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GEGENWIND/695: Es geht um die neoliberale Ideologie des Freihandels


Gegenwind Nr. 341 - Februar 2017
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Es geht nicht nur um TTIP, CETA und TISA
Es geht um die neoliberale Ideologie des Freihandels

von Andreas Meyer


In den starken Protestbewegungen gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA kommt auch eine wachsende Kritik und Skepsis gegenüber der Ideologie des Freihandels zum Ausdruck. Darauf reagiert der herrschende Mainstream in Medien, Politik und Wirtschaft mit einer sehr einheitlichen, oft als "Expertise" verpackten Erzählung. Darin wird den Kritikern der Freihandelsabkommen TTIP und CETA vorgeworfen, sie seien rückwärtsgewandte Globalisierungsgegner, würden die Wachstumspotenziale des internationalen Handels leugnen und sich in einer Querfront von Rechts und Links auf den Nationalstaat zurückziehen wollen.


Nach dieser Erzählung sind die Gegner von TTIP und CETA, die Herr Gabriel gern auch mal als hysterisch bezeichnet, darüber hinaus Menschen, die durch die Globalisierung verängstigt und verunsichert werden und in ihrer Orientierungslosigkeit den Parolen linker und rechter Populisten folgen. Ganz in diesem Sinne sorgte die ARD Sendung "Plusminus" im Dezember letzten Jahres für Furore. In ihr erschienen die TTIP und CETA-Kritiker als eine von "Marketingorganisationen wie Campact" manipulierte Masse, die sich nur noch von Gefühlen leiten lässt. Das Ganze wird zurzeit gern als "postfaktisch" diskriminiert.

Das Spiel mit dieser modischen Vokabel hat den Vorteil, dass diejenigen, die sie benutzen, nicht nur als gebildet erscheinen, sondern immer auch den Eindruck erwecken, sie seien die seriösen Verwalter der Wahrheit. Das erweist sich jedoch bei einer genaueren Analyse eher als Propaganda.


Grundannahmen und Unterstellungen der Freihandelsvertreter

Die Befürworter eines umfassenden Freihandels gehen in ihrer Auseinandersetzung mit den Kritikern von TTIP und CETA von folgenden Grundannahmen aus:

1. Wird angenommen, dass der Freihandel ein großes Wachstumspotenzial für die beteiligten Volkswirtschaften habe und eine Win-Win-Situation für alle darstelle. Freihandelsabkommen haben dabei die Grundfunktion, den Wettbewerb, den Handel und private Investitionen möglichst weitgehend von staatlichen Einschränkungen zu befreien. Das betrifft beispielsweise Zölle, gesetzliche Regelungen, Verbraucher- und Umweltschutzstandards. Sie werden vorwiegend als protektionistisch und wachstumshemmend angesehen.

2. Wird davon ausgegangen, dass die bestehende Form der Globalisierung, die weitgehend neoliberalen Gesetzen folgt, so unausweichlich sei wie ein Naturgesetz. Sie gilt in dem Mainstream aus Politik, Wirtschaft und den Medien als alternativlos. Folglich wird Globalisierungskritikern oft Naivität oder ein reaktionäres Weltbild vorgeworfen.

3. Wird den Kritikern von TTIP und CETA unterstellt, dass sie grundsätzlich Gegner eines globalen Handels seien. Dabei wird in der öffentlichen Debatte von den Freihandelsbefürwortern oft völlig unzulässig Freihandel und internationaler Handel gleichgesetzt. Daraus ergibt sich dann die Schablone: "Wer gegen Freihandel ist, lehnt internationalen Handel ab."

Eine genauere Betrachtung zeigt, dass diese in der öffentlichen Debatte ständig wiederkehrenden Grundannahmen vieler Freihandelsapologeten sehr "faktenarm" sind.

Freihandel, Machtkonzentration und Marktbeherrschung

Beginnen wir mit der Ideologie des Freihandels. Sie greift zurück auf die marktliberalen Theorien der Ökonomen Adam Smith und David Ricardo aus dem 18. Jahrhundert. Besonders Ricardo propagierte einen Handel zwischen Staaten, der möglichst frei von Zöllen und regulatorischen Auflagen sein sollte. Wenn sich nach seiner Theorie die handeltreibenden Staaten auf die Produkte spezialisieren, die sie am kostengünstigsten herstellen können, springt dabei für die Produzenten und Verbraucher der beteiligten Länder das meiste raus (Ricardo: Theorie des komparativen Kostenvorteils). Der im freien Handel stattfindende ungehinderte Wettbewerb führt nach Ansicht der Marktliberalen zu hohem Wachstum und Innovation, zu optimalen Betriebsgrößen und letztlich zu Wohlstand für alle. Dirigistische staatliche Eingriffe behindern nach dieser Auffassung dagegen den freien Markt und somit den Wettbewerb, das Wachstum und die Entwicklung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands.

