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AUFBAU/465: "Freiraum für die politische Arbeit"


aufbau Nr. 85, mai/juni 2016
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"Freiraum für die politische Arbeit"


JUGEND Ab 1968 bewegte sich die Zürcher Jugend zur Forderung nach einem unabhängigen Jugendzentrum. Wir schauen zurück.


(agj) "Seit vier Jahren kämpfen wir für ein Autonomes Jugendzentrum. Wir beanspruchen das Recht auf einen Ort, wo wir uns ohne Konsumzwang und ohne Vorschriften von oben treffen können, wo wir in der Diskussion mit unseresgleichen unsere Bedürfnisse erkennen und formulieren können, wo wir uns solidarisieren können." So beginnt das Silvestermanifest, eine Deklaration der Zürcher Jugend aus dem Jahr 1972, welches festhielt, wohin der Kampf der kommenden Jahre gehen sollte. Vorausgegangen war ab 1968 ein Auf und Ab einer Jugendbewegung, die sich im weltweiten historischen Aufbruch verortete, aber zugleich spezifische Forderungen hatte und eigene Kämpfe führte.

"Unsere Generation war nach dem Krieg mit einer Situation konfrontiert, bei der es auf der einen Seite einen unheimlichen Wohlstand gab, auf der anderen die Kontinuität der faschistischen Führungscrew in Deutschland und die Heroisierung der Rolle der Schweiz im Krieg. Wenn du morgens den Job verloren hast, hattest du am Nachmittag einen neuen, das ist heute unvorstellbar. Gleichzeitig waren in Deutschland die alten SS-Kader noch voll im Saft und in führenden Positionen, während es in der Schweiz kein Thema war, dass die flüchtenden Juden im Krieg an der Grenze abgewiesen wurden."

International gibt es sowohl Aufbruch wie Reaktion. In den Vereinigten Staaten läuft der Protest gegen den Vietnamkrieg, Strukturen wie die Black Panther Party formieren sich, während in Lateinamerika, Afrika oder Asien Befreiungsbewegungen einen Kampf für die Entkolonialisierung führen. Hier, in Europa, herrschen in Spanien und Griechenland Militärdiktaturen, wo junge politische Gefangene zum Tode verurteilt werden. Die Nachdemonstrationen am 1. Mai in Zürich führen in der Zeit regelmässig zu den Konsulaten der USA, von Spanien oder Griechenland. Gemeinsam mit den FremdarbeiterInnen zieht die Jugend jeweils im Anschluss an die gewerkschaftlichen Umzüge weiter, legt symbolisch Särge nieder, reisst Fahnen runter und liefert sich Kämpfe mit der Polizei, wenn der Zugang zum Konsulat versperrt wird.

"Im Bunker hatte es ein Plakat mit einer Karte der Welt, darauf die verschiedenen Befreiungsbewegungen weltweit und in der Mitte eine Handgranate. Das war enorm wichtig. Man las dann Frantz Fanon und fand so zum Marxismus. Fanon schlug ein wie eine Bombe, er brachte auf den Punkt, was wir instinktmässig richtig fanden. Vieles hat sich seither verändert, aber die Texte von ihm sind auch heute brandaktuell."


Die Bunkerbewegung

Der Bunker beim Lindenhof war das zwischenzeitliche Zugeständnis der Regierenden an die Jugendbewegung im Jahr 1970. Seit Jahrzehnten war der Jugend ein eigenes Zentrum zugesichert worden, es blieb stets beim Versprechen. Bereits am Züri-Fäscht 1954 waren Zehntausende Franken für ein Zentrum gesammelt worden, doch behielt die Regierung das Geld in der Tasche, statt es der Jugend zur Verfügung zu stellen. Erst nach den Auseinandersetzungen rund um das besetzte Globus-Provisorium auf der Bahnhofsbrücke, bei der 2000 Demonstrierende der Polizei gegenüberstanden, gab es auch Kritik aus linksliberalen Kreisen. Das "Zürcher Manifest" fordert einen weniger repressiven staatlichen Umgang mit der Bewegung, zwei Jahre später überlässt der Stadtrat der Jugend den Bunker. Der Bunker wird an verschiedene Bedingungen geknüpft, obwohl die Resolution der Vollversammlung im Globus 1968 noch festgehalten hatte, dass jedes Zentrum "absolut unabhängig von den Stadtbehörden [sein muss]."

Nach 68 Tagen ist die Zeit des Bunkers im Januar 1971 dann auch schon wieder vorbei. Der Staat nutzt die vorgegebenen Auflagen, um die Räumung zu legitimieren, und rechtfertigt den Einsatz damit, dass im Bunker Rauschgift konsumiert wurde. In der Zeitung der Autonomen Republik Bunker (ARB) heisst es dazu: "Unsere Bewegung ist darum gefährlich, weil Jugendliche aus den untersten Schichten, junge Arbeiter und Lehrlinge es wagen, gemeinsam und organisiert Forderungen nach Autonomie zu stellen. Die Kapitalisten wissen, dass wir uns nicht mit dem Erwerb eines autonomen Jugendzentrums begnügen, auch wenn diese Forderung an erster Stelle steht, sondern unsere Forderungen weiter in alle Lebensbereiche tragen werden. Nur Naivlinge behaupten den Widersinn, in unserer Bewegung dürfe es sich nicht um Politik, nicht um Klassenkampf, sondern nur um ein autonomes Jugendzentrum handeln." Anders gesagt: "Für die 'Bunkerschliesser' war das 'Rauschgift' nur Vorwand."

