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GLEICHHEIT/3985: Washington setzt Kampagne für Regime-Wechsel in Syrien fort


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Washington setzt Kampagne für Regime-Wechsel in Syrien fort

Von Niall Green
16. Dezember 2011


Letzte Woche setzten sich in Syrien die Repressionen der Regierung gegenüber der Opposition sowie die Attacken der Regierungsgegner fort. Inzwischen haben Washington und die europäischen Länder ihre Kampagne zum Sturz der Baath-Regierung sowohl durch Initiativen bei den Vereinten Nationen und als auch durch Gespräche mit der syrischen Opposition verstärkt.

Oppositionsgruppen behaupten, dass in der Stadt Homs am 5. Dezember die Leichen von 30 von den Sicherheitskräften getöteter Menschen aufgefunden und weitere drei Personen am Samstag erschossen wurden. Die syrische Armee hat in der Stadt und ihrer Umgebung mehr als 30 Kontrollpunkte errichtet, so die Oppositionsgruppe Syrischer Nationalrat (SNC) mit Sitz in der Türkei.

In Homs konzentrieren sich die Auseinandersetzungen zwischen syrischen Sicherheitskräften und Regimegegnern. Zahlreiche Menschen sind seit dem Ausbruch der Auseinandersetzungen im Januar in der Stadt getötet worden.

Am Sonntag gab es eine umfangreiche bewaffnete Konfrontation zwischen syrischen Truppen und bewaffneten Überläufern in der südlichen Stadt Busra al Harir in der Nähe der jordanischen Grenze. Nach Reuters gaben die Einwohner an, die Überläufer hätten sich in dem Gebiet versteckt und militärische Versorgungslinien angegriffen und so den Angriff regimetreuer Streitkräfte provoziert. Nach den Angaben einer Oppositionsgruppe wurden am Sonntag bei Zusammenstößen in ganz Syrien achtzehn Menschen getötet

Ein für Sonntag geplanter landesweiter "Streik der Würde", mit dem gegen den Angriff der Regierung protestiert werden sollte, verursachte nach Medienberichten in den beiden größten Städten Damaskus und Aleppo keine größeren Störungen. In einigen Regionen zeigte der Streikaufruf Wirkung. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen sollen das syrische Militär und Assad loyale Milizen in der südlichen Stadt Daraa einen Streik niedergeschlagen haben.

Wegen der massiven Nachrichtenbeschränkungen in Syrien gibt es nur wenig freie Informationen über Verluste. Die syrische Regierung behauptet, bewaffnete Oppositionelle hätten dieses Jahr etwa 2.000 Sicherheitskräfte getötet, wohingegen die Vereinten Nationen behaupten, dass insgesamt 4.000 Menschen bei Angriffen der Sicherheitskräfte umkamen.

Homs ist daneben ein Zentrum der Ölförderung Syriens. Regierungsgegner sprengten am Donnerstag letzter Woche offenbar eine wichtige Pipeline zu einer Raffinerie in der Nähe der Stadt. Die Anlage bei Homs ist eine von lediglich zwei Raffinerien in Syrien. Sie kann mehr als 130.000 Barrel pro Tag verarbeiten, das ist beinahe die Hälfte der Kapazität des Landes. Es ist nicht sicher, ob die Raffinerie noch in Betrieb ist.

Die offizielle syrische Nachrichtenagentur bezeichnete den Angriff auf die Pipeline als "terroristischen Sabotageakt". Die gesamte Ölproduktion, die Haupteinnahmequelle Syriens, hat von 340.000 Barrel pro Tag im Februar auf etwa 120.000 Barrel täglich abgenommen. Die Europäische Union, wichtigster Exportmarkt des Landes, ordert kein syrisches Öl mehr.

Es scheint, dass sich Homs, das nur wenige Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt liegt, zu einem Einfallstor für Waffen und Unterstützer der Opposition in das Land entwickelt. Die syrische Regierung behauptet, Waffen und Geld abgefangen zu haben, die zur Unterstützung der bewaffneten Widerstandskräfte über die Grenze geschmuggelt wurden. In der libanesischen Presse gab es Berichte über Grenzgefechte zwischen bewaffneten, aus dem Libanon operierenden, Gruppen und der syrischen Armee.

