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GEHEIM/266: 25 Jahre "Geheim" - Michael Opperskalski über die Entstehung des Magazins - Teil 1


GEHEIM Nr. 1/2010 - 7. April 2010

25 Jahre GEHEIM (Teil 1)
Wie alles anfing

GEHEIM-Mitgründer Michael Opperskalski über die Entstehung des Magazins


Das Jahrzehnt der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts war geprägt von weltweiten Umbrüchen, die nicht nur das dominante US-Imperium gefährdeten, sondern in einer wachsenden Zahl von Ländern und Regionen Konturen einer neuen Gesellschaft jenseits von Abhängigkeiten, Kolonialismus, Ausbeutung und Unterdrückung zum Durchbruch kommen ließen. Die Befreiung Vietnams 1973 von brutaler Yankee-Besatzung nach einem jahrzehntelangen Volks- und Befreiungskrieg, der Sieg der antikolonialen Kämpfe in Angola. Moçambique oder Guinea-Bissau, die Revolutionen in Afghanistan, Nicaragua, Grenada oder Iran sind nur Stichworte. Diese Entwicklung inspirierte auch andere Völker, nach revolutionären Alternativen zu suchen. Als Gegenreaktion baute jedoch das Yankee-Imperium in Zusammenarbeit mit befreundeten Staaten, vor allem in Europa und Asien, konterrevolutionäre Strategien, Strukturen und Mechanismen auf. Der berüchtigte nordamerikanische Geheimdienst CIA, sein israelisch-zionistischer Partnerdienst MOSSAD, der bundesdeutsche BND, der britische MI6 oder der französische SEDCE spielten (und spielen!) dabei Schlüsselrollen. Mit Ronald Reagan wurde 1980 schließlich die personifizierte Konterrevolution zum Präsidenten der Vereinigten Staaten. Was er einleitete, war ein weltweites, großes und blutiges Roll-Back...

Das war das Klima, in dem GEHEIM entstand: 25 Jahre ist es nun her, als im Frühsommer 1985 die 0-Nummer von GEHEIM das Licht der Welt erblickte - eine lange Zeit, mit vielen Höhen und Tiefen ist inzwischen vorbeigezogen. Und dennoch ist GEHEIM eigentlich noch älter, denn die Idee für ein geheimdienstkritisches Magazin in der BRD wurde Anfang der 80er Jahre im sandinistischen Nicaragua geboren. Hintergrund für diese Gedankenspiele damals waren Entwicklungen in den USA, aber auch revolutionäre Herausforderungen in Iran, Afghanistan, Nicaragua, El Salvador oder Grenada, die das Imperium mit massivsten Destabilisierungen bis hin zum Aufbau von Contra-Armeen beantwortete.

GEHEIM-Gründer Michael Opperskalski fuhr auf Einladung der sandinistischen Befreiungsfront nach Managua. Im Gepäck: geheime CIA-Dokumente, die revolutionäre Studenten zuvor bei der Besetzung der US-Botschaft in Teheran erbeutet hatten. Das Ziel: diese Dokumente wie auch die Erfahrungen umfangreicher CIA-Operationen im Iran der FSLN in Nicaragua zur Verfügung zu stellen. Michael Opperskalski war einer der ersten gewesen, die im Iran Zugriff auf ungezählte, geheimste CIA-Papiere bekam und zugleich Augenzeuge der US-Destabilisierungen wurde, in deren Zentrum Operationen der CIA waren. 1982 veröffentliche er daher - gemeinsam mit Günter Neuberger, der später Co-Gründer von GEHEIM werden sollte - im Lamuv-Verlag das Buch "CIA im Iran", in dem sich viele dieser CIA-Papiere wieder finden.