Wohl auch angesichts dessen, dass das Ende des Bunkers absehbar war, wurde am 1. Januar 1971 die ARB ausgerufen. Mit einer eigenen Verfassung erklärte die Jugend den Bunker, sowie alle Zentren und Kollektive, die sich anschliessen wollten, zur autonomen Republik. Es gab Vollversammlungen, ein Komitee, welches die Arbeit zusammenführen sollte, sowie nach Quartieren organisierte Basisgruppen, in denen die Arbeit fortgeführt werden sollte.

"Die Diskussion darüber, ob man sich nach Quartier oder nach Fabrik organisieren sollte, gab's schon vorher in den kommunistischen Parteien der 1920er-Jahre. Der reformistische Flügel war damals für die Quartiere, weil es interklassistischer ist. Je nachdem, wer dann in welchen Gruppen in Zürich war, waren sie sehr reformistisch bis hin zu revolutionär. Bei uns, in der Basisgruppe 7/8, war das Quartier nicht wirklich ein Arbeiterquartier, wir machten dann auch weniger Quartierpolitik. Mehr allgemeine Sachen, zur Repression oder mit den Zöglingen, die aus den Heimen abgehauen waren."


Die Heimkampagne

Die Heimkampagne war eine der grossen Kampagnen der Bunkerjugend. Damals landete man schneller als heute im Heim, wenn man nicht tat, was man sollte, und die Heime selber waren autoritärer organisiert. Die Auseinandersetzung mit solchen Jugendheimen war keinesfalls bloss ein Zürcher Phänomen. Erinnert sei an den Film "Bambule", dessen Drehbuch von Ulrike Meinhof geschrieben wurde und erst mit 24 Jahren Verspätung in Deutschland ausgestrahlt wurde. So gab es in Zürich das Unterfangen, Jugendliche, die auf Kurve gingen, zu unterstützen, indem man ihnen Wohnräume zur Verfügung stellte. Zuerst im Bunker, danach vermehrt in den Wohnkommunen und besetzten Häusern. Höhepunkt der Kampagne war die Flucht von 17 Zöglingen aus dem Heim in Uitikon 1971.

Die Gruppe Autonomer Kampf schrieb dazu im Juni 1972, "als anwachsende proletarische Jugendbewegung erkannte man in den Erziehungsanstalten das Repressions- und Integrationsinstrument des Kapitalismus." Inspiriert von Randgruppentheorien aus den Vereinigten Staaten und Deutschland war ein Ziel der Kampagne, "die Jugendlichen in den Kampf der proletarischen Bewegung zu integrieren. Hier wird ihr gesellschaftspolitisches Anliegen bald nicht mehr Randgruppencharakter, sondern Klassencharakter haben." Eine Zielsetzung, die allerdings nicht erreicht werden konnte, stattdessen "konnte die Kampagne nicht mehr als Selbsthilfeorganisation, sondern immer mehr nur als Hilfsorganisation funktionieren."

Als die Bunkerbewegung ab 1972 schwächer wurde und das geforderte Jugendzentrum neu das Drahtschmidli war, gab es überhaupt einiges an Linienkämpfen. Als es beim Drahtschmidli immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam, schrieb die trotzkistische Gruppe Maulwurf, dass man "eine längerfristige 'legale' Aktivität als richtige Perspektive anerkennen" solle, wobei dieser Vorschlag eine eher schwache Unterstützung hatte: "Es ist tausend Mal lässiger, eine Aktion zu lancieren, als nach Hause zu gehen und einen längerfristigen Kampf zu planen", schrieben sie an selber Stelle. Die Gruppen Autonomer Kampf und Rote Steine, die das zu Beginn beschriebene Silvestermanifest entwickelten, waren anderer Meinung. Ihres Erachtens lag das Problem darin, dass die Maulwürfe die Bewegung funktional sahen, mit dem "Wunsch, ein Jugendhaus zu kriegen, in dem die 'Revolutionäre' dann agitieren könnten. Die revolutionären Gruppen dagegen legten das Hauptgewicht auf die Entwicklung einer proletarischen Jugendbewegung, welche aus den Kämpfen ums AJZ hervorgehen sollte."

"Der Freiraum war immer für die politische Arbeit. Es war aber alles komplett spontaneistisch, ohne irgendeine Form der Theorie. Und dann gab es plötzlich in Deutschland Kräfte wie einen Dutschke, die mit ganz anderen Ansätzen kamen. Das faszinierte uns. Als ich mit 15 die ersten Reden von ihm hörte, war ich sehr beeindruckt. Sowohl von der Radikalität wie auch von der Analyse. Wir konnten das damals nicht, wir hatten weder die Strukturen noch die Erfahrung noch die Formierung. Wir lasen schon das Kommunistische Manifest, die KPD-Schulung 'Das Grundwissen des jungen Kommunisten' oder Texte der Black Panthers. Antikommunistisch war man nie."


Alle nicht-kursiven Zitate aus Dokumenten im Zürcher Sozialarchiv.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 85, mai/juni 2016, Seite 11
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2016

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