Führende Elemente der selbsternannten syrischen Opposition fordern ein Eingreifen ausländischer Streitkräfte in die inneren Auseinandersetzungen des Landes. Der SNC-Vorsitzende Burhan Ghalioun traf sich diese Woche in der Türkei mit der amerikanischen Außenministerin Hilary Clinton. In einem Interview nach dem Treffen sagte Ghalioun einem Journalisten, dass seine Organisation "schon eine ganze Zeit mit amerikanischen Diplomaten in Kontakt stehe. Er habe Clinton gedrängt, "nicht zu zögern, Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung zu ergreifen."

Auf die Frage, ob die USA "humanitäre Korridore" - d.h. militärisch erzwungene Flugverbotszonen über syrischem Territorium - etablieren würden, antwortete Ghalioun ganz in der Tonlage imperialistischer Mächte und ihrer Lakaien: "Wir sagen, dass alle Optionen zur Sicherstellung internationalen Schutzes auf dem Tisch liegen."

Er betonte auch, dass der SNC, der erst im Oktober mit Unterstützung der Türkei und der Westmächte gebildet wurde, sich um diplomatische Anerkennung bemühe, genauso wie der Nationale Übergangsrat in Libyen diplomatische und finanzielle Unterstützung während des Nato-Einsatzes zum Sturz Muammar Gaddafis erhalten hatte.

Jedes Regime, das in Damaskus auf einer derartigen Grundlage an die Macht gehievt würde, wäre eine ergebene pro-kapitalistische Schachfigur der Großmächte, absolut ohne Interesse an den demokratischen und sozialen Forderungen der syrischen Massen, die sich der Armut und sozialen Ungleichheit in Syrien und der Brutalität des Assad-Regimes in gleicher Weise widersetzen.

Wie in Libyen nutzen Washington und die europäischen Mächte einen innenpolitischen Konflikt aus, und versuchen ein Regime auszuwechseln, das sie mittlerweile als mögliches Hindernis für ihre räuberischen Interessen in der energiereichen Region betrachten. Die amerikanische Regierung und ihre europäischen Verbündeten drängen die Vereinten Nationen immer wieder zu einer Verurteilung der Regierung von Präsident Bashir Assad.

Die ständigen Sicherheitsratsmitglieder Russland und China, die enge ökonomische und strategische Verbindungen zu Syrien pflegen, weigern sich jedoch, sich auf die Destabilisierungskampagne Washingtons einzulassen. Letzten Monat legten Beijing und Moskau ihr Veto gegen eine von Großbritannien und Frankreich entworfene Resolution des Sicherheitsrates ein, mit der Syrien Sanktionen auferlegt worden wären.

Am Freitag stimmte der Sicherheitsrat einem Antrag Frankreichs für eine Aussprache über die syrischen Ereignisse zu. Es wurde berichtet, dass sich Russland, China und Brasilien der Pariser Initiative widersetzten, da diese Regierungen befürchten, eine Resolution des Sicherheitsrates, könnte ähnlich wie im Vorfeld des Nato-Kriegs gegen Libyen benutzt werden, um eine amerikanisch geführte Kampagne für einen Regime-Wechsel zu rechtfertigen.

Der russische UN-Botschafter Vitali Tschurkin warnte, dass eine Behandlung der syrischen Situation durch den Sicherheitsrat "mit den Angelegenheiten des Rates für Menschenrechte interferieren" könnte. Beim Menschenrechtsrat handelt es sich um eine wenig einflussreiche UN-Körperschaft, die keine Befugnis zur Verhängung von Sanktionen gegen Damaskus hat.

Dennoch üben die USA mit Hilfe ihrer regionalen Verbündeten im Nahen Osten Druck auf Damaskus aus und sponsern Gruppen, die innerhalb Syriens gegen Assad kämpfen.

