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GEGENWIND/553: Der Stromnetzausbau an der Westküste bringt eine Region in Aufruhr


Gegenwind Nr. 297 - Juni 2013
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Lokales: Westküste
Der Stromnetzausbau an der Westküste bringt eine Region in Aufruhr

von Klaus Peters



Die Stromtrassenplanung treibt die Bürger der betroffenen Region zur Gründung von Bürgerinitiativen und in die Veranstaltungen "Bürgerdialog - Netzausbau an der Westküste". Erwartungsgemäß sind viele Bürger, die im Gebiet der geplanten Trassen leben, verunsichert und fürchten schwerwiegende Beeinträchtigungen für sich selbst, die Umgebung, für Natur und Landschaft.


Nicht nur CCS und Fracking und nicht nur von Investoren vor der eigenen Haustür geplante Großwindenergieanlagen oder Massentierhaltungsanlagen beschäftigen die Menschen in den betroffenen Orten und Regionen, seit etwa zwei Jahren sind viele Bürger auch mit Stromtrassenplanungen konfrontiert. Dabei sind die Betroffenheit und das daraus üblicherweise resultierende Interesse durchaus unterschiedlich. Eine Art der Betroffenheit dürfte allerdings schon reichen, um viel Zeit darauf zu verwenden, sich in die Thematik einzuarbeiten, Treffen zu organisieren, Veranstaltungen zu besuchen, Pressemitteilungen und Stellungnahmen zu schreiben oder sich gar auf juristische Auseinandersetzungen vorzubereiten.


Folgen verfehlter Wirtschafts- und Energiepolitik

Die besonderen Probleme ergeben sich, abgesehen von der grundlegend falschen Energiepolitik, die auf exzessive Kohleverstromung und Kernenergienutzung aufgebaut worden ist, in der Folge aus der überstürzten und mangelhaften Konzeption der sogenannten Energiewende. Energiesparkonzepte, der Aufbau regionaler Wirtschafts- und Energiekreisläufe wurden nicht konsequent entwickelt und umgesetzt. Nach wie vor stehen Wachstum und Profit im Vordergrund der Wirtschafts- und Energiepolitik. Der sozial-ökologische Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft muss ganzheitlich und systematisch erfolgen. Die Folgen der bisherigen Wirtschafts- und Energiepolitik haben zu chaotischen Entwicklungen geführt. Der überstürzte und massiv geförderte Ausbau der Großwindenergieanlagen mit extrem schwankendem Stromangebot erfolgte ohne Rücksicht auf die vorhandenen Netzkapazitäten und potenzielle Abnehmer.

Jetzt wird versucht, mit allerlei Beschleunigungsmaßnahmen Fehler der jüngsten Vergangenheit zu kompensieren. Es besteht jedoch die große Gefahr, dass aufgrund dieser beschleunigten Planungs- und Ausbaumaßnahmen von Stromtrassen erneut gravierende Fehler gemacht werden. Zudem dürften die Belastungen der Bürger durch diesen Druck und die möglicherweise zu erwartenden ständigen Belastungen zu weiterer Resignation und Politikverdrossenheit führen. Daran dürften auch das Engagement der Deutschen Umwelthilfe und die Verlockungen durch eine mögliche finanzielle Beteiligung am Netz nichts ändern. Die in Aussicht gestellte finanzielle Beteiligung hat letztlich auch die Funktion, das verfügbare Kapital für das niederländische Staatsunternehmen TenneT mit Sitz in Bayreuth zu erhöhen, das für den Bau und Betrieb der Westküstentrassen zuständig ist. Bei lukrativen Beteiligungsmöglichkeiten werden sich vorrangig ohnehin eher finanzkräftige auswärtige Investoren für ein Engagement interessieren.


Bürger trotz Bürgerdialog in großer Bedrängnis

Was also tun, wenn die Netzausbaubeschleunigung, Verzicht auf Raumordnungsverfahren, Ablehnung der Erdverkabelung, keine Begrenzung des Ausbaus von Großwindenergieanlagen, von den Regierenden durchgesetzt werden soll? Wenn Stromeinsparkonzepte und der Aufbau regionaler Wirtschaftskreisläufe weiter zurückgestellt werden, wenn Stromspeicherung keine Priorität hat und wenn Wachstumsbegrenzungen ebenfalls abgelehnt werden? Die politischen Möglichkeiten der betroffenen Bürger sind begrenzt, zumal wie üblich, die schweigende Mehrheit, die Nutznießer in den Ballungsgebieten nicht in der Lage sind und wohl auch nicht in die Lage versetzt werden sollen, die vorwiegend ländliche Regionen betreffenden Probleme zu erkennen, und um sich mit den Betroffenen solidarisch zu verhalten.

