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GEGENWIND/759: Wagengruppe Schlagloch fordert neuen Wagenplatz in Kiel


Gegenwind Nr. 357 - Juni 2018
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Wagengruppe Schlagloch fordert neuen Wagenplatz in Kiel!

von Wagengruppe Schlagloch


Ende April 2017 besetzten wir als neugegründete Wagengruppe Schlagloch in Kiel einen Teil des ehemaligen Kleingartengeländes "Prüner Schlag", welches von der Stadt an die Möbel- und Haushaltswarenkette "Möbel-Kraft" verkauft worden war. Wir wählten bewusst dieses Gelände für unsere Besetzung, um auf die fehlgeleitete Kieler Stadtplanungspolitik aufmerksam zu machen. Denn einmal mehr wurden hier wirtschaftliche Interessen den Bedürfnissen der Kieler*innen vorangestellt: Trotz vielfältigen, langanhaltenden Protesten und eines Bürgerbegehrens, in dem 47,5% dagegen stimmten, wurde die Fläche verkauft, die Baugenehmigung erteilt und damit eine lebendige Fläche zur Erholung und Selbstverwirklichung zerstört.

In unserer ersten Stellungnahme hieß es: "Wir wollen nicht dabei zusehen, wie aus Kiel eine von Möbelmärkten und Spaßbädern dominierte Stadt ohne bezahlbaren und alternativen Wohnraum wird! Wir sind eine selbstverwaltete Gruppe von Menschen, die Freiraum in Kiel schaffen wollen. Wir stellen uns einen Raum für uns und andere vor, in dem sich kreativ, statt passiv mit der Gestaltung unserer Stadt auseinandergesetzt wird. In dem gelebt, statt gewohnt wird. In dem Ideen entstehen und umgesetzt werden können, fernab von Kategorisierungen wie Einkommensstatus, Geschlecht, National- oder Religionszugehörigkeit." Mit der Besetzung wollten wir den Mangel an emanzipatorischen Freiräumen in dieser Stadt aufzeigen und konnten gemeinsam mit vielen anderen Kieler*innen einen solchen Ort schaffen.

Bereits nach genau einem Monat mussten wir die Fläche dann räumen. Daraufhin standen wir mangels Alternativen mit unseren Wagen zwei Wochen auf dem Seitenstreifen direkt gegenüber der zuvor besetzten Fläche. Auch dort wurden wir gezwungen weiterzuziehen und standen danach übergangsweise auf einem Stück Grün in dem Wendehammer der Hofteichstraße (Gaarden-Süd) in einem Wohngebiet. Doch auch dort wurden wir mehrfach aufgefordert, zu gehen.

Nebenher liefen diverse Verhandlungen mit der Stadt und uns wurde letztendlich eine Wiese in städtischem Besitz am Stadtrand als Winterquartier angeboten. Hier befand sich der Wagenplatz von August 2017 bis Mai 2018. Währenddessen gingen die Gespräche mit der Stadt Kiel weiter. Wir haben viele brachliegende Flächen vorgeschlagen und die Stadt prüfte diese. Wir sind weiterhin auf der Suche nach einem Ort, an dem wir längerfristig wohnen und einen innerstädtischen Freiraum verwirklichen können.

Da sich dem Auslaufen des Vertrags im Mai in Wellsee entgegengehend, scheinbar gar nichts tat im Rathaus, beschlossen wir zu einer Demo unter dem Motto: "Der Wagenplatz Schlagloch zieht an die Hörn um!" aufzurufen. Damit forderten'wir die Stadt Kiel auf, die Hörnflächen zu einem größeren Anteil für den dringend notwendigen sozialen Wohnungsbau zu nutzen und als Zwischennutzung bis dahin für alternative Wohnprojekte, wie z.B. einen Wagenplatz, zur Verfügung zu stellen. Unsere Idee: "Zieht mit uns an die Hörn und verwirklicht einen Wagenplatz mit eigenem Yachtanleger und Sieben-Sterne-Küche für Alle! Lasst uns der Stadt zeigen, dass "Luxusleben" auch ohne Geld funktioniert und ohne wirtschaftliche Interessen Luxus für alle entstehen kann! Für mehr Wagenplätze mit Hafenblick in bester Lage - heute die Hörn in Kiel und morgen die ganze Welt!" Die Hörn wählten wir bewusst als prestigeträchtiges Beispiel. Denn statt den Bedürfnissen vieler Kieler*innen nach stadtnahem, bezahlbarem Wohnraum gerecht zu werden, werden zunehmend städtische Flächen für Profit und ohne soziales Verantwortungsbewusstsein an Privatinvestor*innen verkauft. So auch Teile der Flächen an der Hörn. Sozial geförderter Wohnungsbau ist in Kiel in den letzten Jahren stark vernachlässigt werden. Aktuell sollen größere Wohnbauprojekte in Kiel 30% geförderten Wohnraum ausweisen. Da allerdings auch Gewerberäume in das Bauvorhaben an der Hörn mit eingehen und Eigentumswohnungen anders verrechnet werden, wird die Quote an sozial gefördertem Wohnraum an der Hörn wohl effektiv eher bei 10% liegen. Wir wollen nicht tatenlos zusehen, wie im Kieler Stadtzentrum noch mehr Luxuseigentumswohnungen, statt dringend benötigte bezahlbare Wohnungen oder Freiräume für Wagenplätze entstehen!

Uns ist auf den Aufruf hin mit erheblicher Repression begegnet worden: Die Stadt möchte einer Nutzung als Wagenplatz nicht zustimmen. Das Ordnungsamt und die Polizei hatten Angst vor einer Besetzung. Letztendlich wurden wir mit absurden Auflagen belegt: Bei der Demonstration durfte die Abschlusskundgebung zwar auf der geplanten Fläche an der Hörn abgehalten werden, die Wagen mussten allerdings draußen bleiben.

