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GLEICHHEIT/3662: Stühlerücken in der FDP


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Stühlerücken in der FDP

Von Dietmar Henning und Peter Schwarz
21. Mai 2011


Auf einem Bundesparteitag in Rostock hat sich die FDP am vergangenen Wochenende bemüht, ihr Erscheinungsbild zu verändern. Sie präsentiert ihre Politik im Interesse von Besserverdienenden und Wirtschaft in neuem Gewand, ohne dass sich inhaltlich etwas daran ändert.

Auf dem Parteitag wählten 95 Prozent der 660 Delegierten den 38-jährigen Phillip Rösler zum neuen Parteichef. Er folgt Außenminister Guido Westerwelle, unter dessen Leitung die FDP von ihrem Hoch bei der Bundestagswahl 2009 tief abgestürzt ist.

Vor zwei Jahren hatte die FDP mit 14,6 Prozent der Stimmen das beste Bundestagswahlergebnis ihrer Geschichte erzielt. Danach fielen die Umfragewerte der Partei in den Keller und sie verpasste in mehreren Landtagswahlen den Einzug ins Parlament. Westerwelles offensichtliche Klientelpolitik, wie die Senkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers, und seine Angriffe auf Hartz IV-Empfänger, denen er "spät-römische Dekadenz" vorwarf, brachten viele gegen die Regierung auf, bevor diese ihre Angriffe ernsthaft begonnen hatte.

Der Rostocker Parteitag sollte nun das Blatt wenden. Zu diesem Zweck hat die FDP ihre gesamte Führungsmannschaft neu sortiert. Der neue Parteivorsitzende Rösler wechselt vom Posten des Gesundheitsministers auf den des Bundeswirtschaftsministers - gegen den Widerstand seines Vorgängers und Parteikollegen Rainer Brüderle. Dieser wechselt an die Fraktionsspitze und sitzt so weiterhin im Koalitionsausschuss. Rösler ersetzt auch Westerwelle als Vizekanzler. Der bisherige Parteichef bleibt zwar vorerst Außenminister, ansonsten aber außen vor. Er darf zwar an Sitzungen des Partei-Präsidiums teilnehmen, stimmberechtigt ist er jedoch nicht. Auch dem Koalitionsausschuss gehört er nicht mehr an.

Die bisherige Fraktionschefin Birgit Homburger, die für Brüderle Platz machen musste, ist mit dem Amt der ersten stellvertretenden Bundesvorsitzenden entschädigt worden. Der 32-jährige Daniel Bahr, bis vor kurzem noch Staatssekretär, folgt Rösler als Gesundheitsminister. Nur Christian Lindner, 34, bleibt was er war: Generalsekretär.

Die so genannte "junge Garde" um Rösler, Lindner und Bahr hat sich auf dem Parteitag bemüht, der FDP ein neues Erscheinungsbild zu geben. Die Rostocker Parteitags-Halle wurde anders als bisher gestaltet. An der Wand prangten nicht mehr die aggressiven Parolen von 2009 - "Leistung muss sich lohnen", "Mehr Netto vom Brutto". "Jetzt stehen da Plakate, mit den Konterfeis von Menschen, die phänotypisch auch als Grünen-Wähler durchgehen könnten" schreibt die Süddeutsche Zeitung. Auf einem Plakat stand der Satz "Freiheit ist für mich ein Lebensgefühl".

Rösler bemühte sich in seiner Antrittsrede als Parteivorsitzender anders als sein marktschreierischer Vorgänger ruhig daherzukommen, Gefühle anzusprechen und eine andere "Intonation" (Spiegel Online) anzustimmen.

Inhaltlich ändert sich dagegen nichts. "Es gab", so Spiegel Online, "am Ende keine Debatte über Guido Westerwelles Verbleib im Auswärtigen Amt, auch keine Kursänderung in der strittigen Eurofrage." Das Thema Bildung wurde auf einen Programmparteitag im November verschoben. Die alten Botschaften wurden neu verpackt. So erklärte Generalsekretär Lindner: "Ja, wir Liberale sind für den Sozialstaat, aber nicht für den bürokratisch verholzten Wohlfahrtsstaat, den wir heute haben." Die "Mission" der FDP sei es, die Ansprüche an den Sozialstaat "zu disziplinieren".

