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CORREOS/177: USA - Krieg an der Südgrenze


Correos des las Américas - Nr. 175, 21. September 2013

Krieg an der Südgrenze

von Dieter Drüssel



(30.6.13) Es ist ja kaum mehr verhüllt, aber es schadet dennoch nichts, es noch einmal klarzustellen: Bei der von Barack Obama angestossenen «Reform» der Migrationsgesetze handelt es sich in Tat und Wahrheit um ein Projekt der national security, wie Antonio González meint. González ist nicht irgendwer. Der Sohn mexikanischer EinwanderInnen wurde von «Time Magazine» als einer der einflussreichsten Latinos in den USA bezeichnet, wie uns Antonio Cano am 19.6.13 in seinem Interview mit González in der mexikanischen Tageszeitung La Jornada mitteilt. González leitet u. a. ein Projekt zur Einschreibung hispanischer Wahlberechtigter in das US-Wahlregister. Er sagt: «Die Medien und das Establishment in den USA versuchen», die Veränderungen der Migrationsgesetze «als integrale Migrationsreform zu verkaufen, was nicht stimmt. Die Migranten sind völlig verwirrt, denn sie erhalten nur Informationen von Televisa und Univisión, wonach angeblich das Paradies ansteht, in dem Milch und Honig fliessen, ihre Legalisierung: Es handelt sich um eine totale Desinformationskampagne.»

Neben einer Verschärfung der Lage an der mexikanischen Grenze führe die Reform zum peonaje, einer neuen Agrarknechtschaft für die 20 bis 30% der Sans-Papiers, die überhaupt qualifizieren, und zur Kriminalisierung des Restes. Einzig die Legalisierung der dreamers - StudentInnen, die als Kinder in die USA kamen - und das beschränkte GastarbeiterInnenprogramm im Agrarsektor haben mit der Agenda der MigrantInnen zu tun. Bei einer Legalisierung 1986 haben 3 Millionen Personen 3 Jahre Zeit gehabt für ihren Antrag, heute haben 11 Millionen 1 Jahr Zeit. Damals investierte die Bundesregierung $5 Mio. für Integrationsschritte, heute keinen Cent. «Deshalb sage ich», so González, «dass es sich um eine für ihr Scheitern geplante Legalisierung handelt. Wer nicht qualifiziert, wird als kriminell klassiert und sofort deportiert.» Kommt diese Reform durch, «werden die Deportationen zunehmen». (Obama, fügt «La Jornada» an, hält mit 1.4 Millionen Deportationen in seiner Amtszeit eh schon den Deportierungsrekord).

Als letzten Donnerstag der Senat die «Reform» verabschiedete, verschärfte er insbesondere die Grenzkriegsvorbereitungen. Das Personal der Border Patrol wird auf 40.000 verdoppelt, der Drohneneinsatz intensiviert und ein weiteres grosses Stück des Hightech-Grenzzauns errichtet; Kostenpunkt je nach Quelle $ 30 oder $46 Mrd. Die bei einer Protestaktion in Austin, Texas verhaftete Karen Díaz Morales sagt: «Der Senat hat soeben ein Gesetz verabschiedet, das unsere Neighborhoods und unsere Grenzen in eine Kriegszone verwandeln wird» (Democracy Now, 28.6.13). Fernando García vom Border Network for Human Rights, einer Organisation, die sich seit über 15 Jahren für MigrantInnenrechte wie Familiennachzug einsetzt, sagt in der gleichen Sendung: Dieses Gesetz bedeutet «die Militarisierung unser Grenzcommunities zu akzeptieren. Wir reden hier davon, die Mitglieder der Border Patrol auf 40.000 zu verdoppeln. Um das in den Zusammenhang zu setzen: Die einzige andere Grenze mit rund 40.000 bewaffneten SoldatInnen ist die Grenze zwischen Nord- und Südkorea.»

Senator Bob Corker hatte die letzten Gesetzesverschärfungen miteingeführt. Stolz fasste er sie zusammen: «Die Mitglieder der Border Patrol an unserer Südgrenze verdoppelt. Zusätzliche Technologie im Wert von $ 4.5 Mrd., die der Chef der Grenzkontrolle während Jahren zu erhalten versucht hat. Ein Einreise/Ausreise-Visaprogramm, das voll funktionierten muss. Eine E-Verifizierung für alle ArbeitsgeberInnen in diesem Land. Zusätzliche 350 Meilen Zaun. Einige Leute sagen: 'Schön und recht, aber wir wissen nicht, ob das jemals kommt.' Aber man muss die triggers lesen [Voraussetzungen für das Inkrafttreten der Migrationsbestimmungen]. Wenn das nicht kommt, kriegt niemand eine Aufenthaltsbewilligung. Ok?»

Lorella Praelli von der Unite We Dream Coalition hatte die Senatsdebatte live mitverfolgt und in den Sprechchor nach der Gesetzesverabschiedung auf der Tribüne eingestimmt: «Yes, we can!». Sie argumentiert in der Democracy-Now-Sendung, «harte triggers» wie etwa eine obligatorische Verhaftungsrate «Illegaler» seien vermieden worden. Die Gefahr, dass das RepräsentantInnenhaus die Vorlage nochmals verschärfen kann, ist ihr natürlich bewusst. Doch sie setzt darauf, dass die Abgeordneten die hispanischen WählerInnen nicht vergraulen wollen. Diese Hoffnung wird sich sehr wahrscheinlich als illusorisch herausstellen. Zwar ist die Zahl hispanischer Wahlberechtigter beträchtlich gewachsen, doch dürfte die klassisch fremdenfeindliche Stimmenzahl immer noch grösser sein. Zudem hat die extrem rechte Supreme Court-Mehrheit gerade der jahrelangen Praxis gliedstaatlicher Behörden, insbesondere afroamerikanischen und hispanischen Bevölkerungssegmenten ihr Wahlrecht zu nehmen, neue Möglichkeiten eröffnet. Das aus der Civil-Rights-Bewegung entstandene Wahlrechtsgesetz von 1975 zwang nämlich 16 für ihre rassistische Wahlorganisation berüchtigte Staaten, ihre Wahlbestimmungen dem US-Justizdepartement vorzulegen. Das Oberste US-Gericht schaffte jetzt diese Bestimmung als obsolet ab; Unannehmlichkeiten wie jene bei den letzten Wahlen, als das US-Justizdepartment eine Reihe von Wahlrechtsentzügen in manchen Staaten in letzter Sekunde ausser Kraft setzte, bleiben somit in Zukunft erspart, zulasten einiger Millionen Wahlberechtigter (s.zas-correos.blogspot.com, 26.6.13, Elections - American Style).

Es scheint, dass es in der progressiven MigrantInnencommunity zu einer Spaltung gekommen ist zwischen jenen, die von der «Reform» zu profitieren hoffen, und jenen, die sich davon ausgeschlossen wissen. Hoffen wir, dass die Leute gegen die enormen kommenden Verschärfungen wieder zusammenfinden!

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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 175, 21. September 2013, S. 19
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2013