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AUFBAU/503: "Die Alten werden immer älter ...!


aufbau Nr. 89, Mai/Juni 2017
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"Die Alten werden immer älter..."


RENTENREFORM Die Altersvorsorge 2020 wurde im März 2017 fertig durch das Parlament geschleift und liegt demnächst zur Abstimmung vor. Die Reform wird als unabwendbar bezeichnet - bezahlen müssen sie die Lohnabhängigen, Frauen sollen länger arbeiten.


(az) Die Rente sei in Gefahr, wird gesagt. Im Zeitalter von (versuchten) Unternehmenssteuerreformen und Banken, die beispielsweise im Grossraum Zürich jahrelang keine Steuern zahlen, sind gemäss dem Bund ausgerechnet die Alten Schuld an der finanziellen Misere. Der Grund sei simpel: Sie werden immer älter. Was unter Zuhilfenahme des alltäglichen Verständnisses selbstverständlich sehr begrüssenswert wäre, wird im Kapitalismus zum Problem. Wer keinen Mehrwert (mehr) produzieren kann, gilt gemeinhin als Kostenfaktor. Dies auch dann, wenn man ein Leben lang gemalocht und in die AHV und Pensionskasse einbezahlt hat. In eine Pensionskasse, die einem zum Zwangssparen anhält und grundsätzlich abgeschafft gehören würde. Bereits im Aufbau Nummer 84 haben wir über die Rentenreform 2020 berichtet, welche nun im September 2017 zur Abstimmung kommen wird. Die Umsetzung dieser Reform war und ist für den Bundesrat heikel, gehen doch die AHV und die Pensionskassen im Gegensatz zu (anderen) Sozialwerken die gesamte Bevölkerung etwas an. Die Spaltung der Lohnabhängigen gestaltet sich schwerer als etwa bei der Invalidenversicherung; das kollektive Interesse an der AHV stellt in der Schweiz eine wichtige Bastion des Klassenbewusstseins dar. So ist es nicht verwunderlich, dass Verschlechterungen des Rentensystems an der Wahlurne schon mehrmals gescheitert sind. Unvergessen bleibt etwa die Abstimmung von 2010, als ein tieferer Pensionskassen-Umwandlungssatz abgelehnt wurde, wie auch AHV-Reformen, die bereits im Parlament gescheitert sind. An der Renten-Frage können sich alle bürgerlichen Kräfte von links bis rechts die Finger verbrennen. Auch die SVP-Basis hat in dieser Hinsicht oft eine andere Position als ihre stinkreichen Parlaments-VertreterInnen.

Die SP orchestriert die Umsetzbarkeit der Reform

Wenn es für den Bund also um die konkrete Umsetzung von Rentenabbau geht, dann muss er taktisch geschickt vorgehen. Etwa mit Bundesrat Alain Berset von der SP: Er betonte seit mehreren Jahren die Unumkehrbarkeit einer offenbar rein technisch notwendigen Rentenanpassung. Schon 2014 sprach er am "Annual Dinner" des liberalen Thinktanks "Avenir Suisse" vor und warnte, dass das Rentenpaket nur als "ausgewogenes Gesamtpaket" durchsetzbar sei. Übersetzt heisst dies, dass es Zugeständnisse an die lohnabhängige Bevölkerung benötigt, um sich das "Ja" zu einer Reform an der Urne zu sichern. Er repräsentierte in dieser Hinsicht eine taktisch umsetzungsstarke Sozialdemokratie, welche sich in den letzten zwanzig Jahren in ganz Europa nie zu schade war, soziale Verschlechterungen gegen alle Widerstände (auch parteiintern) durchzusetzen. In der Schweiz war es seit den Neunzigerjahren stets die SP, die die Regierungsverantwortung für diese Verschlechterungen übernommen hatte.

