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GEGENWIND/446: Alle Gewalt geht vom Volke aus oder Ein Märchen in unserer Fassadendemokratie



Gegenwind Nr. 266 - November 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

LANDTAG Schleswig-Holstein

Alle Gewalt geht vom Volke aus oder
Ein Märchen in unserer Fassadendemokratie

Eine Polemik

Von Andreas Meyer

Als gutgläubige Staatsbürger, die früher im Schulunterricht aufgepasst haben, gehen viele von uns davon aus, dass wir in einer Demokratie leben, in der alle Gewalt vom Volke ausgeht.
Volkeswille soll sich nach dem Grundgesetz in den Mehrheitsverhältnissen der demokratisch gewählten Parlamente widerspiegeln und in Gesetzen und Regierungshandeln ausdrücken.


Die Gewaltenteilung von Gesetzgebung, Regierung und Rechtsprechung schützt uns nach der Philosophie dieses Gesetzes vor Machtmissbrauch.

Die im Grundgesetz verankerte Meinungs- und Pressefreiheit ist nicht nur als ein persönliches Freiheitsrecht zu verstehen. Sie soll auch in der veröffentlichten Meinung eine Meinungsvielfalt sicherstellen und damit die demokratische Kultur in diesem Land fördern.

Neben diesen postulierten demokratischen Rechten ermöglicht die "Soziale Marktwirtschaft" nach dem vorherrschenden Systemverständnis allen "Leistungsträgern", so sie denn wollen, ein Automobilwerk oder einen Stahlkonzern zu gründen. Andererseits bewahrt sie angeblich die Schwächeren in dieser Gesellschaft durch soziale Sicherungssysteme wie Hartz IV vor dem Absturz in das Elend und sichert damit allen Menschen ein Leben in Würde.

So etwa lautet die Geschichte, grob zusammengefasst, die sie uns in der Schule erzählt haben. Viele glauben noch bis heute daran. Nur Nörgler, wie der Autor dieses Pamphlets, stellen die ketzerische Frage, ob diese Geschichte nicht eher ein Märchen sei. Werfen wir einen genaueren Blick auf einige Kapitel dieser Erzählung und vergleichen sie mit der gesellschaftlichen Realität.


Demokratieversprechen als Mogelpackung

Allein die Tatsache, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung zum Beispiel die Einkommens- und Vermögensverteilung oder die geplante Gesundheitsreform für unsozial hält, die Kriegseinsätze in Afghanistan ablehnt und sich gegen die Verlängerung der AKW-Laufzeiten ausspricht, wirft die Frage auf, wie eine Regierung, die mehrheitlich gewählt wurde, eine Politik betreiben kann, die sich in wesentlichen Bereichen gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit richtet. Ist das Zufall oder Struktur? Gibt es Einflüsse auf Regierungshandeln, die wesentlich stärker sind als der Mehrheitswille der Bevölkerung? Das ist zugegeben eine rhetorische Frage. Solche Einflüsse sind offenkundig.


Politik als Agentur für die Wirtschaft

Beginnen wir bei dem strukturellen Einfluss der Wirtschaft auf die Politik. Die Wirtschaft sichert die existenzielle Basis einer Gesellschaft. Diese ökonomische Basis unterliegt in einer kapitalistischen Ökonomie keiner demokratischen Kontrolle und orientiert sich einzig und allein an den Gewinnerwartungen der Kapitaleigner und Investoren.

Somit entzieht sich ein entscheidender gesellschaftlicher Bereich demokratischen Strukturen. Doch damit nicht genug. Die wichtigsten Unternehmen und Sektoren einer Volkswirtschaft haben einen entscheidenden Einfluss auf das Leben der gesamten Bevölkerung. So haben beispielsweise Konjunkturverläufe, wirtschaftliche Strukturveränderungen, Gewinnerwartungen und Finanzspekulationen erhebliche Auswirkungen auf die allgemeinen Lebens- und Arbeitsbedingungen.

Dafür ist die letzte tiefe Wirtschafts- und Finanzkrise ein eklatantes Beispiel. Banken sind aus Steuermitteln mit zig Milliarden Euro gerettet worden, weil sie als systemrelevant galten, Automobilkonzerne wurden mit Abwrackprämien über Wasser gehalten und die staatliche Förderung des Kurzarbeitergelds verhinderte die schlimmste Arbeitslosigkeit.

