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CORREOS/083: Lateinamerikanische Putschkonsequenzen und mediales Lamento hier


Correos des las Américas - Nr. 160, 21. Dezember 2009

Weichenstellung
Lateinamerikanische Putschkonsequenzen und mediales Lamento hier.

Von Dieter Drüssel


In Lateinamerika gewinnt Washington mit dem Putsch in Honduras, der Frontstellung gegen Bolivien und einer permanenten Militarisierung wenig Sympathien. Dies zeichnet ein Leitartikel der NZZ vom 12. Dezember nach ("Der gute, der böse und der unentbehrliche Gringo"), der nichtsdestostrahlender das Manko bei den Angegriffenen zu situieren weiss: "Die liebgewonnenen Zerrbilder vom Amerikaner bleiben in Lateinamerika erhalten". Dort zwingen die Komplexhaufen Washington das zu tun, was solche Komplexe fördert. Klar? So gelang es etwa den kubanischen "Castro-Brüdern", den doch "unvoreingenommenen" Obama auszumanövrieren: "Das Handelsembargo bleibt dem Castro-Regime erhalten". Also: Raffiniert diktiert Fidel dem Weissen Haus etwa das Verbot für Merck, Medikamente für Kinder mit Leukämie nach Kuba zu verkaufen.

Oder Honduras. Ohne Putsch hätte Chávez dort das Sagen. Doch mit dem Putsch kann "Chávez noch heftiger gegen das 'Imperium' vom Leder ziehen". Wegen eines "diplomatischen Fehler sondergleichen" (id). Am 3. November nämlich hatte Tom Shannon, Lateinamerikachef im State Department, seelenruhig erklärt, die USA würden das honduranische Wahlergebnis vom 29. November anerkennen, egal, ob das Putschregime zuvor abtrete oder nicht. Der Mister hatte einige Tage zuvor das "Abkommen von Tegucigalpa" zwischen der rechtmässigen Regierung Zelaya und dem Putschlager durchgedrückt. Dessen springender, aber nebulös formulierter Punkt: Mel Zelaya kehrt vor dem Wahlgang wieder ins Präsidentenamt zurück. Fuck it, sagte Shannon den Kumpels in Tegucigalpa, und damit war denen das Thema vom Tisch. Sozusagen zu Recht: "Grosse Bedeutung kam der hohen Wahlbeteiligung zu", Zelayas "Anhänger hatten vergeblich mit ihrem Boykott versucht, die Legitimität eines neuen Präsidenten weiter zu untergraben" (NZZ, O.I., 1.12.09).

Ach ja? Mittlerweile korrigierte auch die NZZ solche Angaben. Die jetzt eingetretene Entwicklung der schrittweisen Zurücknahme der Angaben von einer "Rekordbeteiligung" hatte der Widerstand prognostiziert. In einem ersten Moment wird massiv Stimmung für das imperialistische Projekt erzeugt. Man extrapoliere etwa aufgrund der Akten einiger weniger Wahllokale in reichen Wohngegenden nationale Beteiligungszahlen, auch wenn alle wissen: Die Reichen gingen wählen, die Armen kaum. Später nehme man scheibchenweise und von den Medien kaum noch registriert zurück, was nicht mehr aufrecht zu halten ist.

Natürlich freut sich das State Department über die "hohe" Beteiligung an den von ihm ausgerichteten Wahlen ("Wir geben technische Unterstützung, um den Honduranern zu helfen und sicher zu stellen, dass dies freie, faire und transparente Wahlen sind". Jan Kelly, State Department, Pressekonferenz, 24.11.09). Hillary Clinton offizialisiert aber überdies die Auslegung, die Wahlen bedeuteten eine demokratische Absage sowohl an den gestürzten wie auch den Putschpräsidenten, beide aus der jetzt abgewählten liberalen Partei: Die Leute in Honduras "nahmen in grosser Zahl an den Wahlen teil und haben tatsächlich die Partei sowohl von Präsident Zelaya und des Defacto-Führers, Herrn Micheletti, abgewählt" (State Department, 11.12.09). Klar doch. "Wahlsieger" Pepe Lobo kommandierte (nach der irreversiblen Spaltung der Liberalen) die grösste Partei im Parlament und hatte es in der Hand, das nachträglich gelieferte parlamentarische Putschdekret erst gar nicht durchzuwinken oder später zumindest zurückzunehmen. Tat der Putschist nicht, spielt aber keine Rolle, denn er vertritt "die Zukunft" - also die ersehnte Wiederherstellung des Status quo ante im "Hinterhof".

