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AUFBAU/409: Barbara Kistler - "Ich lebe für den Sozialismus"


aufbau Nr. 80, märz / april 2015
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"Ich lebe für den Sozialismus"


INTERNATIONALISMUS Barbara Kistler schloss sich vor über 20 Jahren dem bewaffneten Kampf in der Türkei an. 1993 starb sie nach einem Gefecht mit der türkischen Armee in den Bergen. Sie bleibt Symbol der internationalen Solidarität.


(gpw) Barbara wurde von allen Babs genannt. Ihre Politisierung begann als Teenager 1970, als in Zürich rund um den "Bunker", dem autonomen Jugendzentrum, Auseinandersetzungen zu selbstverwalteten Räumen und den darin stattfindenden politischen Prozessen liefen. Für diejenigen, die diesen Raum nutzten, war die Bedeutung dieses Experiments klar: "Die Jugend im Bunker begann nicht nur aus der autoritären Ordnung auszubrechen, sie begann sich zu organisieren und bildete die Basis für eine revolutionäre Bewegung, die den Mächtigen gefährlich werden kann" (Flugblatt der Autonomen Republik Bunker - ARB). Damals wie heute wurden derartige Prozesse nicht gern gesehen. Der Stadtrat Zürichs liess das Zentrum durch die Polizei räumen und schliessen, in der Hoffnung dadurch die Bewegung abzuwürgen.

Es gelang ihnen nicht. Im oben zitierten Flugblatt sprach die ARB nach der Räumung dem Stadtrat gar Dank aus. Durch dessen Verhalten seien die pseudodemokratischen Strukturen der bürgerlichen Demokratie klar geworden, sodass auch die Unmöglichkeit eines systemkonformen Kampfes bewiesen sei. "Es geht nicht nur um ein Jugendzentrum, jetzt beginnt der politische Kampf." In den folgenden zwei Jahren initiierte die ARB verschiedene Aktionen, beim Bahnhof Enge wurden Häuser besetzt, die später zugunsten von einem Bürokomplex abgerissen wurden, man solidarisierte sich mit kämpfenden ArbeiterInnen in der Metallindustrie in Genf, verhalf Zöglingen der Arbeitserziehungsanstalt Uitikon zur Flucht oder beteiligte sich - gegen den Willen der Gewerkschaftsspitzen - an den Kämpfen der FremdarbeiterInnen.

Diese Kämpfe waren die ersten Schritte im Politisierungsprozess von Babs. In einem Interview mit der Zeitschrift "POP" sagte sie 1974 dazu: "Man kann sich nicht in einem Kellerloch isolieren und glauben, das bedeute die Freiheit und die Welt werde dann besser. Will man wirklich etwas erreichen, muss man die ganze Gesellschaft verändern. Unsere Probleme sind nicht nur Jugendprobleme." Auch die Konfrontationen mit der Polizei im Verlauf dieser Jahre waren wichtige Ereignisse in ihrer Geschichte, da sich hier die Gewaltfrage unmittelbar stellte. "Ich glaube, dass man da zuerst einmal von der Gewalt zu sprechen hat, die die Gesellschaft anwendet, um aus Kindern sogenannte Bürger zu machen. Oder jene Gewalt, die gebraucht wird, um zu verhindern, dass Jugendliche oder Arbeiter ihre Interessen vertreten", sagte sie im selben Interview.


Teil internationaler Kämpfe

Der Kampfzyklus, der damals in Zürich stattfand, war keinesfalls nur lokaler Natur. So waren die Ereignisse in Chile, wo der gewählte Präsident Allende 1973 durch einen Putsch gestürzt wurde und sich daraufhin das Leben nahm, einschneidende Ereignisse für alle, die sich auf fortschrittliche Kräfte bezogen, egal ob in Zürich oder sonstwo. In der Subversion, die der politischen Geschichte von Babs gewidmet ist, heisst es dazu: "Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde für uns klar, dass der friedliche Weg zum Sozialismus eine Illusion ist und die Bourgeoisie vor keinem noch so grossen Massaker zurückschreckt, wenn es darum geht, die Befreiung des Proletariats zu verhindern." Die Konsequenz daraus war klar, Babs formulierte sie im Interview mit der "POP": "Anstatt sich abschlachten zu lassen, hätten die chilenischen Arbeiter sich auf den bewaffneten Kampf mit den Schergen der Kapitalisten vorbereiten müssen!"

Diese theoretische Schlussfolgerung wurde ab Beginn der 1970er-Jahre auch in Europa praktisch umgesetzt, wobei kämpfende Einheiten wie die Rote Armee Fraktion oder die Brigate Rosse sich nicht nur vorbereiteten, sondern effektiv den Imperialismus in seinen Metropolen anzugreifen suchten. Eingebettet in die anti-kolonialistischen und -imperialistischen Kämpfe dieser Zeit in Palästina, Vietnam oder Angola und als Teil der lokalen Klassenkämpfe, versuchten diese bewaffneten Strukturen in einer Dialektik mit lokalen und internationalen Kämpfen die Machtfrage voranzutreiben. Gerade auch durch die Betonung dessen, dass die Machtfrage letztlich nur bewaffnet gelöst wird.

