Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GEGENWIND/472: Im Schatten der Atomdebatte - Carbon Capture and Storage (CCS) auch Schleswig-Holstein?


Gegenwind Nr. 272 - Mai 2011
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

ENERGIE
Im Schatten der Atomdebatte:
CCS auch Schleswig-Holstein?

In Japan hat sich gezeigt, was passiert, wenn eine Hochrisikotechnologie versagt

Von Marlene Löhr


Die Katastrophe in Japan und vor allem die Ereignisse in den Kernreaktoren von Fukushima haben auch in Deutschland die Atomdebatte verändert. Niemand bestreitet mehr, dass es bei den Aspekten von Sicherheit und Restrisiko erneuten Diskussionsbedarf gibt.


In Japan hat sich gezeigt, was passiert, wenn eine Hochrisikotechnologie versagt. Doch im Schatten der deutschen Atomdebatte läuft die Diskussion um eine weitere hochriskante Technologie: Die Verpressung von CO2 in den Untergrund (in der Fachsprache CCS - Carbon Capture and Storage). Aus Klimaschutzgründen soll sie schon sehr bald zum Einsatz kommen.

Doch auch CCS birgt große Risiken. Die akute und bedrohliche Gefahr ist, dass das verpresste CO2 durch Risse und undichte Stellen plötzlich wieder an der Oberfläche gelangt. Reichert sich die Luft dann mit Kohlendioxid an, wird das sehr schnell lebensbedrohlich für Menschen und Tiere, die in der Gegend leben. So geschehen im kanadischen Saskatchewan, wo CCS bereits getestet wird. Plötzlich lagen die Kühe tot auf der Weide.

Neben dieser akuten besteht aber auch die Gefahr, dass das Gas schleichend entweicht - das wäre nicht lebensbedrohlich, aber dem Klimaschutz wäre damit auch nicht geholfen. Man würde also buchstäblich viel Forschungsgeld und -zeit in den Untergrund verpressen, ohne dass es am Ende irgendjemandem genutzt hätte.

Bisher gibt es keine verlässlichen Aussagen darüber, ob das Gas im Untergrund bleibt. Wozu es allerdings schon Forschung gibt, sind die Reaktionen, die CO2 im Untergrund auslösen könnte. Einhellig kommen viele ExpertInnen zu der Schlussfolgerung, dass CO2 das Grundwasser verunreinigen und die Trinkwasserversorgung erheblich gefährden könnte. Zudem steht nirgendwo geschrieben, dass nur "reines" CO2 verklappt werden darf - eine Beimischung von Schwermetallen und Stickoxiden ist also durchaus denkbar und erlaubt.

Der nun vorgelegte Gesetzentwurf der Bunderegierung sieht vor, dass ein Bundesland selber entscheiden kann, ob es CCS zur Anwendung bringen will oder nicht. Allerdings muss es die Verklappung durch ein Ländergesetz ausschließen und es gibt begründete juristische Zweifel daran, dass Länder reine Verhinderungsgesetze machen dürfen. Auf den zweiten Blick ist der Gesetzentwurf also ein fauler Kompromiss, da er CCS durch die Hintertür der Landesgerichte doch wieder ermöglichen könnte. Ein typischer Kompromiss á la Merkel: Ein Gesetzentwurf der Wischiwaschi ist, um alle glücklich zu machen. Am Ende entscheiden die Gerichte, wie das Gesetz anzuwenden ist. Eine klare Vorstellung und Umsetzung eines Energiekonzeptes sieht anders aus.

Der Gesetzentwurf muss also dringend nachgebessert werden, ansonsten ist die Gefahr von CCS in Schleswig-Holstein noch lange nicht vorbei. Dem vorliegenden Gesetzentwurf darf die Regierung Carstensen nicht zustimmen, wenn sie es mit ihrem "Nein" zu CCS ernst meinen.

Eigentlich muss es in der Debatte jedoch statt einer Nachbesserung des Gesetzes grundsätzlich um die Frage gehen, ob wir CCS in Deutschland haben wollen oder nicht. Gas im Untergrund macht an Landesgrenzen nicht hält, so dass ein Bundesland, das sich für die Verpressung entscheidet, auch sehr schnell ein anderes Bundesland vor vollendete Tatsachen stellen kann. Die EU-Richtlinie, die eine gesetzliche Positionierung von Deutschland abverlangt, macht auch einen gesamtdeutschen Ausschluss der Technologie möglich.

