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GLEICHHEIT/3280: Britische Gewerkschaften und Ex-Linke


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Britische Gewerkschaften und Ex-Linke

Von Robert Stevens
25. September 2010


Der diesjährige Kongress der britischen Gewerkschaften (TUC) übertraf alle bisherigen Verrätereien der Gewerkschaftsbürokratie. Angesichts der heftigsten Angriffe auf die Arbeiterklasse in Großbritannien seit den 1930er Jahren, mit Dutzenden Milliarden an Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben, schlug der TUC faktisch den Verzicht auf jeglichen Widerstand vor.

Auf seinem Kongress in Manchester einigten sich die Delegierten gerade mal auf eine "nationale Demonstration", die irgendwann im März nächsten Jahres stattfinden soll, sowie auf eine "Kundgebung" in der Central Hall im Londoner Westminster im Oktober anlässlich des Sparhaushalts der Regierungskoalition aus Konservativen und Liberal-Demokraten.

Die rechten Medien behaupteten während des Kongresses, gelegentliche Rückgriffe auf rhetorische Militanz durch die Gewerkschaftsführer - wie beispielsweise beim Vorsitzenden der Gewerkschaft für Bahn, Schifffahrt und Transport, Bob Crow - ließen darauf schließen, dass sich der TUC auf die Organisierung eines massenhaften Widerstands vorbereite.

Ein etwas weiter blickender Journalist schilderte den Kongress etwas realistischer und wies auf die augenscheinliche Absicht der Gewerkschaften hin, an den kollektiven Angriffen von Regierung und Industriekapitänen mitzuwirken: In einem Kommentar in der Financial Times vom 17. September erwähnte John Lloyd eine Stellungnahme von John Monks und schrieb: "Diese Woche erklärte der Vorsitzende der Europäischen Gewerkschaft und ehemalige TUC-Generalsekretär, John Monks, auf dem TUC-Kongress, als Richtschnur für die gewerkschaftliche Zukunftsstrategie sei es besser, Einfluss in den Vorstandsetagen, anstatt Einfluss bei den Streikposten zu nehmen."

Lloyd fuhr fort: "Erstaunlicherweise passt das genau zu der Absicht, die von Regierungsseite geäußert wurde, mit den Gewerkschaften eine 'Partnerschaft' einzugehen - auch wenn die Details noch vage sind. Es sieht nicht so aus, als ob wir auf einen bitteren Winter oder einen heißen Herbstes zugingen."

Die Gewerkschaften von heute sind in keiner Weise mehr "Arbeiter"-Organisationen. Sie agieren nicht mehr als reformistische und defensive Organisationen der Arbeiterklasse. Sie beteiligen sich daran, jede Errungenschaft aus einem über hundertjährigen Kampf zu zerstören. Bei der Demontage der gesellschaftlichen Position der Arbeiterklasse ist ihre Rolle entscheidend und von historischem Ausmaß. Unverblümt fungieren sie als verlängerter Arm des Managements; in buchstäblich jedem Land arbeiten sie mit den Regierungen zusammen, wenn es um die Durchsetzung bösartigster Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und Lebensbedingungen der Arbeiter geht.

Nicht nur ein Teil der Boulevardpresse behauptet, der TUC sei darauf erpicht, die Zitadellen des Kapitals zu stürmen, obwohl dieser in den vergangenen dreißig Jahren keinerlei ernsthaften Protest, geschweige denn einen Streik anführte. Diese Ansichten finden im Vereinigten Königreich auch Widerhall bei politischen Gruppierungen in der Mittelklasse, die, wie die Socialist Workers Party und die Socialist Party, eine Rechtsentwicklung durchlaufen.

Am 14. September wurde in einem Artikel des Socialist Worker erklärt: "Der TUC macht eine umso rabiatere Wendung nach links, je schlimmer die Kürzungen der Torys werden."

In dem Artikel heißt es: "Auf der Jahreskonferenz des TUC in Manchester wurde zur Koordinierung der betrieblichen Kampfmaßnahmen gegen die Kürzungen aufgerufen. Und, was von großer Bedeutung ist, er [der TUC] rief zu einer nationalen Demonstration im nächsten März auf."

"Einhellig bezeichneten die Gewerkschaftsführer, einer nach dem anderen, die vom Parlament geplanten Kürzungen als 'obszön', 'rücksichtslos' und 'verrückt'", fuhr die SWP fort, "und sie bekannten sich zu 'unserem Überlebenskampf' gegen eine 'alles niederwalzende Regierung'."

In ihrer Unterwürfigkeit gegenüber den sich links gebärdenden Bürokraten beschrieb die Socialist Party (SP) den TUC mit der gleichen Unverfrorenheit. Sie unterstützt die Kundgebung einiger Gewerkschaften vom 23. Oktober im Kongresshaus, in dem der TUC seinen Sitz hat, und ruft alle "Gewerkschafter" dazu auf, sich an diesem Tag beim TUC für "die sofortige Organisierung einer nationalen Demonstration" einzusetzen.

"Wenn der TUC auf diesen Druck nicht reagiert, müssen das NSSN [das Nationale Vertrauensleute-Netzwerk] und linke Gewerkschaften in Eigeninitiative zu Demonstrationen aufrufen", so die SP weiter.

Man weiß in der SP nur zu genau, dass die Gewerkschaftsbürokratie keinerlei konzertierte und kraftvolle Aktion gegen die Regierung durchführen wird. Die SP gibt zu, dass der Generalsekretär des TUC, Brendan Barber, auf dem Kongress "'unmittelbare Maßnahmen von der Art eines Generalstreiks' ausgeschlossen" habe. Daher die Versuche der SP, die Glaubwürdigkeit des 'linken Flügels' des Gewerkschaftsapparates zu festigen.

