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DAS BLÄTTCHEN/1423: Der ukrainische Limes?


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
17. Jahrgang | Nummer 19 | 15. September 2014

Der ukrainische Limes?

von Hubert Thielicke



Kiew hat die Absicht, eine Mauer zu bauen. Präsident Petro Poroschenko und Premierminister Arsenij Jazenjuk, von seinen US-amerikanischen Freunden, eigentlich eher Hintermännern, liebevoll "Yats" genannt, denken dabei an einen "Schutzwall" gegenüber Russland von etwa 2.000 Kilometern Länge, bestückt mit tausenden Militärstellungen, dazu Stacheldrahtsperren, Wassergräben, Zäunen, Straßen für die Grenzpatrouillen. Alles soll natürlich dem neuesten Stand der Technik entsprechen. Die ersten, vielleicht mehr symbolischen Arbeiten sollen schon begonnen haben, Freiwillige werden gesucht, um Spenden wird gebeten. Wie man allerdings im Hinblick auf die Südostukraine umzugehen gedenkt, die der Reichweite Kiews entzogen ist, verlautete noch nicht.

Vielleicht sollten Präsident, Premierminister, dienstwillige Oligarchen und eifrige Berater zunächst mal die historischen Erfahrungen studieren, bevor sie ihr mit großer Emphase angekündigtes Projekt angehen? Weltmeister im Mauerbau waren die Chinesen. Bereits im 7. Jahrhundert v. Chr. sollen die ersten Mauern errichtet worden sein, um nördliche Nomadenvölker vom Eindringen nach China abzuhalten. Im Laufe der Jahrhunderte wurde das System ausgebaut, insgesamt sollen es mehr als 20.000 km sein. Die Jing-Dynastie verstärkte die Anlagen im 12. und 13. Jahrhundert, um die Mongolen fernzuhalten. Es nützte nichts, Dschingis-Khan und seine Nachfolger eroberten schließlich das ganze Land. Die Geschichte wiederholte sich unter den Ming-Kaisern. Auch das ohne Nutzen, im 17. Jahrhundert drangen die Mandschu ein, unterwarfen China und errichteten die Quing-Dynastie. Fazit: Auch die aufwändigsten Schutzwälle nutzen nichts. Immerhin: Die große Chinesische Mauer wurde 1987 von der UNESCO zum Welterbe erklärt und 2007 sogar von Millionen Menschen zu einem der "neuen sieben Weltwunder" gewählt.

Auch für Europa sind solche "Schutzwälle" nichts Neues. Es begann im alten Germanien. Nach jahrelangen Kriegen mit den freiheitsliebenden Germanen, die im Jahre 9 mit der Varusschlacht im Teutoburger Wald begannen, gaben die Römer ihre Intentionen auf, das Land jenseits des Rheins zu beherrschen. Lediglich im Süden errichteten sie mit dem Obergermanisch-rätischen Limes eine Landgrenze, die aus Wällen, Mauern, Gräben, Wachtürmen und Kastellen bestand. Es handelte sich aber wohl mehr um eine Art Überwachungs- und Frühwarnsystem - man wollte den Personen- und Handelsverkehr kontrollieren. Der germanische Limes war mit seinen rund 550 km nur ein Teil der römischen Grenzanlagen, die insgesamt etwa 5.000 km umfassten. Das berühmteste Teilstück ist wohl der von Kaiser Hadrian initiierte und nach ihm benannte Wall im Norden Britanniens. Er sollte die Scoten und Picten abhalten. Eine gewisse Zeit erfüllten diese Anlagen ihren Zweck, dann schwappte die Völkerwanderung über sie hinweg. Auch diese Mauerreste fand die UNESCO auszeichnungswürdig, ernannte sie zum Welterbe. Zudem stellte der Hadrianswall später fast die Grenze zwischen England und Schottland dar. Heute ist er eine beliebte Touristenattraktion. Und mit dem schottischen Unabhängigkeitsreferendum am 18. September rückt er wieder in den Fokus der Weltöffentlichkeit.

Aber auch in der Moderne übten ausgedehnte Befestigungsanlagen immer wieder ihre Faszination auf Militärs und Politiker aus. Ob im Zweiten Weltkrieg die französische Maginot-Linie oder der deutsche Atlantikwall - ihren militärischen Zweck erfüllten sie nicht. Mit der Berliner Mauer versuchte die DDR 1961, sich in den Zeiten des Kalten Krieges zu behaupten. Heute stehen ihre Überreste als Denkmal einer Zeit der Systemkonfrontation. Nach modernsten Gesichtspunkten baut Israel seit 2003 eine euphemistisch als "Sperranlagen" bezeichnete Mauer, die zum größten Teil durch das palästinensische Westjordanland verläuft. Der Internationale Gerichtshof erklärte deswegen 2004 in einem von der UN-Generalversammlung angeforderten Gutachten, dass der Bau gegen das Völkerrecht verstoße.

Ausgerechnet 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer will die Kiewer Regierung nun eine neue Mauer in Europa ziehen. Unwillkürlich drängt sich der Vergleich zum "Eisernen Vorhang" auf, den Winston Churchill in seiner Rede in Fulton (USA) am 5. März 1946 apostrophierte. Von Reaktionen der Bundesregierung oder überhaupt der westlichen Politik auf die Pläne Jazenjuks & Co. wurde bisher nichts bekannt. Auch das wohl ein Beispiel für westlichen Doppelstandard. Immerhin würde das Projekt gut zu der von der NATO Anfang September in Wales verkündeten Eindämmungspolitik gegenüber Russland passen. Paragraph 28 der "Wales Summit Declaration" gibt Kiew jedenfalls breiten Interpretationsspielraum: Anerkannt wird "das Recht der Ukraine Frieden und Ordnung wiederherzustellen und sein Volk und Territorium zu verteidigen."

Stellt sich schließlich die Frage nach den Zielen und Kosten des Projekts. Wie Spiegel Online berichtete, kalkuliert der ukrainische Milliardär und zugleich auch Gouverneur von Dnipropetrowsk Igor Kolomoisky mit 100 Millionen Euro. "Das entspricht Ausgaben von 50 Euro pro Meter, eine Summe für die Kolomoisky in Dnipropetrowsk womöglich ein Blumenbeet anlegen lassen könnte, aber keine Grenzfestung", meint Spiegel-Autor Benjamin Bidder. Experten schätzen die Kosten auf mehrere Milliarden Euro, Summen, die Kiew angesichts knapper Kassen und wirtschaftlicher Misere jedoch gar nicht hat. Aber vielleicht möchte ja die EU aushelfen? Neben den Unsummen, die der Westen in den nächsten Jahren aufbringen müsste, um die marode Ukraine zu sanieren, würden sich die paar Milliarden dann doch eher bescheiden ausnehmen. Experten schätzen, dass - militärisch gesehen - das ganze Projekt sinnlos sei. Die Mauer könne bewaffnete Kräfte nicht aufhalten. Das ist aber wohl auch nicht das Ziel. Die derzeit laufende Propaganda-Kampagne zeigt, dass das Ganze darauf angelegt ist, in der Ukraine weiterhin Stimmung gegen Russland zu machen. Immerhin stehen im Oktober Wahlen an. Im Grunde geht es bei der Aktion darum, den Bruch mit dem slawischen Brudervolk zu zementieren, wie Nikolaj Sungurowsky vom Kiewer Thinktank Rasumkow-Zentrum einschätzt. Die sanktionsbeflissenen Berliner und Brüsseler Politiker drücken jedenfalls alle Augen zu.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 19/2014 vom 15. September 2014, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 17. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†), Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2014