Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

DAS BLÄTTCHEN/1003: Afghanistan wahlweise


Das Blättchen - Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
Nr. 20/2009 - 28. September 2009

Afghanistan wahlweise

Von Erhard Crome


Die Großgazetten verkünden, es sei Kuschelwahlkampf, und die Republik rücke weiter nach links. Vielleicht ist das so, vielleicht aber ist das auch nur Taktik. Wenn alle an dieses Linksrücken glauben, ist es möglicherweise scheinbar unproblematisch, die Kanzlerin und ihre Entourage sowie den Guido zu wählen, der, wie ihm dieselbe Großpresse bescheinigt, im Schlußlauf des Wahlkampfes Kreide gefressen haben soll. Das selbsternannte "bürgerliche Lager" aus Schwarzen und Gelben hatte 1998 seine strukturelle Mehrheit verloren und seither nicht zurückgewonnen. Bei diesem sich links wähnenden Wahlgeschehen hoffen dessen Planer nun wohl, sie auf dem Schleichwege wieder zu erlangen. Daß die Kanzlerin nichts Programmatisches sagt, muß nicht heißen, daß sie nichts weiß oder nichts vorhat. Eher liegt nahe, daß die programmatischen Punkte von 2005 sehr wohl noch auf der Liste sind und wegen der damaligen Ablehnung jetzt nur nicht öffentlich ausgesprochen werden. Dann ist Steinmeiers reden davon, Schwarz-Gelb zu verhindern, eben doch kein Ausweichmanöver, weil ihm nichts weiter einfällt, sondern die Beschreibung einer tatsächlichen Gefahr für Leben und Geldbeutel der "einfachen" Menschen.

Das sollte auch in bezug auf die Außenpolitik so sein. Von Afghanistan sprachen nur die Linken, die anderen mühten sich, das Thema auszusparen. Durch das von einem deutschen Oberst bestellte Bombardement zweier Tanklastzüge, das Dutzende zivile Tote zur Folge hatte, rückte das Thema plötzlich und unerwartet in die öffentliche Debatte. Es sind die Grundfragen angesprochen nach dem Militärischen in der Außenpolitik dieses Deutschlands und des Westens, seinen Ursachen und seinen Folgen. Claus Peymann, der Intendant des Berliner Ensembles, nannte den Bombenbesteller im Fernsehen einen "verrückt gewordenen Obristen", ohne daß jemand widersprach. Die FAZ klagt, "die deutschen Soldaten im Kundus" seien fassungslos "über die Heimatfront". Also alle, die bisher zweifelten, daß wir hier eine "Heimatfront" haben, sind nun eines besseren belehrt; fehlen nur die Luftschutzübungen und der Blockwart, der defaitistische Bekundungen denunziert.

In diesem Sinne äußert sich denn auch eine junge Dame, die sich als Autorin Thea Dorn nennt. Eigentlich heißt sie Christiane Scherer und wollte ursprünglich Opernsängerin werden. Die Stimme reichte dann nur für Operette. So studierte sie lieber Philosophie und machte Seminare in Ethik und Moral, empfand das Philosophie-Institut jedoch als eine Art Irrenhaus und wurde Autorin blutrünstiger Kriminalromane. In diesem Sinne wurde sie nun von der Hamburger Zeit engagiert, um Invektiven gegen die 25 Künstler zu verbreiten, die im Berliner Freitag für den Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan aufgerufen hatten. Besonders hat es ihr Martin Walser angetan, der bereits im Juli einen Offenen Brief gleichen Sinnes an die Kanzlerin geschrieben hatte. Es sei ihr "um so unbegreiflicher ..., wie dieses sonst tief in sich bohrende Urgestein der naiven Hoffnung verfallen kann, der zuverlässigste Weg, sich aus der Schußlinie zu bringen, liege darin, die Waffen zu strecken". Eine mittelalterliche Vorstellung von Ehre und Duell wird hier unterstellt, die mit politischer und menschlicher Vernunft nichts zu tun hat: Wer angefangen hat Krieg zu führen, aus welchen Gründen auch immer, müsse ihn bis zum Endsieg auskämpfen. Die Stammtischparolen kommen heutzutage nicht nur von alten Männern, sondern auch von einer postmodernen jungen Frau. Aber vielleicht soll das aggressive Gehabe auch nur eine offenbare psychische Fehlsteuerung kompensieren. Jedenfalls scheint das den Kriegstümlern uni Josef Joffe in der Zeit in den Kram zu passen. Er schreibt: "Die Bundeswehr muß in Afghanistan bleiben." Punktum.