Die Demo am Donnerstag, den 10.5.2018 lief dann super: Mit guter Laune, ca. 200 Menschen und 10 Wagen zogen wir vom Wilhelmplatz aus zur Hörn. Dort angekommen zogen die Cops sich bereits nach ca. 10 Minuten zurück, sodass wir dann doch noch einige der Wagen mit auf die Fläche ziehen lassen konnten und symbolisch für einige Stunden dort einen Wagenplatz entstehen ließen.

Seit diesem Tag sind wir in der Stadt unterwegs und zeigen auf, wo es überall Brachflächen gibt, was so schief läuft in der Stadtpolitik und wer die Verantwortlichen sind:

Am Freitag zogen wir mit Unterstützer*innen gemeinsam auf den Rathausplatz, bauten dort wieder symbolisch unseren Wagenplatz auf, verteilten Flyer und hielten einen Redebeitrag.

Noch am selben Abend zogen wir weiter in die Ernestinenstraße (hinter Aldi am Ostring in Gaarden). Seit vielen Jahren gibt es dort eine brachliegende Fläche. Die Wagengruppe befand sich im Sommer 2017 mit der Stadt Kiel im Gespräch über eine Nutzung. Laut Aussage der Stadt wurde die Fläche an eine*n Investor*in verkauft, um dort eine KiTa zu bauen (Stichwort "Private Public Partnership"!). Auf der Fläche tut sich seitdem allerdings nichts. Wir zogen auf diese Fläche, um uns gegen den Ausverkauf sämtlicher städtischer Flächen und damit das Erzeugen von Spekulation und jahrelangem Brachliegen zu stellen. Ganz offensichtlich waren die Informationen, über die unsere Gesprächspartner*innen bei der Stadt verfügten, allerdings nicht besonders aktuell oder uns wurden bewusst Informationen vorenthalten. Denn wie wir durch Gespräche mit verschiedenen Menschen vor Ort erfuhren, ist die Fläche doch noch gar nicht verkauft, sondern soll erst verkauft werden. Auf dem Gelände soll dann ein interkultureller Waldorfkindergarten entstehen, der die Lücke von 300 fehlenden Betreuungsplätzen in Gaarden um 80 kleiner werden lassen könnte. Der Förderverein hat sich bereits mit eine*r Investor*in geeinigt. Einzig das Tiefbauamt stellt sich mit Verweis auf die angeblich mangelhafte Parkplatzsituation quer und verhindert den Bau eines wichtigen Projekts für den Stadtteil Gaarden, dessen Eröffnung bereits für 2018 geplant war. Wir finden: für fünf Lkw ist hier am Straßenrand Platz, warum nicht auch für mehrere Pkw? Wir wollten der Stadt und dem Tiefbauamt keine Steilvorlage für weitere Ausreden liefern, um das Projekt des Fördervereins, mit dem wir uns ausdrücklich solidarisch erklären, weiter zu verschleppen. Die Bürokratie mag langsam und träge sein, wir sind es nicht! Darum zogen wir bereits zwei Tage später weiter.

Doch auch während der Tage in der Ernestinenstraße waren wir weiter in der Stadt aktiv, um Brachflächen aufzuzeigen. Zwei dieser Flächen wurden dafür mit Transparenten markiert:

Die erste befindet sich im Kuckucksweg (nahe Preetzer Straße, runter Richtung Langsee in Kiel-Elmschenhagen). Die Fläche liegt seit Jahrzehnten brach. Die Wagengruppe Schlagloch befand sich im Sommer 2017 mit der Stadt Kiel im Gespräch über eine Nutzung. Laut Aussage der Stadt ist die Fläche durch die vorherigen Nutzer*innen stark kontaminiert worden. Es gäbe wohl immer noch einen Streit um die Kosten für eine Säuberung. Dies sei der Grund für das jahrzehntelange Brachliegen. Um eine Dekontamination wird sich von keiner Seite bemüht. Dadurch bleibt die Fläche unbenutzbar. Ein Wagenplatz könnte diese Fläche kurzfristig beleben und gleichzeitig Wohnraum schaffen! Damm forderten wir auf dem angebrachten Transparent: Brachland zu Wagenplatz!

Die zweite Fläche war erneut der Prüner Schlag, der mit einem Transparent mit der Aufschrift "Kiel. Failing. City. - Ausverkauf beginnt hier!" markiert wurde. Denn auch nach unserer Räumung ist dort nicht viel passiert. Und das ganze Möbel-Kraft-Vorhaben und -Vorgehen ist nach wie vor ein Unding!

Als wir dann die Ernestinenstraße mit den Wagen wieder verließen, zogen wir auf die nächste Fläche: im Bremerskamp direkt bei der Uni (gegenüber der Olshausenstraße 75). Auch hier wollten wir auf eine weitere Brachfläche hinweisen, die als Wagenplatz genutzt werden könnte. Die Fläche ist im Besitz des Landes Schleswig-Holstein. Hier sollte einst eine Unterkunft für geflüchtete Menschen entstehen, die aufgrund der beschissenen EU-Grenzpolitik nun nicht mehr von Nöten ist. Seitdem gibt es anscheinend keine konkreten Pläne zu der Fläche. Wir blieben dort weitere drei Tage und verließen auch diese Fläche nun wieder.

Wohin die Reise geht, steht noch völlig in den Sternen ... Fest steht nur:

Wir kämpfen weiter!

Für mehr Platz zum Leben - für mehr Schlaglöcher im Fundament der herrschenden Verhältnisse!

Wagengruppe Schlagloch

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Quelle:
Gegenwind Nr. 357 - Mai 2018, Seite 25 - 27
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2018

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