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GEGENWIND/660: Landtagswahl 2017 - Noch ist alles offen


Gegenwind Nr. 332 - Mai 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Landtagswahl 2017:
Noch ist alles offen

Von Reinhard Pohl


Am 7. Mai 2017 findet die Landtagswahl in Schleswig-Holsteins statt. Die Ausgangssituation ist schon jetzt etwas anders als in den Bundesländern, in denen vor zwei Monaten Landtagswahlen waren: Dort regierten überall Zweier-Koalitionen, und durch eine erstarkte AfD im Parlament war das rechnerisch kaum noch möglich. In Schleswig-Holstein regiert schon jetzt eine Dreier-Koalition, wenn auch mit knapper Mehrheit von einer Stimme. Aber jetzt sind die Piraten im Parlament vertreten, die sich bisher kaum profilieren konnten. So kann es sein, dass auch mit einer zwar unwillkommenen, aber doch möglichen neuen AfD-Fraktion bei Rausfallen der Piraten eine Fortsetzung der jetzigen Regierung möglich ist. Zu den Chancen gab es Mitte April eine Forsa-Umfrage, die im Folgenden näher in den Blick genommen werden soll.


CDU: 28 Prozent

In der Umfrage landet die CDU wie die SPD bei 28 Prozent. Das wären ungefähr zwei Prozent weniger als bei den letzten Wahlen. Damals wurde die CDU knapp stärkste Partei, hat aber im Parlament gleich viele Abgeordnete wie die SPD.

Die CDU hat ganz offensichtlich ein Problem mit dem (geplanten) Spitzenkandidaten Ingbert Liebing: Er ist bei vielen unbekannt, und als Bundestagsabgeordneter ist er auch oft nicht in Schleswig-Holstein. Hier ist Daniel Günther, der Fraktionsvorsitzende im Landtag, bekannter. Er findet auch häufiger den Weg in die Presse, so Anfang des Jahres mit seinem Vorstoß zugunsten des Schweinefleisch-Angebots in Kantinen.

Dort, wo die CDU noch aufholen will, nämlich im Spektrum der AfD, besitzt der geplante Spitzenkandidat eine Bekanntheit von null Prozent. Beim Rest der Bevölkerung ist es mehr - aber auch, wenn man bei den Gegenwind-LeserInnen die bekanntesten drei Vorschläge der letzten Monate abfragen würde, müssten die meisten wohl passen.

Ob es jetzt in der CDU eine neue Diskussion gibt, noch hat der Parteitag ja nicht stattgefunden, ist unklar. Ingbert Liebing selbst verschickte nach der Veröffentlichung der Umfrage eine Presseerklärung, in der er vor Personaldiskussionen warnte.

Im Vorfeld hatte es bereits Probleme mit der Aufstellung von Kandidaten zur Landtagswahl gegeben, so beharkten sich Funktionsträger gegenseitig mit Vorwürfen, Neu-Mitglieder nur für die Wahlparteitage angeworben zu haben. Eine Versammlung musste wiederholt werden, weil bei Ehepaaren versehentlich nur der Ehemann, nicht aber die Ehefrau eine Einladung erhalten hatte. Aufgestellt wurden jetzt 35 Kandidaten für die 35 Wahlkreise, darunter immerhin acht Frauen. Überraschend gehört in Kiel Floriana Igrishta zu den Landstagskandidatinnen - 21 Jahre alt und aus dem Kosovo.

Die Themen der CDU sind im Wesentlichen die Verkehrspolitik (Weiterbau der A20), die Energiepolitik (Drosselung des Ausbaus der Windenergie), die Schulpolitik (Stärkung der Gymnasien). Die schleswig-holsteinische CDU ist allerdings auch bestrebt, die Türen zu den Grünen nicht zuzuschlagen: Zwar ist die FDP der Wunschpartner für eine Regierung, die CDU kann aber rechnen und weiß, dass es eventuell nicht reicht.

SPD: 28 Prozent

Die SPD kommt nach dieser Umfrage wieder, wie schon bei den letzten Wahlen, auf eine ähnliches Ergebnis wie die CDU. Ihr werden leichte Verluste prognostiziert, diese würden sie aber bei weitem noch nicht auf das Niveau der Bundespartei abstürzen lassen.

