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GEGENWIND/515: Das bedingungslose Grundeinkommen


Gegenwind Nr. 287 - August 2012
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Das bedingungslose Grundeinkommen

Ein Essay von Arfst Wagner



Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens bedeutet ein garantiertes Mindesteinkommen für jeden Menschen, das ohne Bedürftigkeitsprüfung, ohne Arbeitszwang individuell ausgezahlt wird und das in seiner Höhe jedem Menschen ermöglicht, seine elementaren Grundbedürfnisse zu befriedigen. Ein solches bedingungsloses Grundeinkommen gibt dem Artikel 1 des Grundgesetzes einen Inhalt: Die Würde des Menschen ist unantastbar.


Dagegen steht das so genannte "Hartz IV-System": Die Menschen dort sind ganz besondere "Kunden": sie besitzen nämlich nicht ein einziges Kundenrecht. Hartz IV ist nicht kompatibel mit dem Artikel 1 des Grundgesetzes. Das System demoralisiert und zerteilt die Gesellschaft.

Die ZeitarbeiterInnen sind die neue Sklavenkaste. Sie verdienen so viel, dass sie die Kosten zum und vom Arbeitsplatz, ein Dach überm Kopf und das Essen bezahlen können. Auch Sklavenhalter wollten meistens, dass es den Sklaven insoweit gutging: schließlich sollten sie arbeiten. Das Vorhandensein von inzwischen 2 Millionen ZeitarbeiterInnen ist kein Versehen, kein Systemfehler, es war volle Absicht. Ich kann mich auch noch an die Begründung erinnern, mit der sie eingeführt wurde: internationaler Konkurrenzdruck. Übrigens hat die Zeitarbeit inzwischen auch vor den Jobcentern nicht haltgemacht. Bis zu 30% der MitarbeiterInnen sollen aus der Zeitarbeit rekrutiert werden, um Kosten zu sparen.

Wachstum schafft Arbeitsplätze? Ein Blödsinn, wie jede Jahresstatistik in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zeigt. Wachstum schafft etwas ganz anderes. Ein Beispiel: wenn wir von dem derzeit angestrebten Wachstum von jährlich 3% ausgehen. Was bedeutet das?

Bei einem Wirtschaftswachstum von 3 % bis 2050 wird sich der Output sämtlicher Güter und Dienstleistungen verdreifachen. Um auch nur das umstrittene 2-Grad-Ziel(*) zu erreichen (womit nicht Überschwemmungen von Inseln oder großen Teilen Bangladeshs, das Verschwinden von Jahreszeiten, Hurrikane etc. vermieden werden soll, sondern nur der Kipppunkt) müsste dagegen die CO2-Produktion in Deutschland pro Kopf und pro Jahr von knapp 11 Tonnen auf unter 3 sinken. Wie geht das zusammen? Gar nicht, würde ich sagen. Wir produzieren jetzt schon weltweit etwa doppelt so viel, wie die Menschheit überhaupt verbrauchen kann. Eine Tatsache, bei der man sich angesichts der Armut auf der Welt in Grund und Boden schämen muss. Übrigens würden 3% Wachstum bis zum Jahr 2010 sogar eine Vervierzehnfachung unserer weltweiten Produktion bedeuten.

Spätestens wenn man das bedenkt und die Uferlosigkeit dieser scheinbar ganz normalen Wachstumsrate von 3% nachempfindet, sollte einem klar sein, dass jetzt andere Wege gegangen werden müssen.

Globalisierer und Globalisierungskritiker rechnen für das Jahr 2040 mit einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeit auf der Welt von 80 %. Das meint der Begriff der so genannten "80:20-Gesellschaft". Er meint auch, dass die gesamte derzeitige Produktion mit 20% der Menschen aufrecht zu erhalten ist. Noch vor Kurzem dachten manche hier in Europa: nun ja, uns wird das so nicht treffen. Jetzt hören wir von 50% Jugendarbeitslosigkeit in Spanien.

Das große Erfolgsrezept unserer Gesellschaft ist seit vielen Jahrzehnten die Rationalisierung. Es werden immer mehr Arbeitsplätze oder sagen wir besser: Erwerbsplätze weggeschaffen. Das ist ganz normal. Jeder Unternehmer denkt so. Niemand macht ein Unternehmen auf, um Arbeitsplätze zu schaffen. Da kommt dann ein Satz von Götz Werner, dem Begründer der dm-Drogeriemarkt-Kette, ganz aus allerdings nicht mehr ganz heiterem Himmel: "Die Wirtschaft hat nicht die Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen, sie hat die Aufgabe, uns von der Arbeit zu befreien". Von der fremdbestimmten lohnabhängigen Erwerbsarbeit. Nicht von der Arbeit als solcher, denn die Befreiung VON der Arbeit ist auch eine Befreiung ZUR Arbeit, nämlich zu der, in der man einen Sinn sieht, für die man die Verantwortung übernehmen kann, auf die man stolz sein kann und wegen der man sich abends noch problemlos im Spiegel in die Augen schauen kann. Was wir brauchen, das ist ein neuer Arbeitsbegriff. Arbeit ist nicht nur da, um Geld zu verdienen, es ist sogar vordringlich dazu da, die Gesellschaft mitzugestalten. "Meine Arbeitskraft ist das Wertvollste, was ich habe!"

