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GLEICHHEIT/3989: Verfassungskrise auf den Philippinen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Verfassungskrise auf den Philippinen

Von Joseph Santolan
20. Dezember 2011


Ein Fraktionskampf zwischen Teilen der philippinischen Bourgeoisie hat sich zu einer Verfassungskrise ausgeweitet. Präsident Benigno 'Noynoy' Aquino betreibt die Strafverfolgung der ehemaligen Präsidentin Gloria Arroyo. Das hat zu einem offenen Konflikt zwischen der Exekutive und der Justiz des Landes geführt. Im Hintergrund wirkt die Auseinandersetzung zwischen China und den USA. Aquino hat den obersten Richter mit offen anti-demokratischen Methoden vor Gericht stellen lassen.

Der Konflikt zwischen Aquino und dem Corona-Gericht köchelte bereits seit Aquinos Amtsübernahme im Sommer 2010. Die scheidende Präsidentin Arroyo besetzte eine Reihe von Regierungsposten mit ihr ergebenen Günstlingen. Renato Corona, zuvor Arroyos Stabschef, wurde zum höchsten Richter ernannt.

Durch Coronas Ernennung zum Chef des obersten Gerichtes wurde ein anderer Kandidat mit mehr Erfahrung, aber offensichtlich nicht so enger Bindung an Arroyo, übergangen. Nach philippinischem Recht ist ein Präsident während seiner letzten sechzig Amtstage nicht befugt, politische Ämter zu vergeben. Die Ernennung Coronas geschah innerhalb dieser Frist, aber der oberste Gerichtshof mit dem frisch ernannten höchsten Richter Corona an der Spitze entschied, dass dieses Gesetz nicht für die Justiz gilt.

Bis 2004 genoss Arroyo die Unterstützung der Politdynastie Cojuangco-Aquino. Arroyo wurde in jenem Jahr zur Siegerin im Präsidentschaftswahlkampf erklärt, obwohl es überwältigende Beweise dafür gab, dass sie sich an massiven Wahlfälschungen beteiligt hatte. Als es wegen der Wahlergebnisse zu verbreiteten Unruhen kam, unterstützten der damalige Kongressabgeordnete Benigno Aquino und seine Mutter , die ehemalige Präsidentin Corazon Cojuangco Aquino, Arroyo. Der Kongressabgeordnete Aquino stimmte dafür, die Beweise gegen Arroyo ohne Prüfung zu versiegeln.

Im November 2004 wurden zwölf Bauern und zwei Kinder getötet, als Sicherheitskräfte das Feuer auf eine Reihe unbewaffneter Demonstranten auf der Cojuangco-Aquino-Zuckerplantage Hacienda Luisita eröffneten. Hacienda Luisita ist das größte zusammenhängende Zuckeranwesen im Lande und steht seit Jahrzehnten im Zentrum von Diskussionen über eine Landreform. 2005 kündigte Arroyo ihr politisches Bündnis mit den Aquinos auf, um ihre miserablen Umfragewerte zu verbessern und ließ das Anwesen zerlegen und an die ansässigen Bauern verteilen. Seitdem wird vor dem Höchsten Gericht um das Luisita-Gelände gestritten.

Seit seiner Wahl hat Aquino unter dem geschmacklosen Vorwand einer Anti-Korruptions-Kampagne einen Rachefeldzug seiner Familie gegen Arroyo geführt, ihre Macht gefestigt und die von ihr ernannten Funktionäre entlassen. Coronas höchstes Gericht wurde in diesen Kampfes hineingezogen und versuchte, zwischen seiner erklärten Loyalität gegenüber Arroyo und dem wachsenden politischen Einfluss der Aquino-Regierung zu lavieren. Im Juli 2011 gab das Gericht eine Entscheidung im Fall des Luisita-Anwesens bekannt. Sie begünstigte die Cojuangco-Aquino-Familie und verhinderte die Zerschlagung ihres Landbesitzes.

In den neun Jahren von Arroyos Amtszeit hat sich China zur stärksten Macht in der Region entwickelt. Außerdem nehmen die Spannungen zwischen China und den USA kontinuierlich zu. Während ihrer zweiten Amtszeit distanzierte sich Arroyo zunehmend von den USA und bevorzugte engere Bindungen mit China. Sie zog philippinische Truppen aus der "Koalition der Willigen" im Irak ab, bevorteilte chinesische Firmen bei mehreren Infrastruktur-Projekten gegenüber US-amerikanischen Konkurrenten und unterzeichnete mit China und Vietnam einen Vertrag über die gemeinsame Erforschung des Südchinesischen Meeres.

Eine von WikiLeaks veröffentlichte diplomatische Depesche vom November 2005 aus der US-Botschaft in Manila belegt den aufkeimenden Rachefeldzug zwischen den Familien Aquino und Arroyo und die entscheidende Rolle, die das Oberste Gericht im Fall der Hacienda Luisita spielt. Als Aquino 2010 sein Amt antrat, begann Washington Druck auszuüben und die gerichtliche Verfolgung Arroyos zu fordern, um sich so Aquinos volle Unterstützung als Erfüllungsgehilfe des US-Imperialismus in der Region zu sichern. US-Diplomaten lieferten Aquino Beweismaterial gegen Arroyo und die von ihr ernannten Funktionäre und demonstrierten wiederholt ihre Billigung der zunehmend anti-demokratischen Methoden, mit denen Aquino seine politische Rivalin juristisch verfolgte. Aquino wiederum hat die politische Orientierung der Philippinen scharf auf die USA ausgerichtet. Auf diese Weise hat sich ein Rachefeldzug zwischen rivalisierenden Teilen der nationalen Bourgeoisie durch die Machenschaften Washingtons zu einer Stellvertreterschlacht zwischen den Interessen von Großmächten entwickelt.

