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GLEICHHEIT/3360: Parlamentswahlen in Ägypten - Repression gegen Opposition nimmt zu


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Parlamentswahlen in Ägypten
Repression gegen Opposition nimmt zu

Von Johannes Stern
17. November 2010


Zwei Wochen vor der ersten Runde der Parlamentswahlen in Ägypten am 28. November hat die Repression des Mubarak-Regimes gegen die Opposition und regierungskritische Medien einen neuen Höhepunkt erreicht.

Am Sonntag wurden in verschiedenen Regierungsbezirken 58 Mitglieder der Muslimbruderschaft von Sicherheitskräften festgenommen. Der fadenscheinige Vorwurf, der gegen sie erhoben wird, lautet, sie hätten die Wahlkampagne vor dem offiziellen Start begonnen. Diese Anschuldigung wurde vom Anwalt der Muslimbrüder, Moneim Abdel Maqsoud, zurückgewiesen. Er bezeichnete die Festnahmen in der unabhängigen Tageszeitung Al Masry Al Youm als "politischen Akt ohne jede gesetzliche Grundlage". Dem herrschenden Regime ginge es wie immer vor Wahlen darum, die Muslimbrüder und ihre Anhängerschaft einzuschüchtern.

Die Muslimbruderschaft ist die größte Oppositionspartei in Ägypten. Sie ist offiziell verboten und muss ihre Kandidaten deshalb als "Unabhängige" ins Rennen um die Parlamentssitze schicken. Bei den letzten Parlamentswahlen 2005, die von Wahlfälschung und Gewalt geprägt waren, hatten die Muslimbrüder 88 Sitze oder 20 Prozent der abgegebenen Stimmen gewonnen. Mitte Oktober hatte sich die Bruderschaft dem Boykottaufruf des bekanntesten ägyptischen Oppositionspolitikers Mohamed el Baradei widersetzt und angekündigt, auch an diesen Parlamentswahlen teilzunehmen.

Laut der Tageszeitung Al Shorouk sind seit Bekanntgabe der Wahlteilnahme 487 Mitglieder der Muslimbruderschaft verhaftet worden. 288 befänden sich immer noch in Haft und 89 seien Strafgerichten übergeben worden.

Al Dostour berichtete, Sicherheitskräfte hätten das Feuer auf Unterstützer des Muslimbruderschafts-Kandidaten Mahmoud Attiya eröffnet, die in Alexandria Wahlplakate aufhängten. Drei von ihnen seien festgenommen worden, was auch von der staatlich kontrollierten Tageszeitung Rose Al Youssef bestätigt wurde.

Al Wafd, die Tageszeitung, die von der gleichnamigen liberalen Partei Al Wafd herausgegeben wird, berichtete, die Wahlkommission habe in Alexandria die Namen von 50 Kandidaten der Muslimbrüder von der Liste gestrichen.

Neben Kandidaten der Bruderschaft sind Presseberichten zu Folge auch zwei Kandidaten der Al Ghad Partei in Ismailia festgenommen worden. Gegen sie wurde ebenfalls der Vorwurf erhoben, zu früh mit der Wahlkampagne begonnen zu haben. Der zweite Sekretär der Partei, Osama Al Allaf, warf der Regierung daraufhin vor, Doppelstandards anzulegen. Wahlplakate von Kandidaten der regierenden Nationaldemokratischen Partei (NDP) würden schließlich überall hängen, sagte er gegenüber Al Masry Al Youm.

Am gleichen Tag, als die Verhaftungswelle gegen Mitglieder der Opposition einsetzte, veröffentlichte die Unabhängige Koalition für Wahlbeobachtung eine Pressemitteilung über die erste Phase der Parlamentswahlen (http://www.anhri.net/en/?p=1654). Der Bericht kommt zu einem vernichtenden Urteil und widerlegt die zynische Aussage des ägyptischen Diktators Mubarak, der vor einer Woche "faire und transparente Wahlen" versprochen hatte.

Zu Beginn der Pressemitteilung, deren Hauptverfasser drei ägyptische Organisationen für Menschenrechte sind, heißt es: "Die Tatsachen beweisen, dass die ägyptische Regierung politisch nicht gewillt ist, freie und gerechte Wahlen durchzuführen und das notwendige politische Umfeld dafür zu schaffen."

