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GEGENWIND/828: Bundeswehr raus aus schleswig-holsteinischen Schulen


Gegenwind Nr. 372 - September 2019
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

KRIEG & FRIEDEN
Bundeswehr raus aus schleswig-holsteinischen Schulen

von Ralf und Siglinde Cüppers


Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien von der CDU will die Kooperation der Bundeswehr über die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Bundeswehr überarbeiten. Es ist in Schleswig-Holstein erlaubt, dass Soldaten in den Unterricht gehen, aber bislang gilt:

Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Bundeswehr beginnt frühestens in den Abschlussklassen der Sekundarstufe Eins.

Die Eltern minderjähriger Schüler müssen vorher informiert werden.

Dies gilt auch für den Besuch von Jobmessen mit Beteiligung der Bundeswehr, die von den Schulen im Klassenverband besucht werden.

So das Schreiben des Kultusministerium vom 13.3.2011.

Die Bildungsministerin übernimmt die Position der AfD

Die antidemokratische, militaristische und rassistische Partei AfD hatte das Thema am 9.4.2019 auf die Tagesordnung des Kieler Landtages gebracht: "Der Landtag begrüßt den Besuch von Jugendoffizieren an Schulen in Schleswig-Holstein als gelebte politische Bildung und bekräftigt die Rolle der Bundeswehr als Garant für Frieden und Freiheit. Der Landtag fordert das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur auf, Schulleiter zu ermutigen, Jugendoffiziere der Bundeswehr regelmäßig in den Unterricht einzuladen und die Rolle der Bundeswehr als Parlamentsarmee im Unterricht zu behandeln. Jugendoffiziere der Bundeswehr sollen auch im Rahmen der Berufsfindung bzw. Berufsverbereitung in den Unterricht eingeladen werden. Der Landtag fordert das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur auf, hierzu eine Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr abzuschließen."

Im April hatte der Landtag dieses Ansinnen noch abgelehnt, aber bereits drei Monate später greift die Bildungsministerin der CDU Karin Prien die Vorgabe der Rassistenpartei auf und will vermehrt Jugendoffizieren Gelegenheit bieten, den Unterricht an unseren Schulen zu gestalten.

Die Ministerin nennt zur Begründung: "Jungen Menschen fehlt häufig das Wissen über sicherheitspolitische Fragestellungen". Aber können diesem mangelndem Wissen ausgerechnet Offiziere abhelfen? Sie sind Soldaten, die ausgebildet sind Kriege zu führen, und keine Diplomaten oder Friedensforscher.

Ist die Bildungsministerin denn der Ansicht, die an Universitäten ausgebildeten Lehrkräfte seien nicht selbst in der Lage, Unterrichtseinheiten zu Sicherheitspolitik und Gewaltprophylaxe zu erstellen und sie den Schüler*innen zu vermitteln?

Wenn die Bildungsministerin Mängel an Unterrichtsmaterialien oder an fehlendem Personal feststellt, dass bestimmte Themen an schleswig-holsteinischen Schulen unterrichtet werden können, wäre es ihre Pflicht, für ihr Ressort die finanziellen Mittel einzufordern, um Lehrerinnen und Lehrer einzustellen oder sie fortzubilden, damit diese Bildungslücke geschlossen werden kann. Wenn nur das Geld, das die Bundeswehr für Werbung verschwendet, für die Einstellung von Lehrerinnen und Lehrern und eine bessere Bezahlung, mehr Zeit für Unterrichtsvorbereitung und Fortbildungsmöglichkeiten ausgeben würde, könnten die Schulen ihren Erziehungs- und Bildungsauftrag so ausfüllen, dass alle davon profitieren können. Aber diese Bildungsministerin ist eben keine Vertreterin ihres Ressorts. Sie fällt den Lehrkräften in den Rücken, indem sie im Landtag vertritt, dass Bundeswehrsoldat*innen ohne Studium an einer bildungswissenschaftlichen Universität, aber mit militärischer Waffenausbildung an unseren Schulen unterrichten sollen. Diese Jugendoffiziere haben vor allem gelernt, Kriegswaffen zu bedienen und Menschen zu töten. Sicherheitspolitisches Denken und Handeln findet bei denen nur im militärischen Kontext statt, beinhaltet die Strategien der Kriegsführung und des militärischen Denkens.

