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GEGENWIND/774: Windenergie - Ausbau geht weiter


Gegenwind Nr. 361 - Oktober 2018
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Windenergie: Ausbau geht weiter
Landesregierung treibt Landesplanung voran

von Reinhard Pohl


In den letzten Jahren stockte der Ausbau der Windenergie. Doch dieser Ausbau ist unverzichtbar, will man die Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz umsetzen. Und die Umsetzung ist entscheidend für die Zukunft der gesamten Menschheit. Doch seit dem OVG-Urteil vom 20. Januar 2015 war der Ausbau nach der Landesplanung nicht mehr möglich, denn diese wurde aufgehoben.

Die alte Landesplanung hatte "Vorranggebiete" für Windenergie vorgesehen, die rund 2 Prozent der Landesfläche ausmachten. Sie waren danach ausgesucht werden, ob sie gut geeignet sind, Abstände zu anderen eingehalten werden und die umliegende Bevölkerung die Windenergie will. Der letzte Punkt war nicht zulässig: Landesplanung, so das Oberverwaltungsgericht, muss nach objektiven Kriterien (wo weht der Wind, wo sind Siedlungen, wo sind Naturschutzgebiete) vorgehen, nicht nach subjektiven Kriterien (bevorzugen die Anwohner Atomenergie oder Windenergie). (vgl. Gegenwind 343, April 2017, Seite 4)

So musste die Landesplanung neu gemacht werden. Abstände zu Siedlungen und Naturschutzgebieten wurden festgelegt, außerdem gibt es "Verbotszonen" der Bundeswehr. Diese Planung war so gut wie fertig, als der neue Landtag im Mai 2017 gewählt wurde. Anschließend kam es zu einem Regierungswechsel.

Während der Planungszeit wurde zuerst gar nichts genehmigt, dann doch einzelne Bauanträge in einem Ausnahmeverfahren. Das führte die Landesregierung für alle Flächen ein, die nach der alten und neuen Planung Windenergie-Vorrangflächen sein sollten. Denn zu diesen Flächen hatte es schon Anhörungen gegeben, es waren keine Widersprüche mehr offen. Die neue Planung wurde dann in einer Serie öffentlicher Veranstaltung vorgestellt, im Herbst 2017 sollte die Phase starten, in denen offiziell Widerspruch eingelegt werden konnte.

Neue Landesregierung

Die neue Landesregierung bestand nun allerdings aus CDU, FDP und Grünen. Die CDU und auch die FDP waren im Wahlkampf für größere Abstände neuer Anlagen zu Siedlungen eingetreten, die Grünen für die Energiewende und damit eine feste Größenordnung für erneuerbare Energie. Die war auch in der alten Regierung gesetzlich mit 37 TWh Strom bis 2025 festgelegt worden, bis 2030 sollen es 44 TWh sein.

Im Koalitionsvertrag gab es einen Kompromiss: Die Grünen schrieben das gesetzliche Ziel rein, die CDU und FDP die neuen Abstandsregeln. Allerdings galt natürlich der Bestandsschutz für die Unternehmen, die schon geplant oder sogar schon gebaut hatten. Und das Ziel der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen hatte Vorrang: Größere Abstände darf es also nur geben, wenn dadurch die Strommenge nicht verringert wird, denn davon hängt unser aller Zukunft ab. Von größeren Abständen hat niemand was, wenn dadurch große Teile des Bundeslandes unter dem Meeresspiegel liegen.

Genau das ist die Absicht der AfD und bestimmter Initiativen: Mit der Forderung, der Abstand zu Siedlungen sollte das Zehnfache der Höhe der Anlage betragen, würden sie erreichen, dass ab sofort keine Anlage mehr in Schleswig-Holstein gebaut werden darf. Die Konsequenz wäre der Bau von Kohlekraftwerken, die Planungen in Brunsbüttel sind ja fast fertig.

Neue Planung

Jetzt ist die neue Planung fast fertig. Die neue Landesregierung hat die Mindestabstände zu Siedlungen erhöht, und zwar von 800 auf 1.000 Meter. Damit gibt es jetzt drei Zonen:

• Anlagen in einer Entfernung unter 800 Meter stammen aus der Anfangszeit der Windenergie. Damals gab es keine Planung und keine Kriterien, sondern nur einzelne Bauanträge und Genehmigungen. Solche Anlagen sind genehmigt und dürfen laufen. Wenn sie allerdings ihr "Lebensende" erreicht haben, werden sie abgerissen - und Schluss.

• Anlagen in einer Entfernung zwischen 800 und 1000 Meter wurden genehmigt, und zwar auf der Grundlage einer damals gültigen Landesplanung. Darauf müssen sich die Betreiberinnen und Betreiber verlassen können, das können sie notfalls vor Gericht durchsetzen. Sie dürfen also betrieben und nach Erreichen der "Lebenszeit" durch neue Anlagen ersetzt werden, auf Neudeutsch "Repowering" genannt.

• Anlagen in einer Entfernung über 1.000 Meter dürfen gebaut und erneuert werden. Beim Neubau gibt es allerdings starke Einschränkungen: Ein Ort darf nicht von Anlagen "umzingelt" werden. Wenn also in zwei Richtungen Anlagen stehen, darf in die dritte Richtung keine neue Anlage mehr genehmigt werden.

Die neuen Vorranggebiete liegen jetzt im Entwurf fest. In der nächsten Phase können jetzt Einsprüche erhoben werden, 2019 wird die Landesplanung unter Berücksichtigung aller Einsprüche verabschiedet. Die einzelnen Einsprüche werden dabei entweder zurückgewiesen, dagegen kann man klagen, oder sie werden berücksichtigt.