Soweit die Theorie in aller Kürze. Stellt man diese Grundannahmen auf den Prüfstand, sieht es in der globalen Praxis schon anders aus. Es ist klar, dass sich in einem entfesselten Markt auf Dauer nur die Firmen durchsetzen können, die am konkurrenzfähigsten sind, und dass diese Konkurrenz zu einer immer stärkeren Firmenkonzentration führt. So bestimmen heute im Rahmen der Globalisierung etwa 500 Konzerne direkt oder über Verflechtungen 50% des Welthandels. Gegen diese großen Global Player können sich nur sehr schwer kleinere Unternehmen oder Neugründungen durchsetzen. Kartell- und Monopolbildungen behindern so durch ihre Marktmacht und ihre Wettbewerbsvorteile den viel gepriesenen Wettbewerb.

Natürlich produzieren die großen Firmen, Banken und Investmentfonds auch ein immenses Wachstum. Das wird durch ihre Umsätze, Gewinne und Aktienkurse sehr deutlich. Doch dieses Wachstum sagt nichts über seine Verteilung, die ökologischen Folgen und die häufig katastrophalen sozialen Bedingungen aus, die vielerorts seine Voraussetzungen sind (z.B.: Textilindustrie in Bangladesh).

Freihandel als Machtinstrument

Historische Entwicklungen wie Kolonialherrschaft, Industrialisierung, Kriege und Klimaveränderungen oder auch nur einfache geographische Gegebenheiten führten und führen zu völlig unterschiedlichen Ausgangsbedingungen im Rahmen des globalen Handels. Die Schieflage in den Handelsbeziehungen "ungleicher Partner" drückt sich beispielsweise dramatisch in den Handelsabkommen der EU mit afrikanischen Staaten aus (Economic Partnership Agreements / EPA).

Diese Abkommen öffnen in Afrika für die EU die Waren-, Dienstleistungs- und Agrarmärkte inkl. Fischerei. Das hat unter anderem zur Folge, dass deren Landwirtschaft durch billige, subventionierte europäische Agrarprodukte zerstört wird und die europäische Fischereifangflotte vor afrikanischen Küsten das Meer leer fischt. Diese Entwicklung beschreibt der zuständige UN-Wirtschaftsexperte für Ostafrika Andrew Mold so:

"Die afrikanischen Länder können mit einer Wirtschaft wie der deutschen nicht konkurrieren. Das führt dazu, dass durch den Freihandel und die EU-Importe bestehende Industrien gefährdet werden und zukünftige Industrien gar nicht erst entstehen, weil sie dem Wettbewerb mit der EU ausgesetzt sind."

In der Regel bleiben diese Länder Rohstofflieferanten für die globalen Metropolen. Doch auch die Rohstoffe sind überwiegend in der Hand ausländischer Konzerne. Um sie wurden und werden unzählige Kriege geführt.

Vor diesem Hintergrund erscheint es zynisch, wenn Frau Merkel im Zusammenhang mit Migration fordert, die Fluchtursachen müssten vor Ort bekämpft werden. Auch die Auswirkungen der Handelspolitik der EU sowie die Kriege um Rohstoffe gehören gerade in Afrika mit zu den wesentlichen Fluchtursachen. Dazu kommen noch die dramatischen Klimaveränderungen, die weitgehend auf die Produktionsformen und Lebensweisen in den industriellen Metropolen zurückzuführen sind.

Es gibt aber auch Länder des globalen Südens, die sehr wohl in der Lage sind, konkurrenzfähige Agrarprodukte in die EU, in die USA oder nach Kanada zu exportieren. Doch hier treten die vermeintlichen Vorreiter des Freihandels auf die Bremse. Seit 2001 liegen die Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO zur Liberalisierung der Agrarmärkte auf Eis, weil sich hier vor allem die USA und die EU gegen den Abbau von Zöllen, Importquoten und Subventionen wehren.

Umgekehrt haben sie aber ein starkes Interesse daran, in Schwellenländern die Märkte für ihre Dienstleistungen und Industrieprodukte zu öffnen. Hier wird der heuchlerische Umgang mit dem Thema Freihandel deutlich. Freihandel gern dort, wo er den einheimischen Konzernen und der hoch subventionierten industriellen Landwirtschaft dient. Zölle und Importquoten dort, wo ein Wettbewerbsnachteil besteht.

Mit den Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TPP (transpazifisches Abkommen der USA mit vielen Staaten Asiens) versuchen die reichen Industrieländer die Verhandlungen der Welthandelsorganisation WTO zu unterlaufen und mit ihrer Marktmacht dem Rest der Welt ihren Stempel aufzudrücken. Als Hillary Clinton noch vor dem US-amerikanischen Wahlkampf für diese Abkommen war, nannte sie sie "Wirtschafts-NATO".

Gewinner und Verlierer im Freihandel

Wie sog. Freihandelsabkommen Gewinner und Verlierer produzieren können, wird bei dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA besonders deutlich. In dem bisher größten gültigen Abkommen dieser Art zwischen den USA, Kanada und Mexiko haben die USA das Recht durchgesetzt, große Teile der Landwirtschaft mit Importzöllen und Subventionen gegen die Konkurrenz aus Mexiko zu schützen.

