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DAS BLÄTTCHEN/1491: Zur Glaubwürdigkeit der Medien


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
18. Jahrgang | Nummer 10 | 11. Mai 2015

Zur Glaubwürdigkeit der Medien

von Stephan Wohanka


Auf den Seiten des Blättchens spielt die Frage der Glaubwürdigkeit der Medien und die Qualität ihrer Berichterstattung eine herausgehobene Rolle. Und das vor dem Hintergrund einer weit verbreiteten Medienschelte, die im Begriff "Lügenpresse" ihren prägnanten Ausdruck findet. Wie ist es nun um diese Glaubwürdigkeit bestellt, wie steht es um Wahrheit und Lüge in den Medien?

"Es kann sein, dass nicht alles wahr ist, was ein Mensch dafür hält. Denn er kann irren. Aber in allem, was er sagt, muss er wahrhaftig sein. Er soll nicht täuschen. [...] Die Übertretung dieser Pflicht der Wahrhaftigkeit heißt Lüge." Soweit Kant in der "Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie". Ergo: Der Gegensatz von Lüge ist eben nicht Wahrheit! Man schuldet seinem Gegenüber nur, ihm zu sagen, was man für richtig hält! Denn man kann nicht ausschließen, dass man irrt. Und ob man irrt, die Erkenntnis darüber liegt, wenigstens teilweise, außerhalb der Möglichkeiten desjenigen, der spricht oder schreibt. Die einzige Pflicht ist die zur Wahrhaftigkeit - der Übereinstimmung des eigenen Inneren mit dem, was man sagt.

Es kann Situationen geben - und es gab sie -, in der man von der "Kantschen Pflicht" abweichen darf - beispielsweise, um Juden vor dem Zugriff der Gestapo zu decken. Der französische Denker Comte-Sponville erlaubt in "Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben - Ein kleines Brevier der Tugenden und Werte" auf dem Hintergrund solcher Zuspitzungen die Lüge, ja negiert überhaupt eine "Pflicht zur Wahrhaftigkeit"...

Möglicherweise bedarf es auch im Medienbetrieb einmal des notwendigen Abgehens von der Wahrhaftigkeit; in der normalen, täglichen Arbeit, denke ich, kann, ja muss sie Maßstab sein. Der Journalist oder Medienarbeiter ist glaubwürdig, der zu seinen Überzeugungen steht und diese sagt oder schreibt!

"Lügenpresse" - an dieser Stelle ist gar keine Verständigung mehr möglich. Denn man will es möglichst "einfach" haben und blockt ab. Wenn man zu wissen meint, dass der andere jederzeit lügen könnte oder sogar nur noch lügt, erübrigt sich jede Frage an ihn und jede Antwort von ihm; es ist müßig, ihn überhaupt noch wahrzunehmen.

Wenn man so will, ist jede Meldung, mehr noch jeder Kommentar eine Antwort auf eine Frage aus dem weiten Publikum. Reagiert dieses Publikum darauf stets mit stereotypem Anwurf "Lügenpresse", also undifferenzierter Ablehnung, dann kann der ursprünglich "Antwortende", also die Medien, nicht wissen, wo die Schwachstellen seiner Antwort liegen, was das (Informations-)Bedürfnis des Publikums wirklich wäre, wie er sein Angebot verbessern könnte.

Anders verhält es sich mit dem Vorwurf der Manipulation und der Fälschung. Erstere leitet sich vom Lateinischen "manus" ("Hand") und "plere" ("füllen"), wörtlich also "eine Handvoll (haben), etwas in der Hand haben" her und bedeutet im eigentlichen Sinne "Handhabung" und wird in der Technik auch so verwendet. Letztere ist in diesem Wortsinn zum Beispiel die (nachträgliche) Veränderung, eben Manipulation, von Fotografien oder Videos oder das Erfinden von Interviews; ist also Lüge und soll als solche nicht weiter betrachtet werden. Und von BILD weiß man, was man zu halten hat...

Generell kann man unter Manipulation die gezielte und verdeckte Einflussnahme verstehen, die auf eine Steuerung des Erlebens und Verhaltens von Einzelnen und Gruppen zielt und diesen verborgen bleiben soll. Mitunter wird heute die These vertreten, dass Menschen einander manipulierten, sobald sie miteinander kommunizieren; aber bleiben wir bei der Manipulation durch Medien. Der Vorwurf besagt, dass sie eine einseitige und/oder verzerrte Darstellung von Fakten sei und häufig schon durch eine einseitige Auswahl eines Themas und durch die Art der Berichterstattung erfolge. Dadurch entstünde eine verzerrte Wahrnehmung beim Leser oder Hörer.

Ist das jedoch so einfach? Die Forderung nach Glaubwürdigkeit, also Objektivität und Neutralität der Medien stößt "objektiv" an Grenzen: Medienmacher können unmöglich über alle - hat man überhaupt "alle"? - vorhandenen Geschehnisse und Fakten berichten; jede Darstellung geht zwangsläufig einher mit einer Auswahl; nicht nur der Fakten. Niklas Luhmann sagt: "Kommunikation ist ein Prozess, der auf Selektionen selektiv reagiert, also Selektivität verstärkt". Nicht alle (erhältlichen) Informationen und Nachrichten können "verarbeitet" werden - hier beginnen praktisch die Grenzen der Neutralität der Medien. Welche Nachrichten es wert sind, gedruckt oder gesendet zu werden, entscheidet sich auch an der Auswahl anderer Journalisten. Ein Vorgang, über den berichtet wird, ist allein deshalb "berichtenswerter" als andere, weil über ihn berichtet wurde und wird und er einer Gegenmeinung respektive einer Bestärkung bedarf. Summa summarum kann der Manipulationsvorwurf deswegen, neben berechtigter Kritik, auch den Charakter eines Kampfbegriffs tragen; und er trägt ihn häufig!

Durch die Medien erfolgt so eine "Konstruktion von Realität", die durch die Rezipienten leicht als Manipulation empfunden werden kann. Eine weitere Herausforderung für die Medien liegt in der Gewichtung, die sie unterschiedlichen Positionen und Argumenten beimessen. Es wird erwartet, dass sie relevante Positionen und Argumente aufzeigen sowie durch deren Gewichtung verdeutlichen, dass die Argumente unterschiedliches Gewicht haben. In wessen Augen oder Ohren sind "relevante Positionen" aber relevant? Gelingt das nicht, steht schnell der Vorwurf der tendenziösen Berichterstattung im Raum.

Auch dazu gibt es Gegenreden. Einzelne Medien vertreten bewusst bestimmte Positionen. So versteht sich beispielsweise die Frankfurter Allgemeine als konservativ, die Frankfurter Rundschau dagegen als linksliberal. Die entsprechende Tendenz ("Färbung") der Berichterstattung ist keine Manipulation, sondern Ausdruck der Meinungsfreiheit der Redaktion oder des Verlags; der so genannte Tendenzschutz als ausdrückliches Recht, die politische Meinung der jeweiligen Publikation festzulegen.

Abschließend: Trifft nicht auf die Blogs, die häufig gegen die "Systemmedien" als deren Korrektive ins Feld geführt werden, nicht eins zu eins das Gleiche zu wie auf diese Medien?

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 10/2015 vom 11. Mai 2015, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 18. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2015

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