Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GEGENWIND/401: Prozeß wegen "Mülldiebstahls" eingestellt


Gegenwind Nr. 257 - Februar 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Bad Oldesloe:
Prozess wegen "Mülldiebstahls" eingestellt

Von Hauke Thoroe


Der Prozess gegen zwei AktivistInnen aus Bad Oldesloe, denen das Amtsgericht Ahrensburg vorwarf, mit dem Stehlen von Müll einen schweren Diebstahl begangen zu haben, wurde Ende Dezember auf Staatskosten eingestellt. Der erste Prozesstag am 27. November war schon nach nur einer Stunde Verhandlung durch mehrere Befangenheitsanträge und das Nichterscheinen der Polizeibeamten Brügner und Schulz, die als Zeugen aussagen sollten, beendet worden. Als Begründung für die überraschende Entscheidung gab das Gericht an, dass weitere Nachforschungen ergeben hätten, dass es sich bei dem entwendeten Müll tatsächlich um Müll gehandelt habe.


Sie gehen nachts zu Supermärkten, und suchen aus den Müllcontainern die Gegenstände heraus, die noch brauchbar oder genießbar sind. "Die Dinge im Müll haben keinen Marktwert mehr, da niemand damit mehr Geld machen kann. Einen Nutzwert haben sie aber immer noch. Dadurch, dass wir von den Krümeln dieses verschwenderischen Wirtschaftssystems leben, vergrößern wir die zusätzliche umwelt- und menschenschädliche Produktion nur minimal im Vergleich zu anderen," sagte Johannes, einer der beiden Angeklagten.

Die Zeit, die sie damit gewinnen, stecken sie in "Politik" wie sie sagen. Beide versuchen, soweit es eben geht, "Alternativen zum herrschaftsförmigen Kapitalismus zu entwickeln, um möglichst vielen Menschen ein selbst bestimmtes Leben zu ermöglichen" sagt Johannes. Klaus fügt hinzu: "Wir versuchen, eine Wirtschaftsweise zu entwickeln, die möglichst abgekoppelt vom Kapitalismus funktioniert. Wir stehen dabei aber leider noch ganz am Anfang." Doch sie beteiligen sich auch an politischen Aktionen. Johannes engagiert sich gegen Atomkraft und Gentechnik, und besetzte z.B. im Frühling ein Genfeld in Braunschweig. "Wir haben dort Holztürme errichtet, um die Aussaat des gentechnisch manipulierten Getreides zu verhindern!" sagt Johannes. Klaus, der andere Angeklagte, engagiert sich viel für Antifaschismus. Er besucht Demonstrationen, organisiert Veranstaltungen, die versuchen, über Faschismus aufzuklären. Außerdem arbeitet er in einer antisexistischen Gruppe in Bad Oldesloe.

Im letzten Dezember wurden beide auf einer ihre Touren von der Polizei verhaftet. Sie waren damals zu viert. Eine Freundin und der achtjährige Sohn eines Freundes, die nicht glauben wollten, was allabendlich im Müll landet, hätten ausnahmsweise mit gedurft. "Die Polizei behauptet, wir seien über einen Zaun gestiegen, und hätten einen schweren Rollstuhl und zwei weitere Gegenstände über den Zaun gereicht." Nun wird den beiden "Schwerer Diebstahl" vorgeworfen.

Die Gegenstände sollen laut der betroffenen Firma noch einen Wert von ca. 177 Euro gehabt haben. Zu diesem Vorwurf sagt Klaus: "Wir waren containern. Was dann passierte, würde ich im Nachhinein am ehesten als vielstufiges Missverständnis zwischen allen Beteiligten bezeichnen."

Auf die Frage, welches Interesse die Polizei an den Verfahren hätte, behauptet Johannes: "Wir sind hier polizeibekannt, denn kritische Menschen stehen schnell unter Beobachtung der Polizei. Erst recht, wenn sie sich politisch für Veränderungen im Land einsetzen, so wie wir." Der für Diebstahl zuständige Kripo-Beamte Wackerow sei in Personalunion auch als Staatsschützer für die Kontrolle des politischen Umfeldes von Johannes und Klaus zuständig. "Gerade erst im Juni haben die selben Polizisten versucht, zwei Freunde von uns mit erfundenen Behauptungen zu verknacken!" Die damaligen Vorwürfe der Beleidigung, des Widerstandes und der falschen Personalienangabe seien damals jedoch nach insgesamt fünf Prozesstagen eingestellt worden. "Die Verfahren stützten sich auf Behauptungen von Polizisten, die jetzt auch wieder als angebliche Zeugen oder Sachbearbeiter beteiligt sind." In einem der Verfahren habe einer der Angeklagten sogar anhand der Akten und der Polizeiaussagen nachweisen können, dass der Staatsschutz eine interne Dienstbesprechung veranstaltet habe, in der laut der Staatsschützerin Wolters "die Namen des Angeklagten gefallen sind", und anschließend erst Anzeigen geschrieben wurden, die Vorfälle betrafen, die sich zwei Wochen vorher ereignet hätten. "Vor diesem Hintergrund der Repression gegen politische Oppositionelle muss man auch unseren Prozess sehen", lautet das Fazit der beiden Betroffenen.

