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DAS BLÄTTCHEN/1683: Hexensabbat und Todessehnsucht


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
20. Jahrgang | Nummer 8 | 10. April 2017

Hexensabbat und Todessehnsucht

von Wolfgang Brauer


Zuletzt wurde "Der Jahrmarkt von Sorotschinzi" in Berlin 1948 gegeben. Walter Felsenstein hatte ihn auf den Spielplan seiner Eröffnungsspielzeit gesetzt. Danach verschwand er hier in der Versenkung. Einzelne Partien tauchen gelegentlich im Konzertsaal auf. Dabei wäre die Oper der "Komischen" wie auf den Leib geschneidert. Modest Mussorgski bediente sich für sein Libretto einer Erzählung Nikolai Gogols aus dessen "Abende auf dem Weiler bei Dikanka" (1831/32). Gogol verschmilzt in diesen Geschichten ukrainischen Volksglauben und psychologisch sehr tiefgehende Analysen der Dorfgemeinschaften seiner Heimat mit geradezu surrealen Geschehnissen auf furiose Art. Musikalisch ist "Sorotschinzi" ein Geniestreich, für den allerdings selbst die Freunde des Komponisten zu dessen Lebzeiten kaum Verständnis aufbrachten. Wladimir Stassow, seinerzeitig Säulenheiliger der russischen Kunstkritik, sprach in einem Brief von "jeder Menge Müll", den Mussorgski da verzapft habe.

Allerdings, und das macht es schwer, sie auf die Bühne zu bringen: Die Oper blieb Fragment. Die von Nikolai Tscherepnin 1923 besorgte Fassung dauert nur eine Stunde und fünfunddreißig Minuten. Auch mit der oft eingefügten "Nacht auf dem Kahlen Berge" kommt man nur schwer an die Zwei-Stunden-Marke heran. Das hat biographische Ursachen. Mussorgski starb im März 1881 knappe zwei Wochen nach dem Reform-Zaren Alexander II.. Letzterer wurde von der "Narodnaja Wolja" bei einem Attentat umgebracht. Der "Volkswille" tötete den "Bauernbefreier" von 1861. Mussorgski - dessen gutsbesitzende Familie durch Alexanders Reformen wirtschaftlich beträchtlich ins Schleudern geriet - hatte sich selbst zu Tode gesoffen. Übrigens starb auch Gogol auf eine Art, die seinen Erzählungen hätte entspringen können: Er verhungerte sich 1852 unter dem Einfluss eines fanatischen Priesters selbst. Glücklicherweise entging Barrie Kosky, der die aktuelle Inszenierung an der Komischen Oper verantwortet, der Verführung, solcherart Bezüge in den Tiefenschichten des Werkes hervorstochern zu wollen.

Stattdessen fügte er in seine Inszenierung dieses vergleichsweise fröhlichen Stückes prallsten russisch-ukrainischen Volkslebens vor die jeweiligen Akte drei der vier "Lieder und Tänze des Todes" (1875/77) Mussorgskis ein. Zweifellos gehören die zum Besten des russischen Liedes überhaupt, in der Chorfassung sind sie von überzeugender Wucht. Diese wird jedoch gebrochen durch Koskys Spielideen: So richtig hat er nämlich für seine Patchwork-Arbeit keine. Der Chor agiert bei den "Todes-Liedern" hinter dem geschlossenen Eisernen Vorhang. Das in Berlin immer recht gutwillige Premierenpublikum war jedenfalls einigermaßen irritiert und nahm das Ganze als Chorkonzerteinlage, die man irgendwie ertrug. Zumal dieser Abend insgesamt eine Hoch-Zeit des Chores war - nicht nur akustisch nahm er den größten Raum ein. Fairerweise müsste es heißen: Inszenierung Barrie Kosky und David Cavelius. Cavelius ist seit 2013 Chordirektor des Hauses an der Behrenstraße.

Der Chor eröffnet - und schließt mit demselben Stück - auch den Abend. Allerdings handelt es sich um Nikolai Rimski-Korsakows "Hebräisches Lied", das ebenfalls hinter dem heruntergelassenen "Eisernen" - zu zartester Bandura-Begleitung - gesungen wird. Eine märchenhafte Einstimmung. Wie aber so die "Idee des Kollektivs, das innerhalb seiner eigenen Grenzen ein Spiegelbild der Welt ist" noch stärker herausgearbeitet werden kann, ist ein Rätsel Koskyscher Gedankenwelt. Der Zuschauer sitzt vor dem Vorhang. Was sich an möglichen Urgründen in den Protagonisten aufzutun vermag, sollte besser an der Partitur herausgearbeitet werden.

Die sich danach entfaltende Geschichte ist einigermaßen lustlos inszeniert. Koskys Leitmotiv ist die Implantierung von Schweineköpfen vielfältigster Art in einem mit der erwähnten Orchesterfantasie (der "Nacht auf dem Kahlen Berge") unterlegten Albtraum des verzweifelten jugendlichen Liebhabers Grizko (Alexander Lewis), dem die zänkische Braut-Stiefmutter Chiwrja (Agnes Zwierko) die Hochzeit vermasseln will. Der Albtraum kommt in Form eines grandiosen Chorauftrittes daher - und soll einen "wilden Hexensabbat" darstellen. Die Schweineköpfe haben einen Sinn: "Das Schwein und alles, was damit zusammenhängt, erzeugt jüdische und nicht-jüdische, antisemitische und nicht antisemitische Resonanzen", lässt uns der Regisseur wissen. Um das zu sehen, muss man allerdings vorher das Programmheft gelesen haben. Die Solisten schlagen sich wacker. Einen großen Auftritt hat Agnes Zwierko, die als Gattin des ewig besoffenen Bauern Tscherewik (Jens Larsen) im zweiten Akt ihrem Liebhaber ein opulentes erotisches Gastmahl bereiten will. Mirka Wagners bezaubernder Sopran ließ im dritten Akt mit der anrührenden Dumka der Parasja (Grizkos Angebetete) das Herabfallen der sprichwörtlichen Stecknadel schmerzhaft empfinden. Das Ganze endet in einem wilden Hochzeitstanz, dem Hopak.

Das geplante Finale blieb ungeschrieben. Mit Tanz aber ist auf der Bühne nicht viel, es ist zu eng. 80 Chorsolisten inklusive Kinderchor - der bewunderungswürdig agiert! - benötigen eine Menge Platz. Der Chor durfte daher nur stampfen und fuchteln.

Es ist ein großer Opern-Chor-Abend, der vom Orchester unter Henrik Nánasi trefflich begleitet wird!

Wieder am 14.4., 22.4., 13.5., 10.6. und 16.7.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 8/2017 vom 10. April 2017, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 20. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2017

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