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DA/393: Alternativen zum Tarifvertrag


DA - Direkte Aktion Nr. 190, November/Dezember 2008
anarchosyndikalistische Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union (FAU-IAA)

Alternativen zum Tarifvertrag

In Schweden konnte die Gewerkschaft SAC mit der Registermethode übertarifliche Löhne im Billiglohnbereich durchsetzen. Vorreiter sind die ArbeiterInnen ohne legale Papiere, von denen sich mittlerweile mehr als 1.000 dem Register angeschlossen haben.


Die Anzahl von Arbeitsverhältnissen, die durch miserable Entlohnung, massive Überstunden, brutale Zeitflexibilität und ein hohes Maß an Unsicherheit gekennzeichnet sind, hat sich in den letzten Jahren massiv ausgeweitet. Das war eine der Entwicklungen, die durch die sog. Hartz-Gesetze ganz gezielt in Gang gesetzt oder beschleunigt wurden. Arbeitshetze und Existenzängste werden für immer mehr zu alltäglichen Begleitern beim Versuch, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Deshalb wird es immer entscheidender, gewerkschaftliche Strategien zu finden, mit denen wir diese Entwicklung zunächst stoppen und die ihr in einem zweiten Schritt das Genick brechen könnten. Ein interessantes Beispiel, die in Schweden praktizierte "Register-Methode", stellen wir in diesem Artikel vor.


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Wenn in der BRD von geregelten Löhnen und Arbeitsbedingungen die Rede ist, denkt man unweigerlich an Tarifverträge, denn deren Aushandlung ist die Art und Weise, wie Gewerkschaften hierzulande ihren Einfluß geltend machen. Tarifverträge gibt es sogar für weite Bereiche der Niedriglohnsektoren bzw. diejenigen Bereiche, in denen die Flexibilisierung am weitesten fortgeschritten ist. In der Zeitarbeitsbranche beispielsweise - einem der klassischen Niedriglohnbereiche - gibt es gleich mehrere mehr oder weniger flächendeckende Tarifverträge. Einen Teil hat die DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit (ver.di und IG Metall) ausgehandelt, den anderen die gelben Phantomgewerkschaften des Christlichen Gewerkschaftsbundes. Mit tariflichen Stundenlöhnen ab fünfeinhalb Euro kann man alle getrost als gewerkschaftlich abgesegnete Freibriefe zur Ausbeutung auf Armutsniveau bezeichnen. Kein Wunder, denn es geht bei diesen Verträgen ausschließlich darum, die Claims gewerkschaftlicher Einflußnahme in diesem rasch wachsenden Sektor abzustecken und von den Bossen als tarifwilliger Verhandlungspartner anerkannt zu werden, und das um nahezu jeden Preis. Ausgetragen wird der Kampf um die Finanzierung weiterer Funktionärsstellen auf dem Rücken der Beschäftigten, denn diese verlieren durch diese Tarifverträge ihr Anrecht auf das gesetzlich garantierte "Equal Pay", also den Anspruch darauf, als Zeitarbeiterin den gleichen Lohn wie die festangestellten KollegInnen zu erhalten.

Zwangsjacke Tarifvertrag

Das kollektive Arbeitsrecht in der BRD ist voll und ganz auf das Aushandeln von Tarifverträgen ausgerichtet. Streiks und Arbeitskämpfe dürfen nur zum Ende eines Tarifvertrages stattfinden, ansonsten sind sie durch die "Friedenspflicht" untersagt. Dieses Verfahren garantiert den großen Gewerkschaften Einfluß und den Erhalt ihrer Apparate und dem Kapital nahezu ungestörte Ausbeutungsbedingungen. Schlechte Zeiten also für kleine Gewerkschaften, deren Stärke nicht in professionellen Apparaten, sondern bei ihren kämpferischen Mitgliedern liegt, die keine Lust haben, sich in die Zwangsjacke von Friedenspflichten stecken zu lassen?


Register statt Tarif

Wie ArbeiterInnen auch mit kleinen, aber entschlossenen und kämpferischen Gewerkschaften erfolgreich agieren können, zeigt ein aktuelles Beispiel aus Schweden. Dort hat die syndikalistische Gewerkschaft SAC in den letzten beiden Jahren eine Taktik entwickelt, mit der sie eine Vielzahl von Konflikten im Bereich der prekären Arbeit gewonnen hat und z.B. für ArbeiterInnen ohne legale Aufenthaltspapiere bis zu 30% höhere Löhne durchsetzen konnte, als der Tarifvertrag der sozialdemokratischen Gewerkschaft LO vorsieht.


