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AUFBAU/416: Franken rauf, Löhne runter - Der Krisenangriff des Kapitals


aufbau Nr. 81, mai / juni 2015
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Franken rauf - Löhne runter: Der Krisenangriff des Kapitals


KLASSENKAMPF Die Aufwertung des Frankens verschärft die Krise. Der Gewerkschaftsbund spricht von einer "Fehlleistung". Wir finden, das ist ein direkter Angriff durch die Strategen des Kapitals. Das Kapital ist weltweit vernetzt - weshalb auch unser Kampf internationalistisch sein muss.


(az) Interessante Zeiten: Kaum hatte die schweizerische Nationalbank ihren Entscheid, den Franken aufzuwerten, bekannt gegeben, fand Bundesrat Schneider-Ammann, jetzt müssten die Löhne runter. Wenige Wochen später blockierten militante Demos die Eröffnung des EZB-Turms in Frankfurt, Rauch hing über der Skyline von "Mainhattan." Derweil der Gemeindepräsident von Uzwil im Kanton St. Gallen die Gemeindeangestellten jede Woche zwei Stunden länger arbeiten liess, aus "Solidarität" mit der Firma Bühler, die zuvor das wöchentliche Soll ihrer 2500 Angestellten aufs Maximum von 45 Stunden hochgeschraubt hatte: Gratis.

Willkommen im Frühling der Geldpolitik. Die Schrauben, die die Währungshüter anziehen, provozieren Reaktionen. Viele üble, manche kämpferische und auch einige absurde Reaktionen.

Geldpolitik galt stets als trocken und abstrakt, als das unvermeidliche Schicksal einer Volkswirtschaft, über das einige Techniker allein aufgrund von Modellen und Berechnungen entschieden. Aber heute erleben wir das pure Gegenteil: Geldpolitik ist Ausdruck eines direkten Angriffs gegen die Lohnabhängigen. In der Krise verwandelt sich dieser so sehr kalkulierte, am meisten systemische Zweig der Wirtschaftspolitik ins gewalttätigste Kommando des Kapitals. Und dieses Kommando betrifft eben nicht eine einzelne, hübsch abgeschottete "Volkswirtschaft". Sondern es zeigt sich mit ungeheurer Wucht und über alle Landesgrenzen hinaus, wie die Krise spaltet und wie sie "nach unten" abgewälzt wird. Aber auch, wie genau dies neue Möglichkeiten eröffnet für ungeahnte Verbindungen und Kämpfe. Denn vor allem macht die Krise deutlich, welche gegenseitige Verflechtung der Kapitalismus ausformt. Angriffe wie Privatisierung oder erzwungene Marktöffnung liegen in Griechenland wie hierzulande auf der gleichen Linie (wenn auch die Brutalität unterschiedliches Ausmass hat). Die deutschen Exportüberschüsse sind von Hartz-IV gespiesen und durch 100-Euro-Jobs erzwungen: genau das Rezept, das den arbeitenden Leuten in Griechenland verordnet wird. Kapitalismus bildet gesellschaftliche Verhältnisse wechselseitiger Abhängigkeit. Internationale Arbeitsteilung und die wirtschaftspolitische Regulierung, die der Staat des Kapitals betreibt, eröffnen auch die Chance, Verbindungslinien von unten zu ziehen. In der Krise - wenn die Nerven des Systems blank liegen - sind diese Verbindungslinien offensichtlicher denn je. Anfang Juni kommt der G7-Gipfel nach Bayern. Wir sollten bereit sein.

Aber all das geschieht nicht von selbst. Krise heisst, dem ursprünglichen Wortsinn nach, "Entscheidung": Die Frage ist, wer in der Lage ist, zu entscheiden und wer draufzahlt - die Lohnabhängigen oder die Herrschenden. Die Krise ist eine Ausgangslage, in der sich gesellschaftliche Klassen und ihre politischen Fraktionen verhalten müssen. Im Moment wird die Krise in einen gewaltigen Feldzug gegen die Lohnabhängigen umgeschmiedet. Die Ökonomen und Strategen des Kapitals lassen eine tiefe Krise nicht ungenutzt verstreichen. Dazu gehört, dass man die politische Dimension der Krise ausblendet und die Wirtschaftslage als das genaue Gegenteil verkauft: als eine Naturkatastrophe, für die niemand etwas kann; als ein Jammertal, das eine Nation gemeinsam zu durchqueren hat; oder, noch absurder: als eine Fitnesskur, in der alle den Gürtel enger schnallen müssen, um dann fit für die Zukunft zu sein.

So sehr Wirtschaftskrisen keine Naturkatastrophen sind, so wenig sind sie eine Verschwörung des Kapitals. Das Finanzwesen gibt es nicht als isolierte Einheit und es ist auch nicht die Ursache der Krise. Die falsche Vorstellung eines "produktiven" Industriekapitals und eines "abzockenden" Finanzkapitals streut Sand in die Augen. Es sind die arbeitenden Leute, nie das Kapital, das "produktiv" ist. Mehr noch, die falsche Vorstellung öffnet Tür und Tor für die reaktionärsten Deutungen: die Mittelsmänner als Ausbeuter, die Zirkulation als Motor des Kapitals - auf solchen verzerrten Behauptungen baute der historische Faschismus seine Mobilisierungskraft auf. Das ist gerade heute, da faschistische Bewegungen in Europa wieder Auftrieb haben, wichtig zu sehen. Kapitalisten sind keine "Wucherer", die bloss abkassieren. Vielmehr zielt die Ausbeutung im Kapitalismus auf eine der grundlegendsten menschlichen Tätigkeiten überhaupt, nämlich auf Arbeit als gesellschaftliches Verhältnis.