Schließlich versichert die SP die Bürokratie ihrer Loyalität und schreibt: "[Das NSSN] will die offiziellen Gewerkschaften nicht ersetzen, sondern wirkt auf den unteren Gewerkschaftsebenen als Hebel, um sie zur Aktion zu zwingen. Entschiedenes Handeln von unten und oben in den Gewerkschaften kann diese Regierung scheitern lassen."

Diese Stellungnahme bringt die Rolle der pseudo-linken Gruppen als letzte Verteidigungslinie der ganzen Gewerkschaftsbürokratie auf den Punkt. Wenn sie zu Aktionen der Basis aufrufen, geht es immer nur darum, Druck auf die bestehende Gewerkschaftsführung auszuüben - daher ihre Predigt von gemeinsamem Druck "von oben und unten".

Das ist nicht bloß das Ergebnis einer unzutreffenden Einschätzung der Gewerkschaften oder der "Linken" selbst. Hinter den Ausflüchten und dreisten Lügen der ex-linken Gruppen, hinter ihrer unerschütterlichen Loyalität zu den "offiziellen Gewerkschaften" stehen exakte Kalkulationen und eigennützige Motive.

Heute stellen sehr oft die Mitglieder dieser Organisation selbst das Personal der lokalen und nationalen Gewerkschaftshierarchie. In vielen Gewerkschaften, insbesondere im öffentlichen Sektor, besetzen bedeutende Gruppen von Ex-Radikalen höchste Führungspositionen.

SWP-Mitglieder sind im Management der Gewerkschaft PCS (Öffentlicher und Kommerzieller Dienst) zu finden, der Vorsitzende ist Mark Serwotka, ehemaliges Mitglied von "Alliance for Workers Liberty".

Etwa die Hälfte der Führungsposten der Dozentengewerkschaft UCU (University and College Union) wird von der UCU-Linken, fast alles SWP-Mitglieder, besetzt. Sean Vernell, der auf dem TUC-Kongress eine Ansprache hielt, ist führendes SWP-Mitglied und seit 2003 Mitglied der UCU-Führung sowie des Londoner UCU-Regionalrats. Einziger "Protest" auf dem Kongress selbst war die verschämte Aktion, bei der einige UCU-Mitglieder schweigend ihre Plätze verließen, als der Direktor der Bank von England eine Rede hielt.

PCS-Präsidentin Janice Godrich ist Mitglied der Socialist Party und steht einer bedeutenden Minderheitsfraktion in der nationalen Führung vor. Matt Wrack, der Generalsekretär der Feuerwehrgewerkschaft, war früher ebenfalls Mitglied der SP, zu der er immer noch enge Beziehungen pflegt.

Durch die oftmals hoch dotierten Positionen abgesichert, assistieren die Ex-Linken bei Ausverkäufen der Gewerkschaftsspitzen, ermöglichen sie und organisieren damit selbst die schlimmsten Verrätereien.

Das NSSN ist keine wirkliche Basisbewegung. Es steht voll und ganz unter der Kontrolle der Gewerkschaftsbürokratie. Mit ihrer Beschwörung eines "Netzwerks von Vertrauensleuten" tut die SP so, als gäbe es in den unteren Rängen des Gewerkschaftsapparates eine nennenswerte Opposition. In Wirklichkeit kommen die Unterstützer des NSSN im Wesentlichen aus ehemals linken Organisationen, wie z.B. der stalinistischen Kommunistischen Partei. Oder es sind Gewerkschaftsführer, wie Bob Crow von der RMT (National Union of Rail, Maritime and Transport Workers), der auf einer Kundgebung außerhalb der TUC-Konferenz sprach.

Die Aktivitäten des NSSN beschränken sich schlicht darauf, mit Appellen Druck auf jene Gewerkschaftsgremien auszuüben, die oftmals von seinen eigenen Mitgliedern geleitet werden. In seinem Gründungsdokument machte das NSSN von vorneherein das Zugeständnis, es werde nicht "in etablierte Organisations- und Rekrutierungsmaßnahmen der im TUC organisierten Gewerkschaften oder deren Aufgabenbereichen eingreifen".

Für die Ex-Linken ist es - wie für ihre Mitbürokraten - zwingende Logik, die Quellen ihres komfortablen Lebensstils zu erhalten. Die Vergünstigungen und Nebeneinkünfte, die mit den offiziellen Gewerkschaftsposten verbunden sind, dürfen nicht gefährdet werden. Kürzlich ergab ein Bericht über die Gewerkschaftsfinanzen, dass 2008/09 das Nettovermögen der Gewerkschaften fast eine Milliarde, nämlich 939 Millionen Pfund (1,103 Milliarden Euro) beträgt, nachdem es im ersten Jahr der globalen Krise um 17,2 Prozent geschrumpft war.

Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, wie Arbeiter ihre Arbeitsplätze und ihr Einkommen künftig noch verteidigen können: Sie müssen den Widerstand gegen den Gewerkschaftsapparat und solch betrügerische Gruppen wie das NSSN organisieren. Wer gegen die umfassenden Sparmaßnahmen kämpfen will, muss neue, klassenkämpferische Organisationen aufbauen, die die Basis wirklich vertreten und ihr gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Die Grundlage muss eine sozialistische und internationalistische Perspektive sein.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 24.09.2010
Britische Gewerkschaften und Ex-Linke
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2010