Kriegsführung ist das Gegenteil von Sicherheitspolitik. Im Krieg wird menschliche Existenz und Sicherheit vernichtet. Soll im Unterricht unseren Schülerinnen und Schülern die Lüge vermittelt werden, dass Sicherheitspolitik Militärpolitik ist und Kriegsführung zu ihrer und anderer Menschen Sicherheit beiträgt? Die Zeiten, in denen Soldaten die Rolle von Lehrern eingenommen haben, sollten wir doch längst hinter uns gelassen haben. Die Folgen waren Verrohung und Kriegsverherrlichung. Schüler wurden mit Notabitur zum Kanonenfutter.

Im Artikel 10 Absatz 3 der schleswig-holsteinischen Verfassung, die auch die Grundlage des Schulgesetztes ist, steht:

(3) Kinder und Jugendliche sind Träger von Rechten. Sie haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, auf Bildung, auf soziale Sicherheit und auf die Förderung ihrer Entwicklung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten.

Bundeswehrsoldaten, die zu kriegerischen, gewalttätigen Handlungen in einem System von Befehl und Gehorsam ausgebildet werden, sind doch die am wenigsten geeigneten, die im Artikel 10 Absatz 3 genannten Rechte auf Gewaltfreiheit zu gewährleisten.

Die Ministerin sagt dazu selbst im Widerspruch zu ihrer Entscheidung, vermehrt Bundeswehrsoldaten an die Schulen zu holen:

"Schulen sind die Keimzellen der demokratischen Gesellschaft, dort können wir die Bildung des demokratischen Verständnisses fördern. Diese Möglichkeit wollen wir in Zukunft noch besser nutzen"

und

"Ich halte es für ganz entscheidend, jungen Menschen den Wert einer demokratischen Gesellschaftsordnung zu verdeutlichen und dafür zu werben".

Aber sie will nicht etwa Lehrerinnen und Lehrer fördern sie besser bezahlen und sie fortbilden, sondern die undemokratische auf Befehl und Gehorsam beruhende Bundeswehr, in der die meisten im Grundgesetz genannten Freiheiten und Rechte eingeschränkt oder aufgehoben sind, an die Schulen lassen, um fürs Töten und Sterben im Krieg zu werben.

Nicht nur die AfD, jetzt auch die Bildungsministerin bringt dazu den Mythos von der "Parlamentsarmee" ins Spiel. Dabei entscheidet das Parlament bei Bundeswehrkriegseinsätzen allenfalls über das Einsatzgebiet, die Anzahl der dort eingesetzten Soldat*innen und die Dauer des Einsatzes. Welche Kriegshandlungen im Einsatzgebiet Bundeswehrsoldat*innen konkret durchführen oder welchen Kriegshandlungen sie ausgesetzt sind, darauf hat das Parlament keinen Einfluss und kann nichts entscheiden. Darüber entscheiden dann die militärischen Befehlshaber vor Ort. Die mit jedem Kriegseinsatz steigende Zahl traumatisierter Soldat*innen sagt viel darüber aus, was Soldat*innen und Soldaten im Kriegseinsatz erleben.

Fast jeder zehnte neue Soldat ist erst 17 Jahre alt

Hatten sich 2011 erst 689 Minderjährige als freiwillig Wehrdienstleistende oder als Zeitsoldat verpflichtet, waren es 2017 bereits 2126. Damit sind inzwischen 9,1 Prozent eines Ausbildungsjahrganges bei der Bundeswehr noch nicht erwachsen - ein neuer Höchststand. Seit 2011 sind der Truppe insgesamt mehr als 10.000 Minderjährige beigetreten.

UNICEF definiert alle Soldaten unter 18 Jahren als Kindersoldaten.

