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CORREOS/076: Honduras - "Unter Waffendrohung kann man nicht wählen"


Correos des las Américas - Nr. 159, 28. Oktober 2009

"Unter Waffendrohung kann man nicht wählen"

Sergio Ferrari interviewt Betty Matamoros


Ein wenig mehr als hundert Tage nach dem Staatsstreich gegen die Regierung von Manuel "Mel" Zelaya Rosales ist Honduras noch immer einer stürmischen internen Dynamik ausgesetzt. Die Repression wird aufrechterhalten, solange der gewaltfreie Widerstand fortgesetzt wird. Die internationale Gemeinschaft hat sich bisher wiederholt für die Wiedereinsetzung des abgesetzten Präsidenten ausgesprochen, obwohl sie zweideutige Haltungen bezüglich einer Lösung der Krise und den von den Putschisten auf Ende November angesetzten Wahlen einnimmt.


SERGIO FERRARI: Welches ist das Hauptziel Ihres Besuchs in Europa?

BETTY MATAMOROS: Die Widerstandsfront gegen den Staatsstreich ist wegen des internen Drucks, dem wir ausgesetzt sind, ausgehend von der enormen Repression der Armee, sehr beunruhigt. Niemand garantiert für unsere Sicherheit. Weder ein Gericht noch ein Ministerium hält die Repression auf. Und wir konnten die mediale Marginalisierung, der wir während der ganzen Zeit ausgesetzt waren, nicht durchbrechen. Die zwingt uns, ausser Lande zu gehen. Der Widerstand wird im Inneren fortgesetzt, jedoch brauchen wir eine internationale Unterstützung. Ohne diese Unterstützung, ohne offene Augen und ohne offene Ohren, werden wir diesen Putsch, der verheerend für das Volk ist, nicht brechen können.

SERGIO FERRARI: Was geschieht heute im Land?

BETTY MATAMOROS: Es ist beeindruckend, je mehr Repression gegen das Volk ausgeübt wird, desto mehr stärkt sich der Widerstand.

SERGIO FERRARI: Ausgehend von der Beharrlichkeit des Widerstandes ist ein gewisser Erfolg spürbar?

BETTY MATAMOROS: Der Putsch bröckelt gegenüber dem gewaltlosen Widerstand. Sie würden sich gewaltsame Antworten wünschen, um noch mehr Gewalt ihrerseits rechtfertigen zu können. Dies gelingt ihnen nicht. Niemand anerkennt die Rechtsstaatlichkeit der Regierung von Roberto Micheletti. Andererseits tritt die Armee nicht mehr so martialisch auf wie noch vor einiger Zeit. Sie spürt, dass sie den gewaltlosen Widerstand nicht brechen konnte. Das Volk erteilt ihnen eine gewaltige Lehre: Es will Veränderungen, die mit ihren Forderungen und Bedürfnissen übereinstimmen. Die Militärs glaubten, dass die Leute sich wie in einer "Telenovela" verhalten, dass sie sich für 15 Tage wehren und dann von der Strasse verschwinden. Das Volk jedoch organisiert sich weiter und sagt ihnen: "Vorsicht! wir denken, wir sind informiert und wollen Veränderungen." Zurzeit hat der Putsch keine Möglichkeit, sich zu festigen.

SERGIO FERRARI: Für eine erste Bilanz: Bewertet die Widerstandfront die Art des gewaltlosen Widerstandes als positiv?

BETTY MATAMOROS: Ohne Zweifel. Das Volk widersteht, erduldet und muss seine Toten betrauern. Und die Putschisten zeigen sich der internationalen Gemeinschaft so wie sie sind, eben als Tyrannen.

SERGIO FERRARI: Was könnte aus dieser aktuellen, verfahrenen Situation heraus führen?

BETTY MATAMOROS: Dass die Leute weiterhin zusammenstehen. Der Widerstand zeigt grosse Kreativität. Und dass sie nicht von der Strasse ablassen, ihre Disziplin aufrechterhalten, dass sie sich weiterhin mit gewaltlosem Widerstand ausdrücken.

SERGIO FERRARI: Erschwert oder erleichtert die klandestine Rückkehr des abgesetzten Präsident Manuel Zelaya am 21. September nach Honduras und seine Unterbringung in der brasilianischen Botschaft in Tegucigalpa die Lösung des Konfliktes in Honduras?

BETTY MATAMOROS: Mel Zelaya kehrte zurück als Honduras international kein Thema mehr war. Die Möglichkeiten für Dialog und Verhandlungen drohten zu zerrinnen und der Vorschlag von San José (Costa Rica) war auf Eis gelegt. Es war offensichtlich, dass er als Präsident etwas tun musste. Die Rückkehr war eine kohärente Massnahme.

