines der wenigen Länder, in denen es noch eine starke progressive Bewegung gibt. Nebst den bewaffnet kämpfenden MaoistInnen gibt es etliche kämpferische Massenorganisationen, in welchen sich die verschiedenen Teile der unterdrückten Massen organisieren. In diesem Artikel stellen wir Migrante International vor.


(agkkzh) Hören wir hier von MigrantInnen-Organisationen, so denken wir an Vereinigungen von Immigranten aus dem selben Land, die sich hier aus politischen und sozialen Gründen zusammentun. Im Falle von Migrante International ist das Gegenteil der Fall. In ihr sind nicht ausländische Immigranten in den Philippinen organisiert, sondern Filippinas und Filippinos, welche emigriert sind - sogenannte OFWs(1). Das ist keine marginale Gruppe - etwa acht Millionen arbeiten ständig im Ausland, also etwa neun Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Geldsendungen der AuslandsarbeiterInnen sind ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor.

Nicht überraschend finden sich viele der OFWs in äusserst prekären Arbeits- und Lebensbedingungen wieder. Auch hier arbeitet ein grosser Teil der emigrierten Filippinas als Haushaltsgehilfinnen - die Verhältnisse in diesem Sektor brauchen wir wohl nicht zu beschreiben. Kaum besser geht es denjenigen, die es in autoritär-regierte, reaktionäre Staaten wie Saudi-Arabien verschlägt, ganz zu schweigen von Sexarbeiterinnen oder Opfern von Menschenhandel. Die MigrantInnen sind auf sich allein gestellt und haben kaum rechtliche Sicherheiten.


Von Fürsorge bis zu politischen Kampagnen

Das ist ein Punkt, wo Migrante International ansetzt. Mittels eines breiten Netzwerkes über die halbe Welt, kann sie oft an Ort und Stelle Hilfe leisten. Dies heisst vor allem rechtliche Hilfe, manchmal auch Fürsorge, wie zum Beispiel das Gewähren von Unterschlupf. Es kommt aber auch vor, dass schwereres Geschütz aufgefahren werden muss. So zum Beispiel im Fall von Dondon Lanuza. Er sass 12 Jahre in einer Todeszelle in Saudi-Arabien, weil er einen Saudi in Notwehr getötet hat. Migrante setzte die philippinische Regierung unter Druck, sich für Dondon einzusetzen. Schliesslich konnte mittels Spendensammlungen ein Blutgeld gezahlt werden und Dondon konnte nach Hause zurückkehren. Dondon ist kein Einzelfall. Weltweit sitzen momentan 125 Filippinos in Todeszellen - gefangen in Knästen sind im Ganzen 4000. Es gehört zu den zentralen Zielen von Migrante, diese Leute im Kampf um Recht und Würde zu unterstützen.

Soweit so gut. Wo bei NGOs an dieser Stelle der Artikel zu Ende geschrieben wäre, geht er bei Migrante International noch weiter. Sie bekämpft nämlich explizit die Politik der Regierung, ArbeiterInnen zu "exportieren". Ziel soll eine selbstständige Wirtschaft und eine "nationale Demokratie" sein - unabhängig vom US-Imperialismus. Damit gehen sie über den rein karitativen Charakter hinaus. Wie stark die Politisierung reicht, zeigt auch das Beispiel Angelo de la Cruz, einem Lastwagenfahrer, der 2004 im Irak von Aufständischen entführt wurde. Diese forderten den vorzeitigen Abmarsch der philippinischen Truppen aus dem Irak. In der darauffolgenden Kampagne traten weltweit tausende philippinische ArbeiterInnen in den Streik, mit der Forderung an die Regierung, das Ultimatum der Entführer zu erfüllen. Sie hatten Erfolg! Angelo kehrte zurück und die Regierung rief die Truppen frühzeitig nach Hause. Solche Kämpfe kommen nicht vom Himmel gefallen. Vielmehr gehört es zur täglichen Arbeit von Migrante International, diese Solidarität aufzubauen.


National Democracy Movement

Im vergangenen Jahrzehnt waren sie sogar stark genug, um einen eigenen parlamentarischen Arm aufzubauen, die Migrante Sectoral Party (MSP). Zusammen mit anderen Massenorganisationen - unter anderem in den Bereichen Frauenkampf, Ureinwohner, BäuerInnen - bildete sie eine Wahlallianz, die Bagong Alyansang Makabayan (neue patriotische Allianz) oder kurz: Bayan. Die Bayan gilt als der parlamentarische Arm des National Democracy Movement(2), einer Bewegung, die in den Aufständen gegen den früheren Diktator Marcos ihren Ursprung hat. Teil davon ist übrigens auch die CPP(3) und deren bewaffneter Arm, die NPA(4). Diese kämpfen seit vier Jahrzehnten mittels der Strategie des Volkskrieges gegen die semi-feudalen, semi-kolonialen Gesellschaftsstrukturen auf den Philippinen, für eine Neue Demokratie.


Emanzipation: kollektiv und individuell

Ist nun Migrante International nur ein Spielball der "grossen Politik"? Ein Vehikel, um einzelnen professionellen PolitikerInnen einen Sitz im Parlament zu ermöglichen? Das können wir hier verneinen. Denn die Kader waren selbst MigrantInnen oder Opfer von Menschenhandel. Das Konzept der Stärkung der Ausgebeuteten in ihrem Kampf geht also auf. Dank der Organisierung kann kollektiv Solidarität aufgebaut werden und individuell können emanzipatorische Schritte gemacht werden; so werden "Opfer" zu helfenden, organisierenden, kämpfenden Individuen.


Anmerkungen:

(1) Oversea Filipino Workers = Philippinische ArbeiterInnen in Übersee

(2) Nationale Demokratie-Bewegung

(3) Communist Party of the Philippines = Kommunistisch Partei der Philippinen

(4) New Peoples Army = Neue Volksarmee

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 75, dezember / januar 2013-14, Seite 3-4
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2014