"Besucher für den 9:00 Uhr Prozess in Saal 001 bitte den Nebeneingang benutzen", lautet ein großes Schild am Eingang zum Amtsgericht. Offensichtlich will man den am Nebeneingang aufgebauten Repressionsapparat vor der Öffentlichkeit verbergen, denn der Saal 001 hat für heute einen separaten Zugang, sodass sich nur die ProzessunterstützerInnen von Klaus und Johannes der entwürdigenden und erniedrigenden Schikane der Eingangskontrollen unterziehen müssen.

Wie eng der Rahmen des zugelassenen Dissens zur Normalität ist, zeigt sich bereits vor dem Prozess. Zwei Personen halten vor dem Gebäude auf dem Parkplatz ein Banner mit der Aufschrift "Warnung: Politisches Engagement kann zu Repression führen!" in die Höhe, als gerade der stellvertretenden Amtsgerichtsdirektor Thiele (der vorher in Bad Oldesloe angestellt war, und die Widerstandsprozesse im Juni leitete) auf das Gebäude zu geht. Thiele verbietet daraufhin das Zeigen des Banners vor dem Gebäude.

Nach den pingelig genauen Eingangskontrollen durch die "mobile Einsatzgruppe Justiz" beginnt der Prozess schließlich um 9.25 statt um 9.00 Uhr. Richter Dr. Fieber eröffnet den Prozess, fragt die Personalien ab, und würgt den Wunsch eines der Angeklagten ab, Befangenheitsanträge zu stellen. Er sichert dem Angeklagten jedoch zu, diese ohne "Rechtsverluste" nach dem Verlesen der Anklage stellen zu können. Staatsanwalt Gotthard verliest die Anklageschrift. Danach beantragte einer der Angeklagten eine Pause zum Schreiben von Anträgen. Es gelingt ihm, eine Pause von 15 Minuten durchzusetzen. Danach stellte einer der Angeklagten mehrere Befangenheitsanträge. Darauf vertagte Richter Fieber den Prozess auf den 11.12. um 8:30, und legte für den 18.12. um 12:00 Uhr bereits einen dritten Verhandlungstag fest. Die schnelle Vertagung entstand auch dadurch, dass die beiden geladenen Polizeizeugen Schulz und Brügner nicht anwesend waren.

Das Verfahren wurde schließlich auf dem Postweg beendet. In einem Schreiben an die Angeklagten teilte das Gericht mit, das Gericht habe bei der geschädigten Firma nochmals hinsichtlich des Zeitwertes der angeblich entwendeten Gegenstände und vor allem nach dem geplanten Verwendungszweck nachgefragt. "Die Geschädigte hat mitgeteilt, dass bzgl. Rollstuhl und Rollator bereits die Bewilligung der Verschrottung beantragt worden sei." Zudem wären diese weiterhin relativ ungeschützt (auch hinsichtlich der Witterungsbedingungen) gelagert worden. Der Wert sei gering anzusiedeln, "da eine langfristige Nutzung wohl nicht mehr möglich gewesen wäre". Daraufhin wurde das Verfahren eingestellt.

"Das ist eine herbe Schlappe für den hinter dem Verfahren steckenden Oldesloer Staatsschutz, dass das zuständige Amtsgericht klarstellt, dass es nicht mit Strafverfahren gegen AktivistInnen, die ihr Essen aus dem Müll holen, belästigt werden will!", sagte Klaus, einer der betroffenen AktivistInnen. "Aber es laufen Dank KOK Wackerow immer noch zwei Verfahren gegen unser Umfeld." Um eine mittlerweile für illegal erklärte DNA-Abgabe von Johannes durchzusetzen, verhafteten die Staatsschutzbeamten Wackerow und Wolters im November 2008 seinen Freund Helge T. Auf die Idee, die Identität der Person vor ihnen zu überprüfen, kamen die Staatsschützer erst, als die Person nach "Anwendung von einfachem körperlichen Zwang" schmerzverkrümmt vor ihnen im Gehwegstaub lag. "Den Staatsschützern gefällt es nicht, dass es Fotos im Internet gibt, die zeigen, wie sie andere Menschen verprügeln!" kommentiert dies Klaus. "Wir freuen uns auch auf dieses Verfahren, zumal nun klar ist, dass Müll mopsen kein Verbrechen ist!"


*


Quelle:
Gegenwind Nr. 257 - Februar 2010, Seite 51-52
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
E-Mail: redaktion@gegenwind.info
Internet: www.gegenwind.info und www.gegenwind-online.de

Der "Gegenwind" erscheint zwölfmal jährlich.
Einzelheft: 3,00 Euro, Jahres-Abo: 33,00 Euro.
Solidaritätsabonnement: 46,20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2010