Absurd war Washingtons Idee nach der Wahlfarce. Zelaya doch noch in die Casa Presidencial zu befördern, um der Amtsübergabe Ende Januar einen demokratischen Stallgeruch zu verleihen. Dafür gibt sich Zelaya nicht her und das Regime muss jetzt noch antisoziale Pflöcke einschlagen, um seinem Lobo das Regieren danach zu erleichtern. Die Obama-Administration sattelt zurzeit auf eine Ersatzmähre um und halluziniert von einer "nationalen Einheitsregierung" (ohne Zelaya), damit diese, und nicht Micheletti, die Schärpe überreiche. Letzterer aber hockt - er weiss, jedes faktische Schuldeingeständnis kann ihm später zum Strick werden. Basis für solche Kapriolen ist das monotone Washingtoner Gerede von den Wahlen als "notwendigem, aber nicht hinreichendem Schritt". Brüssel übernimmt diese Sprachregelung, denn man will lieber gestern als heute den Freihandelvertrag mit Zentralamerika unter "demokratisches" Dach und Fach bringen. In diesen Quartieren gilt derzeit: Micheletti ist (etwas) pfui, aber seine Wahlinszenierung bestechend und nun wird alles gut. Dieser Position hat sich mittlerweile auch Insulza, Generalsekretär der Organisation der Amerikanischen Staaten (DAS). angenähert, der weiss, wo sein Brotkorb hängt.

Dennoch ist international nicht alles paletti für die USA. Die lateinamerikanischen Regierungen kennen die Gefahr, die vom Putsch in Honduras für die ganze Region ausgeht. In einer ANSA-Depesche vom 26. November 2009 aus San Paulo spricht der aussenpolitische Berater des brasilianischen Präsidenten Lula, Mauro Aurelio Garcia, Klartext: "Unsere Sorge geht dahin, dass (die US-Amerikaner) die These vom präventiven Staatsstreich in Lateinamerika einführen". Und am 2. Dezember zitierte die mexikanische Zeitung La Jornada Lula über die Möglichkeit einer Anerkennung des "Wahlsiegers" Porfirio Lobo: "Es gibt keinen Spielraum für Konzessionen an den Putschisten. Punkt". Kurzfristig hat die Obama-Administration Erfolg mit ihrer Spaltung der kontinentalen Einheit: langfristig stehen politische Kosten an. Die langjährige New-York-Times-Kolumnistin für Lateinamerika, Marcela Sánchez, zitiert eine Quelle im State Department mit der Einschätzung: "Wir sind zur alten Dynamik 'alle gegen die USA' zurückgekehrt" (pontealdia.com, 17.11.09). Die lateinamerikanischen Hoffnungen auf einen "anderen" Obama? up in smoke!

Das imperialistische Establishment propagierte Lula eben noch als bezaubernde Alternative zum "Populismus" eines Evo Morales oder eines Hugo Chávez. Der Mann hatte ja auch seine Verdienste: Führung der Besatzungstruppen in Haiti, Unterwerfung der brasilianischen Landwirtschaft unter die Patente von Mosanto da machte man gute Mine zum bösen südamerikanischen Unabhängigkeitsspiel Unasur. Doch hört, wie es jetzt tönt, wo Brasilien weder beim Putsch noch bei den US-Militärbasen im Südkontinent mitspielt: "Brasiliens Aufkommen als hemisphärisches Machtgebilde war eine Herausforderung und - in aussenpolitischer Hinsicht - eine Enttäuschung für Präsident Barack Obama, der, wie George W. Bush, mit dem charismatischen Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva eine enge Beziehung entwickelt hatte. 'Die Welt hoffte, dass es ein verantwortungsbewusster globaler Player und Stakeholder würde. Aber stattdessen benimmt sich Brasilien wie ein unreifes Entwicklungsland', meint Moisés Naim, Herausgeber des Foreign Affairs-Magazin" (Wall Street Journal, 2.12.09: U.S. Faces Rising Resistance to Its Latin American Policy).

Die OAS steht heute vor einer Existenzfrage oder ist schon daran gescheitert, Ihre alte Funktion als" Kolonialdepartement" der USA (Che Guevara) kann sie heute nicht mehr wahrnehmen, ihr Versuch, bei Honduras auf Druck der ALBA-Länder Unabhängigkeit gegenüber den USA zu markieren, ist faktisch gescheitert. Washington zuckte die Schultern und ihre Resolutionen gegen die Putschisten blieben Papier. Insulzas Hoffnungen auf einen demokratischen Lobo bei gleichzeitiger Distanzierung von Micheletti sind nur das Einüben des alten Kniefalls.