Anders verhielten sich im Vorfeld die SVP und die FDP. Sie zeigten sich offensiver und befürworteten eine schärfere Reform mit Rentenalter 67, welche nun im Parlament vorerst abgelehnt wurde. Dies in der Hoffnung, dass das Wahlvolk im Herbst sowieso nach ihrer Geige tanzen und sich von den Untergangsszenarien der AHV einschüchtern lassen würde. Die Erfahrung besagt jedoch das Gegenteil.

Die realistischere Einschätzung hatte demnach die SP mit ihrem "ausgewogenen" Gesamtpaket. Das Resultat daraus ist die nur scheinbar absurde Situation, dass Berset die Rentenreform gegen die stärksten rechtsbürgerlichen Parteien zugunsten der Umsetzbarkeit verteidigt. Eine Reform übrigens, die das Rentensystem bis 2030 sichern soll. "Es ist also nichts vorhersehbarer, als dass der nächste Angriff kommt. Die Rentenreform dürfte letztlich sowieso zum Einfallstor für das Rentenalter 67 werden. Die Frage ist aber, wer dieses Tor öffnen will: Die SP tut dies derweil gerne und schafft damit längerfristig an der Akzeptanz gegenüber der Rentenaltererhöhung.

Kampf innerhalb der reformistischen Linken

Innerhalb der reformistischen und gewerkschaftlichen Linken war diese Reform zunächst alles andere als unumstritten. Doch die linke Opposition gegen Bersets Pläne konnte sich nicht durchsetzen gegen Stimmen wie Christiane Brunner, welche öffentlich propagierte, die Reform habe Vorteile für alle, auch für Frauen. Und auch ehemals verbal-radikale Juso-VertreterInnen zeigten sich plötzlich pragmatisch gesinnt. Das hat seine eigene Logik: Will die SP als fähige Regierungspartei im bürgerlichen Staat anerkannt sein, so muss sie "Verantwortung" übernehmen, Mehrheiten schaffen und ihr fatales Rentenprojekt gegen alle Widerstände durchboxen.

Zurück zu den älter werdenden Alten: Angesichts des enormen Mehrwerts, den die lohnabhängige Bevölkerung in ihrer werktätigen Lebenszeit als Profit in die Taschen der Unternehmen zu schaufeln gezwungen ist, muss prinzipiell nicht lange darüber diskutiert werden, dass die AHV von den UnternehmerInnen finanziert werden könnte. Das ist eine Frage des politischen Willens. Die vorliegende Reform geht aber alleine auf Kosten der lohnabhängigen Klasse, nämlich via längerer Arbeitszeit für Frauen, Lohnprozenten, und der unsozialen Mehrwertsteuer.

Die Gewerkschaften müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, zu wenig gegen diese fatale Rentenreform getan zu haben. Es ist offensichtlich, dass durch das gegenwärtige Taktieren die letzten Grundfesten einer Klassenpolitik zersetzt werden. Will die (reformistische) Linke aus der gegenwärtigen politischen Defensive wieder herauskommen, so muss sie sich strategische Gedanken machen: Etwa über eine Politik, die die gesamte lohnabhängige Klasse als Subjekt erfasst. Also über eine Politik, die die lohnabhängige Klasse stärkt und kollektive Klassenforderungen ermöglicht. Die AHV wäre gut veranlagt für eine solche Politik.


Wesentliche Veränderungen der Rentenreform

Verbesserungen für Lohnabhängige:
- Erhöhung für AHV-NeurentnerInnen um CHF 70 monatlich, für Ehepaare um CHF 226

Verschlechterungen für Lohnabhängige:
- Erhöhung des Frauenrentenalters von 64 auf 65
- Senkung des Mindestumwandlungssatzes der Pensionskasse von 6,8% auf 6% (nach der Pensionierung wird dir jährlich nur noch 6% deines Pensionskassenkapitals ausbezahlt, eine Rentenkürzung von 12%)
- Mehrwertsteuer wird von 8% auf 8,6% angehoben - Erhöhung der Lohnprozente um 0,3% ab 2021

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 89, Mai/Juni 2017, Seite 13
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2017

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