Im November 2011 erließ die Aquino-Regierung, ohne Anklage gegen Arroyo zu erheben, eine einstweilige Verfügung, die sie daran hinderte, das Land aus offensichtlich gesundheitlichen Gründen zu verlassen. Das höchste Gericht erklärte die Anordnung für verfassungswidrig. Aquinos Justizministerin, Leila de Lima, erklärte, sie werde die Entscheidung des Höchsten Gerichtes nicht anerkennen und ließ Arroyo daran hindern, das Land zu verlassen, indem sie sie in einem Rollstuhl aus dem Flughafen holen ließ.

Daraufhin wurde Arroyo hastig angeklagt und bezichtigt, bei den Senatswahlen 2007 Wahlfälschung begangen zu haben. Sie wurde in ihrem Krankenzimmer unter Hausarrest gestellt. Einige Tage später handelte das Oberste Gericht gegen Aquinos Interessen, revidierte die Entscheidung über das Hacienda-Luisita-Land und ordnete die sofortige Wiederverteilung unter den Bauern an.

Aquino hielt zwei Reden, in denen er Corona vorsätzlich demütigte, ihn als Gauner bezeichnete, der die Ehre des Gerichtes beschmutze und die Justiz ihrer Unparteilichkeit beraube. Am späten Nachmittag des 12. Dezember wurde im philippinischen Repräsentantenhaus über ein Amtsenthebungsverfahren abgestimmt. Drei Stunden später stimmten 188 Kongressabgeordnete für die Amtsenthebung Coronas, 97 dagegen.

In den Tagen darauf kam ans Licht, welch brutalen und anti-demokratischen Methoden die Aquino-Regierung angewandt hatte, um das Amtsenthebungsverfahren parlamentarisch durchzusetzen. Aquino traf am Sonntag den Sprecher des Hauses und den Mehrheitsführer zum Mittagessen. Der Antrag auf das Verfahren wurde dem Haus vorgelegt und zur Abstimmung gebracht, ohne dass ein Kongressabgeordneter ihn gelesen hatte.

Zwei Mitglieder von Aquinos Liberaler Partei stimmten gegen den Gesetzentwurf. Sie enthüllten, dass die Regierung angekündigt hatte, keinem Abgeordneten, der gegen den Gesetzesentwurf stimmte, Zugang zu ihrem 70-Millionen-Peso Fond für Ermessensausgaben, auch Schweinetrog genannt, zu gewähren. Aquino ließ einen der beiden von seinem Posten im Steuerbewilligungsausschuss entfernen. Der andere trat aus der Liberalen Partei aus.

Es ist wenig über den Inhalt der Artikel des Amtsenthebungsverfahrens diskutiert worden. Corona wird unangemessener Beziehungen zu Arroya und lächerlicher Weise voreiligen Urteilens beschuldigt. Jeder Artikel des Verfahrens prangert vom Corona-Gericht getroffene Entscheidungen an, obwohl es sich bei den meisten um Mehrheitsentscheidungen handelte. Auf diese Weise wird der Weg geebnet für Amtsenthebungsverfahren gegen andere Richter des Obersten Gerichtes. Ein Sprecher der Liberalen Partei kündigte an, Aquino werde die Amtsenthebung von wenigstens drei weiteren Richtern beantragen.

Die Gerichtsbarkeit reagierte, indem sie Gerichtsferien verkündete, um gegen die Verletzung der Gewaltenteilung durch die Exekutive zu protestieren. Zivilgericht und Strafgerichte wurden geschlossen. Corona hielt vor einer großen Menge von Justizangestellten eine flammende Rede, in der er Aquino als Diktator anprangerte und seinen Rücktritt verweigerte.

Das Amtsenthebungsverfahren geht nun vor den Senat. Aquinos Einfluss im Senat wird kaum ausreichen, um genügend Stimmen gegen Corona zusammen zu bekommen. Er wird eine andere Taktik verfolgen und versuchen, Corona durch Schikanen zum Rücktritt zu bewegen. Senator Sergio Osmena machte diesen Plan in einem Interview mit dem Philippine Daily Inquirer klar.

Er sagte: "Wir sind Politiker. Sie wissen, wie wir philippinischen Senatoren unsere Macht missbrauchen können. Wir können alles und jedes von uns geben, schließlich genießen wir Immunität... wir können während des Prozesses jede Aussage machen und das philippinische Volk glauben lassen, dass wir die Wahrheit sagen, selbst wenn das nicht der Fall ist. Darin besteht also die Gefahr, wenn man sich auf ein politisches Gerichtsverfahren wie dieses einlässt... Man kann nicht gewinnen, wenn es ein politischer Prozess ist. Alle Schweinereien kommen ans Tageslicht."

Osmena fuhr fort: "Ich erwarte, dass Corona zurücktritt. Ich würde darauf wetten."

Das ist unverhüllte politische Terror. Das sind die anti-demokratischen Methoden der Mafia. Aquino hat das demokratische Prinzip der Gewaltenteilung angegriffen. Je stärker er die Justiz knebelt und die unabhängige Gerichtsbarkeit abbaut, umso realer wird - mit der Unterstützung Washingtons hinter den Kulissen - die Gefahr einer Diktatur auf den Philippinen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 20.12.2011
Verfassungskrise auf den Philippinen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2011