Der gesetzliche Jugendschutz gilt nicht bei der Bundeswehr: Die Mädchen und Jungen werden gemeinsam mit erwachsenen Soldaten untergebracht, sie haben dieselben Arbeitszeiten, besondere Schutzmaßnahmen gegen Mobbing oder Übergriffe gibt es nicht - obwohl laut einer Bundeswehr-Studie mehr als die Hälfte aller Soldatinnen in der Bundeswehr sexuell belästigt wurden und dort auch etwa jede dreißigste Opfer sexuellen Missbrauchs wurde (Quelle: Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, 2014).

Die Bundeswehr benötigt jährlich rund 20.000 neue Rekruten. Um diese Zahl zu erreichen, werden die Werbemaßnahmen stark ausgeweitet und jedes Jahr Minderjährige als Soldaten rekrutiert: 2017 waren es 2.128 Siebzehnjährige, darunter 448 Mädchen. Diese erhalten dieselbe militärische Ausbildung an der Waffe wie erwachsene Soldaten und werden dann oft schon bald nach Erreichen der Volljährigkeit in Auslandseinsätze geschickt.

Die Bundesregierung hat auf Anfrage der Fraktion die Linke 2014 festgestellt: Die Anzahl der minderjährigen Soldaten, die dann, sobald sie 18 Jahre alt sind, in den Kriegseinsatz ins Ausland geschickt werden, wird von der Bundeswehr statistisch nicht erfaßt. Es wird auch nicht erfaßt, wie viele Minderjährige durch den Kriegsdienst eine posttraumatische Belastungsstörung bekommen, auch nicht, wie viele Verstöße wegen mangelhaften Minderjährigenschutz bei der Bundeswehr zur Strafanzeige gebracht werden.

Aber es gibt auch positive Entwicklungen:

Die SPD hat aufgrund des Antrages 109/1/2019 auf dem Parteitag der SPD Berlin den Beschluss gefasst: Werbeverbot für alle militärischen Organisationen an Schulen.

Die sozialdemokratischen Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses sowie die SPD-Senator*innen des Landes Berlin werden aufgefordert, den Wortlaut des §5 Absatz 2, Teil 1 Schulgesetz für das Land Berlin um folgendes zu erweitern:

"Es wird militärischen Organisationen untersagt, an Berliner Schulen für den Dienst und die Arbeit im militärischen Bereich zu werben."

Der Antrag der Berliner SPD für ein Werbeverbot der Bundeswehr an Schulen ist wichtig und richtig, sollte so von den Abgeordneten aller demokratischer Parteien in Schleswig-Holstein übernommen und auch in unserem Landtag als ein erster Schritt beschlossen werden. Auf Jobmessen, in den Arbeitsämtern und auf Volksfesten sollte dann ebenfalls die Werbung für Krieg nicht mehr möglich sein.

Kriegspropaganda in den Schulen verweigern

Eltern können ihre minderjährigen Kinder vom Unterricht mit Bundeswehrvertretern befreien lassen, wenn diese in die Schulen kommen.

Volljährige Schüler können es selbstverständlich für sich selber auch tun.

Religionsmündige Schüler, die ab dem Alter von 14 Jahren auch das Recht haben, über ihre Teilnahme am Religionsunterricht oder am Ethikunterricht selbst zu entscheiden, können es unter Berufung auf ihre Glaubens- und Gewissensfreiheit ebenfalls machen.

Sie können einen Antrag auf Ersatzunterricht stellen. Der Antrag sollte am besten schon vorbeugend beim Klassenlehrer oder Schulleiter hinterlegt werden, weil die Bundeswehrbesuche nicht immer vorher angekündigt werden. Nach ersten Erfahrungen und Aussagen von Schulleiterinnen und Schulleitern werden solche Befreiungsanträge ohne Begründung genehmigt. Die Schulbehörde in Bayern hat ausdrücklich bestätigt, dass Gewissensgründe in solchen Fällen zur Befreiung von Veranstaltungen mit der Bundeswehr führen und Ersatzunterricht stattfinden soll.