Der Bericht spricht von einer "ständig eskalierenden Kampagne" der Regierung, Bürgerrechte einzuschränken. Allen voran werden Meinungsfreiheit sowie die Grundrechte, sich zu versammeln, zu protestieren, zu streiken und am politischen Prozess teilzuhaben, genannt.

In der letzten Zeit seien unter anderem zwölf Fernsehkanäle gesperrt und politische Programme verboten worden. Darüber hinaus wurde Ibrahim Eissa, der Chefredakteur der regierungskritischen Tageszeitung Al Dostour abgesetzt. Bahieddine Hassan, der Direktor des Cairo Institute for Human Rights Studies (CIHRS) sagte, dass seitdem ein Klima von "Terror" in den Medien vorherrsche.

Die unabhängigen Wahlbeobachter klagen in der Pressemitteilung auch an, dass der ägyptische Sicherheitsapparat mit zunehmender Gewalt gegen Demonstranten und Streikende vorgehe. Vor allem gegenüber Studierenden, die gegen gefälschte Universitätswahlen und gegen die Präsenz von Sicherheitskräften an den Universitäten protestierten, sei exzessive Gewalt angewandt worden.

Die Gründe für das brutale Vorgehen der Mubarak Regierung gegen die Opposition sind eindeutig. Das herrschende Regime in Ägypten befindet sich in einer tiefen Krise. Innerhalb der NDP gibt es heftige Kämpfe um die Nachfolge Hosni Mubaraks, der gesundheitlich angeschlagen ist und das Land seit 1981 mit Notstandgesetzen regiert. Erst vor zwei Wochen warnte ein Leitartikel in Al Masry Al Youm, dass der Fraktionskampf innerhalb der NDP "viel heftiger und blutiger" ausfallen könnte als erwartet.

Daneben hat sich in den letzten Monaten die soziale Krise in Ägypten, wo fast die Hälfte der Bevölkerung von weniger als zwei Dollar am Tag lebt, weiter verschärft. Laut der Regierungsbehörde für Statistik CAPMAS sind im September die Preise für Gemüse um 51 Prozent und für Geflügel und Fleisch um 29 Prozent gestiegen. Ein Artikel in Al Masry Al Youm, der die rapiden Preisanstiege thematisierte, trug die Überschrift: "Gemüsekrise in Ägypten - So beginnen Revolutionen." Protestierende wurden mit dem Slogan "Erhöht weiter die Preise und seht das Land in Flammen aufgehen" zitiert.

Vor diesem Hintergrund reagiert das Regime zunehmend nervös und gewalttätig auf jede Form der Kritik. Die Zunahme der Repression gegen die Opposition in Ägypten ist dabei vor allem auch eine Vorbereitung auf kommende soziale Unruhen. Die Sorge vor solchen wird auch von der Muslimbrüderschaft geteilt, die im Moment am meisten von den Unterdrückungsmaßnahmen der Regierung betroffen ist. Auf einer Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag in Kairo warnte der Führer der Muslimbrüder, Mohamed Badie, vor der Wut der ägyptischen Bevölkerung, falls die Wahlen gefälscht würden. "Die Regierung sollte sich vor dem Volk hüten, wenn es erbost ist", sagte er.

Bemerkenswert ist die allgemeine Stille der westlichen Regierungen angesichts der antidemokratischen Maßnahmen des ägyptischen Regimes. Die Regierungen, die sonst am lautesten rufen, wenn es um Menschenrechtsverletzungen von Staaten geht, die sich nicht dem Diktat des US-Imperialismus unterordnen, schweigen zum Vorgehen ihres wichtigsten Verbündeten im Nahen und Mittleren Osten.

Als der ägyptische Außenminister Ahmed Aboul Gheit am vergangenen Mittwoch im amerikanischen Außenministerium zu Gast war, verlor seine Amtskollegin Hillary Clinton kein Wort über die Repression in Ägypten. Sogar die Washington Post sah sich daraufhin genötigt, einen kritischen Leitartikel unter dem Titel "Clinton's Schweigen zur ägyptischen Demokratie" zu veröffentlichen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 17.11.2010
Parlamentswahlen in Ägypten
Repression gegen Opposition nimmt zu
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2010