Vor diesem Hintergrund stieß Michael Opperskalski in Nicaragua auf nordamerikanische Kollegen, die in den 70er Jahren eine publizistische "Anti-CIA-Bewegung" auf die Beine gestellt hatten. Zu dieser Bewegung gehörten auch ehemalige CIA-Agenten wie Philip Agee und John Stockwell, die mit der Agency gebrochen hatten, die ihnen während ihrer Tätigkeit bekannt gewordenen schmutzigen Tricks enthüllten und ihre Erfahrungen Opfern von nordamerikanischen Destabilisierungen zur Verfügung stellten. Im Zentrum dieser Aktivitäten standen zwei Magazine: "Covert Action Information Bulletin (später: Covert Action Quarterly)" und "The National Reporter". Beide Magazine hatten sich - ganz konsequent - im Rahmen ihrer Enthüllungsarbeit auch auf die Enttarnung von CIA-Agenten spezialisiert, die unter diplomatischer (oder anderer) Maske weltweit aktiv sind. Bekannt wurde dieser publizistische Aspekt der "Anti-CIA-Arbeit" als "Naming Names".


Reagans Schlag gegen die Pressefreiheit

Kaum war Ronald Reagan zum US-Präsidenten gekürt worden, verschärfte die neue nordamerikanische Administration ihre weltweite Offensive gegen alle gesellschaftlichen Prozesse, die aus ihrer Sicht ihren Hegemonialinteressen im Wege standen. Moskau wurde zum "Reich des Bösen", in Afghanistan liefen milliardenschwere CIA-Operationen an, um "die Sowjetunion am Hindukush ausbluten" zu lassen, gegen das sandinistische Nicaragua wurde eine Contra-Armee mit allen Mitteln aufgebaut, die kleine Karibik-Insel Grenada militärisch überfallen - das Imperium schlug zurück. Im Schlepptau dieser Offensive verstärkte der nordamerikanische Geheimdienst CIA seine Aggressionen. Diese weiter abzusichern diente die Verabschiedung des so genannten "Identities Protection Act" 1980, das jeden US-Bürger mit horrenden Strafen bedroht, der Namen aktiver CIA-Agenten veröffentlicht oder in irgendeiner Form zu deren Veröffentlichungen beiträgt. Das bedeutete in Konsequenz, das die Zeitschriften der "Anti-CIA-Bewegung" in den USA nicht nur ihr "Naming Names" einstellen mussten, sondern auch bei jeder publizistischen Enthüllung der immer aggressiver werdenden "dirty tricks" der CIA einen juristischen Seiltanz begannen. Nur logisch, dass sich die US-amerikanischen Kollegen fragen: "Wie weiter?" In dieser Situation und vor diesem Hintergrund entwickelten sich in Nicaragua die Diskussionen um die Möglichkeiten, in anderen Ländern, möglichst in Europa, das fortzusetzen, was in den USA verboten worden war. Zunächst in Form von Büchern: "CIA in Westeuropa" und "CIA in Mittelamerika" (beide im Lamuv-Verlag).


GEHEIM erblickt das Licht der Welt

1985 war es schließlich soweit: aus einer Idee, geboren und gewälzt in vielen Diskussionen, wurde Realität. Die 0-Nummer von GEHEIM wurde veröffentlicht mit dem Ziel, zu "testen", ob diese Art des Enthüllungsjournalismus auf Interesse stoßen würde. Es tat, gefördert sicherlich auch durch die prompte Reaktion der damaligen Bundesregierung, die in Person des CSU-Innenstaatssekretärs Spranger mit dem Verbot der Zeitschrift drohte. Das brachte Publizität, schuf Interesse, ließ auch Solidarität sich entwickeln. "Der Spiegel" berichtete und charakterisierte GEHEIM als "das Fachblatt aus Köln".

