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DAS BLÄTTCHEN/1197: Kurzsichtige SPD


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
15. Jahrgang | Nummer 12 | 11. Juni 2012

Kurzsichtige SPD

von Erhard Crome



Die SPD ist die älteste, seit dem 19. Jahrhundert durchgehend existierende politische Partei in Deutschland - historisch bezieht sie sich auf den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, der durch Ferdinand Lassalle 1863 gegründet wurde, und die von August Bebel und Wilhelm Liebknecht 1869 begründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei, die sich 1875 in Gotha vereinigten. Ihr Konzept war, als breite Partei der Einheit der Arbeiterklasse auf dem Wege von Wahlen zum Parlament und mit der Unterstützung der Gewerkschaften und vielerlei Organisationen und Vereine der Arbeiter immer stärker zu werden, um schließlich die Regierung zu übernehmen, Politik im Interesse der Arbeiter zu machen und die Gesellschaft in Richtung Sozialismus zu verändern. Daran ist noch einmal zu erinnern, weil all die jüngsten Invektiven von SPD-Politikern gegen die Linkspartei erst historisch gesehen verständlich sind.

Die SPD versteht sich als "Mutter" aller Volks- und Linksparteien, und hat doch eine lange Geschichte der Spaltungen hinter sich. Im ersten Weltkrieg spaltete sie sich über die Frage der Unterstützung der deutschen Kriegsführung. Ergebnis waren eine "Unabhängige" SPD, die die "Burgfriedenspolitik" mit den kriegführenden Regierenden ablehnte, und die "Mehrheits-"SPD, die sie fortsetzte. Im November 1918 stürzten Rote Matrosen, kriegsmüde Soldaten und Arbeiter den Kaiser und führten die Revolution in der Erwartung durch, dass jetzt das von Bebel versprochene sozialdemokratische Zeitalter anbrechen werde. Zugleich gründete sich in den Revolutionstagen die Kommunistische Partei Deutschlands.

Friedrich Ebert, Vorsitzender der SPD und durch die Revolution Regierungschef geworden, ließ jedoch die revolutionären Matrosen und Arbeiter in Berlin durch die Reste der kaiserlichen Armee zusammenschießen und Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die Gründer der KPD, ermorden. Die USPD zerfiel und schloss sich dann mehrheitlich der KPD an, der kleinere Teil ging zur SPD zurück. Der Streit zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten prägte die deutsche Linke während der gesamten 1920er und Anfang der 1930er Jahre. Er wurde schließlich von beiden Parteiführungen als einer der Gründe dafür ausgemacht, weshalb Hitler 1933 die Macht übernehmen und die nazistische Terrorherrschaft errichten konnte.

Nach der Zerschlagung des Faschismus 1945 gab es auf beiden Seiten Versuche, die "Einheit" wiederherzustellen. Sie wurden jedoch von den politischen Realitäten der unterschiedlichen Besatzungsmächte und der deutschen Spaltung vereitelt. Kurt Schumacher im Westen bekämpfte mit Hilfe der britischen und US-amerikanischen Militäradministration die Kommunisten, die wiederum im Osten mit sowjetischer Unterstützung die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) mit ihrer Dominanz erreichten. Die KPD wurde schließlich im Westen 1956 verboten, im Osten verschwand die SPD in der SED oder im Privaten. So manifestierte sich die Spaltung von 1919 in gewissem Sinne in Gestalt der beiden deutschen Staaten.

In der BRD erfuhr die SPD ihre nächste Abspaltung mit der Gründung der "Grünen", die sich zunächst nicht nur als Öko-Partei, sondern auch als linke, links von der SPD stehende Partei verstand. Als sich diese nicht durch Bekämpfen erledigen ließ, versuchte die SPD es mit Übernahme einiger der ökologischen Themen der Grünen, während diese sich lieber als "grüne" Bürgerrechtspartei definierte und mit der Abwendung von der NATO- und Kriegsablehnung ihren staatstragenden Charakter manifestierte, also nicht (mehr) "links von der SPD" sein mochte. So wurde SPD-"Rot-Grün" zu einer Regierungsvariante, die in einigen Ländern und im Bund immerhin von 1998 bis 2005 trug.

Mit dem Fiasko des Realsozialismus in der DDR und der deutschen Einheit war der alte Streit zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten historisch erledigt. Auf einer gleichsam kulturellen Ebene wirkte er jedoch im Osten Deutschlands fort. Zwischen PDS (die in der DDR 1989/90 aus der SED hervorgegangen war) und der neu gegründeten Sozialdemokratischen Partei in Ostdeutschland war es schon Anfang der 1990er Jahre nicht in erster Linie die Programmatik, sondern der Graben zwischen den Kombattanten im alten System, der die politische Differenz konstituiert hat. Die Mitgliedschaft der PDS (Ende 1996 83.549 Mitglieder in den ostdeutschen Bundesländern, ohne Berlin) bestand mehrheitlich aus ehemaligen SED-Mitgliedern. Die Gründungs-Mitgliedschaft der SPD im Osten (26.863 Mitglieder, ohne Berlin) dagegen setzte sich vor allem aus Oppositionellen zusammen, die sich in den 1980er Jahren unter dem Dach der Kirche zusammengefunden hatten, darunter etliche evangelische Pfarrer, und alten Mitgliedern der SPD, die sich gegen die SED gewandt hatten und von denen viele in der DDR inhaftiert gewesen waren. Aus Furcht vor einer "SED-Unterwanderung" hatten sie es 1990 abgelehnt, die Reformer aus dem SED-Umfeld in größerer Zahl aufzunehmen. Das war insofern eine kurzsichtige Entscheidung der Sozialdemokraten, weil so die Partei links von ihr (nun als linkssozialistische, nicht mehr kommunistische Partei) die folgerichtige Konsequenz war. Im Osten Deutschlands agieren seit jener Gründungszeit SPD, CDU und PDS, nun Die Linke als Volksparteien auf gleicher Augenhöhe, auch wenn das Niveau von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ist.