Die FDP spricht auch weiterhin für die Besserverdienenden, die Profiteure der letzten beiden Jahrzehnte. Deutschland sei es nie so gut gegangen wie derzeit, eröffnete Rösler seine Rede und warb wie sein Vorgänger für baldige Steuersenkungen. Dank der guten wirtschaftlichen Lage würden die Spielräume derzeit dafür größer. Anders als Westerwelle goss er aber kein Öl ins Feuer und hatte für die Verlierer der Krise einige beruhigende Worte übrig. Die Politik der FDP müsse sich künftig wieder mehr an den "Alltagssorgen der ganz normalen Menschen in Deutschland" ausrichten, sagte er

Generalsekretär Lindner beschwor die Freiheit des Marktes, schränkte aber ein, die FDP sei "nicht für die Freiheit jedes Geschäftsgebarens". Während er gegen die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft nichts einzuwenden hatte, beschwerte er sich darüber, dass das Schicksal eines Lebenswegs "nicht von individueller Leistung, sondern von der Herkunft aus dem Elternhaus abhängt".

Die Parteitagsdelegierten in Rostock, die um ihre Mandate und Ämter fürchten, reagierten auf diesen Mummenschanz mit Verzückung. Sie "wollten Rösler unbedingt mögen", schreibt die Süddeutsche Zeitung. "Zur viel beschworenen Freiheit gehört in dieser FDP nämlich auch die Freiheit zum gnadenlosen Opportunismus." Dieselben Liberalen, die noch vor anderthalb Jahren Westerwelle und seinem hemmungslosen Triumphgeschrei gehuldigt hätten, konnten ihn nun nicht schnell genug loswerden.

Zeit Online schlägt gar die Brücke von Rösler zum "Messias". Die FDP habe in Rostock "einen Heilsbringer aufgetan, so scheint es". Der neue Parteivorsitzende Philipp Rösler wirke "deutlich sympathischer als sein Vorgänger". Doch niemand wisse, ob dieses neue, andere Konzept einer "mitfühlenden FDP" erfolgreich sein werde. "Für die Parteimitglieder ist Phillip Rösler wie ein Messias. Viele vergessen aber, dass der 38-Jährige beim Volk bisher ziemlich unbeliebt ist."

In der Tat hat Rösler als Gesundheitsminister trotz allen "Mitgefühls" die Zerschlagung der Krankenversorgung für alle mit brachialen Mitteln vorangetrieben. Die erste Meinungsumfrage des Forsa-Instituts drei Tage nach dem Parteitag ergab, dass die FDP in der Wählergunst noch weiter abgestürzt ist. Zum vierten Mal in diesem Jahr fiel sie wieder auf das Rekordtief von drei Prozent. Als Hauptgrund für das schlechte Abschneiden der FDP nannte Forsa-Chef Manfred Güllner den Wechsel im Wirtschaftsministerium. Philipp Rösler werde wenig zugetraut.

Obwohl sich die Medien redlich bemühten, das Stühlerücken auf dem Kommandodeck der FDP als bedeutsames politisches Ereignis darzustellen, hat der Niedergang der Liberalen tiefere Gründe als eine falsche PR-Strategie.

Die FDP war länger an der Bundesregierung beteiligt als jede andere Partei in der Geschichte der Bundesrepublik, und das obwohl sie selten mehr als fünf bis zehn Prozent der Wähler hinter sich brachte und wiederholt vor dem finanziellen Aus stand. Von 1949 bis 1998 saß die FDP mit zwei kurzen Pausen von insgesamt acht Jahren ununterbrochen in der Regierung. Sie diente erst der Union, dann der SPD, und dann wieder der Union als Koalitionspartner und Mehrheitsbeschaffer. Dabei bewährte sie sich immer als Sachwalter und treuer Interessenvertreter der größten Konzerne und Banken.