Die Position der potenziell Betroffenen kann sich sogar noch verschlechtern. Der Bundesumweltminister hatte im April im Bundeskabinett eine Verordnung (Bundeskompensationsverordnung) durchgesetzt, nach der Ausgleichszahlungen für Eingriffe in die Landschaft durch Windenergieanlagen drastisch gesenkt werden. (Bei einer 175 Meter hohen Anlage sollen die Ausgleichsbeträge von 106.000 Euro auf 33.000 Euro sinken!) Die neue Verordnung soll auch für entsprechende Ausgleichszahlungen für den Bau von Strommasten und Straßenbau gelten. Die Bundesländer können von diesen Vorgaben zwar durch eigene Verordnungen abweichen, es ist aber zu befürchten, dass erhebliche Abweichungen von Investoren angefochten werden können(*).

Für die Bürger, Bürgerinitiativen und Verbände bleibt letztlich nur noch die Möglichkeit, mehr öffentliches Problembewusstsein zu schaffen und mehr Widerstand zu organisieren. Anerkannte Umweltverbände sowie konkret Betroffene haben die geringe Chance, juristisch gegen bestimmte Planungsfolgen vorzugehen. Erfolgsaussichten haben Klagen aber auch nur, wenn Planungs- bzw. Abwägungsfehler nachgewiesen werden können.


Restchancen

Chancen, die Westküstentrasse völlig zu verhindern, sind nicht erkennbar. Auch die Durchsetzung einer Erdverkabelung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt unwahrscheinlich. Die Bereitschaft zu Kompromissen ist ebenfalls sehr gering (Teilverkabelung, teilweiser Verzicht auf eine 380-kV-Leitung, Ersatz der 380-kV-Leitung durch 11O-kV-Leitung im Raum Nordfriesland, da das Stromangebot im nördlichen Teil der Westküste nur etwa die Hälfte des gesamten Angebots beträgt). Die Auslegung auf die maximal zu erwartende Spitzenkapazität ist ohnehin umstritten, da dies unwirtschaftlich ist und für die Stromspitzen keine unmittelbare Nachfrage vorhanden ist.

Die Veranstalter des Bürgerdialogs, das Landesministerium und die Deutsche Umwelthilfe, haben lediglich angekündigt noch eine zusätzliche Veranstaltung zur Erdverkabelung durchzuführen. Bisher waren nur mit einem potentiellen Anbieter intensivere Gespräche geführt worden, die zu einer Ablehnung der Erdverkabelung führten. Nach dieser Veranstaltung soll am 13. Juni in Husum eine Bilanz gezogen werden, danach sollen Fachgespräche mit den Kommunen stattfinden, bevor im Herbst eine Abschlusskonferenz durchgeführt wird. Danach sollen die offiziellen Vorbereitungen für die Planfeststellungsverfahren beginnen. Im Rahmen der Planfeststellungsverfahren besteht für konkrete Betroffene und Verbände eine formale Beteiligungsmöglichkeit mit Klagerecht. Zu berücksichtigen ist gegebenenfalls, dass möglicherweise eine sofortige Vollziehbarkeit seitens der Antragsteller beantragt werden kann, die die Chancen in einem Rechtsstreit für Kläger wiederum beeinträchtigen könnte.


Einsatz für einen grundlegenden Politikwechsel

Die Bürgerinitiativen haben dennoch angekündigt, sich auch bundesweit zusammenzuschließen und Aktionen durchzuführen, um den politischen Druck zu erhöhen um wirklich alle Möglichkeiten auszuschöpfen.

Es bleibt schließlich die Option, die bestehenden Kontakte und Erfahrungen für die jeweiligen Regionen in zivilgesellschaftlichen Organisationen oder geeigneten politischen Vereinigungen zu nutzen, um nicht auszuschließende weitere schwerwiegende Eingriffe zu verhindern, und um die nachhaltige Entwicklung der Regionen voranzubringen. Dazu gehört allerdings eine Vernetzung über einzelne Interessen hinaus.

