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GEGENWIND/818: "Frauen machen keine Filme"


Gegenwind Nr. 370 - Juli 2019
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Buch
"Frauen machen keine Filme"

von Cristina Fischer


Die zumeist vergessenen Regisseurinnen der DEFA - vorgestellt in einem so fundierten wie überraschenden Sammelband der DEFA-Stiftung.


Iris Gusner, Karola Hattop, Helke Misselwitz, Gitta Nickel, Evelyn Schmidt, Annelie Thorndike, Tamara Trampe " das sind die bekannteren Namen von Frauen, die in der DDR bei Spiel- und Dokumentarfilmen Regie geführt haben. Doch wer kennt zum Beispiel die erste DEFA-Spielfilmregisseurin, Bärbl Bergmann?

Vor einigen Jahren kamen die Herausgeber dieses Bandes, die Filmwissenschaftler und Publizist Ralf Schenk und die Filmwissenschaftlerin und Dramaturgin Cornelia Klauß, auf den Gedanken, eine Liste aller DEFA-Regisseurinnen zusammenzustellen - und waren nach ersten Recherchen in Archiven und Anfragen bei Zeitzeugen überrascht, wie viele Namen gefunden wurden, "die wir gleichsam aus dem Dunkel der Geschichte geborgen haben". So entstand die Idee für das Buch, an dem viele kompetente Leute (darunter Grit Lemke, F.-B. Habel und andere "junge Welt"-AutorInnen) mitgewirkt haben.

Abgedeckt wird der Zeitraum zwischen 1946 und 1992, in dem die DEFA-Studios bestanden. Jeder Künstlerin ist ein Beitrag gewidmet, zumeist in essayistischer Form, 3-4 Seiten lang, mit Porträtfoto und Filmographie.

Statt eines Vorworts legen Schenk und Klauß ein Gespräch vor, in dem sie sich über das Projekt und die daraus resultierenden Erkenntnisse unterhalten. Darin geht es auch um die "weibliche Handschrift" - gibt es sie überhaupt, und wenn ja, was macht sie aus?

So glaubt Klauß "einen vornehmlichen Fokus auf Frauenthemen", etwa die Beschäftigung mit der Frauenpolitik der DDR, diagnostizieren zu können. (Wobei eventuell zu berücksichtigen wäre, ob Frauen diese Themen freiwillig wählten, oder ob sie ihnen angetragen wurden.)

"Gerade die alleinerziehende Mutter erfuhr in vielen Filmen große Aufmerksamkeit", hat_Klauß bemerkt, "sie wurde nicht stigmatisiert, sondern so etwas wie eine 'Heldin des Alltags'." Trotzdem seien die "stärksten Frauenfilme bei der DEFA von Männern gemacht" worden. Gemeint sind etwa "Bis daß der Tod euch scheidet" von Heiner Carow, "Bürgschaft für ein Jahr" von Hermann Zschoche oder "Solo Sunny" von Konrad Wolf.

Regie galt lange als Männersache; auch in der DDR hätten sich Frauen in diesem Beruf erst ab 1970 durchsetzen können, betont Schenk. Im Dok- und Animationsfilm konnten Frauen leichter Fuß fassen. Im DEFA-Trickfilm waren einige sogar von 1955 bis zum Ende der DDR durchgehend berufstätig.

In den DEFA-Studios arbeiteten etwa vierzig Regisseure, nur etwa sechzehn Spielfilme im Jahr wurden produziert, Kinderfilme eingeschlossen. Frauen gegenüber herrschte vor allem anfangs Geringschätzung. Obwohl ihnen das Fach Regie an der Ende 1954 gegründeten Filmhochschule Babelsberg ebenso offenstand wie ihren männlichen Kommilitonen, hatten sie es schwerer in diesem Beruf. Und konnten ihn nach der "Wende" oft nicht mehr ausüben.

Hundert Jahre Leben

Die Recherchen zu den über 60 Biographien gestalteten sich schwierig, weil Frauen durch Heirat (manchmal mehrfach) den Namen wechselten. Zuweilen konnten keine Lebensdaten ermittelt werden, wie bei Gerda Hammer-Wallburg, die erst Trickfilmerin war und später als Kranführerin arbeitete. Das ist bedauerlich und deutet darauf hin, dass die Forschung zu diesem Thema erst am Anfang steht. Etliche Filmfrauen konnten befragt werden, andere verweigerten sich dem Projekt. Nicht aufgenommen wurden Regisseurinnen, die bei der DEFA nur fürs Fernsehen gearbeitet haben, wie Vera Loebner und Christa Mühl.

