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GLEICHHEIT/4216: Frankfurt im Belagerungszustand


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Frankfurt im Belagerungszustand

Von unsern Korrespondenten
19.‍ ‍Mai 2012



Seit Donnerstag gleicht die City von Frankfurt am Main einer Stadt im Belagerungszustand. Tausende Polizisten sind im Einsatz, um die von Mittwoch bis Samstag geplanten Proteste des "Blockupy"-Bündnisses (eine Wortschöpfung aus Occupy und Blockade) in der Bankenmetropole zu unterbinden. Die Stadt hatte die geplanten Proteste erst vollständig verboten und Gerichte anschließend nur einige wenige unter strengen Auflagen erlaubt.

Nun ist das ganze Bankenviertel vollkommen abgeriegelt, U- und S-Bahnhöfe sind versperrt, das Rathaus und alle öffentlichen Einrichtungen geschlossen. Viele Geschäfte und Banken haben ihr Personal für Freitag nach Hause geschickt und die Schaufenster mit Brettern vernagelt. Seit Tagen versucht die Presse, die Öffentlichkeit mit einer beispiellosen Hysterie über bevorstehende "Ausschreitungen" einzuschüchtern.

In Wirklichkeit verhalten sich die so genannten "Aktivisten", meist sehr junge Demonstrierende, trotz provokanter Polizeipräsenz vollkommen friedlich. Über ein halbes Jahr lang hat Occupy Frankfurt vor der Europäischen Zentralbank gewaltfrei campiert. Dieses Camp wurde am Mittwoch, unmittelbar vor Beginn der Protesttage gegen die europäische Sparpolitik, polizeilich geräumt.

Zu einer Großdemonstration am Samstag werden zehntausende Menschen erwartet. Sie wollen mittlerweile nicht mehr nur gegen das europäische Spardiktat der Finanzmärkte, der EZB und der EU protestieren, sondern auch Widerstand gegen die aktuelle Einschränkung von Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit leisten.

Am Mittwochabend hatte auch das Bundesverfassungsgericht dem umfassendsten Angriff auf das Demonstrationsrecht und die Versammlungsfreiheit in der Bundesrepublik seit langem seinen Segen gegeben. Vorher hatten schon die Verwaltungsrichter in Frankfurt und in Kassel dem Totalverbot der Protesttage durch die von der CDU und den Grünen gestellte Stadtregierung bis auf wenige Ausnahmen stattgegeben. Bis auf die Großdemonstration am Samstag blieben sämtliche Blockupy-Veranstaltungen untersagt.

Ein Verwaltungsrichter erklärte, auch wenn die geplanten Blockaden eigentlich von der Versammlungsfreiheit gedeckt wären, seien sie "trotzdem rechtswidrig", denn der Beeinträchtigung von Bürgern und Bankern sei "größeres Gewicht beizumessen" als dem Recht auf Versammlungsfreiheit.

Für den Einsatz wurden über fünftausend Polizisten zusammengezogen. Vor der Stadt wurden Busse angehalten und überprüft. Mehrere Busse voller Jugendlicher wurden mit Platzverbot für das ganze Stadtgebiet belegt und zum Umkehren gezwungen.

Auf dem Paulsplatz kam es am Donnerstag zu einem Knüppeleinsatz, als die Demonstrierenden ein Megaphon nicht sofort der Polizei ausgehändigten. Am Hauptbahnhof wurde eine kleine Gruppe von etwa 150 Jugendlichen eingekesselt und stundenlang festgehalten. Am Ende wurden die letzten Eingekesselten erst nach Aufnahme ihre Personalien freigelassen.

Über Lautsprecher forderten Beamte die Menschen immer wieder auf, "jedes Verhalten mit Demonstrationscharakter zu unterlassen". Außer den martialisch gerüsteten Einsatzkräften waren auch Foto- und Filmteams der Polizei unterwegs, um alle Personengruppen aufzuzeichnen, die auch nur entfernt wie "Aktivisten" aussahen.

Vom Hauptbahnhof sollte am Donnerstag ein Demonstrationszug unter dem Motto "Take the square!" losgehen. Der Plan war, die Innenstadt einzunehmen und musikalische und informative Darbietungen auf zentralen Plätzen zu organisieren. Für solche Events hatten sich Liedermacher wie Konstantin Wecker und andere Musiker angekündigt.