Die Verdrängung der hinter den politischen Entscheidern stehenden Machtkonstellationen haben die Bürger immer wieder daran gehindert, sich vorsorglich und frühzeitig zusammenzuschließen, vor allem auch, um über die eigene Betroffenheit hinaus für grundlegende politische Interessen einzutreten. Bei der Bundestagswahl im Herbst bestünde einmal wieder die Möglichkeit, eine grundlegende Änderung der politischen Verhältnisse und damit auch der gesellschaftlichen Machtverhältnisse einzuleiten. Wie viele Bürger werden sie nutzen?


ANMERKUNG:

(*) Auch nicht schwerwiegende Eingriffe in die Landschaft können in der Summe schwerwiegend sein. Ist bereits ein Eingriff erfolgt, wird immer wieder eine "Vorbelastung" konstatiert, was dazu führt, das weitere Eingriffe als weniger problematisch eingestuft werden. Die Alternative wäre eine Rücknahme bzw. eine Minimierung des vorhandenen Eingriffs.


KASTEN I
 
DATEN UND FAKTEN

Der Bau von Höchstspannungstrassen (380 kV) ist durch das 2011 verabschiedete Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) in Verbindung mit dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) neu geregelt worden.

Dauer von Planung und Bau von Höchstspannungsleitungen: bisher ca. 10 Jahre, beabsichtigt ist, die Dauer durch diverse Beschleunigungsmaßnahmen auf 5 Jahre zu reduzieren.

Grundlage der Planung ist der von der Bundesnetzagentur entwickelte Nationale Netzentwicklungsplan (NEP), der Bundesgesetzgeber beschließt auf der Basis dieses NEP den Bundesbedarfsplan. Der Bundesbedarfsplan ist im April vom Bundestag beschlossen worden.

Die Planung ist durch die neue Gesetzgebung generell von der Landes- auf die Bundesebene verlegt worden.

Bei der Westküstentrasse wird auf Antrag der Landesregierung auf das jetzt eigentlich durch die Bundesnetzagentur durchzuführende Raumordnungsverfahren (ROG), durch das die grobe Trassenführung festgelegt wird, und das üblicherweise vor dem Planfeststellungsverfahren durchzuführen ist, verzichtet. Gegen einen Planfeststellungsbeschluss kann geklagt werden, wenn im Verfahren zur Aufstellung dieses Beschlusses eine entsprechende Stellungnahme abgegeben worden ist.

Da über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) neben Strom, aus Agrogasanlagen und Photovoltaikanlagen überwiegend Windstrom eingespeist wird, sind, solange keine Stromspeicher zur Verfügung stehen, Gaskraftwerke als Kompensationskraftwerke erforderlich, die nur zu rund 40% ausgelastet sind und damit unwirtschaftlich arbeiten.

Zu Beginn der Planung war noch kein Anschluss nach Dänemark vorgesehen, das soll jetzt geschehen, allerdings erst nach Abschluss des Baus des gesamten Streckenabschnitts Niebüll-Brunsbüttel. Die konkrete Planungs- und Bauphase der Westküstentrasse soll im Süden beginnen und in vier Abschnitten erfolgen, zu jedem Abschnitt gehört ein Umspannwerk, das einen Flächenbedarf von mehreren Hektar hat.

Die Masten vom bevorzugten Typ "Donau" haben eine Höhe von 50 bis 60 Meter. 380-kV-Leitungen können mit 110-kV-Leitungen kombiniert werden. Ein neu entwickelter Masttyp "Wintrack" besteht im Wesentlichen aus zwei Vollwandelementen. Die Abstände der Masten betragen 300 bis 450 Meter, es ist eine Schutzstreifenbreite von 40 bis 60 Metern vorgesehen.

Zu den Gesundheitsbelastungen von Freileitungen gibt es unterschiedliche Angaben bzw. Grenzwerte. Die nach deutschem Recht bestehenden Grenzwerte (Magnetische Flussdichte 100 Mikroteslar) sollen gesenkt werden (26. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz). In einer Studie ist ermittelt worden, dass bereits eine dauernde Belastung mit 0,3 bis 0,4 Mikroteslar bei Kindern zu einer Häufung von Leukämie führte. Es werden zudem Gefahren für Implantatträger (Herzschrittmacher) befürchtet, die in der Nähe von Höchstspannungsleitungen leben. Bei 380-kV-Freileitungen wird der Wert von einem Mikroteslar in einem Abstand von 100 bis 120 Meter unterschritten.