Das Nachschlagewerk umspannt "(fast) ein ganzes Jahrhundert an weiblichen Biographien - mit allen gesellschaftlichen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts bis in das Jahr 1992", kann Cornelia Klauß mit berechtigtem Stolz zusammenfassen. Tatsächlich kommt man beim Durchblättern und Lesen aus dem Staunen nicht heraus: so viele, oft bewegte Biographien hochbegabter und eigensinniger Künstlerinnen, deren Potential leider in vielen Fällen nicht voll ausgeschöpft wurde.

Bärbl Bergmann (1931-2003) war die erste Frau, die in der DDR Spielfilme drehen durfte - wenn auch "nur" Kinderfilme von 30 bis 60 Minuten Länge. In dem ersten, "Ein ungewöhnlicher Tag" (1959), spielte Daniela Dahn, damals noch ein kleines Mädchen, die Hauptrolle.

1961 verkündete ein Artikel in der "Neuen Zeit" (CDU) unter dem Titel "Eine Frau steht beim Kinderfilm ihren Mann" respektvoll: "Frau Bergmann ist nicht nur Regisseurin, sondern auch Ehefrau und Mutter; und alle drei Funktionen sinnvoll miteinander zu verbinden, ist auch für sie nicht leicht." Die mit dem Kameramann Helmut Bergmann verheiratete Regisseurin versäumte es nicht, ihre Dankbarkeit zu bekunden für die "Chance, (...) in noch jungen Jahren und obendrein als Frau (!) mit derartig verantwortungsvollen Aufgabe'n bedacht zu werden". Das sei nur in der DDR möglich, "wo man allem Neuen aufgeschlossen gegenübersteht, wo die Frau Förderung und Gleichberechtigung genießt".

1964 ging sie mit ihrem Mann für einige Jahre nach Kairo, später drehte sie nur noch populärwissenschaftliche Kurzfilme und war zweimal als Regieassistentin im Einsatz.

DEFA-Filmperlen

Auf den beiden DVDs, die dem Band beigegeben wurden, sind wahre Schätze der DDR-Filmkunst zu finden, die von der DEFA-Stiftung restauriert und digitalisiert wurden. Auf der ersten zum Beispiel zwei kurze Trickfilme, der eine für Kinder unter 7 Jahren ("Das Tintenteufelchen" von Christ] Wiemer, 1957), der andere eher für Erwachsene ("Die Musici" von Katja Georgi, 1963).

Gitta Nickels Dokumentation über den damals (1968) erst zwei Jahre bestehenden, von der FDJ initiierten Oktoberklub kommt ganz ohne Kommentar aus. Er zeigt die mit Inbrunst singenden und swingenden Jugendlichen und lässt sie zu Wort kommen. Etwa den noch schüchternen Liedermacher Reinhold Andert und den ein wenig zu sehr von sich überzeugten Hartmut König, der die Gruppe leitete, und der Reime beisteuerte wie "Früher gab es Hula-Hoop, heut ham wir den Oktoberklub". Großaufnahmen zeigen hübsche Gesichter und Mädchenaugen mit perfektem Lidstrich. Intoniert wurden internationale Lieder und zum Beispiel auch Peter Hacks' "Oktobersong". Frisch, fröhlich und freimütig klang die Gruppe damals.

Daneben enthält die Disc noch einen sachlich gehaltenen biographischen Dokumentarfilm über Rosa Luxemburg (1970) von Renate Drescher.

Auf der zweiten DVD ist der Trickfilm "Meta Morfoss" (1979) von Monika Anderson zu entdecken, eine Adaption des gleichnamigen Kinderbuchs von Peter Hacks, gelesen von Carmen Maja Antoni. Dass in der DDR auch experimentelle Trickfilme entstanden, demonstriert "David und Goliath" (1981) von Sabine Meienreis. Daneben sind Dokumentarfilme wie "Aufbruch" (1985) von Annelie Thorndike (über Zerstörung und Wiederaufbau von Dresden) und "Ich war einmal ein Kind" (1987) von Tamara Trampe im Angebot.

