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GEHEIM/244: Geheimdienst stoppt Beobachtung von Bürgerrechtler Rolf Gössner


GEHEIM Nr. 1/2009 - 6. April 2009

DEUTSCHLAND
Geheimdienst stoppt Beobachtung

Nach 38 Jahren endet Dauerüberwachung von Bürgerrechtler Rolf Gössner


Ende November 2008 hatte es der Bremer Rechtsanwalt, Bürgerrechtler und GEHEIM-Autor Rolf Gössner endlich geschafft: das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gab bekannt, dass es die 38jährige Dauerbeobachtung des engagierten Staatsbürgers einstellt. Vorausgegangen war ein langjähriger Rechtsstreit, der seinen Abschluss vor dem Verwaltungsgericht Köln fand. Den Richtern teilte der deutsche Inlandsgeheimdienst mit, "dass die Beobachtung des Klägers - nach aktuell erfolgter Prüfung durch das Bundesministerium des Innern und das Bundesamt für Verfassungsschutz - eingestellt worden ist. Die hier zum Kläger erfassten Daten werden ab sofort gesperrt. Von der Löschung der Daten wird - trotz ihrer Löschungsreife - insbesondere wegen der anhängigen Auskunftsklageverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss der Verfahren abgesehen."

Mit dieser Mitteilung findet eine rekordverdächtige 38jährige Überwachungsgeschichte endlich ihr Ende. "Es hat den Anschein, als habe das Bundesamt mit diesem Überraschungscoup seiner wahrscheinlichen Verurteilung zuvor kommen wollen", meint der Freiburger Anwalt Udo Kauß, der die Klage des Rechtsanwalts, Publizisten und Vizepräsidenten der "Internationalen Liga für Menschenrechte", Rolf Gössner, gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vertritt. Mit dieser Klage verlangte Gössner Auskunft über sämtliche Daten, die der Verfassungsschutz in vier Jahrzehnten zu seiner Person erfasst und gespeichert hat. Außerdem klagte er auf Löschung oder zumindest Sperrung der Daten sowie auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner geheimdienstlichen Dauerüberwachung.

Mit Erleichterung nimmt der Vorstand der "Internationalen Liga für Menschenrechte" zur Kenntnis, dass dieses Verfahren und die vielfältigen Proteste von Bürgerrechtsgruppen, Gewerkschaften und Schriftstellern gegen die Langzeitbeobachtung Rolf Gössners endlich zu einem positiven Ergebnis und zur Beendigung dieses bundesdeutschen Dauerskandals geführt haben - auch wenn damit die gerichtliche Auseinandersetzung um die Daten und Akten noch lange nicht ausgestanden ist.

"Das Bundesamt für Verfassungsschutz konnte während des bisherigen Gerichtsverfahrens zu keinem Zeitpunkt plausibel darzulegen oder gar beweisen, weshalb die geheimdienstliche Beobachtung von Rolf Gössner über einen Zeitraum von 38 Jahren zum Schutz der Verfassung notwendig gewesen sein soll", unterstreicht sein Anwalt.

Rolf Gössner wurde seit 1970 bis Ende November 2008 ununterbrochen vom BfV beobachtet: zuerst als Student, später als Gerichtsreferendar und seitdem ein Arbeitsleben lang in allen seinen beruflichen und ehrenamtlichen Funktionen als Publizist, Rechtsanwalt, Parlamentarischer Berater, als Repräsentant der "Internationalen Liga für Menschenrechte" sowie als Mitglied der Jury zur Verleihung des Negativpreises "BigBrotherAward". Dadurch sind nicht nur seine Persönlichkeitsrechte auf Informationelle Selbstbestimmung sowie seine Grundrechte auf Meinungs- und Berufsfreiheit beeinträchtigt, sondern auch wichtige Berufsgeheimnisse gefährdet worden, insbesondere das Mandatsgeheimnis und der Informantenschutz und die ausforschungsfreie Sphäre, die für unabhängige Menschenrechtsgruppen unabdingbar ist.

Selbst seine Wahl zum Deputierten der Bremer Bürgerschaft sowie zum stellvertretenden Richter des Bremischen Staatsgerichtshofs 2007 führte nicht dazu, dass seine Beobachtung eingestellt wurde. Im Gegenteil: Das BW vertrat vor Gericht sogar die Meinung, dass der Geheimdienst auch Richter, trotz ihrer verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit, beobachten dürfe.

Grund für die jahrzehntelange Überwachung ist laut BfV, dass Rolf Gössner Kontakte zu Gruppen und Personen habe, die der Verfassungsschutz als "linksextremistisch" oder "linksextremistisch beeinflusst" einstuft. Dazu zählen etwa die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (VVN) und die Rechtshilfegruppe "Rote Hilfe e.V.". Bei den über den Kläger gesammelten "Sünden" handelt es sich insbesondere um seine Artikel, Reden und Interviews, die in bestimmten Publikationen sowie um Vorträge und Lesungen mit bestimmten Organisatoren, wie etwa der VVN. Mit solchen Aktivitäten unterstütze der Kläger diese "Personenzusammenschlüsse" nachhaltig in ihren "verfassungsfeindlichen Zielen", so das BW. Dabei sind sogar Berichte über Rolf Gössner oder Rezensionen seiner Bücher in solch inkriminierten Medien Bestandteil seiner Personenakte. Letzten Endes wurde Rolf Gössner eine Art "Kontaktschuld" zur Last gelegt - nicht etwa eigene verfassungswidrige Beitrage oder Bestrebungen. Es handelt sich bei all diesen inkriminierten Beitragen ausschließlich um Berufskontakte im Rahmen seiner beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten.

Bereits im Januar 2008 urteilte das Kölner Verwaltungsgericht, dass die Beobachtung des Bundestagsabgeordneten Bodo Ramelow von der Partei "Die Linke" durch den Verfassungsschutz rechtswidrig ist und er nicht länger geheimdienstlich überwacht werden darf, da die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen. Einsicht in seine Verfassungsschutzakten erhielt Ramelow aber nicht. Daher kann er auch nicht sicher sein, dass der Inlandsgeheimdienst ihn nicht doch noch indirekt beobachtet. Schließlich überwacht der Dienst weiterhin einzelne Strukturen der Partei wegen unterstellter Verfassungfeindlichkeit.

Nach Auffassung der Liga für Menschenrechte hat dieses Verfahren über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung. Denn es geht um ein brisantes Problem, das auch andere Publizisten, Rechtsanwälte und Menschenrechtler betrifft: Welche Grenzen sind den demokratisch kaum kontrollierbaren Geheimdiensten und ihren klandestinen Aktivitäten gezogen - besonders im Umgang mit Berufsgeheimnisträgern und im Rahmen unabhängiger Menschenrechtsarbeit von Nichtregierungsorganisationen?

Dass die Problematik nicht nur auf die deutschen Geheimdienste beschränkt ist, zeigt ein Fall, der sich im Vorfeld des NATO-Gipfels in Baden-Baden im April 2009 ereignete. Die Militärorganisation verweigerte zwei Journalisten die Akkreditierungen aufgrund der Informationen, die sie vom deutschen Bundeskriminalamt (BKA) erhielt. Das war rechtswidrig, urteilte das Wiesbadener Verwaltungsgericht: zum einen darf das BKA die NATO nicht mit Informationen versorgen, zum anderen hatte die Polizei keine Ermittlungsakte für ihr Votum herangezogen. (AZ: 6 L 353/09.WI und 6 L 354/09.WI)

GEHEIM-REDAKTION


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Quelle:
GEHEIM Nr. 1/2009, 6. April 2009, Seite 5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2009