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AUFBAU/426: Basel als Spielwiese der Militarisierung


aufbau Nr. 82, September/Oktober 2015
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Basel als Spielwiese der Militarisierung


MILITÄRÜBUNG Während sich die innereuropäischen und die globalen geopolitischen Spannungen verschärfen und sich die sozialen Widersprüche fortlaufend vertiefen, ist die Militarisierung der Innen- und Aussenpolitik Europas unübersehbar. Auch in der Schweiz.


(rabs) Schon wieder werden die Strassen Basels von Militärstiefeln getreten. Nachdem im Winter die OSZE-Konferenz von tausenden Armeeangehörigen bewacht wurde, ist nun CONEX an der Reihe - eine grossangelegte Truppenübung vom 16. bis 25. September. Mit rund 5000 Soldaten werden der Hafen und sonstige "kritische Infrastrukturen" verteidigt und die Grenzen dicht gemacht. Das Szenario, das Flüchtlingsströme, Plünderungen und sabotierende AktivistInnen beinhaltet, spielt in einem "fiktiven Europa der Zukunft", wie die Armee betont. Die Realität des gegenwärtigen Europas lässt CONEX aber gar nicht so fremd aussehen. Es ist zwar eher nicht zu erwarten, dass Europa in den nächsten Jahren ins Chaos stürzt, aber derlei Übungen sind durchaus in der realen Krisenentwicklung und der Angst vor Aufständen verankert und entspringen nicht absurden Armeehirnen, wie dies oft suggeriert wird.


Militärübungen häufen sich

Basel wurde nicht zufällig zum Austragungsort erkoren. Die Stadt ist tatsächlich von grosser strategischer Bedeutung. Über die Rheinhäfen werden etwa 12 Prozent des gesamten schweizerischen Aussenhandels und fast die Hälfte der gesamten, Mineralölimporte abgewickelt. Zudem befindet sich weiter rheinaufwärts eine äusserst wichtige Stromverteilerzentrale, die "theoretisch von Aktivisten gestört und sabotiert werden" könnte. CONEX bildet in ihrem quantitativen Umfang und in ihrer Kombination von Aufstandsbekämpfung, Infrastrukturverteidigung und Grenzschutz keinen Einzelfall. Sie ist bereits die dritte Volltruppenübung in diesem Jahr, nachdem in der Romandie mit 6000 Armeeangehörigen die STABANTE15 und in der Zentralschweiz ZEPHYR mit 2600 Beteiligten durchgeführt wurde. 2012 wurde mit Stabilo Due der Einsatz gegen militante DemonstrantInnen geprobt und 2013 die Schweiz im Jura gegen ein im Bürgerkrieg versinkendes Frankreich verteidigt. Hintergrund bei all diesen Übungen sind schwere soziale Unruhen, infolge von ökonomischen Krisen.


"Visibilitäts-Offensive"

Neben der Übung selbst findet in Zofingen eine Militärparade und in Muttenz eine Expo statt, wo die "Fähigkeiten und Mittel der beteiligten Truppen" zur Schau gestellt werden. Anders als bisherige Übungen, die sich eher abseits der Blicke abspielten, soll CONEX offensichtlich als Promo-Event genutzt werden. So sagt denn auch Andreas Bölsterli, Kommandant der Region, "Ich will zeigen, dass es uns gibt. Das haben die Truppen verdient" und weiter "viele Armeeangehörige befinden sich drei Wochen im WK, und da ist es doch nichts als recht, wenn sie zeigen können, was sie gelernt haben." Diese spielerische, gutväterliche Tonlage verdeckt aber den darunter liegenden Militarismus kaum: Die Bevölkerung soll sich wieder mehr an die Präsenz der Armee gewöhnen. Bereits 2012 kündigte Armeechef André Blattmann eine "Visibilitäts-Offensive" an.


Militarisierung der EU

Auch in den Nachbarländern der Schweiz werden das Militär für die öffentliche Wahrnehmung aufpoliert und Strategien erarbeitet, wie die Schlagkraft erhöht werden könne. In Frankreich und Deutschland ist die Militarisierung besonders deutlich, weil diese beiden Länder in den letzten Jahren immer engagierter ihre Aussenpolitik mit schwerwiegenden "Argumenten" untermauern. Dabei bereitet den Mächtigen Kopfzerbrechen, dass die EU trotz ihres ökonomischen Gewichts, militärisch völlig abhängig von den USA sind. So wird jüngst wieder das Projekt einer gemeinsamen EU-Armee vorangetrieben. Dabei befinden sich die EU-Staaten in einem nicht lösbaren Dilemma. Denn einerseits wollen die meisten Regierungen mehr militärischen Einfluss auf globaler Ebene, um (unabhängig von den USA) den Zugang zu Ressourcen, etwa aus Nordafrika und dem Nahen Osten, einzufordern. Gleichzeitig aber wird eine gemeinsame Kriegsmaschine durch innereuropäische Interessenswidersprüche verhindert. So wird die EU-Armee zwar von Deutschland vorangetrieben, aber die meisten anderen Länder haben - insbesondere nach den wirtschaftspolitischen Machtdemonstrationen Berlins - grösste Vorbehalte. So liess Grossbritannien bereits verlauten, dass ihre Position ein "kristallklares" Nein zu einem solchen Vorhaben ist.

