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DAS BLÄTTCHEN/1122: Nun denken sie wieder


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
14. Jahrgang | Nummer 17 | 22. August 2011

Nun denken sie wieder

von Heinz W. Konrad


Im bürgerlichen Lager haben die Intellektuellen wieder angefangen zu denken. Das heißt, nachgedacht hat man dort freilich die ganze Zeit - auch über "Subobtimalitäten" jenes Gesellschaftssystems, das als die höchste Errungenschaft menschlichen Zusammenlebens zu rühmen man dennoch nie müde geworden ist. Nun aber werden Töne laut, die seit langem wieder einmal aufhorchen lassen, denn man befasst sich plötzlich nicht mehr nur mit kollateralen Webfehlern des Kapitalismus sondern mit seinem Wesen. Und: Man stellt fest, dass, wird nicht bald eine Notbremse gezogen für die "freien Radikale" des Kapitals, dieser Gesellschaft in seiner Urstruktur mehr droht als nur ein wenig Unheil. Wie anders könnte zu interpretieren sein, dass Frank Schirrmacher in der FAZ den englischen Publizisten Charles Moore unter anderem mit dem Satz zitiert: "Es hat mehr als dreißig Jahre gedauert, bis ich mir als Journalist diese Frage stelle, aber in dieser Woche spüre ich, dass ich sie stellen muss: Hat die Linke nicht am Ende recht?" Und wer hätte gedacht, dass die FAZ dies mit der Feststellung ergänzt: "Ehrlich gestanden: Wer könnte ihm widersprechen?"

Das Fracksausen, so ist solchen Beiträgen, die sich derzeit im seriösen Segment der bürgerlichen Presse häufen, scheint beträchtlich. Womit es freilich nur der Situation entspricht, in die uns alle der nicht zuletzt dank artigen Steigbügelhaltens durch die Politik völlig enthemmte Kapitalismus gebracht hat - und damit zumindest aus eigener Sicht auch noch keineswegs am Ende seiner Möglichkeiten ist. Nur eben ist das auch der Punkt, an dem sich die Weitsichtigen von den Gierbesoffenen zu scheiden beginnen ...

Bei aller Problematik solcher Vergleiche: Mich erinnert dies stark an jenes Geschehen, das ich vor rund 25 Jahren in Südafrika verfolgen konnte. Lange zuvor schon hatten verschiedene politische Kräfte, allen voran der ANC, sich der menschenfeindlichen Apartheid entgegen gestemmt. Das hat viele Opfer gekostet, entschiedene Fortschritte aber kaum erbracht. Solange, bis Mitte der Achtziger Jahre ein Umdenken eben in einem Teil des bürgerlichen Lagers, der herrschenden Oberschicht der Weißen eintrat. Im dortigen Fall waren es die Großindustriellen, die nach Jahrzehnten des ungenierten und reuelosen Genusses von Extraprofiten aus der Ausbeutung der Schwarzen die Grenzen ihres Wachstums gekommen sahen: Wenn nichts getan werde, um die schwarze Bevölkerungsmehrheit von der Apartheid zu befreien, wozu ja nicht zuletzt deren bittere Armut gehörte, falle diese weiterhin für den Binnenkonsum aus, so die eine Erkenntnis. Wenn sich die technologisch erforderliche Arbeiteraristokratie weiter lediglich aus privilegierten Weißen zusammensetze, sei produktiver Fortschritt mit tödlichen Folgen für Wachstum und Wohlstand begrenzt. Und - wenn es nicht gelinge, Südafrika von dem international mit Bann belegtem Ruch des Rassismus zu befreien, bleibe die wirtschaftliche Expansion auf dem Weltmarkt nahezu gleich Null. Leute wie Harry und Nicky Oppenheimer vom größten Diamantenkonzern der Welt, De Beers, waren es dann, die die politischen Sachwalter der Apartheid - im Verein mit der illegalen Antiapartheidbewegung - unter jenen Druck setzten, der dieses System dann 1990 auf eine ähnlich rasche wie unrühmliche Weise zu Fall brachte, wie dies dem Realsozialismus in Euro widerfuhr.

Nun ist durchaus klar: Bei dem, was wir heute weltweit erleben, geht es nahezu um das Gegenteil der seinerzeit südafrikanischen Motive, nämlich um die Zügelung jener enthemmten Kräfte in der Welt des Kapitals, bei denen von Einengungen wie jenen in Südafrika ausgangs des letzten Jahrhunderts ja nicht mehr die Rede sein kann. Gemeinsam ist aber offenkundig: Wenigstens unter den Intelligenten der bürgerlichen Denkwelt wird klarer, dass es immer mehr ums Eingemachte der von ihnen als alternativlos vergötterten Gesellschaft geht. Wenn nicht umgedacht wird, steht viel mehr auf dem Spiel, als durch mehr oder weniger leichte Kurskorrekturen zu regulieren wäre. Dass man dabei sogar dem linken Erzfeind, quasi dem ideologischen Beelzebub, Recht gibt, ist an Demut wohl kaum noch zu überbieten. Ob es zu praktischen Konsequenzen reicht, ist damit allerdings noch lange nicht ausgemacht. Und selbst wenn: Mit einem simplen "geordneten Rückzug" in die einst praktizierte und "bewährte" Zügelung des Kapitals dürfte es nicht mehr getan sein. Das Schicksal des Zauberlehrlings sollte jedenfalls vermieden werden!


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Quelle:
Das Blättchen Nr. 17/2011 vom 22. August, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 14. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2011