All das hatte weitreichende Konsequenzen für die sozialen Sicherungssysteme und die öffentlichen Haushalte. Die Zeche für diese Krise wird breiten Teilen der Bevölkerung durch eine völlig unsoziale Sparpolitik aufgebürdet. Auf den Finanzmärkten gilt wieder "business as usual". Es wird wieder ohne weitere Einschränkungen gezockt, als hätte es eine Finanzkrise nie gegeben. Selbst Banker von Pleitebanken wie der HRE oder der HSH-Nordbank stecken sich erneut Boni in Millionenhöhe in die Taschen. Sie gelten eben als "Leistungsträger"!

Es mag ja sein, dass eine noch so sozialdemokratische Regierung mit der Bewältigung dieser Krise etwas sozialer umgegangen wäre. Doch auch sie hätte sich an den Fakten einer Ökonomie orientieren müssen, die ihren eigenen kapitalistischen Gesetzen folgt. Nach diesen Gesetzen ist es in erster Linie ausschlaggebend, wie die "Märkte" und die Börse auf wirtschaftspolitische Entscheidungen reagieren. Das wird bei einem Blick in die Wirtschaftsseiten der wichtigsten überregionalen Zeitungen deutlich. Die "Reaktionen des Marktes", d.h. die Profiterwartungen der Anleger, werden hier wie heilige Kühe behandelt.

Gegenüber der Bevölkerung wird eine solche politische Orientierung als ein Sachzwang dargestellt, dem zu folgen ist, um Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze zu sichern und um die Standortbedingungen dieses Landes im globalen Wettbewerb zu stärken.

"Dazu gibt es keine Alternative!" - lautet die dazugehörige Parole. Diese Begründung dient oft als Vorwand, ergibt sich aber in vielen Fällen tatsächlich aus der Logik dieses Wirtschaftssystems. Wenn dem aber so ist, wäre es an der Zeit dieses System auch hinsichtlich seiner demokratischen Legitimation zu hinterfragen. Schon Tucholsky bemerkte süffisant nach einem Wahlsieg der Sozialdemokraten in der Weimarer Republik sinngemäß: 'Die Sozialdemokraten meinen sie hätten die politische Macht, dabei haben sie nur die Regierung.'


Der politische Zugriff der Lobbyisten

Die strukturelle Abhängigkeit politischer Entscheidungen von den Interessen der Wirtschaft wird durch einen ständig wachsenden und völlig undurchsichtigen Lobbyismus verstärkt. Große Wirtschaftsverbände nehmen mit Heeren von hochprofessionellen Lobbyisten Einfluss auf die Gesetzgebung und auf andere wichtige politische Entscheidungen. Diese Lobbyisten umlagern nicht nur Parlamente und Ministerien, sondern sie sitzen bereits in den Ministerien und schreiben dort die Gesetzesvorlagen mit. Es sind bereits mehr als einhundertzwanzig von der Wirtschaft bezahlte "Leiharbeiter", die die Ministerialbürokratie im Sinne ihrer Auftraggeber "unterstützen". Dabei sind die "Schwarzarbeiter" nicht einmal berücksichtigt. So hat beispielsweise ein Mitarbeiter von Daimler im Verkehrsministerium bei der Maut-Gesetzgebung mitgewirkt. Daimler sitzt in dem Konsortium, das das Mautsystem entwickelte und verkauft. Ein Vertreter des Frankfurter Flughafenbetreibers FRAPORT AG wirkte bei dem Fluglärmgesetz mit. Das Gesetz unter Rot-Grün, das seit 2003 den Marktzugang für Hedge Fonds liberalisierte, wurde mit der tatkräftigen Unterstützung des Hedge-Fond-Verbandes geschrieben, der ein eigenes Büro im Finanzministerium hatte.

Der Verband der Bauindustrie stellt dem Verkehrsministerium bezahlte Mitarbeiter zur Verfügung und eine von der Tabakindustrie vorformulierte Gesetzesvorlage zum Nichtraucherschutz ging unverändert, inklusive Tippfehler, in den Gesetzgebungsprozess ein.