Auch diese Konzerte sind, wie schon der "Rave" (Tanzdemo) auf der Hauptwache am Mittwochabend, rundheraus verboten worden. Darauf sagte Konstantin Wecker der Presse: "Ich habe schon ziemliches Magengrummeln über diese Ungeheuerlichkeit, alle Veranstaltungen zu verbieten. Anscheinend ist es wirklich so, dass, wenn es ums Eingemachte, also um die Finanzmärkte, geht, alle rechtstaatlichen Masken fallen gelassen werden."

Die Zugangsstraßen zum Bankenviertel sind mit Gittern abgeriegelt, an denen bis an die Zähne bewaffnete Polizisten mit Helm und Schienbeinschonern postiert sind. Sie verhindern jedes Durchkommen. Anwohner dürfen nur zu ihrer Wohnung, wenn sie ihren Personalausweis vorzeigen.

Passanten und Fahrradfahrer, die auf ihrem Weg durch die Innenstadt gestoppt und zum Umkehren gezwungen werden, reagieren verwundert und empört. "Was, hier wird die ganze Innenstadt abgesperrt?" ruft eine Fahrradfahrerin verärgert aus. "Das ist ja wie im Bürgerkrieg." Ein Mann wirft ein: "Das scheint mir eine Polizeiübung zu sein; dafür haben sie wohl jetzt vier Tage freie Hand, noch dazu abgesegnet vom Verfassungsgericht."

Die Frau wird immer wütender und beginnt, die Polizisten zu beschimpfen: "Schämen solltet ihr euch! Warum gebt ihr euch für so was her! Wer bisher keine Wut hat, der kriegt sie spätestens jetzt." Nach einigem Nachdenken setzt sie hinzu: "Da zeigt man mit dem Finger auf Syrien, den Iran oder Afrika. Aber hier zuhause läuft es auch nicht anders, wie man sieht."

Am Freitag wird das Verhalten der Polizisten immer aggressiver. An vielen Stellen der Stadt kommt es zu Polizeieinsätzen. Kleinere und größere Demonstrantengruppen, die versuchen, sich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung zu nehmen, werden erneut eingekesselt und stundenlang festgehalten. Viele von ihnen werden festgenommen.

Bis Freitagmittag sind laut offiziellen Angaben etwa 400 Demonstranten in Gewahrsam genommen und in Internierungslager in so weit entfernten Städten wie Gießen und Wiesbaden abtransportiert worden.

Am frühen Morgen waren vor dem Gewerkschaftshaus mehrfach Demonstranten von aggressiven Polizisten verfolgt, heftig zu Boden geworfen, an die Wand gestellt und durchsucht und dann abgeführt worden.

Um die Mittagszeit blockierten ca. 200 Demonstranten den Schweizer Platz im Stadtteil Sachsenhausen und hielten eine Kundgebung unter dem Motto "Bankraub statt Landraub" ab. Beiträge verurteilten die Spekulation mit Lebensmitteln, mit der z.B. die Deutsche Bank und die Allianz Versicherung Profit machen und arme Menschen in vielen Ländern der Welt in Hunger stürzen. Auf einem Transparent stand: "Deutsche Bank macht Hunger".

Obwohl diese Kundgebung wie alle anderen vollkommen friedlich verlief, waren die Teilnehmer noch nach Stunden von der Polizei eingekesselt.

Eine Blockade der Demonstranten hätte niemals eine so effektive Wirkung erzielen können wie die allgegenwärtigen Polizeikräfte, die mit ihren endlosen Fahrzeugkolonnen, flächendeckenden Absperrungen und Kontrollpunkten vor allem in der Innenstadt ein Fortkommen äußerst mühsam machten.

Selbst der Messeaufbau auf dem Messegelände wurde stark in Mitleidenschaft gezogen. Weil die Polizei auf dem Messegelände ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatte, wurden die mit Materialien einfahrenden LKW und Lieferwagen gründlich gefilzt, besonders wenn sie mit jungen Arbeitern bestückt waren, die vielen Demonstranten nicht unähnlich sahen. In vielen Bereichen geriet der Messeaufbau durch diese Kontrollen deutlich in Verzug.

Jeder unvoreingenommene Beobachter musste zum Schluss kommen, dass es bei diesem massiven Angriff auf demokratische Rechte nicht darum ging, Gewalttaten zu verhindern, sondern jeden Protest gegen die Finanzoligarchie und die Verarmungspolitik der EU in ganz Europa zu unterdrücken.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.05.2012
Frankfurt im Belagerungszustand
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2012