Von Hannelore Unterberg stammt der vielbeachtete Spielfilm für Kinder "Isabel auf der Treppe" (1984) nach einem Hörspiel von Waltraud Lewin, in dem es um chilenische Flüchtlinge in der DDR und ihre Probleme geht.

Das Genre des Lehr- bzw. populärwissenschaftlichen Films ist leider auf den beiden DVDs nicht vertreten, obwohl viele Frauen, wie etwa Bärbl Bergmann, in diesem Bereich tätig waren.

Insgesamt werden durch die Filme Chancen und Schwierigkeiten der DDR zwischen Aufbruch und Stagnation sichtbar gemacht, dabei kommen auch Probleme und Sichtweisen von Frauen ins Bild.

"Die Brücke von Caputh" (1949)

Das erste Filmbeispiel illustriert den in vielerlei Hinsicht schweren Anfang. Eva Fritzsche-Schmidt (1908-1986) ist nur den wenigsten als einstige DEFA-Regisseurin bekannt. Die ausgebildete Malerin, ehemals Kommilitonin von Fritz Cremer, später Ehefrau des Komponisten Eberhard Schmidt, hat als Theater-Intendantin gearbeitet, bevor sie freie Autorin wurde.

Der Dokumentarfilmer und Filmwissenschaftler Günter Jordan, der den informativen Beitrag über sie für diesen Band geschrieben hat, konnte sie 1981 über ihre Zeit bei der DEFA interviewen. "Mir wurde gesagt, Frauen machen keine Filme", erinnerte sie sich "Auch in der Sowjetunion machen Frauen keine Filme ..." (Was nicht zutraf.)

Ihre Chance erhielt sie nur, weil der zuständige Regisseur vor der übernommenen Aufgabe zurückschreckte. Geplant war eine Dokfilmreihe unter dem Titel "Zwei Jahre, die das Land verändern", darunter auch ein Film über den Bahnverkehr - konkret über den im Februar 1948 beschlossenen Wiederaufbau der bei Kriegsende von der SS gesprengten Eisenbahnbrücke über das Caputher Gemünde. Über sie führt die Strecke der Umgehungsbahn, die westlich und nördlich um Berlin, von Jüterbog über Potsdam nach Oranienburg verläuft. Sie sollte den direkten Bahnverkehr zwischen Ostseeküste und Sachsen ermöglichen. Die Brückenarbeiten begannen im Oktober 1948; bereits im März des Folgejahres berichteten fünf knappe Zeilen im "Neuen Deutschland" von der Fertigstellung.

Eva Fritzsche hatte das Drehbuch geschrieben, und da der Regisseur vor den Schwierigkeiten kapitulierte, setzte sich der Kameramann dafür ein, den Film mit der Autorin zu drehen. "Unseren Chefs fiel der Kiefer herunter", erzählte sie später - aber ihnen blieb nichts anderes übrig, als auf den Vorschlag einzugehen.

Das Problem bestand darin, dass der Wiederaufbau der Brücke bei Beginn der Dreharbeiten bereits weitgehend abgeschlossen war. Eva Fritzsche war gezwungen, einen Teil der Vorgänge zu reinszenieren. Die beteiligten Jungarbeiter und Lehrlinge waren bereit, unbezahlte Sonderschichten einzulegen und ihre Arbeitseinsätze vor der Kamera zu wiederholen. Daneben wurden Schauspieler verpflichtet. In einem Memorandum schrieb die Regisseurin, dass die Dokumentation dramatische, epische und auch glossierende Elemente enthalte. Der Zuschauer solle nicht "beschwindelt" werden, sondern Einblick in die realen Vorgänge erhalten.

Der Film zeichnet sich durch Dynamik und Humor aus und verzichtet weitgehend auf Belehrung.

Als der Streifen im Juli 1949 als Vorprogramm bei der Premiere von Kurt Maetzigs Spielfilm "Die Buntkarierten" gezeigt wurde, lobte der Schriftsteller Wolfgang Joho im ND: "So, meinen wir, sollten derartige Kurzfilme gemacht werden", nämlich auf unauffällige Weise erzieherisch. Doch bereits im August beklagte der Direktor der DEFA, Sepp Schwab, dass "ein so bedeutender und auch politisch hervorragender Kurzfilm" nur einmal vorgeführt worden sei und seitdem im Safe liege - wie viele andere Kurzfilme auch, die kaum ein Publikum hätten. Eva Fritzsche konnte danach nur noch zwei Dokumentarfilme bei der DEFA drehen und sich als Regieassistentin betätigen. 1958 wurde sie als Intendantin an das Stralsunder Theater geholt. Ihr beachtliches Talent ging dem DDR-Film verloren.