Es ließen sich noch viele weitere Beispiele nennen. So ist der Einfluss der Energieriesen EON, EnBW, RWE und Vatenfall auf die Verlängerung der AKW-Laufzeiten unverkennbar Diese Verlängerung macht die AKWs zu reinen Gelddruckmaschinen für die Energiekonzerne. Risiken und Nebenwirkungen trägt die Bevölkerung. Ebenso unverkennbar sind die Einflüsse von Pharmaindustrie, Ärzteverbänden Krankenversicherungen auf die Gesetzgebung im Bereich des Gesundheitswesens. Ergänzt wird dieser Lobbyismus durch Gutachten nicht immer politisch neutraler Institute wie z.B. der Bertelsmannstiftung mit ihrer Initiative zur "Neuen Sozialen Marktwirtschaft". Über diesen Weg kann Ideologie als vermeintlich unangreifbare Wissenschaft verpackt werden.


Die Drehtür zwischen Politik und Wirtschaft oder: Eine Hand wäscht die andere!

Die personelle Verflechtung von Politik und Wirtschaft wird in den unzähligen Aufsichtsratssitzen oder Beraterverträgen für Parlamentarier in Bund, Ländern und Gemeinden deutlich. Dabei handelt es sich um einen Dschungel undurchsichtiger Beziehungen. So hatte zum Beispiel Herr Sarrazin, der Robin Hood des deutschen Stammtisches, als Berliner Senator 46 Nebentätigkeiten. Bei seinen umfangreichen Tätigkeitsfeldern blieb ihm noch genug Zeit, den "Leistungsmissbrauch" von HARTZ IV-Empfängern anzuprangern und für sie Speisepläne zu entwickeln.

Über die gut bezahlten Nebentätigkeiten unseres politischen Personals hinaus funktioniert die Drehtür zwischen Politik und Wirtschaft wie geschmiert. Verbandsvertreter gehen in die Politik und ausgediente Politiker verschwinden in der Wirtschaft, um dort zu stattlichen Honoraren ihre politischen Beziehungen im Interesse ihrer Auftraggeber zu nutzen. Prominente Beispiele sind: Schröder, Fischer, Clement, Schily, Steinbrück, Koch und von Beust. Sie alle bessern ihre sowieso schon pralle Altersversorgung als Frühstücksdirektoren oder Berater in Konzernspitzen auf.


Pressefrei und die Produktion einer medialen Einheitssoße

Wie sieht es nun mit der Presse- und Meinungsfreiheit in diesem Land aus? Die gesetzliche Garantie dieser Freiheit und der sich daraus ergebende Verzicht auf staatliche Zensur ist viel wert, wenn man an Regime denkt, in denen die Meinungsfreiheit durch staatliche Zensur und Repression unterdrückt wird. Dennoch ergibt sich für die veröffentlichte Meinung faktisch eine erhebliche Einschränkung. Da auch der Medienmarkt den Gesetzen des Kapitals unterworfen ist, hat sich im Bereich der Verlage in den letzten Jahren eine starke Pressekonzentration vollzogen. Dazu kommt die Konkurrenz mit den neuen elektronischen Medien. Im Zuge von Sparmaßnahmen wurden und werden ganze Redaktionen rausgeworfen. Die rausgeschmissenen Mitarbeiter dürfen bei Bedarf als "freie Mitarbeiter" zu geringerem Einkommen und ohne Sozialversicherungsbeiträge weiter schreiben. In zunehmendem Maße kaufen Zeitungen Artikel von den großen Agenturen wie dpa oder afp. Das ist billiger als eigenständig zu recherchieren oder Aufträge an "freie" Mitarbeiter" zu vergeben.

In der Konkurrenz auf dem hart umkämpften Medienmarkt wiegt die Abhängigkeit von gewichtigen Anzeigenkunden oder im TV-Bereich von Werbeaufträgen und Einschaltquoten besonders stark. Von diesem Prozess bleiben auch die öffentlich rechtlichen Sendeanstalten nicht verschont, die sich über Einschaltquoten in die Konkurrenz mit den "Privaten" begeben.


Der mediale Mainstream zwischen TAZ und FAZ

Unter dem Strich ergießt sich im Zuge der hier skizzierten Entwicklung eine Einheitssoße über die Medienlandschaft. Dabei werden innerhalb eines staatstragenden und mehrheitskompatiblen Meinungskorridors fast wöchentlich "Säue durch das Dorf getrieben", die zu aufgeregten Debatten führen, Meinungsvielfalt suggerieren und nicht selten von brisanten Themen ablenken.