"Was würdest Du tun, wenn für Deinen grundsätzlichen Lebensunterhalt gesorgt wäre, lebenslang?" Diese heute zugegebenermaßen ungewöhnliche Frage stellt das bedingungslose Grundeinkommen an jeden Menschen. Und fragen Sie sich das mal ganz persönlich: was würden Sie tun: noch mal studieren? Arbeitsplatz wechseln? Mal sich um ihre alte Mutter kümmern? Und und und.

Wie hoch müsste ein solches bedingungsloses Grundeinkommen sein? Um die grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen, auch die kulturellen, also die Bildungsbedürfnisse, wird ein Betrag von 800 Euro plus Krankenversicherung als Minimum diskutiert. Es gibt auch andere Konzepte wie das FDP-Bürgergeld, die aber den einzelnen Menschen noch mehr Druck machen würden als das derzeitige Hartz IV-System, da es zwar einen Betrag auszahlt, diesen aber an Bedingungen knüpft und die Menschen auf dem "Arbeitsmarkt" (eigentlich doch ein schlimmes Wort, oder?) noch schlechter stellt, da dann kaum noch Schutz vor Lohndumping bestehen würde. Der Sozialstaat darf aber nicht abgeschafft werden, denn es gibt natürlich Menschen, die mit einem Grundeinkommen von 1000 Euro nicht auskommen würden, z. B. solche, die von teuren Medikamenten abhängig sind usw.

Und wer soll das bezahlen? Das bedingungslose Grundeinkommen (auch bGE genannt) ersetzt die bisherigen Zahlungen aus dem SGB (genannt Hartz IV) ebenso wie Kindergeld, Bafög und die meisten der anderen Sozialleistungen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte kürzlich der Süddeutschen Zeitung wir gäben im Jahr so viel Geld für Sozialleistungen aus, dass man davon jedem Menschen in Deutschland 12.500 Euro im Jahr bar auf die Hand zahlen könnte.

Und da wir in Deutschland und in Europa sowieso endlich einmal eine gerechte, transparente und vereinfachte Steuergesetzgebung benötigen, könnte man das bGE dort gleich mit einrechnen. Es gibt einige plausible Finanzierungsmodelle z. B. von attac Österreich.

In Brasilien ist übrigens das bGE schon als Ziel in die Verfassung geschrieben worden. In der Schweiz wird eine Volksabstimmung über das bGE im Jahr 2014 vorbereitet. In Deutschland gibt es ein großes Netzwerk, das aus dem Netzwerk Grundeinkommen (www.grundeinkommen.de) und sehr vielen Initiativen vor Ort besteht. Hier in Schleswig-Holstein gibt es die BürgerInnen-Initiative bedingungsloses Grundeinkommen Schleswig-Holstein (www.bge-sh.de) und seine regionalen Gruppierungen.

Von selbst ändert sich nichts. Alle können mitmachen. Für andere. Und für sich. Eine andere Welt ist möglich!



Arfst Wagner, MdB,
Sprecher der BI bedingungsloses Grundeinkommen SH


Anmerkung:

(*) gemeint ist das Ziel, die Klimaerwärmung durch Reduzierung der Abgase so zu verzögern, dass sich die Erde um "nur" zwei Grad erwärmt (Red.).


Literatur:

Götz Werner / Adrienne Göhler: 1000 EURO für Jeden. Freiheit - Gleichheit - Grundeinkommen. Berlin 2010

Andreas Exner / Werner Rätz / Birgit Zenker (Hg.) Grundeinkommen. Soziale Sicherheit ohne Arbeit. Wien 2007.

Manfred Füllsack: Leben ohne zu arbeiten. Zur Sozialtheorie des grundeinkommens. Berlin 2002.

Ronald Blaschke / Adeline Otto / Norbert Schepers (Hrsg.): Grundeinkommen. Geschichte - Modelle - Debatten. Berlin 2010.

Eine gute Einführung in das bedingungslose Grundeinkommen bietet der Film von Daniel Häni und Enno Schmidt "Kulturimpuls Grundeinkommen". Der Link zum Film, der kostenlos heruntergeladen werden kann:
http ://www.kultkino.chlkultkino/besonderes/grundeinkommen

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Quelle:
Gegenwind Nr. 287 - August 2012, Seite 17-18
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2012