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AUFBAU/531: Abtreibung hat im Strafgesetzbuch nichts verloren


aufbau Nr. 92, März/April 2018
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Abtreibung hat im Strafgesetzbuch nichts verloren


ABTREIBUNGSRECHT In Deutschland wurde eine Allgemeinärztin verurteilt, weil sie auf ihrer Homepage über Schwangerschaftsabbruch informierte. Diese Geschichte zeigt vor allem eines: Der Kampf um das Recht auf Abtreibung ist noch nicht ausgefochten. Der Schwangerschaftsabbruch muss endlich raus aus dem Strafgesetzbuch.


(agfk) Im Artikel zum Begriff Selbstbestimmung (Seite 7) erwähnen wir, dass die Angriffe auf das Abtreibungsrecht im Zuge der reaktionären Entwicklung wieder zunehmen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Fall Kristina Hänel. Kristina Hänel ist Frauenärztin und die Einzige, die in der Region Giessen Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Sie wurde zu einer Busse von 6000 Euro verurteilt, weil sie gegen Artikel 219a verstiess, welcher wie folgt lautet: "Wer öffentlich (...) seines Vermögensvorteils wegen eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs (...) anbietet, ankündigt oder anpreist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Ja, unglaublich, eine Ärztin darf schreiben, sie biete Jahreskontrollen, Schwangerschaftskontrollen oder Brustvergrösserung an, alles ok - steht aber Schwangerschaftsabbruch in der Liste, muss sie schlimmstenfalls bis zu zwei Jahre in Haft! Und dies obwohl in Deutschland der Schwangerschaftsabbruch legal ist. Hinter dem Verbot von "Werbung" versteckt sich die strukturelle Gewalt. die der Staat gegen Frauen ausübt: Frauen sollen, wenn es nach dem Staat geht, nicht frei über ihre Körper und ihre Reproduktionsarbeit verfügen können. Der Artikel 219a stammt übrigens aus dem Jahr 1933 und wurde von den Nazis ins Strafgesetz eingefügt. Trotz vieler Kämpfe dagegen wurde seine Streichung bis heute verhindert. Der Artikel dient heute den reaktionären AbtreibungsgegnerInnen, die aktuell wieder offener gegen Abtreibung mobilisieren: Auf der Strasse vor den Kliniken mit Plastik-Embryonen, am "Marsch fürs Leben", im Internet, wo sie Namen von FrauenärztInnen veröffentlichen, welche Abtreibungen durchführen oder eben auf juristischer Ebene. Die Folgen sind spürbar: Informationen werden von der Homepage entfernt, Frauen werden kriminalisiert und als "Mörderinnen" bezeichnet und es gibt immer weniger GynäkologInnen, die den Schwangerschaftsabbruch anbieten. In Deutschland werden darum ÄrztInnen aus Holland angeworben. In Italien weigern sich rund 70% der FrauenärztInnen, eine Abtreibung durchzuführen.

Bei der Abtreibungsdebatte geht es um Sexualität

Für Hänel ist es kein Zufall, dass die Abtreibung so hart umkämpft ist: "Sexualität steht für Freiheit. Deswegen bekämpfen alle totalitären Regimes Abtreibung, Homosexualität und Prostitution. Das war und ist auf der ganzen Welt schon immer so gewesen. Man kann es gerade in Amerika und der Türkei beobachten. Die Abtreibungsdebatte hängt mit der Sexualität zusammen. Für mich ist die Abtreibungsfrage eine der politischsten Fragen überhaupt." Darum hat das Urteil Kristina Hänel angespornt: Sie hat Berufung eingelegt, eine Petition gegen Artikel 219a beim Bundestag eingereicht und ist überwältigt von der Solidarität, die sie erlebt: "Bei mir auf dem Land ist es besonders auffällig, ich werde von allen quasi beglückwünscht, alle halten zu mir." Auch am Prozesstag waren im Saal und draussen viele Menschen und begannen zu pfeifen und zu schreien, als das Urteil bekannt wurde.

Artikel 218 und Artikel 118 müssen weg

Der Prozess gegen Hänel hat eine öffentliche Debatte angestossen, die längst wieder fällig war: Die Streichung der Artikel aus dem Strafgesetzbuch. Vorerst geht es vor allem um den Artikel 219a, doch perspektivisch ist klar: Die Abtreibung hat im Strafgesetzbuch nichts verloren und es ist skandalös und ewiggestrig, dass in Deutschland Artikel 218, und mit fast demselben Wortlaut Artikel 118 in der Schweiz, bis heute existieren. In der Schweiz steht ausserdem, dass bei jedem Gespräch vor einer Abtreibung "Auskunft über die Möglichkeit, das geborene Kind zur Adoption freizugeben" gemacht werden muss, andernfalls Haft oder Busse für die beratenden ÄrztInnen droht. Bei keiner anderen medizinischen Intervention ist es im Strafgesetzbuch festgelegt und so genau beschrieben, mit welchen Worten die Aufklärung erfolgen muss. Das zeigt einmal mehr, dass das Recht auf Abtreibung ein höchst politisches ist. Denn zur Unterwerfung und Unterdrückung der Frauen ist die Kontrolle der Sexualität und deren Fruchtbarkeit zentral. Darum werden wir auch in Zukunft das Recht, selbst über unseren Körper bestimmen zu dürfen, verteidigen müssen.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 92, März/April 2018, Seite 9
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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Internet: www.aufbau.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2018

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