Besonders die US-amerikanische Mais- und Fleischproduktion kann nach diesem Abkommen massiv subventioniert werden. Die Folge ist, dass Mexiko mit diesen US-Produkten überschwemmt wird, die im Preis bis zu 20% unter den einheimischen Produkten liegen.

Bei Mais war Mexiko vor diesem Abkommen Selbstversorger. Millionen mexikanischer Kleinbauern mussten inzwischen aufgeben. Mexiko muss heute 60% Prozent seines Weizens und 70% seines Reisbedarfs importieren.

Umgekehrt wanderten aus den USA arbeitsintensive Zulieferbetriebe nach Mexiko ab, weil sie hier auch aufgrund der Krise im Agrarbereich Arbeitskräfte fanden, die bereit waren, zu Dumpinglöhnen zu arbeiten. Diese Entwicklung löste wiederum Probleme auf den US-amerikanischen Arbeitsmärkten in den Regionen aus, aus denen die Firmen abgewandert sind. Diese Krise hat Trump in seinem Wahlkampf erfolgreich instrumentalisiert.

Unter dem Strich verloren nach Inkrafttreten dieses Abkommens Mexiko eine Million Arbeitsplätze und die USA 700.000. Die Löhne stagnierten, der Niedriglohnsektor wurde weiter ausgebaut, und die Vermögensungleichheit hat in allen drei Ländern zugenommen.

Das Handelsvolumen hat sich dagegen verdreifacht. Auch das Bruttosozialprodukt ist in den drei Ländern gestiegen. Es fragt sich jedoch, zu wessen Gunsten und auf wessen Kosten. Eindeutige Gewinner sind auf jeden Fall die US-amerikanischen Automobilkonzerne und die Agrarindustrie.

Fazit

Es ist eindeutig, dass Freihandel unter ungleichen Akteuren die Ungleichheit verschärft und dass große Konzerne als "Global Player" aufgrund ihrer Marktmacht die wesentlichen Profiteure des sog. Freihandels sind. Durch ihren immensen ökonomischen Einfluss und den hoch entwickelten Lobbyismus bestimmen sie auch weitgehend die Regeln im globalen Spiel. Das spiegelt sich auch deutlich in den Verhandlungsprozessen und Ergebnissen von TTIP und CETA wider.

Selbst Gabriel Felbermayer vom IFO Institut, das eher als wirtschaftsliberal bekannt ist, kommt in der Süddeutschen Zeitung vom 3.5.2016 zu dem Schluss: "Freihandelsabkommen sind Projekte von Eliten, für die Bevölkerung sind dagegen handfeste Vorteile nicht erkennbar." Dafür aber häufig Nachteile (Verf.).

Mit dem Begriff "Freihandel" wird im politischen und medialen Mainstream diffus und oft heuchlerisch umgegangen. Sowohl in den USA als auch in der EU wird nach dem Motto verfahren: Freihandel dort, wo er den einheimischen Konzernen dient, Importbegrenzungen und Subventionen dort, wo die einheimische Wirtschaft geschützt werden muss. Wenn auch andere Staaten nach diesem Muster verfahren, schreien die "Freihändler" "Protektionismus!" Hier ist es ähnlich wie beim "Populismus", die "Protektionisten" sind immer die anderen. In der Freihandelspropaganda dient die bereits erwähnte unzulässige Gleichsetzung des Freihandels mit internationalem Handel auch dazu, Kritiker von TTIP und CETA in die nationalistische Ecke zu stellen.

Natürlich sind internationale Handelsabkommen per se nicht schlecht. Sie könnten sogar sehr sinnvoll sein, wenn in ihnen beispielsweise gute soziale und ökologische Standards für den Welthandel festgeschrieben würden und sie einzelnen Volkswirtschaften eigenständige Entwicklungen zuließen. Nach einer solchen Logik würde die Globalisierung nicht mehr von einer neoliberalen Agenda bestimmt, die zwar hohes Wachstum hervorbringen kann, aber auch Machtkonzentrationen, Umweltprobleme, ökonomische Krisen, Kriege und eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich.

Eine solche Sichtweise kann man naiv oder sogar "postfaktisch" nennen. Durch sie wird aber deutlich, dass die bestehende Form der Globalisierung und des sog. Freihandels nicht alternativlos sondern Ausdruck der bestehenden Machtverhältnisse ist. Im Sinne eines fairen Welthandels gibt es gute Gründe sich dem zu widersetzen.

Der Massenprotest gegen TTIP und CETA ist in diesem Zusammenhang ein hoffnungsvoller Anfang. Dazu gehört natürlich auch hier in Schleswig-Holstein die Volksinitiative Schleswig Holstein stoppt CETA (www.sh-stoppt-ceta.de), die bereits jetzt mit über 17.000 Unterschriften einen Großteil der erforderlichen 20.000 Unterschriften gesammelt hat. Diese Volksinitiative bietet eine gute und niederschwellige Möglichkeit, sich dem Protest gegen CETA und der damit verbundenen Ideologie des Freihandels "faktisch" anzuschließen.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 341 - Februar 2017, Seite 14 - 16
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2017

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