Mit Torsten Albig und seiner Regierung ist die Mehrheit der Bevölkerung zufrieden, wenn auch nicht begeistert. Auch unter den CDU-Anhängerinnen und -Anhängern kommt die Regierung nicht schlecht weg. Gerade in Schleswig-Holstein gab es schon Zeiten, in denen die Gräben zwischen den beiden Lagern weit tiefer waren.

Ralf Stegner hat kurz nach der Umfrage klargestellt, dass er auch nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein bleiben will und kein Mandat oder Amt auf Bundesebene anstrebt. Insofern bleibt wohl das Duo aus Ministerpräsident und Fraktionsvorsitzendem erhalten, wenn die Stimmen für eine Fortsetzung der Regierung reichen.

Ansonsten bevorzugt die SPD die Fortsetzung der bisherigen Politik und die Fortsetzung der bisherigen Koalition. Das Verhältnis zur FDP ist gut, das zur CDU weniger - man erinnert sich auf beiden Seiten noch an die Umstände des Scheiterns der großen Koalition.

Bündnis 90 / Die Grünen: 16 Prozent

Gleich um drei Prozent zulegen können nach der Umfrage die Grünen. Das liegt, so schwer einigen die Einsicht fehlt, nicht hauptsächlich an der Partei, sondern an den beiden Regierungsmitgliedern. Monika Heinold hat als Finanzministerin eine Schlüsselstellung in der Regierung und arbeitet auch aus Sicht der Opposition weitgehend fehlerfrei, aus Sicht der Regierungsfraktionen ausgesprochen gut.

Robert Habeck muss sich zwar ab und zu mit Landwirten und deren Verbänden streiten, auch gefällt es nicht allen, wenn Gebiete unter Naturschutz gestellt werden oder Großprojekte sich verzögern, weil in der Planung bestimmte Prüfungen vergessen wurden. Aber er genießt Ansehen bei Freund und Feind.

Die Partei selbst ist kaum noch Anfeindungen ausgesetzt, sieht man von den ProtestwählerInnen der AfD mal ab. Und sie bietet zum Beispiel in der Frage der Aufnahme von Flüchtlingen ein einheitliches Bild, während bei der SPD sich Bundes- und Landesebene öfter widersprechen.

Allerdings hat Robert Habeck auch erklärt, er wollte als grüner Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl antreten, wenn sein Landesverband ihn unterstützt und letztlich die Parteibasis auf Bundesebene zustimmt. Ob und welche Auswirkungen das auf ein Wahlergebnis im Mai 2017 haben wird, ist natürlich noch nicht klar.

Themen der Grünen bleiben die Flüchtlingsaufnahme und deren Integration, der Ausbau der erneuerbaren Energie und eine kritische Haltung gegenüber Großprojekten wie der A20.

FDP: 9 Prozent

In Schleswig-Holstein stand die FDP schon immer etwas besser da als auf Bundesebene. Das lang an der Bekanntheit von Wolfgang Kubicki, aber auch an dem liberaleren Kurs.

Für die Landtagswahl 2017 will Wolfgang Kubicki wieder Spitzenkandidat werden. Nach der Wahl in den Landtag will er aber auf Platz 1 der Landesliste für die Bundestagswahl antreten und, falls die FDP Erfolg hat, nach Berlin verschwinden.

Bei den Grünen folgt Robert Habeck ausdrücklich dem Konzept, den geplanten Wechsel jetzt anzukündigen und nicht die Landtagswahl als "Reserveposition" nutzen zu wollen. Aber FDP-WählerInnen ticken anders, die lassen sich ein solches Spiel sicherlich eher gefallen als Grünen-WählerInnen Insofern kann es durchaus funktionieren.

Für die Zeit nach der Wahl kündigt die FDP Offenheit nach allen Seiten an: Lieblings-Koalitionspartner ist sicherlich die CDU, allerdings natürlich eher mit Daniel Günther als Spitzenkandidat. Offen ist die FDP aber auch gegenüber SPD und Grünen.

AfD: 9 Prozent

Dass die AfD in den Umfragen "nur" bei neun Prozent steht, liegt sicherlich einerseits an der Stimmung gegenüber Flüchtlingen im Land, die insgesamt positiver ist - auch dadurch, dass weite Teile der Flüchtlingspolitik der Landesregierung auch von CDU, FDP und Piraten mit getragen werden. Andererseits ist der Landesverband der AfD in einem desolaten Zustand. Der bisherige Landesvorsitzende, dessen Name sicherlich keine Rolle spielt, hat im Hauen und Stechen um einen Platz auf der Landesliste verloren und ist Mitte April von seinen "Parteifreunden" abserviert worden. Die neuen Vorstandsmitglieder versuchen jetzt, sich jeweils gegen die anderen durchzusetzen.