Wirkungen für die Klasse

Und hier ist mit der Frankenaufwertung von diesem Frühling die Geldpolitik auch angelangt, bei der Frage der Arbeit. Nun kommen Mehrarbeit und Lohnkürzungen. Aus zahllosen Betrieben hört man die Geschichten von verschärften Arbeitsbedingungen. Das betrifft nicht nur mittlere Betriebe, die exportieren, sondern auch Multis wie den Zahnimplantathersteller Straumann. Bei Stadler Rau, in Besitz des SVP-Strategen Peter Spuhler, müssen die 3000 ArbeiterInnen nun 42.5 statt 40 Stunden arbeiten. Dafür hat ihnen Spuhler versprochen, sie bis Ende Jahr nicht zu entlassen. Die Unia verkauft so etwas als Erfolg. Corrado Pardini verkündete zum Massnahmenpaket, "die Beschäftigten erkennen, dass wir konkrete Gegenleistungen und Garantien für sie herausgeholt haben". In Grenzregionen wird dazu übergegangen, Löhne in Euro auszubezahlen. Die Firma Mecaip Technology in der Nähe von Genf, die Drehteile herstellt, wollte die Löhne um 10 Prozent kürzen, in Euro ausbezahlen und für den Samstag Gratisarbeit einführen. Bei einem Warnstreik gab es drei fristlose Entlassungen. Daraufhin streikte die Frühschicht und es kam zu einer Einigung. Die Patrons nahmen die Entlassungen und die 10 Prozent zurück, aber die Mehrarbeit bleibt. Die Dreistigkeit der Patrons ist ziemlich beispiellos. Etwa im Verkauf: hier wird neuerdings die Ausweitung der Ladenöffnugnszeiten mit dem Argument begründet, dass man nur auf diese Weise mit dem Einkaufstourismus ins nahe Ausland konkurrenzieren könne. Migros-Verkäuferinnen erzählen sich, dass bald manche Filialen, etwa im Zürcher Hauptbahnhof, bis 23 Uhr geöffnet hätten. Was bleibt, ist die Angst im Nacken. Und hinter der Angst vor dem Jobverlust steckt eine Strategie.


Politische Dimensionen des Krisenangriffs

Der Angriff, den die Aufwertung des Frankens bedeutet, hat direkte politische Dimensionen. Er bringt verschärfte Ausbeutung, Privatisierung und Sozialabbau mit sich. Kein Wunder, wird die Nationalbank von rechts gefeiert. Wenige Tage nach dem Aufwertungsentscheid brachte die "Weltwoche" ein Bild vom SNB-Chef Thomas Jordan auf der Titelseite mit der Schlagzeile "Der Patriot". Nun sei eine "Blutspur" durch die Wirtschaft zu erwarten, jubilierte das Blatt. Die reaktionären Hetzer wittern bereits Morgenluft, bedeutet doch die Krise eine Schwächung des reformistischen Handlungsspielraums; die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften sinkt. So sind sie heute vor allem damit beschäftigt, die Meldungen über Entlassungen und kostenlose Mehrarbeit, sowie von Drohungen und Arbeitshetze zu lesen. Für offensive Forderungen fehlt ihnen der Spielraum, für die Entwicklung einer Strategie der Atem. Dabei musste ja damit gerechnet werden, dass die Stütze des Eurokurses früher oder später fallen würde. Dabei fällt den Gewerkschaften wie den reformitschen Parteien kaum mehr etwas anderes ein, als Appelle an den Bundesrat und die SNB zu richten, nicht im Interesse der ArbeiterInnen und Angestellten, sondern im Interesse der "Gesamtwirtschaft". Denn trotz all der neusten Angriffe, trotz aller Angriffe der letzten Jahre, in welcher die Krisen unerbittlich auf die ArbeiterInnen und Angestellten abgewälzt wurde, scheint die Befreiung aus ihrem ideologischen Korsett "wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es allen gut", unmöglich.

Doch wenn Krise "Entscheidung" heisst, so heisst es eben auch die Entscheidung selber zu fällen und sich seiner Rolle als Subjekt und als Klasse bewusst zu werden. Denn sowenig tiefgreifende Veränderungen aus einem temporären Aufschwung entstehen, sowenig ist die Richtung der Entwicklung in der Krise vorgegeben. Ob die heutige Situation zu einem neuen Arbeitsfrieden und der Liquidierung der restlichen Klassenpositionen führt, oder im Gegenteil zur Stärkung des Klassenbewusstseins und der Eröffnung neuer Perspektiven, diese Frage müssen wir jetzt bewusst stellen. Denn es ist nicht nur so, dass Krisen die Spielräume vorgeben, in denen Klassen und Fraktionen politisch handeln können - sie eröffnen auch die Möglichkeit von Ungeahntem. Aber für uns macht sich die Chance auf, die heutige Situation politisch zu lesen: deutlich zu machen, wie Schulden und Strukturanpassung am einen Ort verbunden sind mit Arbeitshetze und Spaltung in In- und AusländerInnen anderswo. Internationalismus ist eine praktische Erfordernis - nicht nur am 1. Mai.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 81, mai / juni 2015, Seite 1+7
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2015

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