Die politische Bewegung in Zürich, und mit ihr auch Babs, verhielten sich dazu. Ein Beitrag war die Gründung der Subversion, einer Publikation, die genutzt wurde, um "verschiedene Theorieansätze und Diskussionen in die Bewegung hier in die Schweiz zu tragen und so einen Beitrag für eine authentische Entwicklung zu leisten. Niemand wird als Kommunist oder Kommunistin geboren" (Subversion). Da sowohl die RAF wie die BR ihre Aktionen ausführlich erklärten, ihre Einschätzungen offenlegten und politische Vorschläge zur Diskussion publizierten, konnte die Subversion als Bindeglied zwischen Deutschland und Italien politische Impulse in die eine oder andere Richtung geben.

Zudem waren die politischen Gefangenen, die als Folge der bewaffneten Politik inhaftiert wurden, Bezugspunkte für Babs, die auch Mitbegründerin der Roten Hilfe in Zürich war. Sie besuchte regelmässig die Gefangenen der RAF. Am 18. Oktober 1987, zehn Jahre nachdem Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Ingrid Schubert in Stuttgart-Stammheim ermordet wurden, wurde Babs nach einer militanten Aktion gegen die deutsch-schweizerische Handelskammer und eine Mercedesvertretung in Zürich verhaftet. Dafür musste sie 14 Tage in den Knast.


Metropole und Trikont

Der Internationalismus war damals Teil jedweder revolutionären Politik. Zum einen, weil die internationalen Kämpfe oft einen klaren fortschrittlichen Charakter hatten, zum anderen, weil durch die Politik von Organisationen wie der RAF, der BR und anderer die Frage "Wie sieht revolutionäre Politik heute in den kapitalistischen und imperialistischen Zentren aus?" präsent war. Babs hatte früh Kontakt zu türkischen GenossInnen. In der Kampagne gegen das 50-Jahr-Jubiläum des Arbeitsfriedens 1987 beteiligte sich Babs als Mitglied des Komitees gegen Isolationshaft (KGI) an einem Aktionsbündnis mit der Partisan, einer Gruppe zur Unterstützung der illegalen TKP-ML. Es war nicht der einzige politische Berührungspunkt.

Der Prozess, der letztlich dazu führte, dass Babs sich dem bewaffneten Kampf mit der TIKKO der TKP-ML anschloss, hatte auch damit zu tun, dass der politische Widerstand in der Schweiz gegen Ende der 80er-Jahre an Grenzen stiess. In der Subversion heisst es dazu: "Dieses sich reduzieren auf den Widerstand ohne von einer eigenen, authentischen revolutionären Seite auszugehen, wurde vielen, einigen früher, anderen später, immer bewusster." Die Debatten kreisten um zwei Fragen.

Erstens, ob der Hauptwiderspruch als Motor des revolutionären Prozess zwischen Imperialismus und nationaler Befreiung liege, oder aber, ob er in den kapitalistischen Metropolen zu suchen sei, trotz einer immer komplexer werdenden, fragmentierten Klassensituation. Zweitens (und daraus folgend), ob die Unterstützung des revolutionären Prozesses darin liege, die antiimperialistischen Kämpfe in den jeweiligen Ländern zu unterstützen oder darin, den internationalen "proletarischen Klassenkampf im nationalen Rahmen zu konkretisieren" (Subversion). Babs entschied sich letztlich für die Position, gemäss der die Unterstützung der Kämpfe im Trikont (Asien, Lateinamerika und Afrika) selber notwendige Form der internationalen Solidarität und für den revolutionären Prozess ist. Währenddessen begann in der Schweiz der Gründungsprozess des Revolutionären Aufbaus Schweiz als Ausdruck der anderen Position in dieser Debatte.

Nach langen, intensiven und wertvollen Diskussionen ging sie in die Türkei. Am 19. Mai 1991 wurde Babs bei einer Razzia in Istanbul verhaftet, während der zwei unbewaffnete türkische GenossInnen von der Polizei exekutiert wurden. Zuerst kam sie in das Gefängnis Gayrettepe, wo sie gefoltert wurde, bevor sie nach Bayrampasa verlegt wurde. Über die Zeit und die Folter im Knast schreibt sie: "Du kämpfst vor allem mit und gegen dich selbst. Ob und wie du Widerstand leistest, ist nur eine Frage deines Bewusstseins, deiner Verbundenheit mit dem revolutionären Prozess" (aus einem Brief von ihr). Eine internationale Kampagne zu ihrem Fall stärkt ihre Position, sie wird entlassen und reist zurück in die Schweiz.

Kurze Zeit darauf geht sie zurück. Im Brief hat sie geschrieben, dass das Gefängnis Teil des Klassenkampfes sei und Möglichkeit zum Lernen und zur Entwicklung biete, um "als gestärkte KommunistInnen unseren Platz in den kämpfenden Reihen draussen wieder einzunehmen." Entsprechend handelt sie. Zurück in der Türkei, schliesst sie sich einer Einheit der TIKKO an. Ein Jahr später erfährt man in Zürich von einem Gefecht mit dem Militär. Es gab Verletzte, die man nicht zurückliess. Sie wurden beim Rückzug von der Kälte und dem Schnee überrascht. Babs fiel in den Bergen von Dersim.

"... / Nichts ist wegzudenken, in den Jahren die kommen / in den Klassenkämpfen / keine Sitzung, keine Analyse, keine Untersuchung / nicht einmal unser Leben / in den Strassen und Folterknästen unserer Feinde, hier."

Gedicht zum Tod von Babs, Zürich 1993.


Subversion Nr. 16: "Ich lebe für den Sozialismus" - Sondernummer zur politischen Geschichte von Barbara Kistler, 1993, erhältlich im Aufbau-Vertrieb.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 80, märz / april 2015, Seite 1+7
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
aufbau-Jahresabo: 30 Franken, Förderabo ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2015

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