Zurzeit ist es der Islamismus, gestern war es die Vogelgrippe. Die hysterische und oft chauvinistische Debatte über den Islam lässt soziale Probleme und die Folgen einer Klientelpolitik dieser Regierung fast vergessen. Was in diesem öffentlichen Diskurs gar nicht oder nur selten vorkommt, ist die Frage, ob dieses politische und ökonomische System für uns nicht bedrohlicher ist als die Vogelgrippe. Eine solche Fragestellung gefällt weder den Eigentümern der Medien noch ihren Werbe- und Anzeigekunden. Sie wird bestenfalls am Rande von öffentlich rechtlichen Sendern zu nachtschlafender Zeit oder von Nischenmedien wie z.B. dem Gegenwind behandelt.

Abgesehen von der traurigen Tatsache, dass die BILD millionenfach alltäglich die deutsche Leitkultur bildet, ist die Suche nach Meinungsvielfalt in anspruchsvolleren Blättern nicht einfach. Worin unterscheidet sich in der überregionalen Zeitungslandschaft heute noch der SPIEGEL im politischen Inhalt wesentlich vom FOCUS oder von der ZEIT, worin die "Frankfurter Allgemeine" von der "Frankfurter Rundschau" oder der "Süddeutschen Zeitung"? Sie alle gehen von der Überlegenheit unseres politischen und ökonomischen Systems aus und sind nicht bereit, es kritisch zu hinterfragen.

Vor der Krise zog sich die Philosophie der Neoliberalen wie ein roter Faden durch die Wirtschaftsteile fast aller Gazetten. Heute wird von den meisten Zeitungen die Notwendigkeit staatlicher Sparpolitik als alternativlos dargestellt. Betrachtet man die Zeitungslandschaft vor unserer Haustür in Schleswig-Holstein, so ist es mit der Meinungsvielfalt auch nicht weit her. Hier prägen die "Kieler -" und "Lübecker Nachrichten" sowie die diversen Tageszeitungen des "Schleswig-holsteinischen Zeitungsverlages" (shz) mit einem stockkonservativen Journalismus neben der BILD weitgehend die Meinung in dem "Land der Horizonte". Abschließend lässt sich hinsichtlich der Meinungs- und Pressefreiheit feststellen, dass sie formal besteht. Doch die Freiheit zur Veröffentlichung von Meinungen wird durch die Gesetze des Marktes weitgehend ausgehebelt.


Soziale Marktwirtschaft und die Verteilung von unten nach oben

Der Begriff der Sozialen Marktwirtschaft entwickelte sich in der Nachkriegsära unter Ludwig Erhard zu einem Markenbegriff. Salopp gesprochen geht es dabei darum, den "Tiger" Kapitalismus zu reiten und ihn sozialverträglich abzurichten. Damit soll die Kraft dieses Systems sozial genutzt werden. "Eigentum verpflichtet!", heißt die dazugehörige Devise.

Zunächst schien das ganz erfolgreich zu sein. Hohe Wachstums- und Produktivitätsraten in der Wiederaufbauphase, die bis in die Mitte der 1970er Jahre reichten, starke Gewerkschaften während der Vollbeschäftigung und die Systemkonkurrenz zwischen Ost und West führten zu wachsenden Lohnquoten, zur Senkung der Arbeitszeit und zum Ausbau der sozialen Sicherungssysteme. Doch spätestens seit den 1980er Jahren war Schluss mit Lustig.


Schluss mit Lustig: Lasst den Tiger frei!

Bei fallenden Wachstumsraten, steigender Arbeitslosigkeit und dem Bankrott des sog. Realsozialismus machten sich in ganz Europa die Regierenden daran, hart erkämpfte soziale Errungenschaften abzuräumen. Das ideologischen Mantra einer inzwischen weit verbreiteten neoliberalen Politik lautet: Den "Staat verschlanken", "Wachstumskräfte freisetzen", "Selbstverantwortung stärken", "soziale Hängematten beseitigen". "Der Sozialstaat ist in der jetzigen Form nicht mehr finanzierbar!"

In Deutschland erreichte dieser Trend unter der Schröder Regierung mit der Agenda 2010 und der Hartz IV-Gesetzgebung einen vorläufigen Höhepunkt. Hartz IV leistet nicht nur wachsender Armut Vorschub sondern hat durch seine Restriktionen und Zumutbarkeitsklauseln fatale Wirkungen auf das gesamte Lohnniveau. Durch den gewaltigen Ausbau der Leiharbeit wird die Wirkung dieses Lohndumpings noch verstärkt. Insgesamt führte diese Entwicklung dazu, dass während einer Aufschwungphase die Reallöhne sanken. Ein einmaliger Vorgang seit Bestehen der Bundesrepublik. Der Anteil der Hungerlöhne und der prekärem Beschäftigung war nie so hoch wie heute.

