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GEGENWIND/543: Wie viel Soziales leisten eigentlich unsere Behörden?


Gegenwind Nr. 294 - März 2013
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Wie viel Soziales leisten eigentlich unsere Behörden?

von Klaus Peters



Die Organisation unserer Verwaltungen ist grundsätzlich in Fachgebiete, auch Fachressorts, gegliedert. In wenigen Verwaltungen sind inzwischen Stabsstellen eingerichtet worden, die übergreifende Aufgaben wahrnehmen sollen. Dies ist nicht nur die Ausnahme, diese Stellen haben meistens auch wenige Kompetenzen, obgleich sie üblicherweise den Behördenchefs direkt unterstellt sind. Umweltprobleme und Soziale Aufgaben werden von den anderen Fachressorts häufig verursacht, sie werden aber auf Umwelt- und Sozialressorts, auf Stabsstellen oder auch auf Dritte abgewälzt.


Ein großer Teil der sozialen Aufgaben wie Seniorenbetreuung, Betreuung bedürftiger Menschen, wird seit Jahrzehnten scheinbar selbstverständlich von privaten sozialen Einrichtungen, wie der kirchlichen Diakonie, wahrgenommen. Andere Organisationen wie das DRK, die AWO oder der Caritasverband (weitere Verbände siehe unter: Paritätischer Gesamtverband, www.paritaet.org.) sind regional stark vertreten, in Teilbereichen, wie bei der Unterstützung von Arbeitsloseninitiativen, haben sich auch Gewerkschaften engagiert.

Das Engagement kommunaler oder staatlicher Stellen, Beispiel Krankenhäuser, aber auch im Bereich Grundversorgung mit Wasser und Energie, ist in vielen Regionen stark zurückgegangen. Die Gewerkschaft Ver.di setzt sich mit anderen europäischen Gewerkschaften durch die Initiierung einer ersten nach EU-Recht jetzt formal zulässigen europäischen Bürgerinitiative "Wasser ist Menschenrecht" für das Ende von Privatisierungen der Wasserversorgung und für den Schutz des Grundwassers ein.

Einige Kommunen bieten beispielsweise immerhin noch relativ günstige Rentnerwohnungen für ihre älteren Einwohner an. Insgesamt ist das Angebot jedoch unübersichtlich und defizitär. Eigentlich sollten die Behörden doch zumindest in der Lage sein, Übersichten und Leitfäden zu erstellen und eine regelmäßige objektive Berichterstattung zu organisieren. Auch eine Förderung von privaten Initiativen, die Defizite abdecken, kann erwartet werden. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus.


Gebrauchtwaren und Sozialkaufhäuser

Ein typisches Defizit und der Umgang der Behörden damit zeigt eine Anfrage an das Sozialministerium des Landes Schleswig-Holstein mit der Bitte um Übersendung einer Übersicht zu den Standorten und der Situation von Gebrauchtwarenangeboten für Bedürftige. Diese Anfrage gab das Sozialministerium an das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie weiter. Die zuständige Stelle teilte schlicht mit, dass eine solche Übersicht über die "Sozialkaufhäuser" nicht vorliege. Wegen einer Übersicht im zuständigen Kreis wurde empfohlen, den entsprechenden Fachdienst anzuschreiben. Seitdem sind einige Wochen vergangen, eine Antwort liegt nicht vor.

Die Situation einer entsprechenden Einrichtung der Diakonie in Tönning, Kreis Nordfriesland, ist aufgrund von fehlendem Personal und geringer Raumausstattung unzureichend. In den zur Verfügung stehenden Räumen ist auch die "Tönninger Tafel" untergebracht. Einigen Bürgern dienen die Räume wegen fehlender Alternativen zeitweise auch als Treffpunkt und Aufenthaltsraum.

Wegen der Raumenge können die vorhandenen Waren nicht angemessen präsentiert werden. Der Gesamteindruck ist suboptimal. In einem längeren Zeitraum stand kein Personal für Abholungen bereit. Überprüfungen und Reparaturen von Geräten müssen ehrenamtlich durchgeführt werden.

Eine Einrichtung zur Annahme und zur Abgabe bzw. zum Verkauf von Gebrauchtwaren hat mehrere bedeutsame Funktionen. Bedürftige erhalten Waren zu geringen Preisen, brauchbare Ware finden Abnehmer und werden nicht vernichtet. Es werden Einnahmen erzielt. Bei Haushaltsauflösungen bieten die Einrichtungen Hilfe an. Die Einrichtungen können sinnvolle Beschäftigung für Arbeitssuchende organisieren.


