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GEGENWIND/602: Vergewaltigung verurteilen - für eine Reformierung des Paragraphen 177 StGB


Gegenwind Nr. 311 - August 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Vergewaltigung verurteilen
Für eine Reformierung des Paragraphen 177 StGB

Von Johanna Gerlach



Kaum ein Verbrechen in Deutschland wird so selten bestraft wie eine Vergewaltigung - obwohl es eine der häufigsten Formen von Gewalt an Frauen ist. Laut Dunkelfeldforschung wird in Deutschland alle drei Minuten eine Frau vergewaltigt, das sind etwa 160.000 Vergewaltigungen im Jahr! Die Betroffenen leiden ein Leben lang, die Täter werden jedoch in den wenigsten Fällen zur Rechenschaft gezogen.


Verschiedenen Studien zufolge zeigen lediglich zwischen 5 und 15% der vergewaltigten Frauen die Tat an. Die Anzeigebereitschaft der Opfer ist u.a. deshalb so gering, weil die Aussicht auf eine Verurteilung verschwindend ist.

In Deutschland werden ca. 8000 Vergewaltigungen jährlich angezeigt, die Verurteilungsquote ist jedoch sehr niedrig und sinkt seit Jahren: Während im Jahr 2007 15,4% der Angeklagten verurteilt wurden, waren es im Jahr 2012 nur noch 8,4%. Auch existieren erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern bezüglich der Verurteilungsquote. Die Zahl schwankt zwischen 4,1 und 24,4%. Das bedeutet, dass in manchen Bundesländern lediglich jeder 25. Tatverdächtige verurteilt wird! Da die Anzahl der Falschbeschuldigungen extrem gering ist (Studien zufolge liegt die Quote bei 3-7%), lässt sich damit sagen, dass in Deutschland kaum ein Vergewaltiger zur Verantwortung gezogen wird!

Eine Ursache dafür liegt unter anderem im deutschen Strafrecht. Das Strafgesetzbuch weist im 13. Abschnitt, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, gravierende Lücken auf. Laut Paragraph 177 StGB (Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung) ist die derzeitige Voraussetzung für eine Strafbarkeit eine sexuelle Handlung, die entweder mit Gewalt oder Drohung für gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben oder unter Ausnutzung einer hilflosen Lage der Betroffenen erzwungen worden ist. Ein mehrfaches, ausdrückliches Nein der Frau, Weinen, Versteifung des Körpers, in der Erstarrung oder das Herunterreißen der Kleidung gelten nicht als ausreichender Nachweis, dass eine Nötigung vorliegt.

Aufgrund der engen rechtlichen Auslegung der "schutzlosen Lage" können viele sexuelle Übergriffe strafrechtlich nicht verfolgt werden. Die subjektive Wahrnehmung der Opfer bleibt im Verfahren unberücksichtigt. Betroffene fühlen sich während der Tat vollkommen ohnmächtig und hilflos und nehmen die Situation als zutiefst bedrohlich wahr. Auch ohne konkrete Drohungen haben sie häufig Angst vor lebensbedrohlichen Verletzungen und lassen die Vergewaltigung daher 'wie erstarrt' über sich ergehen. Das bedeutet, dass es in der Praxis zu Verfahren kommt, in denen zwar offensichtlich ist, dass die sexuellen Handlungen gegen den Willen der Betroffenen geschahen, der Täter jedoch nicht verurteilt werden kann, weil die Voraussetzungen des Paragraph 177 nicht erfüllt sind.

Diese Schutzlücke muss dringend geschlossen werden! Es ist zwingend notwendig, dass insbesondere der Paragraph 177 StGB reformiert und zukünftig die Person betraft wird, die ohne Einverständnis der anderen Person sexuelle Handlungen an ihr vornimmt.

In anderen europäischen Ländern sind die rechtlichen Voraussetzungen zum Teil deutlich günstiger für eine Verurteilung: Das Strafrecht in England, Belgien und Irland beispielsweise stellt das (fehlende) Einverständnis in den Kern der Vergewaltigungsdefinition. Norwegens Rechtsprechung kennt in diesem Zusammenhang auch eine Bestrafung bei grob fahrlässigem Verhalten.

Der Zeitpunkt für eine Reform ist günstig! Bereits 2011 unterschrieb Deutschland in der Istanbuler Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, dass die Vertragsparteien "nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlungen" unter Strafe stellen müssen. Jetzt wird in den parlamentarischen Gremien die Ratifizierung vorbereitet, bislang jedoch ohne Reform des Paragraph 177 StGB. Viele Fachverbände sind der Ansicht, dass die momentane Rechtslage in Deutschland den Anforderungen der Konvention des Europarates nicht genügt.

Um die Rechtslage betroffener Frauen zu verbessern, fordern zahlreiche Verbände eine Reformierung des Paragraph 177 StGB, dazu gehören: der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff), der Landesverband Frauenberatung Schleswig-Holstein e.V. (LFSH), der Deutsche Juristinnenbund, das Deutsche Institut für Menschenrechte sowie die Frauenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES.

Der bff und der LFSH wollen dieses wichtige Thema nun in die Öffentlichkeit tragen. Dazu wurde eine Plakat- und Postkartenaktion gestartet, damit Verantwortliche aus Politik und Justiz auf die Problematik aufmerksam gemacht und sensibilisiert werden, sich für eine Veränderung der Rechtslage in Deutschland einzusetzen.

Schluss mit der Straflosigkeit, mehr Gerechtigkeit für vergewaltigte Frauen!


Frauennotruf Lübeck
www.frauennotruf-luebeck.de

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Quelle:
Gegenwind Nr. 311 - August 2014, Seite 14-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2014