Es wird wohl kaum zu einer EU-Armee kommen. Allerdings gibt es durchaus eine in den letzten Jahren verstärkte Präsenz von EU-Battlegroups (kleinere Eliteeinheiten) in den Kriegsgebieten der Welt. Und auch im Bereich der Rüstung wird verstärkt auf Kooperation gesetzt (obwohl natürlich auch hier grosse nationale Rüstungsinteressen konkurrieren), wie dies die Ende Juli besiegelte Fusion des deutschen Panzerbauers Krauss-Maffei mit dem französischen Rüstungsriesen Nexter zeigt. Schweizer Rüstungsfirmen sind bei einem der neusten Projekte auch dabei: eine Frontex-Drohne, genannt Aeroceptor, welche eigenständig "non-kooperative" Boote stoppen soll. Diese Drohne wird aus einem milliardenschweren, von der EU eingerichteten Forschungstopf für Anti-Flüchtlingstechnologien bezahlt.


Schweizer Militarismus

Die Schweiz setzt ihre Interessen nicht mit eigener militärischer Gewalt im Ausland durch - weder historisch noch aktuell. Sie ist natürlich Teil eines aus dem Kolonialismus gewachsenen Europas, welches mithilfe der Nato eine bestimmte Weltordnung erhalten will. Die Schweiz war aber nie darum bemüht mit seiner Armee ein Faktor in den wichtigen geopolitischen Auseinandersetzungen zu sein - anders die "Kernländer" der EU: Frankreich, Grossbritannien, Deutschland. Zwar hat sich auch die Schweiz in sehr begrenztem Mass an EU-Missionen beteiligt (v.a. Kosovo und Bosnien) und natürlich gibt es auch hierzulande Stimmen, welche mehr Aktivität fordern. Der Thinktank "foraus" findet, die Schweiz verbaue sich "durch ihr Verhalten, mit dem sie zunehmend als Trittbrettfahrerin in der europäischen Sicherheitsarchitektur wahrgenommen wird, auch die Möglichkeit, sich aktiver in anderen Bereichen ihres Interesses einzubringen."

Doch weder der politische Diskurs, noch der Charakter der Militarisierung verweisen darauf, dass die Schweizer Armee künftig häufiger Exkursionen unternehmen würde. Insbesondere die SVP stellt sich klar gegen Auslandseinsätze. Der Militarismus hat in der Schweiz hauptsächlich zwei Funktionen: Erstens ist er ein mächtiges Instrument zur Produktion zentraler Elemente des helvetischen Nationalismus (und gleichzeitig Ausdruck derselben Ideologie) - Wehrhaftigkeit, Unabhängigkeit, Abschottung. Zweitens dient er der Inneren Sicherheit. Die Schweiz als Hinterland des Kapitals, wo Geschäfte in Ruhe abgewickelt werden können, ist auf absolute Stabilität der Verhältnisse angewiesen. Und so wird in Zeiten rascher sozialer Widerspruchsentwicklung auch hier aufgerüstet.


Weiterentwicklung der Armee...

Ueli Maurers Armeereform, die Weiterentwicklung der Armee (WEA) wurde im September 2014 vom Bundesrat verabschiedet und sieht ein "Auffüllen von Ausrüstungslücken" vor. Die Truppen werden quantitativ reduziert, bei gleichzeitiger Erhöhung des Budgets (auf 5 Milliarden jährlich). Ausserdem soll die "Mobilmachung" schneller und effizienter funktionieren. Ob dies nun als Schritt in Richtung einer Professionalisierung der Armee gewertet werden kann, ist unklar, auf jeden Fall entspricht es dem globalen Trend hin zu kleineren, dafür hochgerüsteten und sehr mobilen Streitkräften.


...für Einsätze im Innern

Aufschlussreiches Detail der WEA ist ausserdem, dass bei gesamthafter Reduzierung der Truppenstärke, die Militärpolizei-Bataillone von zwei auf vier verdoppelt werden. Dies zeigt deutlich die verstärkte Ausrichtung auf die Innere Sicherheit. CONEX scheint bereits Teil dieser innenpolitischen Fokussierung zu sein. Die Militärübung wurde wohl deshalb auf diesen Namen - conexio heisst Verbindung - getauft, weil in ihr das Zusammenspiel von militärischen und zivilen Institutionen geübt wird. So wird das Ineinandergreifen von Armee und Polizei einen wesentlichen Teil der Übung ausmachen, bei der Kontrolle von Bahnhöfen in der ganzen Region oder der militärischen Unterstützung der Grenzwachkorps. Wenn in einer Stadt solche Übungen veranstaltet werden, geht es natürlich immer auch um Aufstandsbekämpfung. Zwar verfügt die Schweizer Armee mit den "Ortskampfanlagen" in Bure (JU) und Walenstadt (SG) über Hightech-Konstruktionen für das Training des Städtekampfs, doch Erfahrungen in echter "überbauter Umgebung" werden dadurch nicht ersetzt.


Wir stehen auf der anderen Seite!

Wenn die Bourgeoisie sich bedroht fühlt, bedient sie sich der Armee, zur Sicherung des Status quo. So geschehen in der Schweiz, als der Generalstreik 1919 mit der Armee niedergehalten wurde. So wird es wieder geschehen, wenn die Verhältnisse ins Wanken geraten. Die Militarisierung der inneren Sicherheit ist eine Antwort der Herrschenden auf sich verschärfende Widersprüche. CONEX ist eine Übung für den Notstand. Eine Antwort von der anderen Seite wird nicht ausbleiben.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 82, September/Oktober 2015, Seite 1+8
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
aufbau-Jahresabo: 30 Franken, Förderabo ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2015

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