Diese griffen ihr wiederholt unter die Arme, wenn sie vor dem finanziellen Aus stand. Spendenskandale ziehen sich deshalb wie ein roter Faden durch die Geschichte der Partei.

So wurden FDP-Wirtschaftsminister Hans Friderichs und Otto Graf Lambsdorff 1987 in der Flick-Affäre wegen Steuerhinterziehung rechtskräftig zu hohen Geldstrafen verurteilt. Der Flickkonzern, der den Grundstock seines Vermögens durch Verbrechen unter den Nazis erwarb, hatte der FDP in den 1970er Jahren insgesamt 6,5 Millionen Mark zukommen lassen. Als die FDP nach dem Koalitionswechsel von der SPD zur CDU 1983 erneut vor dem Bankrott stand, ermöglichte ihr eine Sechs-Millionen-Mark-Spende des Kaufhauskönigs Helmut Horten das Überleben.

Auch in jüngster Zeit konnte die FDP mit den Spenden aus Millionärskreisen rechnen. Mitte 2009 wurde sie vom Bundestagspräsidenten zur Zahlung von 4,3 Millionen Euro verurteilt, weil der ehemalige nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Jürgen Möllemann Parteispenden verschleiert hatte. Im selben Jahr machte eine - ebenfalls verschleierte - 1,1-Millionen-Spende aus dem Firmenimperium von August Baron von Finck Schlagzeilen. Fincks Familie ist Mehrheitseigner der Mövenpick-Kette, die massiv von der Senkung der Mehrwertsteuer für Hotels durch das FDP-Wirtschaftsministerium profitiert hatte. Finks Großvater, ein Bewunderer Hitlers, hatte sein Vermögen durch die Arisierung jüdischer Banken vermehrt.

Der Aufstieg der Grünen und ihr Einzug in die Bundesregierung im Jahr 1998 stellte für die FDP dennoch eine Zäsur dar. Erstmals konnte die Fünf-Prozent-Partei nicht mehr das Zünglein an der Waage spielen und in der Regierung für die Interessen der Großkonzerne und Banken garantieren. Damit verlor sie für diese an Interesse.

In dieser Zeit übernahm Westerwelle die Führung der Partei. Seit 1994 Generalsekretär, wurde er 2001 zum Vorsitzenden gewählt.

Westerwelle verkörperte die Schicht junger Aufsteiger, die im Börsenboom der neunziger Jahre zu mühelosem Reichtum gelangten. Er schlug Anfangs einen populistischen Kurs ein, um neue Wähler für die Partei zu gewinnen. Selbst für einen Auftritt im Big-Brother-Container war er sich nicht zu schade. In dieser Zeit arbeitete er eng mit Jürgen Möllemann zusammen, der auch vor antisemitischen Tönen nicht zurückschreckte und sich 2003 bei einem Fallschirmabsprung in den Tod stürzte. Westerwelle und Möllemann liebäugelten damals unverkennbar mit Jörg Haider, der die österreichische Schwesterpartei der FDP auf einen stramm rechten Kurs geführt hatte.

Doch die finanzkräftigen Hintermänner der FDP zeigten sich von diesem Kurs wenig begeistert. Die Grünen, denen sie anfangs mit Misstrauen begegnet waren, entpuppten sich bald als treue Sachwalter ihrer Interessen. Mit der Agenda 2010 erfüllte die Regierung Schröder-Fischer ihre Wünsche nach Lohnsenkung und Sozialabbau weit effektiver, als dies die konservativ-liberale Vorgängerregierung vermocht hatte. Die Grünen unterstützten Schröders Agenda 2010 uneingeschränkt und stellten die Weichen für internationale Kriegseinsätze der Bundeswehr. Sie hatten gegenüber der FDP außerdem den Vorteil, dass sie sich auf die Stimmen akademisch gebildeter Mittelschichten stützen konnten.