Seither zieht sich eine "rote Linie" durch alle Veröffentlichungen von GEHEIM, die am besten, wenn auch verkürzt als "Partei ergreifender Enthüllungsjournalismus" umschrieben werden kann. Thematisch ist das journalistische Feld von GEHEIM seit der 0-Nummer sehr breit gefächert: es reicht über die Berichterstattung, aber auch die Analyse des Abbaus demokratischer Rechte und den damit einhergehenden Ausbau des Repressionsinstrumentariums in der BRD bis hin zu den Enthüllungen der "schmutzigen Tricks" der CIA und mit ihr verbündeter Geheimdienste (z.B. Israels MOSSAD oder Großbritanniens MI6). Dazu gehört wie selbstverständlich jedoch auch das in den USA verbotene "Naming Names" oder die Entlarvung geheimer strategischer Konzeptionen.

Parteiisch war und ist GEHEIM von Beginn an. Nicht nur, weil sich Redakteure und Autoren sehr bewusst als Teil einer demokratischen und progressiven "Gegenöffentlichkeit" begreifen, sondern vor allem auch weil die Veröffentlichungen von GEHEIM Partei ergreifen für die Opfer - seien es Berufsverbotsopfer in der Bundesrepublik oder von CIA-Destabilisierungen bedrohte gesellschaftliche Entwicklungen, seien es diversen Repressionsmaßnahmen Ausgesetzte oder Befreiungsbewegungen (Stichworte: die namibianische SWAPO oder der südafrikanische ANC). Damit wird verständlich, dass GEHEIM zum Beispiel auch von Beginn an den revolutionären Prozess auf Cuba publizistisch unterstützte und inzwischen über ungezählte nordamerikanische - aber auch europäische - Verschwörungen gegen die rote Insel in der Karibik berichtete, berichtet und weiter berichten wird. Parteinahme eben. Nicht nur für das revolutionäre Cuba...

Nachfolgend drucken wir das Editorial der 0-Nummer von GEHEIM aus dem Jahr 1985 ab. Es klingt - fast - beeindruckend, bedrückend aktuell und wirft damit ein Spotlight auf den "roten Faden", der unser Magazin von Beginn an bis heute durchzieht:


"Warum GEHEIM?

Geheim ist in der Bundesrepublik vieles, was eigentlich nicht geheim sein dürfte. Vor allem ist geheim, was der Staat über seine Bürger sammelt. So sind die umfangreichen Dateien von Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt, Militärischem Abschirmdienst oder Bundesnachrichtendienst Verschlusssache für die betroffenen Bürger und die kritische Öffentlichkeit.

Nur Skandale oder die akribische Recherche einiger engagierter Journalisten schwemmen hin und wieder einiges an die Öffentlichkeit: so die "Zersetzerkartei" des MAD, die Affäre Langemann, Mitarbeiter des Verfassungsschutzes als Agents provocateurs in Krefeld, gescheiterte Anwerbungsversuche von Gewerkschaftern für den Verfassungsschutz, Lauschangriffe, Geheimdienstmaterial für die Berufsverbieter.

In Hamburg gab und gibt der Staatsschutz - wie wir in dieser Nummer ausführlich berichten - Erkenntnisse an die Kollegen vom CIA weiter. Diese Erkenntnisse reichen von der Teilnahme an Demonstrationen bis hin zu Gewerkschaftsveranstaltungen. Die Erkenntnisse der eifrigen Hamburger Staatsschützer belegen: kritisches Potential soll aufgespürt und eingekreist werden. Für den Krisenfall wird dann auch gleich der "große Bruder" in Langley informiert.

Gezielt unterwandern V-Leute die Friedens- und Protestbewegung, die gerade in den letzten Jahren immer stärker wurde.

Aber nicht nur die Daten von Aktivisten landen in den Karteien der Sicherheits- und Geheimdienste. Der Staat wünscht generell den "gläsernen Bürger", der einfacher zu verwalten und zu kontrollieren ist. In diese Richtung gehen der geplante maschinenlesbare Personalausweis und die gescheiterte, aber noch nicht ad acta gelegte Volkszählung.