"Kennen Sie Urban?" (1970)

Ingrid Reschke war die erste "richtige" Spielfilmregisseurin der DEFA, die auch abendfüllende Filme für Erwachsene drehen durfte.

Ihr heiterer Gegenwartsfilm "Kennen Sie Urban" spielt teils an der Ostseeküste, teils in Berlin. Zu Beginn ist ein Streifen Düne zu sehen, auf dem das Gras weht, oben ein Weg, auf dem hintereinander zwei winzige Männergestalten im Schattenriss marschieren. Eindrückliche Landschaftsaufnahmen (Claus Neumann). Zwei schlagen sich durch die Wildnis, sind auf der Suche. Wie man erfährt, suchen sie einen Urban - finden aber nur Baustellen. Schon das ein subtiler Scherz - "urban" bedeutet ja "städtisch". Der Film eröffnet also gleich mit dem Widerspruch von Natur und Zivilisation, der weiterentwickelt wird zum Widerspruch zwischen dem archaischen, unangepassten Menschen, der vom "Wildwuchs" zu einem nützlichen Teil der Gesellschaft wird, die ihn scheinbar ausgestoßen hatte. Es mag reizvoll, sogar "natürlich" sein, anarchistisch ungebunden zu sein; der Sog des Sozialen ist stärker - das zeigt der Film. Und wenn sich der soziale Appeal in den Reizen und der Zärtlichkeit der jungen Jenny Gröllmann (in der Rolle der Gila) offenbart, ist das nur ein Aspekt der Sache.

Hauptfigur ist ein schlaksiger junger Mann namens Hans-Jürgen Hoffmann, genannt "Hoffi", ohne Ausbildung und Beruf (überzeugend gespielt von Berndt Renne). Er hatte einer Bande musikhörender Nichtstuer angehört und im Affekt einen alten Mann niedergeschlagen, war dafür ins Gefängnis gekommen. Nun zieht er mit seinem jüngeren, ungebärdigen Bruder Benito umher auf der Suche nach Urban, den er nach der Haft im Krankenhaus kennen gelernt und der ihn mächtig beeindruckt hatte. Der große, kräftige Ingenieur, ein Genosse, der wie ein Dandy wirkt (Manfred Karge), ist als Wegbereiter der sozialistischen Weltrevolution ständig auf Achse. 1959 in Algerien, 1961 in Kuba, später in Vietnam, zuletzt in Spitzbergen (!). Eine wohl eher der Phantasie des nach Idealismus verlangenden Hoffi entsprungene Figur, als ein reales Vorbild. Realistisch erscheint zumindest dessen allein mit zwei Kindern zurückbleibende, überforderte Ehefrau (Katja Paryla).

Das herrliche Drehbuch hat Ulrich Plenzdorf auf der Grundlage einer Materialsammlung von Gisela Karau geschrieben. Der Film hält sich von der ersten bis zur letzten Minute von Klischees fern, bleibt so stets überraschend, damit spannend. Nur zaghaft entschließt sich der Held, seine eigene Geschichte zu gestalten, in die er anfangs eher zufällig hineingeraten ist. Noch zuletzt scheint ihn ein wieder einmal abreisender Urban, dem er spontan nachläuft, aus seiner Realität hinauszuziehen - aber dann kehrt er an seinen Platz zurück und ergibt sich in ein so fremdbestimmtes wie eigenwilliges Leben. Er ist gewissermaßen zur Emanzipation resigniert.

Mit seiner fast artifiziellen Konzeption und Gestaltung erinnert der Film an die Nouvelle Vague, wie sie für das französische Kino von Jean-Luc Godard ausformuliert wurde, nur ohne deren Übertreibungen, ohne Manieriertheit. Der Film bleibt bei aller philosophischen Versponnenheit und Raffinesse realistisch und handfest.