Änderungen

Rund 20 Prozent der Vorrangflächen der Küstenkoalition wurden gestrichen. Das sind meistens Flächen in der Nähe von Siedlungen.

Rund 20 Prozent der Vorrangflächen wurden jetzt neu hinzugefügt. Das sind meistens Flächen in der Nähe von Naturschutzgebieten oder von Vogelschutzgebieten, die vorher ausgenommen wurden. CDU und FDP haben durchgesetzt, dass Menschen wichtiger sind als Tiere.

Allerdings: Im Interesse Schleswig-Holsteins, das ja nach dem Wunsch der Landesregierung nicht zur Hälfte unter den Meeresspiegel versinken soll, wurde die Größe der Vorrangsflächen insgesamt beibehalten, um das gesetzlich festgelegte Ziel zu erreichen. Ansonsten wäre auch die neue Landesplanung vom OVG sofort wieder gekippt worden.

Volksbegehren

Einig Windkraftgegner haben Unterschriften gesammelt: Einerseits geht es darum, die Anwohnerinnen und Anwohner jeweils abstimmen zu lassen, ob sie lieber Windkraft oder eine Energie aus konventionellen Quellen haben wollen. Diese Initiative hat, selbst wenn sie die nötigen Unterschriften für Atomkraftwerke zusammen bekommt, keine Aussicht auf Erfolg. Denn der Landtag darf das nicht beschließen, weil das OVG das bereits ausgeschlossen hat.

Die andere Unterschriftensammlung zielt auf Abstände zu Wohnhäusern, die dann keine Windenergie in Schleswig-Holstein mehr zulassen. Das wäre möglich, die CDU-FDP-Regierung in Nordrhein-Westfalen hat eine solche Regelung beschlossen. In NRW dürfen jetzt Autobahnen direkt an Wohnhäusern vorbeigeführt werden, aber dort darf kein Windrad stehen. Die logische Konsequenz ist die Ausweitung des Abbaus von Braunkohle, um die benötigte Strommenge trotzdem zu erzeugen.

Vermutlich wird der Landtag auch diese Initiative ablehnen, dafür ist zur Zeit nur die AfD.

In der Landesplanung wird allerdings eine "5H-Regelung" aufgenommen: Das Fünffache der Anlagenhöhe ist der Mindestabstand zu Wohnsiedlungen, auch wenn diese "nur" Urlaubswohnungen enthalten. Das betrifft aktuell keine Anlagen, kann aber bei einem Repowering wichtig werden. Die Landesregierung vermutet allerdings, dass diese Regelung nicht zu Konflikten führt. Da in Schleswig-Holstein der Wind vergleichsweise stark weht und Investoren nicht mehr Geld ausgeben als nötig, sind hier die Anlagen kleiner als in südlichen Bundesländern, wo sie sich nach dem Wind strecken müssen.

Wie entsteht solch eine Planung?

Die Landesregierung hat sich auf Kriterien geeinigt. Diese sind abgestuft in 10 harte Tabukriterien: Dort darf auf keinen Fall eine Windenergie-Anlage gebaut werden. Dann gibt es 32 weiche Tabukriterien, dort sollte nichts sein, kann aber im Ausnahmefall doch geplant werden. Und dann gibt es 36 Abwägungskriterien. Danach wird bei jedem in den Blick genommen Gebiet geguckt, wodurch es sonst noch belastet ist, ob dort durch eine Anlage der Funkverkehr gestört wird, ob dort in der Umgebung Seeadler, Schwarzstörche oder Weißstörche, ob dort Rotmilane wohnen. Und es wird geguckt, ob über das Grundstück vielleicht später mal eine Umgehungsstraße oder Ähnliches geplant werden könnte.

Die Planung wird dann veröffentlicht, das passiert in Schleswig-Holstein seit einiger Zeit im Internet. Man muss also nicht mehr irgendwo hingehen und in Ordnern blättern. Außerdem kann man auf die im Internet dargestellten Gebiete klicken, es öffnet sich ein Widerspruchs-Formular.

Ausnahme-Genehmigungen

In dieser Zeit werden aber neue Anlagen wieder genehmigt, das geschieht seit Juli 2018: Bei Vorranggebieten, die auch in der alten Planung enthalten waren, sind ja mögliche Widersprüche bereits berücksichtigt. Außerdem gibt es Investoren, die die Genehmigung einklagen können, das Land darf Anträge nicht endlos lange liegen lassen. Drittens fließt durch den Windstrom, der nach Süddeutschland geleitet wird, eine große, große Menge Geld nach Schleswig-Holstein: Viele Windenergie-Anlagen gehören ja den Anwohnerinnen und Anwohnern, sie und nicht die Konzerne bekommen das Geld (und bezahlen Steuern). Diese wichtige Einnahmequelle für die Menschen und das Land soll nicht zu lange behindert werden.

Anders sehen es natürlich die Konzerne, die Atomkraftwerke oder Kohle- und Gaskraftwerke betreiben. Sie spenden, wie man hört, auch gerne mal für die Unterschriftensammlungen der Windenergie-Gegner.

Bis Ende des Jahres werden wohl 200 Bauanträge genehmigt, das sind 150 neue Anlagen und 50 größere Anlagen, für die kleinere abgerissen werden. Sie liegen vor allem an der Westküste, aber auch in Stormarn (Lasbek, Barkhorst). Dabei handelt es sich aber um existierende Windparks, in denen zwei, drei Windräder dazugebaut werden, mit den Anwohnerinnen und Anwohnern gibt es da normalerweise überhaupt keine Diskussionen.

Bis zur endgültigen Verabschiedung der Landesplanung werden voraussichtlich 500 neue Anlagen im Ausnahmeverfahren genehmigt.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 361 - Oktober 2018, Seite 15 - 16
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2018

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