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CORREOS/104: Venezuela trotzt der Wirtschaftskrise


Correos des las Américas - Nr. 162, 16. Juli 2010

Venezuela trotzt der Wirtschaftskrise

Von César Villalona


Im September finden in Venezuela Parlamentswahlen an. Es soll dabei zu einer Bestätigung des seit langem existierenden Kräfteverhältnis kommen (60% für, 40% gegen den Bolivarismus). Pünktlich zur Wahlsaison eskaliert die internationale Medienhetze, auch hierzulande. Danach steht die «chavistische Diktatur» kurz vor ihrem mit Staatsinterventionismus und Korruption selbst verschuldeten Zusammenbruch. Da ist ein schneller Reality-Check angebracht.


(Caracas, 5.7.10) Während die wichtigsten kapitalistischen Nationen tief in der Wirtschaftskrise stecken, weist Venezuela wichtige Fortschritte in der Wirtschaft und bei seinen Sozialindikatoren auf. Während in europäischen Ländern die Arbeitslosigkeit zunimmt, die Sozialausgaben gekürzt und neue Steuerbelastungen eingeführt werden, wird in Venezuela der 2009 registrierte Fall der Wirtschaft gestoppt, bleibt die Beschäftigungslage stabil und kommt es zu Fortschritten bei den Milleniumszielen, wie der Präsident der 64. Sitzungsperiode der UNO-Vollversammlung, Ali Abdessalam Treki, anlässlich eines Besuchs in Caracas vor Kurzem anerkannt hat: Venezuela «hat es geschafft, für die anderen Ländern ein paradigmatisches Beispiel für die Verfolgung dieser Ziele zu sein» (Rebelión, H. López Blanch, 5.7.10).


Wirtschaftswachstum

Als die venezolanische Wirtschaft in den Jahren 2004-2007 um 10% wuchs, schrieben das die Feinde der Revolution den damals hohen Ölpreisen zu. Als dann die kapitalistische Welt in die Krise geriet und die Öleinnahmen zurückgingen, prangten die Feinde von Venezuela den Wirtschaftsrückgang von 2.5% an, als ob Venezuela ein von der kapitalistischen Krisenwelt völlig losgelöstes Land wäre. Sie verschleiern zudem die Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit in Venezuela bei 8% verharrt, während die in Europa und den USA 10%, in Spanien gar 20% erreicht.

Nun gibt es aber einen bedeutenden Unterschied zwischen dem Wirtschaftswachstum in den kapitalistischen Nationen und jenem in Venezuela. Während es bei den ersten keine Verbesserung für die Bevölkerung bringt, da eine Minderheit von Unternehmern den grössten Teil des durch die Arbeit geschaffenen Reichtums einstreicht, betreibt die venezolanische Regierung eine Sozialpolitik, die dieses Wachstum in eine Verbesserung für die Bevölkerung überträgt. Selbst als die venezolanische Wirtschaft wegen der Weltkrise von 2008-2010 an Dynamik verloren hat, ging in Venezuela die Verbesserung der Lebensbedingungen der Leute weiter. Denn die Verteilung der Einkünfte, vor allem aus dem Öl, hat es der Regierung möglich gemacht, 25 soziale und wirtschaftliche Missionen (Grossprojekte) zugunsten von Millionen von Menschen aufrecht zu halten.


Öl

Das Öl ist das wichtigste Produkt von Venezuela, das 95% der gewonnenen Devisen und 25% der staatlichen Einnahmen beisteuert. Die Regierungen vor Hugo Chávez hatten die Förderabgaben auf die produzierte Ölmenge von 16% auf 1% und die Gewinnsteuer von 50% auf 34% gesenkt. Sie entzogen also dem Staat Einnahmen und hielten sie den Multis zu. Die Regierung Chávez machte es umgekehrt: Sie hob die Förderabgaben auf 33% (für die Orinoco-Zone auf 16.6%) und die Gewinnsteuer auf 50% an. Vor Chávez erhielt der Staat 44% der Öleinnahmen, heute 79%.

Dank dieser Veränderungen hat der Staat grosse Sozialprojekte zugunsten der Bevölkerung in Gang gesetzt. Nach der Ölsabotage von 2003, die $12 Mrd. kostete, hat die staatliche Ölgesellschaft Pdvsa $40 Mio. für Sozialprogramme ausgegeben, 2005 stieg dieser Betrag auf $4.8 Mrd., 2006 auf $8 Mrd. und 2008 auf $12 Mrd. In den Jahren 2001 - 2009 beliefen sich die mit Öleinnahmen finanzierten Sozialinvestitionen auf $57 Mrd.