Der Fall «Lilla Karachi»

Die Arbeitsbedingungen in Kneipen und Restaurants sind häufig ebenso miserabel wie die Löhne in der Branche - egal ob mit oder ohne Tarif. Das ist nicht nur in der BRD so, sondern auch anderswo. Und ebenso wie hierzulande arbeiten etwa auch in Schweden viele MigrantInnen ohne Papiere als billige und austauschbare Arbeitskräfte in der Gastronomie. Als im April 2007 das Stockholmer «Lilla Karachi» den papierlosen Arbeiter Muhammad Riaz feuerte und ihm ausstehenden Lohn verweigerte, rechnete die Geschäftsführung des in Politikerkreisen beliebten Nobelrestaurants mit ebensowenig Aufsehen wie in all den Fällen zuvor. Schließlich nehmen die sozialdemokratischen Gewerkschaften keine Papierlosen auf und helfen diesen auch nicht bei Arbeitskämpfen. Bei Muhammad lag der Fall allerdings ein wenig anders. Er ist, so wie viele andere papierlose ArbeiterInnen auch, Mitglied der syndikalistischen «Sveriges Arbetares Centralorganisation» (SAC). Im Dezember 2007 forderte die Gewerkschaft die Geschäftsleitung zu Verhandlungen über den ausstehenden Lohn auf, was diese jedoch mit dem Hinweis ablehnte, Muhammad habe nie für sie gearbeitet. Darauf verkündete die SAC die Blockade der Firma bis zur Auszahlung des ausstehenden Lohns. Zeitgleich wurde mit dem Verteilen großer Mengen Flugblätter im Stadtteil und mit der Organisierung von Streikposten begonnen. «Lilla Karachi» befindet sich ganz in der Nähe des schwedischen Parlaments, deshalb verkehren dort viele Abgeordnete aller Parteien. So war es kein Wunder, dass binnen kurzem in den schwedischen Tageszeitungen von "Mafiamethoden" die Rede war. Gemeint war damit nicht das Management sondern die Gewerkschaft, der man vorwarf, sie setze Unternehmen "auf die schwarze Liste". Rechte Politiker schlugen sich demonstrativ im Restaurant den Bauch voll, um ihre Solidarität gegen die Beschäftigten und die SAC zu bekunden.

Es half nichts: Wenige Tage später brach der Widerstand der Geschäftsführung zusammen, nachdem immer mehr Informationen über Schwarzarbeit und unerträgliche Arbeitsbedingungen für papierlose ArbeiterInnen die Runde machten. Der Boss zahlte sämtliche ausstehenden Löhne nach, die Blockade hatte ihren Zweck erreicht.


Der Kampf der Papierlosen

Der Erfolg bei «Lilla Karachi» hatte eine Vorgeschichte und er war erst der Anfang einer der interessanten Selbstorganisierungen der letzten Zeit. Im Juni 2006 hatten Papierlose zusammen mit der SAC eine sehr erfolgreiche Demo unter dem Motto «Die Arbeiterklasse hat keine Nation!» durchgeführt. Seit Oktober 2007 organisiert die Stockholmer Lokalorganisation der SAC regelmäßige Treffen für papierlose ArbeiterInnen. Diese haben ein Register - sozusagen eine «Schwarz-rote Liste» - angelegt, in der Firmen verzeichnet sind, die papierlose ArbeiterInnen beschäftigen, ihnen aber keine akzeptablen Löhne zahlen. In einen anderen Teil des Registers werden ArbeiterInnen aufgenommen, die sich mit ihrer Aufnahme verpflichten, nicht unterhalb eines bestimmten Lohnniveaus zu arbeiten.


Strategie gegen die «McJobs»

Innerhalb kürzester Zeit traten mehr als 500 ArbeiterInnen dem Register bei und die SAC begann, einen Erfolg nach dem anderen zu erzielen: Nur wenige Wochen nach «Lilla Karachi» wurde McDonalds nach einer Blockade gezwungen, die Lohnforderungen der SAC zu erfüllen. Die Methode ist in Schweden also nicht nur bei Kleinbetrieben erfolgreich. Die syndikalistische Blockadestrategie ist vielmehr genau gegen die Firmen wirksam, an denen sich die traditionellen Gewerkschaften die Zähne ausbeißen - dort wo die Produktion hochflexibel ist und meistens an Subunternehmen ausgelagert wird.

