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GEGENWIND/775: Aufweichung des Vergaberechts in Schleswig-Holstein


Gegenwind Nr. 361 - Oktober 2018
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

DISKUSSION

Aufweichung des Vergaberechts in Schleswig-Holstein
oder: Wie Jamaika Lohndumping fördert

von Ulrich Stellfeld-Petersen


Das Kabinett des Landes Schleswig-Holstein hat in diesen Tagen den Gesetzentwurf zu einem Vergabegesetz beschlossen, der das seit 2013 geltende Tariftreue- und Vergabegesetz ablösen soll. Dieser Gesetzentwurf fällt weit hinter das geltende Recht zurück. Das Land Schleswig-Holstein, seine Kreise und Gemeinden gäben damit den Anspruch auf, verbindlich gute Arbeitsbedingungen, faire Wertschöpfungsketten und die nachhaltige Fortentwicklung des Landes mit einem seiner stärksten Instrumente fördern zu wollen. (Schreiben des DGB an den Kreistag NF, 29.05.2018)

Als Begründung für diese tiefen Einschnitte in die Sozialstaatlichkeit des Landes werden Bürokratieabbau und die zu fördernde Beteiligung von Kleinunternehmen an den Ausschreibungsverfahren genannt. Beide Argumente entbehren aus unserer Sicht ihrer empirischen Basis. Aber selbst wenn man der Begründung folgen würde, gäbe es Möglichkeiten, sinnvoll Verfahren zu vereinfachen und zu schärfen, ohne das bisherige Gesetz in seiner Substanz faktisch abzuschaffen. (ebenda)

Was hier aufstößt ist insbesondere die Rolle der Grünen Partei:

"Daniel Günther und Robert Habeck haben sie geschmiedet. Und für den Bund wäre es auch eine bedeutend bessere Lösung gewesen als die neu aufgelegte GroKo. Allerdings zeigt sich jetzt auch, dass nicht alles gut gedeiht, was unter dem Zauberwort Jamaika verkauft wird. CDU und FDP haben die Grünen gezwungen einer Novellierung des Tarif- und Vergabegesetzes zuzustimmen. Fortan soll es für Kommunen und Ämter wahlfrei sein zu prüfen, ob Firmen, die öffentliche Aufträge gewinnen wollen, beispielsweise ihre Mitarbeiter ordentlich bezahlen. Die öffentliche Hand braucht also nicht mehr Vorbild zu sein. Was für ein Zeichen ist denn bitte das? (Leitartikel Flensborg Avis, August 2018)".

2006 hat der SSW das TTG aus der Taufe gehoben und stetig weiter entwickelt.

Unter dem Deckmantel "Bürokratieabbau" sind nun die marktliberalen von FDP, CDU und Grüne dabei, eines der wirklich fortschrittlichsten Gesetze des Landes zu ruinieren. Die sozialpolitische Tragweite solcher Maßnahmen für die Ausschreibungen im öffentlichen Raum für Müllwerker, Straßenbau usw. spielen für diese Konstellation keine Rolle. Der Abgeordnete Rasmus Andresen stellt sich in der Landtagssitzung vom 05.09.2018 in die Bütt und zynisiert die Haltung seiner Partei und seiner eigenen Ansprüche. Das Motto Andresens, der noch nie außerhalb des Politikbetriebes tätig war, ist: Alle haben Schuld nur wir nicht. Dass sie dabei aktiv tätig sind kleinen Leuten ihren Tariflohn weg zu nehmen und sie mit derzeit 9,99 Euro Stundenlohn nach Hause schicken, mit dem Umweg über die Aufstockung im Sozialzentrum, interessiert auch die Grünen überhaupt nicht.

Der Abgeordneten Richert von den Marktliberalsten der FDP fabuliert über die Evaluation des TTG mit der Bemerkung, dieses Gesetz sei gescheitert. Man kann diesem Herrn nur mal empfehlen die Anwendung des Gesetzes im Bereich der Ausschreibungen im ÖPNV zu evaluieren. Die Tricks mit dem "bürokratischen Aufwand" von solchen notwendigen Regelungen haben nur eins im Sinn: Den Leuten ihre Tarife streitig zu machen und sie damit von sozialen Standards weg zu halten. Denn mit Mindestlöhnen ist Armut nicht nur im Alter vorprogrammiert. Weder Andresen noch Richert und schon gar nicht der Wirtschaftsminister würden für 9,99 Euro auch nur den Füllfederhalter bedienen.

Wie formulierte es Lars Harms vom SSW in der Landtagssitzung vom
05.09.2018:

"Was die Menschen brauchen, ist Sicherheit und Planbarkeit - auch im Arbeitsleben. Wenn es aber in Zukunft unmöglich gemacht werden soll, dass in einer Ausschreibung die Übernahme von Personal eingefordert werden kann, dann haben die Mitarbeiter schlechte Karten. Öffentliche Aufgaben werden regelmäßig immer wieder ausgeschrieben und damit stehen die Mitarbeiter immer wieder vor dem Totalverlust ihrer Existenz, wenn die Übernahmemöglichkeit nicht festgeschrieben bleibt. Die Leute, die für den Staat Aufträge ausführen, sollen in Zukunft in einer prekären Situation verbleiben, damit man Löhne immer weiter drücken kann. Der Staat entledigt sich somit von Aufgaben und fördert so Lohndumping und Perspektivlosigkeit. So funktioniert Jamaika-Politik! Aber nicht mit uns!

Die soziale Absicherung von Mitarbeitern ist der Landesregierung und den Koalitionären egal. Es ist aber auch erstaunlich, dass dem grünen Regierungspartner sogar Umweltstandards egal sind. Bisher sind diese vorgeschrieben; in Zukunft sollen diese nur noch erfüllt werden, wenn man Lust dazu hat. Die Grünen übernehmen damit die Argumentation, dass das Einhalten von Umweltstandards Bürokratie ist. Das lässt tief blicken. Und ich sage ganz klar, das ist nicht die Umweltpolitik, die wir als SSW vertreten. Das Tariftreuegesetz hat eine kluge Regelung. Man kann ein Präqualifikationsverfahren durchlaufen und dann immer wieder ganz einfach mit der entsprechenden Bescheinigung die Einhaltung von Umweltstandards nachweisen. Ganz einfach - und keine überbordende Bürokratie, liebe Grüne."

Alles in allem ist das nichts mehr als Lohndumping und der Kniefall vor Großunternehmen, die sowieso die kleinen mittelständischen Betriebe vor sich hertreiben. Und das alles im staatlichen Auftrag. Scheinbar ist es im Sinne von Jamaika, Lohndumping zu fördern.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 361 - Oktober 2018, Seite 8 - 9
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2018

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