Sozialer Wohnungsbau

In der Vergangenheit ist davon ausgegangen worden, dass für eine ausgeglichene Wohnungspolitik etwa ein Drittel des Wohnungsangebots Sozialwohnungen sein müssen. In Deutschland ist das Angebot durch Privatisierungen und die Verkürzung der Belegungsbindung massiv zurückgegangen. Seit der Förderalismusreform 2006 liegen die Zuständigkeiten für den Sozialen Wohnungsbau weitgehend bei den Ländern. Schleswig-Holstein hatte die Belegungsbindung 2009 von 80 auf 35 Jahre verringert. Schon 2015 wird bis zu einem Viertel der Sozialwohnungen in Schleswig-Holstein aus der Bindung fallen - und das bei steigendem Bedarf. Deutschlandweit betrug der Bestand 2001 noch 1,8 Millionen, Jahr für Jahr gehen bis zu 100.000 Wohnungen verloren.

Diese "Entsozialisierung" muss rückgängig gemacht werden. Vor allem die Kommunen sind gefordert, Konzepte für eine soziale Stadt- und Gemeindeentwicklung aufzustellen und umzusetzen. Kommunale Wohnungsvermittlungsstellen können den Wohnungssuchenden am besten helfen. Kommunale und regionale Wohnungsbaugesellschaften müssen gegründet und entwickelt werden. Gleiches gilt für Wohnungsbaugenossenschaften. Darüber hinaus müssen Voraussetzungen für die Realisierung neuer, alternativer Wohnformen, wie dem "Gemeinschaftliche Wohnen" geschaffen werden.


Seniorengenossenschaften

In Seniorengenossenschaften wird bürgerliches Engagement in Form der Hilfe auf Gegenseitigkeit gelebt, wobei die Organisationsform ein eingetragener Verein (e.V.) oder eine eingetragene Genossenschaft (eG) sein kann. Diese Form der organisierten gegenseitigen Hilfe ist trotz einer bereits seit 1991 in Riedlingen (Württemberg) als eingetragener Verein gegründeten Genossenschaft in Deutschland noch nicht sehr verbreitet. Allerdings gibt es inzwischen in Baden-Württemberg weitere 5 Genossenschaften, in Bayern und Hessen ebenfalls erste Gründungen. In der Stadt Riedlingen sind heute fast 600 Bürger Mitglied der Seniorengenossenschaft, die sich dem Paritätischen Wohlfahrtsverband angeschlossen hat.

Zu dem Leistungsangebot der Riedlinger Genossenschaft gehören: Betreutes Wohnen, Essensdienst, Fahrdienst, Handwerklicher Hilfsdienst, Beratung, Kontakttelefon und Besucherdienst. Alle Dienste, außer Beratung und Besucherdienst werden gegen Entgeld angeboten. Der Essensdienst wird in Kooperation mit dem Caritasverband durchgeführt. Prinzipiell können Leistungen von Genossenschaften auch über Zeitgutschriften abgerechnet werden. Dies gilt in Riedlingen allerdings nur für Besuchsdienste.

Die aus einer Bürgerinitiative hervorgegangene Seniorengenossenschaft hat einen aus 7 bis höchstens 11 Mitgliedern gebildeten Vorstand. Die Vorstandsarbeit ist ehrenamtlich. Der Mitgliedsbeitrag beträgt 32 Euro für Alleinstehende und 46 Euro für Ehepaare. Der Verein ist neben seiner Mitgliedschaft im Paritätischen Wohlfahrtsverband Mitglied der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtpflege. Ferner sind eine Vereinshaftpflichtversicherung und eine Dienstreisekaskoversicherung abgeschlossen worden.


Sozialberichterstattung

Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung erscheint alle 4 Jahre, s.: Deutscher Bundestag, 4. Armutsbericht der Bundesregierung und Wikipedia: Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung

Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes, erscheint unregelmäßig, s: Süddeutsche Zeitung vom 20. Dezember 2012.


Weitere Informationen:

Marco Höne: Die Rückkehr der Wohnungsnot in Schleswig-Holstein, Info DIE LINKE Schleswig-Holstein, August 2012, S. 20

Wikipedia: Sozialer Wohnungsbau

Wikipedia: Seniorengenossenschaft

www.martin-riedlingen.de

www.wohnen-alter-bayern.de

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Quelle:
Gegenwind Nr. 294 - März 2013, Seite 23-24
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2013