Die Türkei fungiert bei der Konfrontation mit Syrien als einziges nahöstliches Mitglied des amerikanisch dominierten Nato-Militärbündnisses als Hauptverbündeter Washingtons. Die Türkei hat die beiden größten syrischen Oppositionsgruppen SNC und die Freie Syrische Armee aufgenommen und Tausende von Sondereinsatzkräften an ihre Grenze mit Syrien verlegt.

Letzten Freitag wurde über schwere Schusswechsel an der 1.000 km langen türkisch-syrischen Grenze berichtet. Die syrische Regierung behauptet, dass regierungsfeindliche Kämpfer und Waffen aus der Türkei ins Land kommen. Ankara hingegen beschuldigt syrische Grenztruppen, unterschiedslos Menschen auf der türkischen Seite der Grenze zu beschießen.

Das türkische Regime drohte Syrien am selben Tag, dass es weitergehende Maßnahmen ergreifen werde, um eine Flut von Flüchtlingen auf sein Territorium zu verhindern, was faktisch als Drohung mit einer direkten Intervention in den innenpolitischen Konflikt in Syrien zu verstehen ist.

Der türkische Außenminister Davutoglu lehnte eine konkrete Erklärung über mögliche Schritte Ankaras ab. "Die Türkei hat nicht das Bedürfnis nach Einmischung in die inneren Angelegenheiten von irgendjemandem. Wenn jedoch eine Gefahr für die regionale Sicherheit entsteht, können wir uns den Luxus des Stillhaltens nicht leisten", erklärte Davutoglu Journalisten.

"Eine Regierung, die gegen ihre eigene Bevölkerung kämpft und Flüchtlinge produziert, riskiert nicht nur ihre eigene Sicherheit, sondern auch die der Türkei. Wir haben dann die Verantwortung 'Genug!' zu sagen."

Türkische Regierungsvertreter haben schon früher angeregt, die Streitkräfte des Landes mit Bodentruppen und Luftstreitkräften in Syrien eine "Sicherheitszone" durchsetzen zu lassen. Eine solcher Schritt, angeblich zum Schutz der Zivilbevölkerung, wäre ein kriegerischer Akt, der den von USA und Nato unterstützten türkischen Truppen einen Brückenkopf verschaffen würde, über den sie das Assad-Regime stürzen könnten.

Derartige Unternehmungen könnten sich schnell zu einem ausgewachsenen regionalen Krieg aufschaukeln. Der Iran ist Hauptverbündeter Syriens und gewährleistet dessen Souveränität - gleichzeitig könnten weitere an Syrien angrenzende Länder - Libanon, Israel, Jordanien und der Irak, auch die Golf-Monarchien - leicht in den Konflikt verwickelt werden.

Die saudische Regierung gießt noch Öl ins Feuer und behauptet zynisch, sie sei für den Schutz des syrischen Volkes verantwortlich. Trotz der brutalen Unterdrückung der heimischen Opposition gegen die autoritäre Herrschaft und der mörderischen Niederschlagung einer Protestbewegung in Bahrain Anfang des Jahres durch das Militär, warnte Prinz Turki al Faisal, ein führendes Element der herrschenden Familie, vergangene Woche, die Arabische Liga würde "nicht die Hände in den Schoß legen und das fortwährende Massaker am syrischen Volk zulassen."

Als Reaktion auf die Suspendierung seiner Mitgliedschaft in der Arabischen Liga, signalisiert Damaskus die Bereitschaft, internationale Beobachter der Menschenrechtssituation zuzulassen, falls die Sanktionen aufgehoben werden.

Wie dem auch sei, selbst wenn Damaskus Inspekteure der Arabischen Liga ins Land ließe - was viele Beobachter für unwahrscheinlich halten - wird die Kampagne für einen Regimewechsel unter der Führung der USA weiter gehen. Diese Kampagne speist sich aus dem Verlangen des amerikanischen und europäischen Imperialismus nach Kontrolle über die riesigen Öl- und Gasvorkommen im Nahen Osten und aus der Absicht, jeden wirklich fortschrittlichen Ausdruck der Bestrebungen der syrischen Bevölkerung zu blockieren.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 16.12.2011
Washington setzt Kampagne für Regime-Wechsel in Syrien fort
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2011