Nicht nur der Staat und seine Sicherheitsorgane haben ihre Dateien. Die großen Krankenkassen und Versicherungen sowie viele andere Unternehmen haben ihre eigene computerisierte Datenerfassung. Auch dies geschieht weitgehend unkontrolliert und - dank einer rasanten technischen Entwicklung - immer raffinierter.

Nicht nur die Weitergabe von Hamburger Staatsschutzerkenntnissen an den CIA belegt, dass es eine enge Zusammenarbeit zwischen den Diensten der BRD und dem berüchtigten Geheimdienst CIA gibt. Der CIA hat seine größte Außenstation unter der Tarnung militärischer Einrichtungen in Frankfurt. Und der CIA ist auch selbst in der Bundesrepublik aktiv.

Es ist bekannt, dass der CIA faktisch eine weitere schnelle Eingreiftruppe der USA ist. Er putschte nicht nur in Chile, und er führt nicht nur Krieg gegen Nicaragua. In den USA hat sich eine breite Bewegung gegen die schmutzige Arbeit des CIA entwickelt, in ihr spielen ehemalige CIA-Agenten wie Philip Agee oder John Stockwell eine wichtige Rolle. Die beiden Magazine Covert Action Information Bulletin und CounterSpy sind kontinuierlich auf den Spuren der "schmutzigen Tricks" des CIA. Ihre wirkungsvolle Enthüllungsarbeit will die Reagan-Administration verhindern. Bereits seit 1982 verbietet das Identities Protection Act in den USA das Naming Names, d. h. die Veröffentlichung von Namen getarnt arbeitender CIA-Agenten. Versuche, auch andere Bereiche der Anti-CIA-Arbeit zu verbieten, sind in Vorbereitung. So soll der CIA generell von der Auskunftspflicht befreit werden, zu der jede US-amerikanische Regierungsstelle durch das Freedom of Information Act verpflichtet ist. Die Abschottung gegen jegliche Kritik und öffentliche Kontrolle soll total werden! Das kann natürlich nur eine Aufforderung sein, außerhalb der USA weiterzumachen.

GEHEIM soll Bespitzelungspraktiken, Polizeiwillkür und den stetigen Abbau demokratischer Rechte aufdecken sowie alle Versuche, den "gläsernen Bürger" zu schaffen und die Macht der bundesdeutschen Sicherheitsorgane zur Allmacht werden zu lassen. Damit wird GEHEIM ein Magazin zur Sicherung der Bürgerrechte, geheim wird auch Tipps zur Selbsthilfe gegen Abhörpraktiken, Polizeiwillkür oder Unterwanderungsmethoden liefern.

Und GEHEIM soll das fortsetzen, was in den USA unmöglich gemacht werden soll, die Enttarnung von CIA-Agenten und die Anti-CIA-Arbeit insgesamt.

Daher muss GEHEIM von Journalisten und Organisationen getragen werden, die sich mit dieser Materie befassen und den Abbau demokratischer Rechte nicht ohne weiteres hinnehmen wollen.

Die vorliegende Nullnummer ist ein Angebot zur Diskussion, nicht nur über Form und Inhalt von GEHEIM. Nur bei positiver Resonanz und breiter Unterstützung wird es möglich sein, das Magazin 1985 zu starten. Die erforderliche Basis für GEHEIM zu sondieren ist vor allem Aufgabe dieser Nullnummer.

In diesem Sinne: GEHEIM ist nötig, damit weniger geheim bleibt.

Die Redaktion (1985, 0-Nummer)"


Und wir machten und machen weiter.... (Fortsetzung folgt im nächsten Heft)


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Quelle:
GEHEIM Nr. 1/2010, 7. April 2010, Seite 5-6
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Redaktion: GEHEIM-Magazin,
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Internet: www.geheim-magazin.de

GEHEIM erscheint viermal im Jahr.
Einzelheft: 4,30 Euro
Jahresabo: 19,40 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2010