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AUFBAU/468: Elektrizitätswerk der Stadt Zürich - Dauerbrenner der Privatisierung


aufbau Nr. 86, September/Oktober 2016
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Elektrizitätswerk der Stadt Zürich: Dauerbrenner der Privatisierung


ARBEITSKAMPF Wenn in der Krise die Profite sinken, nimmt der Privatisierungsdruck im öffentlichen Sektor allgemein zu. Im Konkreten geschieht diese Entwicklung manchmal unspektakulär, etwa mit dem taktischen Schritt zur "Ausgliederung einer Dienstabteilung" aus der Stadtverwaltung. Den Preis bezahlen aber die Werktätigen; Widerstand ist auf verschiedenen Ebenen notwendig und lohnt sich auch.


(az) Derzeit sucht das Kapital krisenbedingt noch stärker und intensiver nach neuen Investitionsmöglichkeiten als dies in prosperierenden Phasen sowieso der Fall ist. Mit dem Dienstleistungsabkommen "TISA" (Trade in Services Agreement, siehe Aufbau Nr. 79 und 83) wird diese Zielsetzung auf Staatenebene unterstrichen. In den Fokus geraten viele vormals öffentliche Dienstleistungen, besonders auch die Energie- und Stromproduktion. In der Schweiz sind die grossen Energiekonzerne mehrheitlich als Aktiengesellschaften organisiert und damit primär dem Profit verpflichtet. Diesbezüglich stellen die Axpo Holding sowie die Alpiq Holding die grossen Konzerne der Branche dar, welche einen Grossteil der Stromproduktion- und -verteilung konzentrieren. Es erstaunt also nicht, dass das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich als städtische Dienstabteilung sehr grossem Privatisierungsdruck ausgesetzt ist. Was heute als "Ausgliederung" thematisiert wird, soll perspektivisch dazu dienen, die Privatisierung zu ermöglichen.


Lukrativer Strommarkt und Standortvorteil

Wenn in Zürich in den letzten zwanzig Jahren von Privatisierungen städtischer Betriebe die Rede war, dann war oft auch das EWZ gemeint. Denn der Strommarkt gilt erstens in allen Industriestaaten als sehr lukrativ und zweitens interessiert sich die Stadt Zürich im Wettrennen der Standortpolitik brennend für eine Strompolitik im Interesse der (Gross-)Konzerne. Ist der Strommarkt nämlich erst privatisiert, kann mit Grosskunden ungeniert gedealt werden; und dies ohne die Gefahr, dass sich die Bevölkerung weiter einmischen wird. Auch Strompolitik ist Klassenpolitik und Klassenkampf von oben. Die Unternehmen lassen sich dabei nicht gerne stören. Dieses Verhalt zeigt zwei Dinge auf: Es ist erstens nicht der Staat, der vor bösen kapitalistischen Raubtieren geschützt werden muss. Denn dieser Staat ist selber bestrebt, die Privatisierungen voranzutreiben. Zweitens sind es konkrete Arbeitsbedingungen und eine Stromversorgung, die von den PrivatisiererInnen im Namen des Profits angegriffen werden, wenn heute Wörter wie "Ausgliederung" oder "Liberalisierung" im Zusammenhang mit dem EWZ verwendet werden. Es sind diese Arbeitsbedingungen und die Bedingungen der Stromversorgung, um welche es sich zu kämpfen lohnt.

Heute ist das EWZ (immer noch) eine Dienstabteilung der Stadt Zürich, sie hat also als Teil der Stadtverwaltung einen öffentlichen Auftrag gegenüber der städtischen Bevölkerung. Es ist hier schwieriger als anderswo, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern oder die Strompreise ohne weiteres zu verändern. Die Kollektivität ist in einem Staatsbetrieb tendenziell höher als in einem ausgegliederten Unternehmen, welches alle vier Jahre mit Lohndrückerei und ähnlichen Mitteln um die Gunst des Staates kämpfen muss. Ein ausgegliedertes Unternehmen hat nämlich auch eine "ausgegliederte Belegschaft", die zu ihren KollegInnen von anderen Betrieben in Zukunft in stärkerer Konkurrenz stehen soll. Das erschwert die gewerkschaftliche Betriebsarbeit erheblich und für gute Gesamtarbeitsverträge wird die Luft dünn, sobald es in Richtung Privatisierung geht.


Volksabstimmungen und Exponenten der Privatisierungen

Vor sechzehn Jahren, am 18. Juni 2000, erlebte das EWZ bereits einen ersten Privatisierungsangriff unter Stadtrat Thomas Wagner. Es kam zur Volksabstimmung um die "Ausgliederung" des Elektrizitätswerkes. Ausgliederungen sind jedoch immer Vorbereitungshandlungen zur Privatisierung. Das zeigen zahllose Beispiele. Das jüngste ist vielleicht das Kantonsspital Winterthur, bei dem sich nach der Ausgliederung heute die Privatisierung scheinbar unumkehrbar aufdrängt. Sind einmal die Fakten geschaffen, dann gibt es selten wieder ein Zurück. Das wissen die TaktiererInnen in Amtsstuben und Konzernleitungen. Mit "Ausgliederung" ist gemeint, dass sich die Rechtsform des EWZ in eine Aktiengesellschaft im Besitze der Stadt oder in eine öffentlich-rechtliche Anstalt verwandeln würde; sie würde "verselbständigt" unter vorläufiger Kontrolle der Stadt. De Facto wäre das zwar noch keine Privatisierung, aber es würden damit alle notwendigen Voraussetzungen für eine Privatisierung geschaffen. Der Schritt zum Verkauf an Private wird vorbereitet.