Die Karten im Kontinent werden neu gemischt. Washington hofft nach der Schlappe in Uruguay und der Kanterniederlage in Bolivien auf rechte Wahlsiege in Chile (leider geschenkt), Argentinien (zu befürchten) und vor allem Brasilien (kontinentale Verschärfung). Die vom honduranischen Widerstand erwartete Zunahme (nicht Linderung!) der Repression unter Lobo steht für diese Tendenz. Da aber "nur das Volk das Volk retten kann" und dies immer mehr wissen, haben wir die konkrete Möglichkeit eines realen Zusammenkommens aller emanzipatorischen Kräfte im Kontinent, mit all ihrer enormen Unterschiedlichkeit. Vom lesbisch-schwulen-transsexuellen Basisgrüppchen (das in Honduras seit dem Putsch brutal wie nie verfolgt wird) über die grossem sozialen und politischen Kräfte bis hin zu den ALBA-Regierungen. Das herrschaftliche Lamento über "populistische Impulse und Vorurteile" reflektiert nur die dunkle Ahnung, dass sich die unten der "paternalistischen" Kontrolle entziehen.


"Wahlen'" in Honduras

Seit dem 3. Dezember weist das honduranische Wahlgericht TSE bei fortlaufender (bzw. seit Tagen jetzt stockender) Aktenauszählung eine Wahlbeteiligung von unter 49% aus und nicht mehr, wie zu Beginn, von über 61%. Auch Jesse Freeston vom linken TV-Internetprojekt The Real News mit einem Millionen-Auditorium ist nicht überrascht: "Diese Angabe von 62% tauchte um 10h in der Wahlnacht auf, nachdem das Computersystem des Wahlgerichts für drei Stunden zusammengebrochen war"
(http://therealnews.com/t2/index.php?option=com_content&task=view&id=31&ltemid=74&jumival=4573). Die Zahl habe TSE-Chet Saúl Escobar erfunden, versicherte ein hoher TSE-Funktionär Freeston, der aber auf die Aufforderung, sich mit dieser Aussage filmen zu lassen, geantwortet habe: "Wollen Sie wirklich, dass ich erschossen werde?". US-Botschafterin Carmen Lomellin schwärmte am 4. Dezember an der OAS-Sondertagung zur Wahlfarce von "... bemerkenswert freien, fairen und transparenten Wahlen. Auch wenn die Zahlen noch nicht definitiv sind, haben beinahe zwei Drittel der registrierten WählerInnen ihre Stimme abgegeben" (id.).

Wie viele andere kommt Freeston aufgrund seiner dokumentierten Beobachtungen am Wahltag in San Pedro Sula zu einer wesentlich tieferen als der jetzt vom TSE offerierten Wahlbeteiligung, zu 37%. Selbst die Berichte der KorrespondentInnen von US-Medien wie der Washington Post und des Miami Herold gingen in die Richtung der von der Widerstandsfront angegebenen 70%-Wahlenthaltung. Beachtenswert weiter die extrem hohen Zahlen für ungültige und Leerstimmen, mit über 143.000 weit mehr als alle Stimmen für die neben den Liberalen und den Nationalen sonst noch antretenden Parteien (viele Proteste von zur Beteiligung Gezwungenen). Tatsache ist, trotz schwerer Repression inklusive Medienschliessung hat die Parole des Wahlboykotts obsiegt, die neue Regierung ist im Volk delegitimiert.


Zur Rolle der Schweiz

Auf eine Frage von Nationalrat Carlo Sommaruga (SP) zu den illegitimen Wahlen vom 29. November antwortete Aussenministerin Micheline Calmy-Rey am 1. Dezember einleitend mit der Standardformulierung, der Bundesrat anerkenne Staaten, nicht Regierungen. Ansonsten aber kritisierte sie, die Wahlen seien ohne die zuvor im Abkommen von Tegucigalpa von Ende Oktober ausgehandelten Bedingungen erfolgt, welche ihnen erst "ihre unabdingbare Legitimität" verliehen hätten. Die DEZA werde sich um nichtstaatliche Projektpartner kümmern. Zur Frage von Geri Müller (Grüne) zu einer von AFP verbreiteten Aussage von "Wahlsieger" Lobo, die Schweiz bereite seine Anerkennung vor, meiste die Bundesrätin, so etwas sei in keinem Moment vermittelt worden - also: Lobo lügt. Die Formel von der Anerkennung von Staaten, nicht Regierungen, lässt kaum Zweifel daran, dass die Schweiz mit Lobo diplomatische Beziehungen unterhalten wird. Wie tief geschraubt diese Beziehungen sein werden, wird sich zeigen. Auch, was die DEZA tun wird, deren Schweizer Personal vor Ort proputschistisch eingestellt ist.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 160, 21. Dezember 2009, S. 9-10
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2010