Im Hamburger Spiegel kommt derweil eine frühere Oberstabsärztin zu Wort, die die ersten gefallenen deutschen Soldaten unter den Händen hatte, schließlich den Bettel hinschmiß und nach Neuseeland auswanderte. Sie nennt den Einsatz "wahnwitzig". Der Krieg sei militärisch nicht zu gewinnen.

Den argumentationsstärksten Beitrag hat jetzt Jürgen Todenhöfer bei Dumont veröffentlicht, in der Frankfurter Rundschau und in der Berliner Zeitung (16. September). Todenhöfer war einst ein Scharfmacher in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, war bereits in den achtziger Jahren in Afghanistan bei den Mudschahedin, als diese noch gegen die Sowjetunion kämpften, besuchte jetzt wieder das Land und hatte Gespräche mit führenden Taliban-Leuten.

Die Behauptung von Struck, die Sicherheit Deutschlands werde am Hindukusch verteidigt, sei nicht nur falsch, so Todenhöfer, sondern das Gegenteil sei richtig: "Wir gefährden mit unserer Beteiligung am Afghanistankrieg unsere Sicherheit. Mit jedem durch westliche Waffen getöteten Zivilisten wächst die Gefahr des Revanche-Terrorismus in Deutschland." Der Satz des derzeitigen Ministers Jung, wenn der Terror nicht in Afghanistan bekämpft werde, komme er "zu uns", sei "noch falscher": "Die Bundeswehr bekämpft in Afghanistan gar keine internationalen Terroristen, die Deutschland bedrohen. Sie kämpft gegen nationale Aufständische, die sich gegen die westliche Besatzung wehren." Diese "wollen und werden nie deutsche Städte angreifen. Sie wollen ihr Land befreien." Wohlgemerkt ihres, das nicht "unseres" ist.

Der politische Befund Todenhöfers lautet: "Der internationale Terrorismus, der einst in Afghanistan, in Tora Bora, eine seiner Zentralen hatte, wird nicht mehr in die unwirtlichen Berge des Hindukuschs zurückkehren. Er hat sich längst mit Hilfe unserer Antiterrorkriege globalisiert und dezentralisiert. Er braucht keine Zentrale mehr. Die Terroristen, die unsere Städte bedrohen, leben seit langem im Westen mitten unter uns. Warum sollten sie zurück in dieses Land am Ende der Welt, in dem jede Höhle ausgespäht und registriert ist?"

Dann ist das aber, was von Anfang an feststand, keine Frage eines Krieges in Afghanistan oder wo auch immer, sondern ein Problem polizeilicher Ermittlung und juristischer Verurteilung hier im Lande. Die Bundeswehr ist rasch abzuziehen. Auch darüber wird in dieser Bundestagswahl entschieden.


*


Quelle:
Das Blättchen, Nr. 20, 12. Jg., 28. September 2009, S. 11-13
Herausgegeben vom Freundeskreis des Blättchens
Redaktionsanschrift:
Jörn Schütrumpf, Wildensteiner Straße 7, 10318 Berlin
Telefon: 030/4 47 60 65, Fax: 030/44 73 06 83
E-Mail: Das.Blaettchen@t-online.de
Internet: www.Das-Blaettchen.de

"Das Blättchen" kostet einzeln 2,70 Euro, im
Jahresabonnement 62 Euro (Inland), 84 Euro (Ausland).


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2009