Mit dem Schwenk der SPD unter Gerhard Schröder zu einer Partei des Neoliberalismus und der sozialen Demontage entstand mit der "Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" im Westen Deutschlands eine neue Abspaltung von der SPD, die sich schließlich mit der PDS - deren Versuche, im Westen Fuß zu fassen, im Grunde gescheitert waren - neu zur Linkspartei vereinigte, die bei der Bundestagswahl 2009 fast zwölf Prozent der Wählerstimmen erreichte. Nachdem die SPD zunächst Bedingungen für eine mögliche Kooperation auf Bundesebene gestellt hatte, schwenkte sie 2010 auf Konfrontation um und hofft auf ein Verschwinden der Linken aus dem Bundestag. Hierbei spielt eine Rolle, dass ähnlich der Entwicklung der USPD Anfang der 1920er Jahre, ein Teil der Sozialdemokraten, die zur WASG gegangen waren beziehungsweise die Linke wählte, zur SPD zurückschwappt - in der Hoffnung, deren "Linksblinken" in der Opposition werde von Dauer sein.

Auch in der Linken blieb das Verhältnis zur SPD ein zentrales Thema: Soll man das eigene politische Profil schärfen und dann gegebenenfalls mit der SPD über Zusammenarbeit reden, oder soll man sich in vorauseilendem Gehorsam vorab deren Bedingungen beugen? Das war der Kern der Debatten um das Programm, das 2011 beschlossen wurde, und nun auch der Personaldiskussionen vor dem Göttinger Parteitag. Der hat so entschieden, wie er entschieden hat. Alle Strömungen sind in den neuen Vorstand eingebunden und beteuern, dass sie nur gemeinsam gewinnen oder verlieren können.

Die SPD-Führung aber setzt weiter auf Zerstörung der Linken. Generalsekretärin Andrea Nahles meinte: "Eine solche Linkspartei braucht kein Mensch." Das ist ein völlig blödsinniger Satz: Jede Partei meint, dass die anderen Parteien nicht gebraucht würden, weil sie selber ja gewählt werden will. Der Sprecher des (rechten) Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs, ermunterte den auf dem Göttinger Parteitag in der Kampfkandidatur um den Parteivorsitz unterlegenen Dietmar Bartsch zum Parteiwechsel: "Ich würde mich sehr freuen, Sie in der SPD begrüßen zu können. Es wäre ein Gewinn für die SPD und für die Politik in Deutschland." Und weiter: "Lieber Dietmar, viele Sozialdemokraten würden sich freuen, Dich in der SPD begrüßen zu dürfen!" Der liebe Dietmar antwortete seinerseits: "Ich kann die Suche der SPD nach qualifiziertem Personal verstehen. Aber ich stehe dafür nicht zur Verfügung."

Abgesehen von Gesinnungsfragen sollte hier nicht vergessen werden: Als die SPD Otto Schily, der 1980 Gründungsmitglied der Grünen war, 1989 abwarb, bot sie ihm bereits 1990 einen sicheren Listenplatz zur Bundestagswahl an. Als Sylvia-Yvonne Kaufmann, die viele Jahre eine wichtige Rolle in der PDS gespielt hatte, 2009 zur SPD ging, wurde sie zwar von deren Führung gleichsam als Trophäe auf einer Pressekonferenz präsentiert, verschwand dann aber in der politischen Versenkung. Die angeblich "rechten" Linken in der Linken sind der SPD zu links. Wenn also der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, meint, die Linkspartei sei nach ihrem Göttinger Parteitag "geschwächt und nicht gestärkt", so ist dies wieder eine sehr kurzsichtige Einschätzung. Die nach rechts gerückte SPD lässt links sehr viel Platz, der gefüllt werden muss - es gibt auch in der Politik kein Vakuum. Und die "Piraten"-Partei, mit einem Beamten des Bundesverteidigungsministeriums an der Spitze, ist dazu nicht in der Lage. Da ist und bleibt die Linke. Göttingen wird in die Geschichte eingehen als Ende des Rückschwungs. Die SPD wird das schlucken müssen, ob sie will oder nicht. Und für SPD-Grün wird es 2013 gewisslich nicht reichen.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 12/2012 vom 11. Juni 2012, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2012