Auch die sozialen Sicherungssysteme werden auf Kosten breiter Teile der Bevölkerung umgebaut. Die vorgesehene Rente mit 67 ist realistisch betrachtet eine Rentenkürzung. Mit der geplanten Gesundheitsreform werden Arbeitgeber und hohe Einkommensgruppen entlastet und die wachsenden Kosten durch Zuzahlungen und Pauschalen allein an die Versicherten weitergereicht. Darüber hinaus führen die Verschuldung der öffentlichen Haushalte und die gesetzliche Schuldenbremse in den Ländern und Gemeinden zwangsläufig zu einem Abbau der sozialen Infrastrukturleistungen.


Wasser predigen und Wein trinken

Der politische Skandal an dieser Entwicklung besteht vor allem darin, dass in der Phase, in der die Reallöhne sanken, der Arbeitsmarkt dereguliert und soziale Leistungen abgebaut wurden, die Einkommen und Vermögen der höchsten Einkommensgruppen immens stiegen. Gleichzeitig erreichte das Bruttosozialprodukt vor der Krise seinen historischen Höchststand. Inzwischen besitzen 10 Prozent der Deutschen mit etwa vier Billionen Euro über 60 Prozent des gesamten Privatvermögens.

Die Tatsache, dass bei der "Sanierung" von Banken und öffentlichen Haushalten, Banken und andere Kapitalinvestoren erneut riesige Gewinne einfahren, weil sie an den Staat Kredite vergeben, mit denen er die Schulden bezahlt, die sie zum großen Teil selbst verursacht haben, ist ein Zynismus für alle, die den "Gürtel enger schnallen" müssen.

Kurz und gut, die Erzählung vom Sozialstaat entpuppt sich bei genauerer Betrachtung mehr und mehr zu einer Gruselgeschichte. Wenn es dem Tiger zu bunt wird, schüttelt er seine Reiter ab und geht wieder ungehindert auf Beutejagd.


Demokratie fällt nicht vom Himmel!

Es hat sich gezeigt, dass in wesentlichen Bereichen unserer Gesellschaft das staatliche Demokratieversprechen durch die Logik kapitalistischer Marktgesetze zur reinen Makulatur wird. Diese Logik dringt in die letzten gesellschaftlichen Nischen. Gesundheit wird zur Ware, Kultur muss sich rechnen, Bildung muss sich rentieren, öffentliche Güter werden privatisiert.

Doch dieser Prozess ist keineswegs alternativlos. Es liegt an uns, ihn aufzuhalten und wirkliche demokratische Verhältnisse einzufordern. Dazu gehören unter anderem die Demokratisierung der Wirtschaft, Formen der direkten Demokratie durch Volksentscheide, die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten und eine Grundsicherung, die tatsächlich allen ein Leben in Würde ermöglicht. Das alles mag angesichts der bestehenden Verhältnisse utopisch erscheinen, denn solche Veränderungen setzen die Bereitschaft zu harten gesellschaftliche Auseinandersetzungen voraus. Doch die Proteste und der Widerstand gegen weitere politische Zumutungen und die Verschlechterung der Lebensverhältnisse haben europaweit zugenommen. Politische Streiks und Massendemonstrationen mit millionenfacher Beteiligung in Frankreich, Spanien und Griechenland zeigen die Bereitschaft, sich gegen eine Politik zu wehren, die mit Sparmaßnahmen, Steuer- und Beitragserhöhungen die Massen belastet und die Reichen schont.

Auch in Deutschland verstärkt sich der Widerstand gegen eine Politik, die sich vorwiegend an den Interessen der Eliten orientiert. Dazu gehören die Demonstrationen und Proteste gegen die Laufzeitverlängerung der AKWs, der Widerstand gegen Stuttgart 21 und die Proteste gegen die unsozialen Sparmaßnahmen von Bund Ländern und Gemeinden.

So findet auch in Kiel am 18.11. eine landesweite Großdemonstration unter dem Motto statt: "Gerecht geht anders - Wir zahlen nicht für eure Krise". Hier hat jede und jeder die Möglichkeit, kraftvoll zum Ausdruck zu bringen: "ES REICHT!"


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Quelle:
Gegenwind Nr. 266 - November 2010, S. 17-12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2010