Dass nun gerade SPD und Linke in Brandenburg ein bundesweites CCS-Gesetz fordern, welches Ländern die Verpressung von Kohlendioxid aufzwingen kann, ist ein erstaunlicher Vorgang. Streiten beide Parteien anderswo dafür, dass die Forschungsgelder in Maßnahmen investiert werden, die nachweisbar und verlässlich zum Klimaschutz beitragen, will insbesondere die Linke in Brandenburg unbedingt eine Erforschung und Anwendung von CCS. Grund hierfür ist vor allem die starke Braunkohleindustrie und die damit verbundenen Arbeitsplätze in Brandenburg. Dennoch zeigt der Vorgang, dass auch die Linke sich beim Regieren Lobbyinteressen nicht entziehen kann.

Verschwiegen wird dabei, dass der vorliegende Gesetzentwurf - wie so oft bei solchen Technologien - die Risiken sozialisiert während die Gewinne privatisiert werden. Gerade mal für 30 Jahre müssen die Betreiber Nachsorge für die CO2-Lager betreiben, danach haftet der Staat für alle Schäden. Wenn CCS einen wirklichen Klimaschutzbeitrag leisten soll, dass muss es aber auf sehr lange Zeit dort gelagert werden. 30 Jahre sind in diesen Maßstäben ein Witz.

Wieder einmal steht die Menschheit vor dem Problem, dass eine Technologie Müll produziert, der weitaus länger problematisch ist, als das der Verursacher dafür zur Haftung gezogen werden kann. Schon alleine aus diesem Grund muss man CCS ablehnen, wenn man nicht der Meinung ist, dass der Staat solche Risiken hält übernehmen muss, weil der Nutzen der Technologie weitaus höher ist als der eventuelle Schaden. Gerade beim Klimaschutz sind aber mit dem Geld weitaus effektivere, ökonomischere und umweltschonendere Maßnahmen machbar. Der Nutzen von CCS ist unter diesen Voraussetzungen nicht argumentierbar.

Was den Menschen in Schleswig-Holstein aber noch viel mehr Angst macht, ist die Tatsache, dass die Beweislast für Schädigungen beim Geschädigten liegt. GrundstückseigentümerInnen müssen also dem Betreiber einer solchen Anlage - in Brandenburg wäre das Vattenfall - nachweisen, dass sie Schäden durch die Anlage erfahren haben und nicht umgekehrt. Wie beweist man, dass die Kuh an einer CO2-Vergiftung gestorben ist?

Die Linke kämpft dafür, dass sich kein Bundesland der Verpressung von CO2 entziehen kann, weil sie nicht als Einzige die Risiken der Technologie tragen wollen und zeitgleich der Meinung sind, mit CCS Arbeitsplätze in der Braunkohleindustrie sichern zu können. Diese Forderung bedeutet allerdings eine wahnsinnige Ignoranz gegenüber den Sorgen der Bevölkerung in Gebieten, die für CCS geeignet sind. Spätestens seit der Atomdebatte in Deutschland wissen wir, dass Risiken unterschiedlich eingeschätzt werden. Den Menschen im Norden ist das Risiko einer CCS-Verpressung zu hoch.

Zudem müssen wir in Deutschland endlich aufhören einer Optimierungsstrategie für Großkraftwerke zu verfolgen. Wenn wir klimaschonend und nachhaltig Energie produzieren wollen, dann müssen wir unser Energiesystem komplett umbauen und zwar so schnell wie möglich. Jeder Euro, der jetzt noch in die alten Strukturen gesteckt wird, ist ein Euro zu viel.

Schleswig-Holstein macht es vor, wie es gehen kann. Wir werden uns schon sehr bald zu 100% erneuerbar versorgen und andere Bundesländer ebenfalls mitversorgen können. Brandenburg hat die Chance diesen Umstieg mitzumachen oder es wird über kurz oder lang als Verlierer dastehen. Auf keinen Fall werden wir den CO2-Dreck der brandenburgischen Braunkohle unter unseren Windkraftwerken begraben.


Marlene Löhr
Landesvorsitzende von Bündnis '90/Die Grünen in Schleswig-Holstein


*


Quelle:
Gegenwind Nr. 272 - Mai 2011, S. 25-26
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
E-Mail: redaktion@gegenwind.info
Internet: www.gegenwind.info

Der "Gegenwind" erscheint zwölfmal jährlich.
Einzelheft: 3,00 Euro, Jahres-Abo: 33,00 Euro.
Solidaritätsabonnement: 46,20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2011