Gegenwind Nr. 324 - September 2015
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein
Willkommenskultur der besonderen Art
Flüchtlinge sollen Unterbringungskosten übernehmen
Von Manfred Stache
Circa 110 Asylsuchende und Flüchtlinge sind in Pinneberg in Hotelzimmern untergebracht oder in "pensionsähnlichen Unterkünften". Kosten pro Tag und pro Person: 25 Euro, monatlich also etwa 750 Euro.
Seit Anfang dieses Jahres fordert die Verwaltung der Stadt Pinneberg
von einigen der Flüchtlinge die Hälfte der Hotelkosten zurück.
Mahnbescheide wurden verschickt und die Vollstreckung angeordnet.
Wenn Flüchtlinge in Hotels untergebracht werden, dann bedeutet das häufig, dass zwei oder mehr Personen, die sich ggfs. nicht kennen, für mehrere Monate in einem Zimmer auf sehr kleinem Raum untergebracht sind. Pensionsähnliche Unterkünfte sind normale Wohnungen, die einfach nur umdeklariert werden. Werden, wie in Pinneberg passiert, acht Flüchtlinge in einer solchen Wohnung untergebracht, verdient die Vermieterin oder der Vermieter 6.000 EUR im Monat. Wobei "Verdienen" in diesem Fall nicht wirklich passt, denn verdienen tun Menschen, die die Not anderer ausnutzen, ganz was anderes.
Aus dem Schreiben an einen Flüchtling:
"Stadt Pinneberg, die Bürgermeisterin als Vollstreckungsbehörde
Sehr geehrte/r Frau/Herr ...
Ich bin ... beauftragt worden, den Betrag von 659,87 EUR zzgl. der Vollstreckungsgebühr in Höhe von 35 EUR ... von Ihnen einzuziehen. Es ist daher beabsichtigt, Sie in dieser Vollstreckungsangelegenheit am Montag, dem 17. August 2015 bei der oben genannten Adresse aufzusuchen. ... konkrete Vollstreckungsmaßnahmen (Konto-, Lohn- und Gehaltspfändungen, Pfändung von Kraftfahrzeugen mittels einer Parkkralle etc.)"
Hintergrund ist folgender: Pinneberg muss auf Hotelzimmer und pensionsähnliche Unterkünfte zurückgreifen, da nicht genügend anderer Wohnraum zur Verfügimg steht.
Der Kreis, der die finanziellen Mittel für die Unterbringung der Flüchtlinge zur Verfügung stellen muss, zahlt allerdings nur zwei Monate lang die volle Miete für diese Unterkünfte, danach nur noch 427 EUR pro Monat und Person. Findet die Stadt in den zwei Monaten keine günstigere Unterkunft, bleibt die offene Forderung, die jetzt den Flüchtlingen in Rechnung gestellt wird. Dabei handelt es sich um Beträge von ca. 600 EUR bis zu weit über 1.000 EUR.
Auch für alle anderen Gemeinden im Kreis Pinneberg gilt die Zwei-Monats-Regelung des Kreises, aber dort gelingt das, woran die Verwaltung in Pinneberg scheitert: Den Flüchtlingen kann innerhalb von zwei Monaten eine andere Unterkunft geboten werden.
Das liegt einerseits an der schläfrigen und teilweise auch renitenten Pinneberger Verwaltung, andererseits aber auch daran, dass CDU und SPD bei Neubauten seit Jahren vor allem auf - wie sie es nennen - "hochwertigen" Wohnungsbau setzen.
SPD und Grüne & Unabhängige haben in der Ratsversammlung eine knappe Mehrheit, aber die Pinneberger SPD hält sich noch nicht einmal an die Beschlüsse der Kreispartei zum sozialen Wohnungsbau, weshalb die Situation auf dem Wohnungsmarkt in Pinneberg noch schlimmer ist als anderswo.
Eine in der Flüchtlingsarbeit aktive Ratsfrau von Grünen & Unabhängigen hat diese Ungeheuerlichkeit an die Öffentlichkeit gebracht und eine Welle der Empörung und des Unverständnisses ausgelöst, zur großen Erleichterung auch bei allen anderen Fraktionen. Inzwischen hat die Bürgermeisterin, Frau Steinberg, zugesichert, alle Mahn- und Vollstreckungsverfahren zu stoppen. Für Grüne & Unabhängige geht das aber am Problem vorbei, denn es steht weiter die Drohung des Fachbereichsleiters Finanzen und Ordnung, Michael Artus, im Raum, dass "die Vollstreckung zu einem späteren Zeitpunkt erneut versucht werden (wird)", dann nämlich, wenn die Flüchtlinge zu Geld gekommen sind oder tatsächlich etwas aus ihrer Heimat mitnehmen konnten.
Grüne & Unabhängige verlangen, dass die Forderungen an die Flüchtlinge fallengelassen werden, nicht allein die Vollstreckung. Die Flüchtlinge haben nie einen Mietvertrag unterschrieben, ihnen wurde bei Einzug in das Hotel verschwiegen, dass sie nach zwei Monaten die Hälfte der Hotelkosten übernehmen müssen. Dass unter solchen Umständen die Geldforderungen rechtens sind, wird bezweifelt.
Außerdem ist es ein Skandal, Menschen beim Start in ein neues Leben in einem noch fremden Land mit Schulden und einem Pfändungsverfahren zu überziehen, das die Arbeits- und Wohnungssuche tendenziell nicht leichter macht.
Aus einem Offenen Brief an die Bürgermeisterin
Ihre Ankündigung, es solle "künftig keine Mahn- und Vollstreckungsverfahren mehr geben" (Pinneberger Zeitung, PZ) zeigt, dass Sie den Appell von Grünen & Unabhängigen komplett ignorieren, nicht nur auf die Mahnungen, sondern auf die Forderungen selbst zu verzichten. Sie behaupten stattdessen weiter; dass "gegen die Betroffenen eine offene Forderung bestünde und die Stadt angehalten sei, offene Forderungen nun einmal einzutreiben" (PZ). In die gleiche Richtung zielt Ihre Aussage, "man sei sich klar, dass man aktuell wohl nur in Ausnahmefällen die ausstehenden Summen eintreiben könne" (Pinneberger Tageblatt). Ein späteres Eintreiben der Forderungen bei den Flüchtlingen schwebt weiter im Raum. Das halte ich für einen Skandal.
Manfred Stache
Auch wenn Pinneberg noch ein Einzelfall ist, auch wenn es in den anderen Gemeinden Schleswig-Holsteins gelingt, die Hotelunterkunft auf einen angemessenen Zeitraum zu begrenzen, es werden weiterhin Menschen in unserem Land Zuflucht suchen und den Gemeinden wird es zunehmend schwerer fallen, Unterbringungsmöglichkeiten zu finden. Dann müssen Vorgänge wie in Pinneberg, die bei einigen Flüchtlingen konsequenterweise Ängste ausgelöst haben, in den Kommunen im Keime erstickt werden. Entsprechende Anfragen und Anträge sollten beizeiten in die Gremien gebracht werden. Außerdem ist eine Klärung über die Landesregierung anzustreben.
Die Fraktion von Grünen & Unabhängigen wird auf parlamentarischem und außerparlamentarischem Wege alles tun, die Flüchtlinge aus dem Streit zwischen Stadt und Kreis über die Bezahlung der Unterkünfte herauszuhalten und ihnen einen ruhigen, nicht von neuen Ängsten geprägten Start in unserer Stadt zu ermöglichen.
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Quelle:
Gegenwind Nr. 324 - September 2015, Seite 10 - 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2015
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