SERGIO FERRARI: Da Sie sich auf den Präsidenten Zelaya beziehen...... Könnten Sie uns erklären, ob er wirklich für ein volksnahes Projekt steht oder ob seine Situation als Opfer eines Putsches ausschlaggebend war für das Aufbegehren des Volkes?

BETTY MATAMOROS: Es geht weniger um die Person von Mel als um die Erfolge, die das Volk während seiner Amtszeit verzeichnen konnte. Dies ist Grund genug um ihn zu unterstützen. Das Volk verdankt ihm einige Errungenschaften. Wie zum Beispiel die Nichtprivatisierung und die Loslösung des Service Public aus dem Privateigentum. Es ist eine Anerkennung von der Volksbewegung, denn es war eine Hauptforderung unseres Kampfes. Zudem erlaubte er keine Konzessionsvergaben für die Ausbeutung von Minen und anderen natürlichen Ressourcen. Auch dies ist wichtig.

Mel Zelaya erreichte die Sicherung einer öffentlichen Ausschreibung für den Kauf von Treibstoff. Dies ermöglichte die Senkung des sehr hohen Benzinpreises und einen guten Vertrag mit der "Petrocaribe".

Auch ist die Auswirkung seiner Entscheidung, den Minimallohn von 2800 auf 5500 Lempiras zu erhöhen, nicht zu unterschätzen.

Zelaya befürwortete den Beitritt in die ALBA (Alternative Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América), der eine Forderung der Volksbewegung war. Es wurde erreicht, dass der Kongress der Republik den Beitritt verabschiedete. Das sind Errungenschaften, die dem Volk zeigten, dass Veränderungen mit der Präsidentschaft von Zelaya möglich waren. Dass Mel Zelaya sich auf das Volk besann und sich ihm zuwendete, zeichnet ihn aus.

Ein anderes wichtiges Argument: Zelaya unterstützt die Forderung für ein Referendum zur Einführung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung, die letztlich einer der Vorwände für den Putsch waren. Es ist zu erinnern, dass die Volksbewegung diese bereits 2005 im Zusammenhang mit dem Kampf gegen das Freihandelsabkommen forderte, da wir es als wichtig erachteten die Verfassung gegenüber dem zunehmendem Einfluss der Handelsabkommen zu stärken.

SERGIO FERRARI: Die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) schlägt seit Wochen einen Friedensplan vor. Vermittler ist der Präsident von Costa Rica, Oscar Arias. Ist dieser Vorschlag umsetzbar?

BETTY MATAMOROS: Er zeigt auf, dass ein Dialog möglich ist. Aber wir stimmen nur dem ersten Punkt des Vorschlags zu, der die Wiedereinsetzung des Präsidenten Zelaya und die Rückkehr zur verfassungsrechtlichen Ordnung vorsieht, die am 28. Juni aufgehoben wurde. Wir akzeptieren die Idee der Amnestie nicht, denn der Putsch ist ein Verbrechen und muss strafrechtlich geahndet werden. Zudem negiert der Vorschlag die vom Volk verlangte verfassungsgebende Versammlung, mit der weit reichende Reformen ermöglicht würden.

SERGIO FERRARI: Der De-facto-Präsident hat Wahlen für den nächsten 29. November einberufen. Können diese zu einer institutionellen Normalisierung des Landes beitragen?

BETTY MATAMOROS: Unter den aktuellen Bedingungen der Repression ist es unvorstellbar, an solchermassen illegitimen Wahlen teilzunehmen. Unter Waffendrohung können wir nicht wählen gehen. Zudem können wir der Armee, die als Garantin der Wahlen fungiert und die unsere Rechte verletzt, nicht trauen. Das Volk hat nein zu diesen Wahlen gesagt. Wir gehen nicht wählen.

SERGIO FERRARI: Und ihre Aufforderung an die internationale Gemeinschaft?

BETTY MATAMOROS: An die Regierungen: dass sie die De-facto-Regierung unmissverständlich verurteilen, dass sie klare Sanktionen verabschieden und dass sie Zweideutigkeiten zwischen Rhetorik und Handlung vermeiden. Im Vergleich zu Lateinamerika, das klare und kohärente Positionen einnimmt, vermitteln die USA und Europa eine unentschlossene Haltung gegenüber dem Putsch.

Demzufolge bestehe ich auf 3 Forderungen: dass sie uns helfen, die verfassungsrechtliche und institutionelle Ordnung wiederherzustellen; dass sie es unterlassen, einen illegalen Wahlgang zu finanzieren und dass sie, so wie ich es vorhin sagte, eindeutige und harte Massnahmen ergreifen, um die Putschisten zum Rückzug zu zwingen.

