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DAS BLÄTTCHEN/1208: "Händel und die Konfessionen"


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
15. Jahrgang | Nummer 14 | 9. Juli 2012

"Händel und die Konfessionen"

von Ulrike Krenzlin



Mit diesem Thema leisten die Händelfestspiele in Halle einen exemplarischen Beitrag zum Reformationsjubiläum 2017. Bereits 2008 haben dazu die Vorbereitungen begonnen. Weshalb eine ganze Dekade Vorlauf? Weil in zehn Jahren fast alle Aspekte der Reformationsgeschichte auszuloten sind. 2012 ist Halbzeit, da geht es um "Reformation und Musik". Margot Käßmann, Botschafterin des Rates der EKG für das Jubiläum, hat auch die Schirmherrschaft für die Händelfestspiele inne. Ihrem Festvortrag stellte sie Luthers Wertschätzung der Musik als höchste unter den Wissenschaften voran. Dieser Stand ist für die Musik bereits in den antiken artes liberales, nämlich im trivium, festgelegt. Die herausgehobene Stellung der Musik in der Qualität einer Wissenschaft setzt sich im Christentum fort, weil die menschliche Singstimme die im Wort geschriebene Schöpfungsgeschichte noch schöner erklingen läßt.

Der "Thesenanschlag" an der Schlosskirche zu Wittenberg hatte die geistliche Welt nach 1500 schwer erschüttert. Martin Luther gehörte von seinen Bildungsgraden her zu einer schmalen elitären Oberschicht. Für den exorbitanten Aufstieg brauchte er zehn Jahre Studium, zunächst der artes liberales, danach der Theologie sowie die Praxis des Priestertums. Sein stupender Wissensschatz, gebunden an eine außergewöhnliche geistige und menschliche Beweglichkeit, formte den kritischen Theologen, der an die Spitze der lange vor ihm begonnenen Reformation vorstieß. Angetreten war die Reformation gegen die altgläubige Welt, die nach 1500 Jahren in ihrer größten Krise steckte. Seitdem sind Glaubenswelt und die in diesem Gebäude gewachsenen Künste gespalten. Das ist die Situation bis zur Händelzeit. Jedoch hat die Reformation ihren Sieg nicht unangefochten halten können. Die katholische Welt nahm ihr Fiasko als Anlass zu einer grundlegenden Revision im Tridentiner Konzil mit den grandiosen Folgen in der Bild- und Musikkunst. Händels Musikschaffen gründet in der gegenreformatorischen Welt.

Diesen brisanten Fragen stellt sich der Intendant der Händelfestspiele Clemens Birnbaum. Das ist neu. Die Fragen laufen auf den Punkt zu, in welchem Kulturkreis Georg Friedrich Händels Musik eigentlich zu Hause ist? Gern sah man bisher bei den Händelfestspielen den in der Hallenser Marktkirche getauften Lutheraner, der seinen protestantischen Glauben lebenslang mit sich trug, nur weil er nicht konvertierte oder auch sonst gegen den Katholizismus hielt. Hauptargument für den lutherischen Geist Händels ist seine Taufe in der Marktkirche zu Halle, in der Luther die ersten Predigten hielt. Hier lernt Händel von seinem großen Lehrer Friedrich Wilhelm Zachow die Musik nach Luther in allen ihren Verästelungen kennen. Mit Georg Philipp Telemann und Johann Sebastian Bach erreicht sie im mitteldeutschen Barock ihre Blüte. Gesehen wird auch, dass Halle dem jungen Händel keine Wirkungsstätte als Organist bieten konnte. Um bei der Musik bleiben zu können, musste er sich in der Fremde Mäzene suchen. Eigentliches Gewicht bekommt die wegweisende Entwicklung der nachreformatorischen Figuralmusik mit der mehrstimmigen Kirchenmusik, dem Kirchenlied und der Gesangbuchkultur. Die Parallelausstellung "Wie sie die Seelen fröhlich macht" in den Franckeschen Stiftungen leistet zu den Händelfestspielen einen hervorragenden Beitrag. Das Unternehmen ist auch erhellend wegen der neuerdings vielen Hörproben in ausgezeichneter akustischer Klangqualität. Den mitteldeutschen Musikschatz hat Händel mit nach Italien genommen.

In seinen vier italienischen Jahren ab Frühjahr 1707 konnte der schöne Sachse sofort mit den Musikgrößen Arcangelo Corelli, Antonio Lotti und mit den Brüdern Alessandro und Domenico Scarlatti konkurrieren. Der deutsche Musiker war auch ein Sprachkönner, rasch lernte er Italienisch, Französisch und später Englisch. Herausragend ist seine Kennerschaft der Weltliteratur. In der Bibel war er firm. Dem Belesenen wuchsen die Stoffe für Oratorien und Opernsujets über Jahrzehnte nur so zu. Bereits ein Jahr nach Ankunft in Italien führte Marchese Franceso Maria Ruspoli in seiner römischen Residenz, dem Palazzo Bonelli, Händels Passionsoratorium "La Resurrezione" (HWV 47) von 1708 erfolgreich auf. Dem vorausgegangen war das allegorische Oratorium Il Trionfo del Tempo e del Disignanno von 1707. Das Oratorium "La Ressurezione - Die Auferstehung" ist in der Regie von Kobie van Rensburg und unter musikalischen Leitung von Wolfgang Katschner in Bad Lauchstädt der absolute Höhepunkt gewesen. Mit diesem Oratorium stand Händel in Italien bereits tief in der Geisteswelt der gegenreformatorischen musikalischen Hochkunst. Ihre lateinische und italienische Hochsprache waren ihm bekannt, er konnte in ihr denken und komponieren. Händel hatte Ludovico Ariosts "Orlando Furioso" (1532) gelesen, Torquato Tassos "La Gerusalemme liberata" (1574), ein gegenreformatorisches Hauptwerk der Weltliteratur, sehr genau studiert. Aus diesen beiden Epen schöpft Händel mehrere seiner Opern.

Anstatt im reformatorischen Halle heutzutage diese Stoffe ernst zu nehmen, blieben sie hinter der Musik verborgen. Meist werden sie Zauberopern genannt. Die Frage ist begründet, weshalb kennt hier niemand die großen Werke von Ariost und Tasso? Liegt der schwerfällige Zugang zu Händels Opernstoffen, die ja eigentlich zur Musik angeregt haben in der Abneigung des Katholizismus und seiner Kultur oder ist sie eine Folge materialistischer Geschichtsschreibung? Diese Fragen nach Tiefe und Eigenart der katholischen Werte in Händels Schaffen sind in Halle kaum je ernsthaft hinterfragt worden. Ein anderer Grund könnte sein, dass der Stolz, dass die von Kardinal Albrecht von Brandenburg in der Hallenser Residenz eingerichtete katholische Gegenuniversität zu Wittenberg erfolglos blieb, noch nach fünfhundert Jahren überwiegt. Sie steht bis heute neben dem Dom als Ruine. 1540 musste der hochverschuldete Kardinal Halle fluchtartig verlassen. Das Lutherjubiläum legt es nahe, gegnerisches Denken besser zu verstehen und Händel zu erkennen in seinem katholischen und gegenreformatorischen Musikschaffen. Hierzu hat Clemens Birnbaum in diesem Jahr mit seinem Programm und eigenen Texten den Weg bereitet.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 14/2012 vom 9. Juli 2012, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2012