Gemeinden, deren Gebiet überspannt wird, sollen eine einmalige Entschädigung von 40.000 Euro erhalten. Mit Landeigentümern soll einzeln verhandelt werden, sie erhalten eine einmalige Entschädigung, wenn auf ihrem Grundstück ein Mast errichtet wird. Diese Entschädigung soll die Verluste durch Erschwernisse und Ernteausfälle kompensieren. Grundstückseigentümer sollen einmalig ca. 3 Euro pro qm überspannter Fläche erhalten.


KASTEN II
 
ERDKABEL

Durch das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) von 2009 ist die Möglichkeit geschaffen worden, auch Höchstspannungsleitungen als Erdkabelleitungen zu bauen, allerdings nur auf vier konkreten Strecken außerhalb des Landes Schleswig-Holstein. 11O-kV-Leitungen sollen zukünftig nur noch als Erdkabel verlegt werden, sofern die Gesamtkosten maximal 2,7-mal höher sind als bei Freileitungen.

Die bisher längsten 220/380-kV-Erdkabel sind in Japan und Kopenhagen mit 38 km bzw. 22 km Länge verlegt worden: Nach 25 bis 30 km sind aus physikalischen Gründen Kompensationsanlagen notwendig. Wegen des Gewichts der Kabel beim Transport sind bisher jeweils nach 1000 Meter Muffen (Koppelstationen) erforderlich. Die Kosten der Kabeltrasse sollen 2 bis 9fach über den Kosten von Freileitungen liegen.

Bei größeren Leitungslängen ohne Abzweig ist eine Gleichstromübertragung technisch-physikalisch und damit auch finanziell günstiger (ab ca. 130 km) als die Übertragung von Wechselstrom. Allerdings sind neue Schalter entwickelt worden, über die auch Abzweige bei Gleichstromleitungen relativ problemlos möglich sein sollen. Unter bebauten Gebieten werden Höchstspannungskabel auch in Tunnels verlegt.

Die Landesregierung lehnt eine Erdverkabelung, auch auf Teilabschnitten, aus technischen und finanziellen Gründen bisher ab und beruft sich u.a. auf den Bundesbedarfsplan.

In Dänemark sollen sämtliche, auch bestehende Leitungen des dortigen 132-kV- und 150-kV-Netzes unterirdisch verlegt werden. Neue 400-kV-Leitungen sollen künftig ebenfalls unterirdisch verlegt werden.


KASTEN III
 
Einige wesentliche Defizite nach bisheriger Rechtslage
(Deutsche Umwelthilfe):

  • keine Mindestabstandsregelungen zu Wohnbebauung
  • keine Transparenz und Nachvollziehbarkeit beim Umgang mit Stellungnahmen
  • Erdverkabelung für 11O-kV-Leitungen kein Standard
  • keine bundeseinheitlichen naturschutzfachlichen Bewertungskriterien vorhanden

Bislang gibt es keine unabhängigen Gutachten zur unterirdischen Verlegung von Drehstrom- und Gleichstromkabeln.

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QUELLEN:

Büdeler, Roger: Streitstoff Treibstoff, junge Welt v. 23.04.20

Deutsche Umwelthilfe: Netzausbau und Naturschutz, März 2013
• Himmel und Erde - Freileitungen und Erdkabel, März 2013
• Zwischen Akzeptanz und Beschleunigung, Februar 2012
• Strom und Felder, September 2012

Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein: Schreiben an Ingo Rennert, Infranetz AG, Müden (Aller) vom 23. Januar 2013

TennT TSO GmbH: Im Dialog, Stromnetzausbau entlang der Westküste Schleswig-Holsteins, 380-kV-Leitung von Brunsbüttel bis Niebüll, April 2013

Werdermann, Felix: Im Netz der Bürger, Energie
- Immer mehr Menschen wehren sich gegen gigantische Stromtrassen durch die Republik - es gäbe Alternativen, der Freitag, 25.04.2013

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Quelle:
Gegenwind Nr. 297 - Juni 2013, Seite 48-50
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2013