Die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler der AfD bekommt davon allerdings nichts mit, weil sie die AfD aus anderen Gründen wählen: Die meisten sind Protestwähler und nehmen keine Programme oder Kandidaten wahr, sondern höchstens einzelne Parolen. Der "Schießbefehl" an der Grenze spielt in Schleswig-Holstein keine große Rolle, das ist eher im Süden Deutschlands von Bedeutung. Hier in Schleswig-Holstein will die AfD vor allem mit Islam-Feindlichkeit punkten.

Ob andere Programm-Schwerpunkte wie die Ablehnung der Windenergie, das Setzen auf Atomkraft oder die Leistungseinschränkungen für Hartz-IV-EmpfängerInnen hier eine Rolle spielen sollen, ist noch nicht klar.

Bisher gibt es in Schleswig-Holstein zwar immer wieder Versuche, Demonstrationen oder zumindest Kundgebungen gegen Flüchtlinge und gegen Muslime zu initiieren. Diese haben bisher sehr bescheidene Erfolge. Da könnte für "heimliche" Anhängerinnen und Anhänger der Hetzparolen die Landtagswahl ein Ventil sein.

SSW: 4 Prozent

Der SSW könnte nach der Umfrage leicht verlieren, wäre aber als Partei der Minderheiten trotzdem wieder im Landtag vertreten. Ihm geht es natürlich darum, die Fraktionsstärke zu erreichen.

Allerdings ist der SSW eben der kleinste Teil der Koalition und nur mit einer Ministerin in der Landesregierung vertreten. Insofern wird er auch eher gewählt, wenn andere grobe Fehler machen, weil der SSW vielen als seriös gilt - aber auch als unauffällig.

Die Linke: 3 Prozent

Nach der Umfrage wird Die Linke nicht in den Landtag kommen. Problem ist sicherlich vor allem, dass sie nicht im Landtag ist, also keine vorzeigbare Politik hat. Die vorhandenen Vertreterinnen und Vertreter in den Kreistagen und Ratsversammlungen verhalten sich auf Landesebene zu unauffällig - mindestens einmal im Monat fragt der Gegenwind bei ihnen an, ob es etwas zu berichten gibt, die Antwort ist leider immer Schweigen.

In Lübeck hat sich die zweiköpfige Bürgerschaftsfraktion gerade zerstritten und aufgelöst. Da sich gleichzeitig die achtköpfige grüne Fraktion in zwei Gruppe mit jeweils vier Abgeordneten aufgespalten hat, konnte sich eine Linke der neuen GAL anschließen. Der andere Bürgerschaftsabgeordnete bildet jetzt mit einem Unabhängigen eine neue Fraktionsgemeinschaft.

Ob die Linke auf Landesebene bemerkbar wird, hängt davon ab, ob sie irgendwann einen handlungsfähigen Landesvorstand zusammen bekommt.

Piraten: 1 Prozent

Die Piraten haben es geschafft, ihre Landtagspräsenz weitgehend von der Öffentlichkeit abzuschirmen. So laden die meisten Fraktionen in der Woche der Landtagssitzung zu Vorbesprechungen die Presse ein - die Piraten haben das einige Male direkt nach den letzten Landtagswahlen getan, sich dann aber nicht wieder gemeldet. Auch erhalten die Piraten monatlich mindestens eine Anfrage vom Gegenwind, die aber regelmäßig ignoriert wird.

Vermutlich haben die meisten Wählerinnen und Wähler bisher von der Landtagsfraktion nichts mitbekommen. Schwerpunktthemen sind die Selbstbestimmung in der digitalen Welt und die Ablehnung von Rassismus. Einzelne öffentliche Beiträge dazu hat der Gegenwind in der Vergangenheit erhalten und abgedruckt.

Noch ein Jahr

Allerdings ist ein Jahr bis zur Wahl eine lange Zeit. Sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene kann noch viel passieren.

Insbesondere für die CDU ist diese Umfrage aber katastrophal: Es gibt keinerlei Wunsch nach einem Wechsel, der der CDU nutzen könnte, sondern teils Zufriedenheit, teils Gleichgültigkeit.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 332 - Mai 2016, Seite 4 - 6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Mai 2016

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