Und selbst wenn Jenny Gröllmann etwas zu viel Koketterie aufbietet, bringt das ihre Figur wiederum in die Nähe einer Muse Godards und verleiht dem Film damit eine weitere französische Note. Jürgen Heinrich (bekannt aus "Wolfs Review) verkörpert einen bodenständigen Baubrigadier, dabei viel liebenswerter und sexier als Manfred Krug in "Spur der Steine".

Dass ein Film von so französischem Charme, so subtilem Humor und einer so tiefgründigen und feinen Figurenzeichnung in der DDR entstehen konnte, ist - angesichts der eher schlichtgestrickten deutschen Mentalität allgemein und auch angesichts oft holzschnittartiger Vorgaben und Verbote der Kulturfunktionäre - fast ein Wunder. Ingrid Reschke war einem international anerkannten und vielfach ausgezeichneten Meisterregisseur der DDR wie Konrad Wolf ebenbürtig. Die Frage nach der "weiblichen Handschrift" sollte sich bei ihr relativ leicht beantworten lassen, so originell ist ihr Stil.

Als nächstes wollte sie - wieder nach einem Drehbuch von Ulrich Plenzdorf - "Die Legende von Paul und Paula" inszenieren. Zweifellos wäre der Film dadurch noch erheblich besser geworden - und die Regisseurin wäre heute weltberühmt. Ihr früher Unfalltod mit nur 35 Jahren hat das verhindert.

Aktfotografie - Gundula Schulze (1983)

Der nur 12 Minuten lange Dokumentarfilm von Helke Misselwitz widerlegt die Behauptung, es habe in der DDR keinen Feminismus gegeben. Die Fotografin Gundula Schulze-Eldowy, damals noch nicht einmal 30 Jahre alt, ist heute international anerkannt und in den meisten großen Kunstsammlungen vertreten. Sie galt in der DDR als Meisterin eines schonungslosen Realismus - von dem sie sich später allerdings abwandte. Im Film wird zunächst aus einem offiziellen Leitfaden des DDR-Aktfotografen Klaus Fischer vorgelesen, der darin über "nicht ideal geformte Brüste", starke Oberschenkel, Fettpölsterchen und andere "Mängel" des gewöhnlichen Frauenkörpers dozierte, die der Fotograf tunlichst "mit kleinen Tricks" kaschieren solle, etwa indem er das Modell dazu veranlasse, den Rücken ins Hohlkreuz zu biegen.

"Es wird ein Bild von Schönheit der Frau geschaffen, in der Öffentlichkeit, wat nicht real ist", argumentiert Schulze, langhaarig und im langen Kleid, mit einer Zigarette in der Hand, dabei anmutig gestikulierend, "Das is ne Illusion." Die so entstandenen Fotos hätten mit der Lebenswirklichkeit der Abgebildeten rein gar nichts zu tun. Angst und Schamgefühle der Frauen, nicht "perfekt" zu sein, müssten überwunden werden - nicht nur beim Vorgang des Fotografierens. Schulze wollte das Selbstbewusstsein ihrer Modelle, das Bewusstsein für ihre Eigenart stärken.

Das Interview, bei dem die Künstlerin einige ihrer eigenen Aktfotos präsentiert, verbindet Misselwitz mit schwarzweißen Filmaufnahmen von Kassiererinnen bei ihrer Arbeit in einer Kaufhalle. Die jungen Frauen wirken attraktiv, gepflegt und selbstbewusst, entsprechen aber eher nicht dem Schönheitsideal von Hochglanzillustrierten, dem leider auch in der DDR noch unkritisch gehuldigt wurde, wie die Fotografin missbilligend feststellt. So gelingt Misselwitz im Bündnis mit ihrer Interviewpartnerin ein beeindruckendes Plädoyer für die Befreiung der Weiblichkeit von einengenden Klischees und überlieferter patriarchalischer Ästhetik.

Auch in diesem Fall lässt sich die "weibliche Handschrift" und vor allem die feministische Botschaft des Films klar erkennen.

Alles in allem eine beeindruckende Werkschau - der DEFA-Stiftung sei Dank!


Cornelia Klauß/Ralf Schenk (Hrsg.): Sie. Regisseurinnen der DEFA und ihre Filme.
DEFA-Stiftung. Bertz + Fischer Verlag Berlin 2019, 416 S., geb. m. 59 Abb. und 2 DVDs.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 370 - Juli 2019, Seite 46 - 49
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2019

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