Einige soziale Verbesserungen

Diese enorme Investition für das Volk erklärt die folgenden Errungenschaften:

1999 lebten 49.9% der Bevölkerung in Armut und 21.7% im Elend. Für 2007 lauteten die entsprechenden Zahlen 28.5% resp. 8.5% (laut dem statistischen Jahresbericht 2008 der CEPAL, der UNO-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik).
2007 informierte die CEPAL wie folgt: «Für die Jahre 2002 bis 2006 verringerte die Bolivarische Republik von Venezuela ihre Raten für Armut und extreme Armut um 18.4 bzw. 12.3 Prozentpunkte ... Dieser beschleunigte Prozess bedeutet eine wichtige Verbesserung bei der Perspektive für die Armutsreduktion und erhöht die Erreichbarkeit des ersten Milleniumszieles signifikant» (CEPAL, November 2007: Panorama Social de América Latina)
Die Investitionen in die Erziehung stiegen von 3% auf 7% der jährlichen Wirtschaftsleistung. Im sechsten Jahr der Regierung Chávez, 2005, verschwand der Analphabetismus von der nationalen Bildfläche, wie die UNESCO im Dezember des gleichen Jahres festhielt.
Laut Unicef starben 1999 26.000 Kinder, 2006 noch 13.000.
2004 betrug die Arbeitslosigkeit nach Angaben der CEPAL in ihrem Jahresbericht 2009 16%, 2009 noch 8%.
Der Mindestlohn beträgt $446 im Monat
es ist der grösste in Lateinamerika - und der Reallohn ist in den letzten drei Jahren um 8% gewachsen, denn die Lohnsteigerungen übertreffen die Inflation. Dies ohne die indirekten Lohnanteile aus den Subventionen der 25 Missionen einzuberechnen.
Pro Jahr werden 100.000 Wohnungen für mittellose Familien gebaut. Diese Zahl wird jetzt mithilfe von Portugal verdoppelt.
240 Gratis-Computer- und Internetzentren sind eröffnet worden.
Die indigenen Völker werden geehrt und geschätzt. Die Nationalhymne ist in alle Sprachen übersetzt worden, 17 an der Zahl. Sie alle gelten als Landessprachen.

Genderindikatoren

Schaffung des Volksmachtministeriums für Frauenangelegenheiten
Verabschiedung des Gesetzes über die gerechte Behandlung und adäquate Betreuung aller schwangeren Frauen in allen Spitälern im Grossraum Caracas.
Annahme des Gesetzes über das Recht der Frau auf ein Leben ohne Gewalt im Jahr 2007. Seither sind bei den zuständigen Stellen 101.750 Anzeigen wegen Gewalt erstattet worden, drei Mal mehr als 2006.
Die Verfassung anerkennt die hauptsächlich weibliche Hausarbeit als Quelle von Mehrwert an, also als Quelle von Gütern und Dienstleistungen, genau so wie es in einem Unternehmen oder einer staatlichen Institution der Fall ist.
Ein Programm der Sozialversicherung verhilft den über 65-jährigen so genannten Hausfrauen, die nirgends als Arbeitnehmerinnen registriert sind, obwohl sie von jungem Alter an gearbeitet haben, zu einer Rente.
1994 betrug der Frauenlohn durchschnittlich 85% des männlichen. 2007 lautete die entsprechende Zahl 97%, die höchste für Lateinamerika (CEPAL 2008).
Im Jahr 2000 besetzten Frauen 10% der Parlamentssitze. 2008 waren es 19%. Kuba führt die Liste mit 43%, gefolgt von Argentinien mit 40%.
Die Mission Madres del Barrio (Quartiersmütter) lässt jenen Frauen eine integrale Betreuung zukommen, von denen andere Menschen (Kinder, Eltern oder andere Angehörige) abhängen und deren Familien keine oder die Kosten des Grundnahrungskorbes nicht deckende Einnahmen haben.
Die Mission Niño Jesús (Kind Jesus) versucht, jeder Frau eine würdige Geburt zu ermöglichen. Das schliesst den Bau von Mütterhäusern ein.
Schaffung des Banco de la Mujer (Frauenbank), die 200.000 in Kooperativen organisierten Frauen Kredit gegeben hat.

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Basiskomitee in der Comunidad Santa Rosa, Mérida. Die Rechten sehen ein «semiautoritäres Regime», wir Menschen, die ihr Geschick in die eigenen Hände nehmen.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 162, 16. Juli 2010, S. 28-29
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
Tel.: 0041-(0)44/271 57 30
E-Mail: zas11@sunrise.ch

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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2010