In Fällen, in denen solche Unternehmen sich weigern, die im Register festgesetzten Löhne zu zahlen, richtet die SAC ihre Aktionen kurzerhand gegen deren Auftraggeber und zwingt diese dazu, Druck auf ihre Subunternehmer auszuüben. Auf diese Weise konnte die SAC selbst die Zeitarbeitsfirma Manpower zum Einlenken bewegen. Ein anderes Beispiel schildert Torfi Magnusson von der SAC: "Wir befanden uns in einem Konflikt mit einer Reinigungsfirma, wo viele ArbeiterInnen ohne Papiere beschäftigt sind. Wir informierten die Firma, dass wir sie wegen Nichteinhaltung der vom Register geforderten Löhne blockieren werden, aber sie haben sich einen Dreck darum geschert. Also sind wir geradewegs zu der großen Hotelkette gegangen, die diese Reinigungsfirma angeheuert hat. Wir haben ihnen mitgeteilt, dass wir die Arbeit der Reinigungsfirma blockieren werden und zwar in ihren Hotels. Die haben stinksauer darüber, dass sie in den Konflikt mit hineingezogen werden, bei der Reinigungsfirma angerufen. Es war ein Sonntag, innerhalb von sechs Stunden hatten wir eine Einigung."

Diese Erfolge sprechen sich herum: Im Oktober 2008 zählte das Register bereits 1.000 ArbeiterInnen, die meisten von ihnen papierlose MigrantInnen. Bis zum Sommer 2009 sollen es mindestens 1.500 sein.


Der Feind schläft nicht

Die Erfolge der Registerkämpfe haben in Schweden einige Besorgnis bei den Unternehmerverbänden hervorgerufen. So wird der Ruf nach der Politik immer lauter, diese solle per Gesetz gegen Arbeitskampfformen vorgehen, die nicht den gewohnten zahmen Ritualen entsprechen. Mancherorts beginnt die schwedische Polizei das Arbeitsrecht zu beugen, um die Blockaden als gewöhnliche Versammlungen behandeln und räumen zu können. Genutzt hat dies bislang wenig.


Zur Nachahmung empfohlen

In Schweden ist das Register eine scharfe Waffe, die bereits bis in die 1940er Jahre hinein mit Erfolg von der SAC angewandt wurde, bevor sie durch die "moderneren" Tarifverträge der sozialdemokratischen, auf Ausgleich bedachten Gewerkschaften ersetzt wurde. Bevor jetzt aber auch hierzulande die Register aus dem Boden sprießen, möchten wir eines zu bedenken geben: Was wir in diesem Artikel geschildert haben, kann nicht einfach eins zu eins auf die Situation in der BRD übertragen werden. Die Bedingungen, die zur Entwicklung der Register-Methode geführt und die sie zu einem aktuell sehr erfolgreichen Kampfinstrument gemacht haben, sind Ergebnis der Freiräume und Einschränkungen, die das Arbeitsrecht in Schweden kennzeichnen. Diese unterscheiden sich an einigen zentralen Punkten von den Bedingungen, mit denen wir hier konfrontiert sind. Das gilt insbesondere dort, wo es um die Bedingungen von ArbeiterInnen ohne Papiere geht. Dennoch zeigen die Registerkämpfe Möglichkeiten auf, die auch wir diskutieren sollten und bei denen wir nach Wegen suchen könnten, sie auf die Situation in der BRD anzuwenden. Zumindest aber machen sie Lust darauf, nach eigenen Taktiken zu suchen, mit denen sich die tarifliche Zwangsjacke abstreifen läßt. Wir werden uns bemühen, in den nächsten Ausgaben der DA weiteres und ausführlicheres Material für eine solche Diskussion zur Verfügung zu stellen. Auf dem Weg dahin können wir aber alle LeserInnen schon einmal dazu auffordern, den ersten Schritt zu tun, der vor allen anderen steht: Nicht jammern, sondern organisieren!

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Quelle:
DA - Direkte Aktion Nr. 190, November/Dezember 2008, Seite 7
anarchosyndikalistische Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union
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Herausgeber: Direkte Aktion, c/o FAU Leipzig
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2009