Richterliche Entscheidungen zur Genehmigungspflicht in diesem speziellen Bereich gibt es deshalb offenbar noch nicht. Hier muss für die Schulleitung der Artikel 4 des Grundgesetzes (Gewissensfreiheit) und Artikel 6 GG (Erziehungsrecht der Eltern) Vorrang vor Art. 7 GG (staatlicher Erziehungsauftrag) haben. Denn eine Entscheidung gegen das Erziehungsrecht der Eltern und die Gewissensfreiheit der Schüler kann später, im Falle eines späteren Eintritts des Schülers in die Bundeswehr, körperliche und seelische Verletzungen oder sogar den Tod mitverursachen. Die direkte und indirekte Werbung bei Minderjährigen für Militäreinsätze widerspricht außerdem dem Völkerrecht, nämlich den Kinderrechten in Art. 6 (Recht auf freie Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit), Art. 19 (Recht auf körperliche Unversehrtheit und Schutz vor Gewalt) und Art. 29 (Erziehung im Geiste von Frieden und Verständigung zwischen den Völkern) der auch von Deutschland unterschriebenen UN-Kinderrechtskonvention.

Terre des Hommes hat dafür einen Musterantrag formuliert.

"Hiermit beantrage/n wir/ich
meine Tochter/meinen Sohn
geb. am
derzeit in Klasse

von schulischen Veranstaltungen bzw. vom Unterricht
mit Vertretern der Bundeswehr freizustellen und
währenddessen anderweitig zu beaufsichtigen.

Begründung:
Wir/ich erziehe/n unser Kind zum gewaltfreien
Umgang mit Konflikten.

Unser/Mein Gewissen verbietet uns/mir daher die
Teilnahme unseres/meines Kindes am Unterricht durch
eine Organisation, deren Auftrag es ist, bewaffnete
Interventionen vorzunehmen.

Dieser Antrag gilt für die gesamte Schulzeit des
Kindes, so lange er nicht widerrufen wird."

Die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen fordert die schleswig-holsteinischen Lehrerinnen und Lehrer dazu auf:

Laden Sie die Bundeswehr nicht an ihre Schule ein, die nur kommt um für den Dienst bei der Bundeswehr zu werben.

Schützen Sie ihre Schülerinnen und Schüler vor dem Dienst bei der Bundeswehr. Militärische Ausbildung mit dem Ziel Menschen zu töten, ist kein Beruf. Es ist menschenverachtend und steht im Gegensatz zu einer demokratischen auf Wertschätzung anderer gerichteten Bildung und Erziehung.

Fordern Sie mit uns die Bildungsministerin dazu auf, eine Parlamentsvorlage nach Vorbild der Berliner SPD für ein Verbot von Bundeswehrauftritten an Schulen zur Entscheidung dem schleswig-holsteinischen Landtag vorzulegen anstatt die Kooperation mit der Bundeswehr noch über den Stand von 2011 auszuweiten. Auch bei Jobmessen und in den Arbeitsagenturen ist kein Platz für die Bundeswehr, um junge Menschen für den Krieg zu rekrutieren.

Bitte teilen Sie uns mit, wenn Sie erfahren, dass die Bundeswehr an Ihre Schule kommt, dann werden wir eine Protestaktion vor ihrer Schule durchführen.

Die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen fordert die schleswig-holsteinischen Schülervertretungen dazu auf:

Verweigert alle Kriegsdienste!

Boykottiert alle Veranstaltungen, die die Jugendoffiziere an den Schulen durchführen und zu denen die Bundeswehr die Schulen einladen.

Nicht nur für das Klima, sondern auch für den Frieden können Schüler*innen auf die Straße gehen.

Immerhin hat sogar die Bundesregierung auf Anfrage der Fraktion die Linke 2014 festgestellt, dass das Thema Sicherheitspolitik nicht der Bundeswehr alleine überlassen werden soll:

"Eine Einladung von kritischen Expertinnen und Experten, wie von terre des hommes Deutschland e. V. gefordert, kann in diesem Sinne eine breit gefächerte Diskussion fördern."


Kontakt:

Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen
Gruppe Flensburg, c/o Ralf und Siglinde Cüppers,
Mühlenholz 28a, 24943 Flensburg,
Telefon 0461 3186471, Fax 0462 3184672,
Email: flensburg@bundeswehrabschaffen.de

*

Quelle:
Gegenwind Nr. 372 - September 2019, Seite 23 - 26
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2019

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