Westerwelle reagierte, indem er die FDP auf ein Bündnis mit der CDU einschwor und alle Brücken zur SPD und den Grünen abbrach. Er hoffte, dass der rasche Popularitätsverlust der SPD einer von ihm und Angela Merkel geführten Regierung an die Macht verhelfen werde. Doch der Irakkrieg machte ihm 2002 einen Strich durch die Rechnung. Weil Schröder und Fischer eine deutsche Kriegsbeteiligung ablehnten, verloren Union und FDP die bereits sicher geglaubte Bundestagswahl.

Auch bei der Bundestagswahl 2005 reichte es nicht zu einer konservativ-liberalen Mehrheit. Merkel wurde zwar Kanzlerin, aber an der Spitze einer Großen Koalition mit der SPD.

Erst 2009 gingen Westerwelles Pläne auf. Weil viele Unionsanhänger die Große Koalition mit der SPD beenden wollten, der sie die geplanten Angriffe auf die Arbeiterklasse nicht zutrauten, erhielt die FDP zahlreiche Leihstimmen aus der Union und erzielte das beste Ergebnis ihrer Geschichte.

Doch inzwischen hatte sich die wirtschaftliche Lage verändert. Die internationale Finanzkrise hatte auch Deutschland in eine tiefe Rezession gestürzt. Die Bundesregierung hatte den Haushalt hoch verschuldet, indem sie den Banken 800 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern zur Verfügung stellte. Unter diesen Umständen stieß Westerwelles Beharren auf Steuersenkungen und seine Tiraden gegen Hartz-IV-Empfänger selbst unter FDP-Wählern auf Befremden. Sie fürchteten, er könnte mit seinen unbesonnenen Provokationen ein soziales Pulverfass zur Explosion bringen.

Vor diesem Hintergrund erfolgte der Aufstieg der Grünen. Hatte die Ökopartei bisher selten mehr als zehn Prozent der Stimmen erreicht, liegen ihre Umfragewerte inzwischen über zwanzig Prozent. In Baden-Württemberg stellen sie sogar erstmals den Ministerpräsidenten.

Inhaltlich unterscheidet sich die Politik der Grünen kaum von jener der FDP. Sie vertreten eine knallharte Klassenpolitik im Interesse der Wirtschaft und der Besserverdienenden, beharren auf drastischen Sparmaßnahmen und unterstützen den Krieg in Afghanistan und die Verwandlung der Bundeswehr in eine Berufsarmee. Doch sie verstehen es besser als die FDP, diese rechte Politik hinter blumigen Phrasen zu verbergen und wohlhabende Teile der gebildeten Mittelklasse dafür zu gewinnen.

Sie geben sich als pazifistische Partei und unterstützen trotzdem die Kriege in Afghanistan und Libyen. Sie jammern über Sozialabbau und den Zerfall von Bildung und Infrastruktur, befürworten aber gleichzeitig einen eisernen Sparkurs. Sie pflegen enge Beziehungen zu den Energiekonzernen, und geben sich zugleich als deren Gegner aus.

Mit dem Führungswechsel von Rostock versucht die FDP, sich aus der Abhängigkeit von der Union zu befreien und die Tür zur SPD und insbesondere den Grünen wieder zu öffnen, die Westerwelle zugeschlagen hatte. Die jungen, aalglatten Karrieristen, die in die Führungsspitze der Liberalen aufgestiegen sind, verstehen sich gut mit grünen Spitzenpolitikern, die ebenso karrierebewusst und wendefähig wie sie selbst sind.

Zumindest was die Verschleierung ihrer rechten Politik betrifft, hat die neue Führung der Liberalen bereits von den Grünen gelernt. So klagt die FDP nun über den Verfall demokratischer Freiheitsrechte, hebelt sie aber gleichzeitig in der Regierungskoalition aus. Sie kritisiert die Abhängigkeit des Bildungsniveaus vom Elternhaus, verweigert den armen Eltern aber jede Unterstützung. Sie gibt sich als Europa-Partei, verlangt jedoch "klare Sanktionsmaßnahmen" gegen Staaten, die sich nicht an Stabilitätskriterien halten. Und obwohl ihre Beziehung zu den Energiekonzernen kaum enger sein könnte, hält auch die FDP "grundsätzlich" am Atomausstieg fest.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 21.05.2011
Stühlerücken in der FDP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2011