Den sozialen Bewegungen und der internationalen Solidarität, sei es in Europa, Lateinamerika oder in den USA, danken wir für ihr Engagement und ihre Hingabe. Ohne ihre Unterstützung wären wir möglicherweise bereits von der Landkarte und der internationalen Agenda weggewischt worden. Wir hätten unseren Widerstand nicht aufrechterhalten können.

SERGIO FERRARI: Wie erleben die Militanten im Widerstand die tägliche Repression und wie schützen sie sich in diesem Ausnahmezustand?

BETTY MATAMOROS: Die Gefahr besteht immer. Wir wissen, dass die Gegenseite zu jeder Zeit agieren kann. Wir haben keine Angst. Wenn wir z.B. eine solche Rundreise im Namen des unterdrückten Volkes machen, übernehmen wir eine Verantwortung. Müssten wir unser Leben für dieses Volk geben, würden wir es gerne tun. Es erfüllt uns mit Stolz alles für ein Volk zu geben, das fühlt, wann der Zeitpunkt einer Veränderung gekommen ist und sich entschieden hat Protagonist zu sein.


Betty Matamoros, 47 Jahre alt, Verantwortliche für Internationale Beziehungen der Widerstandsfront, ist Volksschullehrerin. Neben den 15 Jahren Berufstätigkeit in diesem Bereich fördert und stärkt sie auch Frauenorganisationen. Im Jahr 2006 nimmt sie an der Schule "Escuela de Incidencia Política del Instituto Hondureño" teil. Seit dem Mai 2006 bis zum Dezember des letzten Jahres arbeitete sie an der Schule "Escuela Metodológica Nacional en Educación Popular", die der "Coordinadora Nacional de Resistencia Popular" angehört. Sie vertritt diese Schule im Netzwerk "ALFORJA" mit Sitz in San Salvador. Zurzeit ist sie Teil der Schule "Escuela de Género de la Coordinadora" und ist verantwortlich für Internationale Beziehungen des "Frente Nacional contra el Golpe de Estado".


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Der Widerstand ist reine Volkssache

(sf) Die Widerstandsfront entsteht am 28. Juni gegen den Staatsstreich. Getragen wird sie von den Volksorganisationen, d.h. von den LehrerInnen, den BäuerInnen, den ArbeiterInnen, den Indígenas, den Schwarzen und den KünstlerInnen.... , von allen Sektoren, denen ihre Rechte genommen wurden. Es ist wichtig zu verstehen, dass das Volk vorher keine Organisierung hatte und sich jetzt im Frente zusammengeschlossen hat.

Das ist neu. In Honduras sind 1.5 Millionen Personen arbeitstätig und nur 7% davon sind organisiert. Was heisst das? Dass die Mehrheit der Leute, die am Widerstand teilnehmen, puro pueblo sind, normale, nicht organisierte Menschen aus dem Volk. Die sich zusammen tun, wenn sie sehen, dass ihre Rechte verletzt werden. Heute organisieren sich alle: die Stadtteile im Widerstand, die AnwältInnen im Widerstand, die Angestellten des Gesundheitswesens im Widerstand... Dies ist eine grosse Lehre für die Volksbewegungen: Wird die Notwendigkeit verspürt, sich zusammen zu tun, organisiert sich das gemeine Volk von alleine und verlangt die direkte Beteiligung. Jeden Sonntag werden Vollversammlungen in den Departementen abgehalten, an denen die aktuelle Situation diskutiert wird. Es wird ausgewertet und nächste Aktionen werden vorgeschlagen. Die Entscheidungen werden kollektiv getroffen. Die Leute selbst sagen uns, was zu tun ist. Eine sehr sympathische Form von Widerstand entwickelte sich, die wir "Bullaranga" nennen. In jedem Quartier machen die Leute Lärm, z.B. mit Trillerpfeifen, bis in die Nacht hinein, als Protest gegen den Putsch. Es ist für die Polizei unmöglich, so viele Leute zur selben Zeit zu kontrollieren. Es ist eine Art des Aufstandes. Nach dem Putsch informierten wir die Leute, dass sie nicht illegal handelten. Die Verfassung der Republik erlaubt dies. Im 3. Artikel der Verfassung steht, dass man keiner Regierung, die widerrechtlich und mit Waffengewalt die Macht an sich gerissen hat, Folge leisten muss. Der Aufstand ist somit verfassungskonform. Die Leute wissen es, sie kennen diesen Verfassungsartikel und machen sich den Protest zu eigen und verstehen ihn als grundlegende Notwendigkeit. Der Widerstand ist das Volk.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 159, 28. Oktober 2009, S. 3-4
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2009