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GEGENWIND/801: Strahlenminimierung nur durch good will?


Gegenwind Nr. 367 - April 2019
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

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Strahlenminimierung nur durch good will?

von Karsten Hinrichsen, Brokdorf


In seinem Brief vom 19. Februar hat der Umweltminister von Schleswig-Holstein, Jan Philipp Albrecht, dem Aktionsbündnis für verantwortlichen AKW-Rückbau dargelegt, warum in der Rückbaugenehmigung vom 21.12.2018 für das AKW Brunsbüttel (KKB) die von Vattenfall beantragten radioaktiven Ableitungen mit der Luft gesenkt wurden, die radioaktive Einleitungen in die Elbe aber nicht.

Seit KKB im Jahr 2007 stillgelegt wurde, ist die Kettenreaktion erloschen, die Brennelemente befinden sich im Zwischenlager, die kurzlebigen Nuklide sind abgeklungen und es werden keine neuen Nuklide mehr gebildet. Beim Rückbau muss also nur noch entschieden werden, wohin die vorhandenen rad. Stoffe entsorgt werden sollen. Das kann auf verschiedenen Wegen erfolgen: ins Lager für schwach- und mittelaktiv Materialien, in die Elbe, in die Luft, in die (berühmten) Tonnen, oder nach Freimessung als konventioneller Abfall in die Umwelt. Wichtig ist, dass dem Strahlenschutz oberste Priorität eingeräumt wird; Stichwort: Strahlenminimierung.

Dem Betreiber (und auch der Atomaufsichtsbehörde) geht es in erster Linie darum, sich der radioaktiven Reststoffe möglichst billig zu entledigen. Das passiert am elegantesten durch Belastung der Umwelt, die macht das kostenlos.

Betreiber und Atomaufsicht argumentieren, dass sie dem Minimierungsgebot verpflichtet seien. Doch nach den bisherigen Erfahrungen, wie mit Atommüll umgegangen wurde (versenken in der Asse und in Morsleben, Atomfässer in den Kavernen, verschleppen der Endlagersuche usw.), ist das Vertrauen erheblich gestört. Allein eine Festsetzung von Grenzwerten, so niedrig wie es der Stand der Technik erlaubt, ist Ziel führend.

Am unten stehenden Balkendiagramm (es wurde vom Umweltminister mitgeliefert) soll das Misstrauen erläutert werden. Jeder Balken gibt die Höhe der Nuklideinleitungen für ein Jahr an. Seit Betriebsbeginn sind die Einleitungswerte immer weiter gesunken, bis zu einem Faktor 10.000 weniger. Das ist erfreulich und zeigt die Minimierungsmöglichkeiten im KKB.


Balkendiagramm: Prozentanteil des radioaktiven Abwassers vom Jahresgrenzwert 1976-2017

Jährliche radioaktive Aerosoleinleitungen aus dem AKW Brunsbüttel in die Elbe. Die Zahlen am linken Rand sind die tatsächlichen Einleitungen in Prozent vom genehmigten Grenzwert im logarithmischen Maßstab. Im Jahr 2013 z.B. wurde nur 0,010% also nur 1/10.000tel des Grenzwerts eingeleitet.

Deshalb beschleicht uns ein ungutes Gefühl, weil Vattenfall für den Rückbau erneut die 10.000-fach höheren radioaktiven Einleitungen beantragt (und bis zur Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis genehmigt bekommen) hat.

Vattenfall hat bekannt gegeben, dass ein neuer (im Betrieb sparsamerer) Verdampfer (einem Destillationsapparat vergleichbar) angeschafft wurde, der radioaktive Stoffe um ca. einen Faktor 50 effektiver zurückhalten kann als der alte Verdampfer. Mindestens davon müsste die Genehmigungsbehörde Kredit nehmen.

Im bisherigen Genehmigungsverfahren hat Vattenfall es strikt abgelehnt, die Antragswerte zu reduzieren. Das geplante Minimierungsgespräch hat offensichtlich den Zweck, den Betreiber zu einer "freiwilligen" Reduktion der Antragswerte zu bewegen. Die Genehmigungsbehörde scheut sich (so ungefähr steht es im Brief des Umweltministers), die Grenzwerte von sich aus den technischen Möglichkeiten entsprechend zu senken.

Wir wissen nicht warum. Eine Mutmaßung ist die folgende: Das Entsorgungsübergangsgesetz, mit dem die Bundesregierung die Zwischenlager von den Betreibern übernommen hat, verlangt, dass gering strahlende Materialien als konventioneller Abfall entsorgt wurden. Das spart Volumen im Endlager. Denn die 24 Milliarden im Entsorgungsfond werden längst nicht ausreichen, um die abgebrannten Brennelemente sowie die schwach- und mittelradioaktiven Materialien zu entsorgen.

Das ist eine bittere Erkenntnis: auch dem Staat ist es wichtiger, die Endlagerung preiswert zu erledigen als die Bevölkerung durch Minimierung der Strahlenbelastung zu schützen.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 367 - April 2019, Seite 53 - 54
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2019

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