Die Bourgoisie argumentierte in Hinblick auf die Abstimmung im Juni 2000 schon damals gleich wie heute. Conrad Ammann, damaliger Direktor des EWZ, brachte es auf den Punkt wenn er sagte: "Strategien und wichtige Entscheide können (heutzutage) nicht mehr monatelang in der Öffentlichkeit diskutiert und so den Konkurrenten offengelegt werden. Mut zum Risiko, schnelles Handeln, Geheimhaltung sind gefragt - alles Anforderungen die nicht so recht zu einer städtischen Dienstabteilung passen." Deutlicher kann nicht ausgedrückt werden, dass es hierbei um Profit und nur nachgelagert um eine sichere und ökologische Stromversorgung geht. Es geht um Konkurrenz zwischen den verschiedenen Anbietern, um die unweigerliche Logik der kapitalistischen Produktionsweise. Unterstützt wurde Conrad Ammann dabei vom Zürcher Stadtrat in der Person von Thomas Wagner.

Während damals im Hintergrund schon Gespräche mit dem US-amerikanischen Energiekonzern Enron geführt wurden, wurde die städtische Volksabstimmung zum Bedauern der PrivatisiererInnen abgelehnt. Die Kampagne wurde damals von den gut organisierten Angestellten und unabhängig von den grösseren Gewerkschaften geführt und gewonnen. Enron als privater Energiekonzern geriet nur ein Jahr später aufgrund fortgesetzter Bilanzfälschungen in die Medien. Damit sorgte der Konzern für einen der grössten Unternehmensskandale der US-amerikanischen Geschichte. Freuen durften sich Conrad Ammann und Altstadtrat Thomas Wagner aber trotzdem: Der eine ist jetzt Verwaltungsrat bei der Energie AG Alpiq. Der andere konnte sich ein einträgliches Pöstchen als Aufsichtsrat beim mittlerweile privatisierten Stadtzürcher Gaswerk Energie 360° schnappen. Die Bourgeoisie dankt den Privatisierungsexponenten auf ihre Weise.

Gegenwärtig wird im Zürcher Parlament wieder eine Vorlage zur Ausgliederung des Elektrizitätswerkes behandelt. Diese wurde im September 2015 unter Stadtrat Andreas Türler (FDP) lanciert. Die Argumentation der BefürworterInnen ist gleich geblieben. Dabei sind heute schon zwei Dinge klar: Diese Vor-Privatisierung muss bekämpft werden und Türler kann sich unabhängig vom Ausgang des Kampfes des Danks der Bourgoisie jetzt schon sicher sein. Neben der Ausgliederungsbestrebung werden im EWZ aber gegenwärtig strukturelle Veränderungen vorgenommen, die die Ausgliederung heute schon erleichtern, etwa die Aufgliederung in profitable und unprofitable Bereiche. Ob die Ausgliederung gegenwärtig eine reale Chance haben wird, ist noch unklar. Der Privatisierungsdruck ist aber unweigerlich gestiegen.


Die Sache mit den TISA-Verhandlungen

Was bedeutet die Privatisierung aber für die Standortpolitik? Essentiell für die Stadt Zürich ist, dass nach einer Privatisierung zukünftig Verträge mit Grosskunden gemacht werden können, mit welchen diese den Strom zu nicht kostendeckenden Preisen einkaufen dürfen. Will die Stadt Zürich also im kapitalistischen Standortwettbewerb bestehen können, muss sie den Konzernen im Zeitalter der Stromprivatisierung plötzlich sehr billigen Strom anbieten und mit anderen "Standorten" mithalten können. Da private Haushalte bisher nicht der Marktöffnung unterstehen, würden diese die dadurch verursachten Verluste mit ihren festen Tarifen bezahlen. Mit der simplen und rein technokratisch anmutenden "Rechtsformänderung" wäre das EWZ indes plötzlich der Öffentlichkeit entzogen.

Zusätzlich zu dieser Entwicklung dürften die Saläre der obersten Kader explodieren, da diese dann nicht mehr dem städtischen Personairecht unterstehen würden. Aktuell ist der höchste EWZ-Lohn 4,5x höher als der niedrigste. Wenn also diese Ausgliederung durchgesetzt werden sollte, würde mit dem Hinweis auf "Marktüblichkeit" oben kräftig abgesahnt und unten im Rahmen von den altbekannten Sparprogrammen gedrückt werden.

Was heute diesbezüglich geschieht, ist für die gegenwärtigen TISA-Verhandlungen wichtig. Auch die Gegenseite hat aus dem Widerstand gegen Privatisierungen gelernt. So beinhaltet das "Trade in Services Agreement" die sogenannte "Ratchet-Klausel". Gemäss dieser Klausel dürfen einmal vollzogene Marktöffnungen nicht mehr rückgängig gemacht werden. Es ist also notwendig, die konkreten und heute anstehenden Privatisierungen zu bekämpfen und dabei die internationalen Verträge nicht aus den Augen zu lassen.

Dass der Kampf im Betrieb und jener auf der Strasse zwei Seiten der gleichen Medaille sein müssen, zeigt sich am Beispiel der Privatisierungsangriffe. "Liberalisierungen" haben nur für das Kapital etwas mit Freiheit zu tun.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 86, September/Oktober 2016, Seite 6
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2016

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